Ich will diese Rezension an dieser Stelle jenem namenlosen Kommentator widmen, der in den Kommentaren zu "Second Contact" so lobende Worte zum ersten Senf der "Lower Decks" ausgegeben hat.
Danke! Solche Kommentare von Dir und von allen anderen treuen Leser sind der Grund, der diese Kolumne antreibt.
Spoilerwarnung.
Dieser Artikel enthält massive Spoiler auf "Envoy", die zweite Folge der ersten Staffel "Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.
Einleitung.
Eine der unsinnigsten Diskussionen die man mit anderen Star-Trek-Fans dieser Tage führen kann ist jene, ob denn die Trickfilmserie "Lower Decks" offizieller Kanon sei. Interessanterweise gab es ähnliche Bedenken bereits von Beginn an mit der 'anderen' Zeichentrickserie "TAS", obwohl durch diese Serie Spocks Geburtsort ShiKahr, das kahs-wan-Ritual, Kirks Mittelname Tiberius, der Mädchenname der Mutter Spocks, Kors Schiff IKS Klothos, die Kzinti oder die Holodecktechnologie etabliert wurden, die dem unsicheren Status der Serie zum Trotz längst zum Kanon zählen.
Dennoch scheinen einige Fans zwar kein Problem zu haben, einer Serie zu folgen, die in einer fiktiven Zukunft mit fiktiver Technologie und fiktiven Personen spielt, aber andererseits ihre Fantasie zu verlieren, sobald eine Serie animiert wird.
Andere hingegen verweisen auf die fehlende Ernsthaftigkeit, die drastische Realitätsferne oder den verspielten Charakter. Wieder anderen sind die Stimmen zu hoch oder zu schnell, während die Handlung unnachvollziehbare Purzelbäume schlägt, ohne einen Sinn zu ergeben.
Daher drängt sich ein weiterer Blick auf diese Serie förmlich auf um zu überprüfen, was von diesen Vorwürfen berechtigt ist.
Story.
Bradward Boimler hat einen ganz besonderen Auftrag ergattern können: Er ist für den Transport des hochdekorierten klingonischen Generals K'orin zu Verhandlungen auf Tulgana IV eingeteilt worden. Doch zu seiner Überraschung findet er schon bald heraus, dass sich seine Kollegin Beckett Mariner nicht nur zu seiner Vorgesetzten auf dieser Mission aufgeschwungen hat, sondern auch eine ebenso langjährige wie chaotische Freundschaft zu dem trinkfreudigen Haudegen pflegt, den er transportieren soll. Dem jungen Fähnrich entgleitet die Mission Stück für Stück, was schließlich seinen Höhepunkt im Umstand findet, dass K'orin das Shuttle bei einem von Boimler ursprünglich abgelehnten Besuch des klingonischen Distrikts auf dem Planeten stiehlt und verschwindet. Es beginnt eine verzweifelte Suche nach dem Botschafter und dem Shuttle, bei der die Ansichten Boimlers und Mariners was Sternenflottenprotokolle angeht auf eine harte Probe gestellt wird…
Lobenswerte Aspekte.
Folgenanlage.
"Envoy" ist keine 'normale' Episode im herkömmlichen Sinn. Die zweite Folge der Serie greift das in "Second Contact" vorgegebene Tempo auf und erhöht es sogar, um einen Mini-Road-Movie im TNG-Gewand in vierundzwanzig Minuten unterzubringen. In einer erschreckend effizienten Nutzung der zur Verfügung stehenden Zeit erzählt sie gleich zwei gleichermaßen mitreißende wie unterhaltsame Geschichten, die inhaltlich ertragreicher als so manche klassische Episode, Discovery-Folge oder Abramstrek-Inkarnation ausfällt.
Ziel der Handlung ist ganz offensichtlich, die noch zarten Bande zwischen den Hauptcharakteren zu stärken und die Crew der USS Cerritos näher zu beleuchten. Als Zugabe gibt es eine rasante Außenmission, die den Vergleich mit anderen legendären Planetenbesuchen der Star-Trek-Geschichte nicht zu scheuen braucht.
Das alles schafft die Serie mit einem stringenten Humor, der zwar nicht immer das Zwerchfell zum Bersten zwingt, aber doch an mehreren Stellen zielgenau ins Schwarze trifft. In diesem Zusammenhang gaben sich die Autoren auch erkennbar Mühe, die Serie durch nicht immer jugendfreie Ausführungen vom Anschein einer Produktion für ein jüngeres Publikum zu befreien.
Vor allem aber mag ich die Moral der Geschichte, die trotz der begrenzten Zeit deutlich zutage tritt: Mariner stellt sich in bester Star-Trek-Manier absichtlich zurück, um den Enthusiasmus ihres blauäugigen Freundes nicht zu brechen, auch wenn diese gute Tat mit öffentlicher Erniedrigung gepaart und mit Witzen auf ihre Kosten gedankt wird – schließlich wiegt das Wohl des Einzelnen weniger als das Wohl der gesamten Sternenflotte, wenn ein Hansdampf-in-allen-Gassen wie Boimler der Organisation erhalten bleibt. Es ist genau diese Art der unaufgeregten persönlichen Selbstlosigkeit, die ich seit Enterprise so sehr vermisst habe. Zumal die Idee, dass man alles richtig macht und trotzdem verlieren kann (frei nach Jean-Luc Picard in "Galavorstellung") ebenfalls eine zeitlose Lektion ist, die Star Trek seinen Zuschauern mehr als einmal zu vermitteln versuchte.
Doch auch wenn das jetzt ein ideales Schlusswort wäre, muss an dieser Stelle doch ergänzt werden, dass der B-Plot von "Envoy" nicht minder reizvoll ausfällt. In einer ähnlich turbulenten Reise quer durch die Divisionen des Schiffes lernt Rutherford die einzelnen Aufgabenbereiche in einer Art 'Probetraining' genau kennen.
Und warum?
Weil er als Sternenflottenoffizier zu seinem Wort stehen will. Dass er am Ende aber doch dem Ruf seines Herzens folgt, stellt gleichermaßen ein Kernprinzip Star Treks dar. Das Großartige daran bleibt allerdings der erstaunliche Rückhalt, den er bei seiner Suche von allen einzelnen Abteilungsleitern erhält, die ihn sogar ermutigen, sich auszuprobieren beziehungsweise seinen eigenen Weg zu gehen. Die Charaktere mögen zwar auf dem "Unterdeck" ihren Dienst abseits der Laufrouten der Brückenbesatzung verrichten, aber der Geist der Sternenflotte vereint am Ende des Tages doch alle Besatzungsmitglieder zu einer geschlossenen Einheit.
Kanonfutter.
Es gibt und gab keine andere Star-Trek-Serie, die so sehr darauf bedacht ist, den offiziellen Kanon einer Richtschnur gleich aufzunehmen wie "Lower Decks".
Auf der einen Seite findet man natürlich die vielen Anlehnungen an all die anderen Serien und Filme, die sich wie ein roter Faden durch die Folgen ziehen. In "Envoy" sieht man missmutige Kaelonianer, Boimler kurz vor dem Jamaharon, einen gelungenen Auftritt der blauhäutigen Föderationsgründungsmitglieder, einen stark an "Der Wächter" erinnernden Ferengi, eine Borg-Simulation in bestem Kobayashi-Maru-Stil und eine Föderations-Botschaft, die in ihrem brutalistischen Baustil an die Enterprise-Episode "Der Anschlag" zurückdenken lässt.
Dabei lohnt es sich stets und ständig mit Adleraugen auf den Hintergrund zu achten. Vor allem bei den zahlreichen Draufsichten der Planetenoberfläche, die so detailreich ausfallen wie die aufwändig gestalteten Doppelseiten im Mosaik: Hier kann man Arkonianer, Evora, Ariolo, Lurianer, einen Außenposten im Farpoint-Design, klingonische Disruptoren in Schaufenster, ein ushaan-tor in Action, Vasquez-Rocks-ähnliche Felsformationen, die romulanische Vertretung und die Ferengi-Botschaft entdecken.
Ergänzt wird das Gesamtbild schließlich noch mit dem vollen klingonischen Programm: Von der General-Chang-Augenklappe über ein passendes Trinklied bis hin zum Klein-Qo'noS-Distrikt wurde an alles gedacht! Der Blutwein wird im passenden Trinkbecher serviert und der Gagh-Marktstand hat sogar die blaue Variation aus dem sechsten Kinofilm im Angebot.
Auf der anderen Seite steht dem ein erfrischend ironischer Umgang mit diesem Kanon entgegen, der sich in Gänze wohl nur langjährigen Fans erschließt und sich einmal quer durch alle 'alten' Star-Trek-Serien zieht. So gibt es gleich zu Beginn eine Begegnung der etwas anderen Art mit einem übermächtigen transdimensionalen Wesen, während der Captain der USS Cerritos nach einer identitätsstiftenden Catchphrase á la "make it so" sucht. Augenzwinkernd nimmt die Folge ferner den Hang der Drehbuchautoren für Apostrophe auf die Schippe (und legt dies auch noch in den Mund eines Charakters, dessen Name ein solches Zeichen enthält), lässt Beckett Mariner in 'großartigen' Khan-Träumereien schwelgen, spielt mit der Bekanntheit der ach so geheimnisumwitterten Sektion 31 und nennt endlich einmal das "Janeway-Protokoll" beim Namen - ohne dabei dem Zuschauer zu verraten, worum es sich dabei handelt.
Es ist diese Art der Selbstironie, die "Lower Decks" so sehenswert macht, zumal den Autoren die Problematik um den Vergleich mit der umstrittenen Vorgänger-Trickfilmserie so bewusst ist, dass sie ganz offensichtlich damit spielen. Nach dem ersten Auftritt einer Caitianerin im Pilotfilm regnet es gleich die nächsten TAS-Referenzen, als man einerseits einen gut versteckten Aurelianer ins Szenenbild schmuggelt und dann auch noch einem Vendorianer einen denkwürdigen Gastauftritt verschafft.
Genau diese bereitwillige und clevere Nutzung des Kanons als Hilfsmittel ist etwas, was die Serie ihren Geschwistern "Star Trek: Discovery" (wo Kanonreferenzen deutlich spärlicher gesät sind) und "Star Trek: Picard" (wo Nostalgie zu oft als Kanon missverstanden wird) deutlich voraus hat.
Wer aber glaubt, dass sie sich ausschließlich auf die Wiederholung althergebrachter Inhalte reduzieren lässt, sieht sich getäuscht, denn in "Envoy" dient der Kanon eher dazu, die rasante Handlung auszuschmücken, nicht aber dem Zweck, sie zu bestimmen. Im Gegenteil, das immer reichhaltigere Informationsgerüst wird mit neuen, kreativen Bestandteilen ergänzt. So mischt es neue Spezies wie Anabaj oder Taxor in die Vielzahl bekannter Weltraumwesen, bietet nie dagewesene Einblicke in den Alltag der einzelnen Abteilungen und erfreut den Zuschauer mit Nahaufnahmen einer neutralen Welt, wie sie bisher noch nie zuvor zu sehen waren.
Kritikwürdiger Aspekt.
Kanonbrüche und Logiklöcher.
Dass Samanthan Rutherford etwa eine ganze Woche in den Jefferiesröhren zugebracht haben soll, klingt recht unwahrscheinlich, obwohl es andererseits auf der Hand liegen dürfte, dass es sich um eine rein figurativ gemeinte Bemerkung gehandelt hat.
Eher würdig unter "Cartoon Effekt" verbucht zu werden sind in diesem Zusammenhang die Parktickets, die K'orin durch seine Landung direkt vor der Föderationsbotschaft erhält. Die sind zwar für den ein oder anderen Lacher gut, aber ohne Frage etwas deplatziert in einer sehr digitalen Zukunft – zumal ein Nummernschild am Shuttle fehlt. Dass die Tickets darüber hinaus auch noch aus Papier sind, weckt Erinnerungen an den schlecht gealterten TOS-Pilotfilm "Der Käfig", als Papierdruck noch state of the arts war.
Dennoch bleibt dieser Punkt bestenfalls ein Minimalmakel, denn er wiegt deutlich weniger schwer als eine Gedankenverschmelzung durch eine Androidin, Gott im Zentrum der Milchstraße zu finden oder die Besatzung eines Shuttles nach dem Durchbrechen der Warpmauer in lustgetriebene Lurche zu verwandeln.
Die Trickfilmserie bemüht sich deutlich mehr Anschluss an die Parameter des Star-Trek-Universums zu halten als etwa "Discovery". Dass sie dabei ab und an auf ironische Seitenhiebe oder gezielter Übertreibung als Stilmittel setzt ist legitim und in einer Tradition, die nicht zuletzt "The Orville" zu einem so erfolgreichen Konzept gemacht hat.
Natürlich lässt sich in der Serie bei angemessener Suche auch der "Cartoon-Effekt" ausfindig machen, doch es bleibt festzuhalten, dass sich dieser bis hier her noch in Grenzen hält, die eine Erwähnung kaum rechtfertigen.
Und wenn wir alle mal ehrlich sind hatte bislang noch jede Star-Trek-Serie Momente zu bieten, die man am liebsten wieder aus dem offiziellen Kanon streichen würde und bislang hat "Lower Decks" zwar einige weniger glaubwürdige Szenen, aber noch nichts in einem Kaliber zu bieten, was dazu verleiten könnte, ihm den Status des offiziellen Kanons abzustreiten. Dahingehend haben sich andere Serien (übrigens auch schon lange bevor "Discovery" dazu Gelegenheit erhalten hatte) deutlich schuldiger gemacht, selbst wenn es sich dabei um nicht um Trickfilmserien handelte…
Denkwürdige Zitate.
"Where ist the Power cell, dude?"
"What, really?"
"Like I was going to ask for something that didn't come with batteries!"
Beckett Mariner und das transdimensionale Wesen
"K'orin… How do I know that name?"
"Maybe because he's like one of the most decorated, battle-hardened Klingon warriors in history?!"
"Or maybe it's just because all Klingon names sound the same, like they all have an apostrophe for some reason?"
"Yes, that's it!"
D'Vana Tendi, Bradford Boimler und Beckett
"Well, don't worry. Some people agree to do stuff, when they don't actually mean they're going to do it…"
"No, no, no, no! Im Starfleet – I never go back on my word."
Tendi und Samanthan Rutherford
"Buried alive… Marooned for eternity… Moons of Nibia… ahhh! Oh sorry, I keep having this awesome dream!"
Beckett
"I must update you on my many sexual conquests, Mariner!"
"What, both of them?"
K'orin und Beckett
"Okay, that was a rough start! FYI in situations like that, try employing the 'Janeway Protocol'."
"Got it! And what's that?"
"Hah! Good one…"
Jack Ransom und Rutherford
"I've never even heard about an Anabaj… How did you know?"
"Affinity for red, drawn to the weak minded, plus I kind of dated one once – but only to make my mom mad!"
Boimler an Beckett
"Computer, initiate combat simulation 'Smorgasborg'!"
Shaxs
"Starfleet doesn't just need badass cool people like me – they need, like booksmart people kike you, too!"
Beckett
"Rutherford… That is… Outstanding!! Gotta be true to yourself!"
Shaxs
Weiterführende Leseliste.
Staffel 1.
01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu "Envoy"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"
Staffel 2.
01. Rezension zu "Seltsame Energien"