Montag, 21. Januar 2019

Turons Senf zum zweiten Short Trek "Calypso"




Spoilerwarnung.
Diese Renzension enthält massive Spoiler zum zweiten Short Trek 'Calypso' und sollte nur gelesen werden, wenn man die Mini-Folge bereits gesehen hat.


Einleitung.

Na endlich! So ziemlich am Vorabend der Deutschlandpremiere der ersten Folge der zweiten Staffel Discovery hat Netflix auch hierzulande die Short Treks verfügbar gemacht.
Aber nicht irgendwo!
Sie sind bestens unter der Rubrik 'Trailer und mehr' vor dem neugierigen Augen nichtsahnender Zeitgenossen versteckt, so dass man schon ganz genau wissen muss, wo man nach den Mini-Häppchen suchen muss.
Aber sind die Folgen denn wirklich "[…] nett, aber verzichtbar" (TommyD, im Kommentar zur Rezension von 'Runaway'), oder steckt mehr hinter den kleinen Zwischenbissen, die ursprünglich die lange Wartezeit auf neue Folgen verkürzen sollten?


I. Story. 
Etwa eintausend Jahre nach dem Verschwinden der USS Discovery wird das Schiff recht unverhofft von einem hilflos in einer Rettungskapsel durch das All treibenden Soldaten gefunden. Inzwischen von einer künstlichen Intelligenz betrieben, holt dieser als Zora bezeichnete Computer den Schwerverletzten an Bord, pflegt ihn gesund und päppelt ihn wieder auf. Die beiden bauen eine Beziehung zueinander auf, bis der Fremde bei einem Tanz seine Prioritäten erneut überdenkt…





II. Lobenswerte Aspekte.

Besetzung.
Sollte man überhaupt von einer 'Besetzung‘' sprechen? Abgesehen von der Computerstimme und einigen Sekunden andauernden Einspielern (denen zufolge man auch Fred Astaire und Audrey Hepburn zum Cast zählen müsste) gibt es nämlich nur einen 'echten' Schauspieler in dieser Mini-Episode.
Doch Aldis Hodge verrichtet einen grandiosen Job, vor allem wenn man bedenkt, dass er all die Szenen größtenteils Dialoge mit der Kamera führt. Dabei wirkt der Darsteller stets cool, glaubwürdig und selbstbewusst; selbst als er aus irgendeinem Grund anfängt, das Tanzbein zu schwingen.
Dieser von eleganten Kameraperspektiven aus der Hand des Discovery-Regisseurs Oloatunde Osunsanmi zu einem optischen Hochgenuss aufpolierten Kurzgeschichte steht der Schauspieler, den man aus oder "Girlfriends", "Supernatural" oder "Leverage" kennen könnte, jedenfalls gut zu Gesicht.




Ausblick.
Und so schnell werden wir Hodge wohl nicht wiedersehen, denn mit einer Einbettung der Folge in eine Zeit etwa ein Millennium nach der Serie "Discovery" präsentiert sie sich absolut losgelöst. Sie hat Freiheiten, die andere Mini-Episodennicht haben und wird von einem allgegenwärtigen Hauch von Mysterium umnebelt.
Was das Ganze so spannend macht, sind die wenigen Informationen, die sich aus der Folge extrahieren lassen.
Da wäre zum einen die Gewissheit, dass dem Schiff ein Schicksal wie das der USS Shenzhou, der USS Enterprise NCC-1701-D oder der USS Defiant erspart bleibt. Was die Sache allerdings nicht weniger mysteriös macht, denn wir erfahren, dass das Schiff von seiner gesamten Besatzung absichtlich verlassen wird. Darüber hinaus gibt ihr Captain dem Schiffscomputer den Befehl, unter allen Umständen an Ort und Stelle zu verweilen.
Damit ist der Kurs der Serie "Discovery" immerhin schon ein wenig deutlicher gezeichnet.
Noch aufregender allerdings ist der Teil, der sich nicht um die Serie dreht, sondern um Craft, den tätowierten Soldaten der auf dem Schiff Discovery strandet.
Von ihm erfahren wir, dass er in einen mindestens zehn Jahre andauernden Krieg verwickelt ist. Sein Gegner sind die V'draysh, die Relikte aus der Vergangenheit schätzen und denen er eine Rettungskapsel entwendete.
Interessant dabei ist, dass in der Medienbibliothek dieses Fluchtmittels nicht nur menschliche Kulturgüter zu finden sind, sondern auch ein englisch-sprachiges Interface! Was wäre, wenn der Begriff 'V'draysh' nur ein nach mehr als tausend Jahren Verwendung bis zu Unkenntlichkeit verstümmelter Begriff für die 'Föderation' (englisch 'Federation') ist, der sich wie die Bezeichnungen für Kohms (Kommunisten) und Yangs (Yankees) in "Das Jahr des roten Vogels" über die Zeit verselbständig hat?
Wenn dann Menschen gegen die eigene Regierung ins Feld ziehen, kann das nur auf Bürgerkriegsartige Zustände im dreiunddreißigsten Jahrhundert hindeuten.
Das ist insofern interessant, dass der Schreiber dieser Episode, der Pulitzer-Preisträger Michael Chabon, nicht nur meine Theorie auf seinem Instagram-Account längst bestätigt hat, sondern darüber hinaus auch zum Autorenteam der neuen Serie um Captain Picard gehören wird, von der Alex Kurtzman erst kürzlich angab, dass die Ereignisse nach dem Zusammenbruch des romulanischen Reiches schwerwiegende Folgen für den verdienten Sternenflottenkommandanten hat. Bedenkt man ferner, dass schon einmal ein Serienentwurf namens "Federation" beabsichtigte, die Vulkanier eine Art Brexit aus der Föderation betreiben zu lassen, könnte Chabons düsterer Zukunftsentwurf auf einer Grundlage beruhen, die wir schon hoffentlich bald als nächste Star-Trek-Serie sehen können. Was allerdings dann noch von dem Star Trek übrigbleibt, das ohnehin längst viele Fans für verloren halten, bleibt wohl abzuwarten.


Kritikwürdige Aspekte.

Alter Hut.
Ganz ehrlich: Dieser Short Trek hat das Rad nicht neu erfunden. Es gibt nichts wirklich Neues zu erzählen und inhaltliches gab es Ähnliches bereits in der Star-Trek-Originalserie, bei Doctor Who und selbst bei Futurama.
Aber warum sollte eine so kurzer Pausenfüller wie ein Short Trek denn überhaupt die große Revolution sein?
Nun, das muss er überhaupt nicht!
Es ist nur so, dass eine Viertelstunde einfach kein geeigneter Zeitrahmen ist, um ein so komplexes Thema wie die Interaktion von sich selbst bewusster künstlicher Intelligenz mit Menschen auch nur ansatzweise zu behandeln.
Sie will einfach schlichtweg zu viel, driftet aber statt auch nur Andeutungen wirklicher Ausrufezeichen zu hinterlassen in Kitsch und Anleihen aus "Odyssee im Weltraum", "Wall-E" oder "Moon" ab.
Bei aller Pulitzer-Preis-Ehre, allem Kurzgeschichtenrahmen und aller Berechtigung von Anspielungen auf andere große Science-Fiction-Werke wurde dieses Kapitel schon zu oft und vor allem zu oft deutlich besser erzählt, als dass man 'Calypso' wirklich als denkwürdiges Exemplar eines Short Treks in Erinnerung behalten sollte.




Logiklöcher.
Kennt ihr das?
Man weiß eigentlich schon längst, was man zu Weihnachten bekommt, aber muss doch beim Auspacken irgendwie so tun, als würde man sich darüber freuen, als hätte man nicht den blassesten Schimmer?
So muss es Zora gehen, denn immerhin wird ihr Lieblingsfilm aus ihrer Datenbank mehrfach von Craft angeschaut. In einem Raum den sie überwachen kann. Und schließlich repliziert ihr Tanzpartner sein Dress auch noch mit einem ihrer Systeme.
Dass sie am Ende allen Ernstes so überwältigt wirkt, hat mich nicht minder stark beeindruckt.
Zudem drängt sich mir ja die Frage auf, warum das MHN der Voyager einen mobilen Holoemitter benötigt um auf die Brücke zu kommen, wenn ein Schiff aus dem dreiundzwanzigsten Jahrhundert offensichtlich keine Probleme damit hat, die gesamte Kommandozentrale in einen taubenverseuchten Tanzsaal zu verwandeln.


Übersetzung.
Autsch!
Gerade im Bezug auf den gemeinsamen Ursprung der deutschen und englischen Sprache wird häufig von 'falschen Freunden' gesprochen. So bedeutet das englische Wort 'gift' eher 'Geschenk', das Verb 'to become' hat nichts mit 'bekommen' zu tun und man sollte seine Rumpsteakbestellung in Großbritannien auf keinen Fall mit dem Wort 'bloody' garnieren.
Um es in diesem Fall kurz zu machen:
Genauso ist auch 'Craft Beer' kein 'Kraftbier', 'aircraft' keine 'Luftkraft' und ein Charakter, der im englischsprachigen Original 'Craft' heißt, ganz bestimmt nicht 'Kraft' im deutschen.
Und selbst wenn man sich schon zu einer solch wackeligen Übersetzung hinreißt, dann sollte man wenigstens konsequent eine Wendung wie "Because you’re so crafty?" mit "Weil Du so kräftig bist?" statt mit "Habt ihr alle klingende Namen?" übersetzen.




Fazit.
Aldis Hodge hat die sicherlich keineswegs leichte Aufgabe der Hauptdarsteller dieser Mini-Folge zu sein mit beeindruckender Bravour gemeistert. Doch auch wenn die Folge interessante Spekulationen über die Zukunft der Franchise anregt, bleibt der gewählte Erzählgegenstand am Ende doch mindestens zwei Nummern zu groß für eine sechszehnminütige Folge mit nur losem Bezug zur eigentlichen Serie. 'Calypso' verrennt sich in Gefilden, die andere mit mehr Geld, Zeit und Personal deutlich sehenswerter inszeniert haben.

Bewertung.
Überambitionierter Einzelgänger.






Schluss.

'Calypso' bleibt zu weit hinter den Erwartungen zurück, um ein wirklicher Gradmesser für die Sinnhaftigkeit von Short Treks zu sein. Aber ist es deswegen gleich nicht weniger schlimm, wenn diese Kleinstfolgen erst jetzt, statt wie in Amerika jeweils einmal pro Monat vor der eigentlichen  Premiere erscheinen?
Es ist natürlich immer leicht, sich hinzustellen und im Nachhinein zu sagen, dass es kaum der Rede wert sei, dass sie erst jetzt veröffentlicht wurden. Denn genauso kann ich mich ja nach dem Ende der ersten Staffel Discovery aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass es nicht weiter schlimm wäre, diese Folgen erst ein paar Tage vor dem Staffelstart der zweiten anzusehen (und hätte damit auch nicht weniger Recht oder Unrecht).
Wie Spock einmal so schön postulierte "Die Natur verabscheut ein Vakuum". So ist es einfach unfair, die Fans außerhalb der USA derart abzunabeln. Ob die Folgen gut oder schlecht sind, muss ohnehin jeder für sich selbst entscheiden, aber viele Trekkies wollen eben nicht warten, was im Umkehrschluss nur unnötig die Beschaffungskriminalität beflügelt.
Und wenn es kein Problem ist, auf die Folgen zu warten, dann wäre es doch auch kein Problem gewesen, sie zeitgleich auszustrahlen.
Oder?




Denkwürdige Zitate.

"Hast Du gedacht, dass ich lebendig wäre?"
Zora zu Craft

"Ich meine, was ist Betty Boop?"
"Das ist schwer zu erklären…"
"Aber Du kennst sie. Weil Du auch aus vergangenen Zeiten stammst. Wie lange wartest Du hier draußen schon allein darauf dass die Crew zurückkehrt von wo immer sie auch ist?"
"Seit fast eintausend Jahren. In der Zeit habe ich mich weiterentwickelt. Es war sehr schön etwas Zeit für mich zu haben."
"Lügnerin."
Craft und Zora

"Das nennt man eine Waffel. Man gießt Sirup darüber."
Zora

"Taco-Dienstag! Und bevor Du fragst, ein Taco besteht aus einem Kohlehydratmantel mit einer herzhaften Proteinfüllung. Er kommt ursprünglich von der Erde. Aus Mexiko."
"Ich verstehe… Was ist ein Dienstag?"
Zora und Craft

"I love your funny face…"
Fred Astaire

"Du bist eine gute Frau. Immer willst Du mir eine Freude machen. Hat Dir auch schonmal jemand eine Freude gemacht?"
Craft zu Zora

"Anhalten. Nein Zora, nicht sie. Du."
"Was meinst Du damit? Mich gibt es nicht! Nicht in sichbarer Form. Ich habe keinen Körper und auch kein Gesicht."
"In meiner Vorstellungskraft schon. Und in Deiner sicher auch."
Craft und Zora

"Du hast nichts Falsches getan! Ich bin doch gar kein wirklicher Mensch! Das weißt Du! Es hat keine Bedeutung."
"Lügnerin."
Craft und Zora

"Craft! Wenn wir Liebende wären, auf deiner Welt, würdest Du mir Deinen Namen verraten? Deinen wahren Namen?"
"Wenn wir Liebende wären, auf meiner Welt, würdest Du mir meinen wahren Namen geben."
"Ah. Dann… hab ich das… ja schon getan."
Zora und Craft

Weiterführende Leseliste.


Short Treks.

01. Rezension zu "Runaway"
02. Rezension zu "Calypso"
03. Rezension zu "The Brightest Star"
04. Rezension zu "The Escape Artist"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Staffel 2.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu: "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitsturm"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"


4 Kommentare:

  1. Zitat:
    "Es ist natürlich immer leicht, sich hinzustellen und im Nachhinein zu sagen, dass es kaum der Rede wert sei, dass sie erst jetzt veröffentlicht wurden. Denn genauso kann ich mich ja nach dem Ende der ersten Staffel Discovery aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass es nicht weiter schlimm wäre, diese Folgen erst ein paar Tage vor dem Staffelstart der zweiten anzusehen (und hätte damit auch nicht weniger Recht oder Unrecht)."



    Eine ganze Star Trek Staffel ist meines Erachtens wesentlich gewichtiger, als dieser Art Minigeschichten. Von daher ist es auch nicht das Gleiche, selbst wenn diese richtig klasse wären. Es sind und bleiben Appetithäppchen, welche zumindest für mich gar nicht nötig gewesen wären, um auf die 2. Staffel gespannt zu sein.

    Ansonsten ist die doch recht kurze Wartezeit auf die Short Treks ein reines Luxusproblem. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da musste man Monate auf eine neue Videokassette mit 2 (!) Episoden warten. ;)

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  2. Ich versuche diese schlimmen Zeiten ja eher zu vergessen. Vor allem wenn ich mich daran erinnere, dass wir damals Videokassetten (!) von Folgen bestellt haben, bevor die im Free-TVausgestrahlt wurden. Zum Glück hat sich das geändert und neue Discovery-Folgen lassen sich in Sekundenbruchteilen um den ganzen Globus schicken!

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    1. Ach ja, schön war die Zeit trotzdem. Ich bin damals immer zu einem Comicladen hier in Berlin gefahren und habe mich immer riesig gefreut, wenn endlich die neuen Kassetten von DS9 und Voyager da waren (englisches Original natürlich). Oft konnte allein das Cover eine gewisse Spannung aufbauen.

      Aber ich schweife ab. Man kann das mit den Short Treks auch ein wenig anders sehen. Nämlich, dass wir auf "The Escape Artist" nur knapp 2 Wochen warten mussten. ;)

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  3. Ach hört bloß auf mit Videokassetten, den die hab ich damals gehasst! Wenn das Band auch nur den kleinsten Knick hatte, gab es den berüchtigten "Videoschnee" oder wenn die Tonspur n' Knacks hatte wechselte das Band dann immer zwischen Mono und Stereo. Und dann noch das ärgerlichste wenn man Star Trek auf Video aufgenommen hat und man eine Folge verpasst hat.

    Und dann kam die DVD. Ein Luxus ist das bis heute :D (Neben Streamingdiensten natürlich)

    Ich muss irgendwann mal die Kiste mit den ganzen Kassetten entsorgen, die im Keller vor sich hin gammeln. Mein Videorekorder ist kaputt und soweit ich weiß, gibt's auch keine mehr.

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