Der Weltraum. Unendliche Weiten.
Weil die scheinbar noch nicht genügend Erzählstoff bieten, sind findige Star-Trek-Drehbuchautoren schon früh darauf gekommen, die Existenz paralleler Dimensionen zu thematisieren, in denen sie die gleichen Requisiten benutzen und trotzdem neue Geschichten erzählen konnten.
Die ersten Episode "
Ein Paralleluniversum" war zu ihrem Erscheinungsdatum 1967 jedenfalls ebenso visionär wie revolutionär, auch wenn das "
Spiegeluniversum" am Ende nur eine Ansammlung von ziemlich flachen Bösewicht-Versionen der bekannten Seriendarsteller blieb – mit der einzigen Ausnahme
Spocks.
Zusammen mit der Absetzung der Originalserie verschwand auch dieses Spiegeluniversum daher (nicht ganz zu Unrecht) aus dem Fokus und spielte weder in
TAS, noch
der Kinofilmreihe eine Rolle; ja selbst bei
TNG vermied man die Wiederaufnahme dieses eng mit der Originalserie verbundene Topos (eventuell, weil man sich vom Erzählrahmen der
Originalserie emanzipieren wollte?).
So war es ausgerechnet "
Deep Space Nine" beschieden, dem Stief-Universum der Franchise wieder einen Platz an der Ausstrahlungssonne zu verschaffen. Doch
Peter Allan Fields, der Autor der ersten DS9-Paralleluniversums-Episode "
Die andere Seite", war damals bereits ein erfahrener Star-Trek-Drehbuchschreiber und sich des Umstandes bewusst, wie sehr das Grundgerüst des Spiegeluniversums die erzählerischen Möglichkeiten limitieren würde. So führte er den Sturz des
terranischen Imperiums in die Geschichte dieser alternativen Realität ein und wurde mit Möglichkeiten für seine Figuren belohnt, die einen Ausbruch aus dem starren Rahmen der reinen Bosheit seiner Einwohner bot. Das Konzept ging auf und resultierte in vier weiteren Ausflügen in dieses Universum, das durch die dramatischen Entwicklungen allerdings auch seine Spiegel-Funktion teilweise eingebüßt hatte. So gesehen war es nicht verwunderlich, dass die Nachfolgeserie "
Voyager" das alternative Gegenstück zu ihrer eigenen Dimension links liegen ließ. Allerdings stellte die Folge "
Der Zeitzeuge" lebhaft unter Beweis, wie reizvoll das Spiel mit bis zur Unkenntlichkeit antagonisierten Charakteren sein kann.
Dieser Tatsache erinnerten sich die Schreiber für die finale Staffel von "
Star Trek: Enterprise". Als alle Messen bereits gelesen waren und eine Absetzung zur traurigen Gewissheit wurde, begann die Serie plötzlich ihr Potential herauszukehren und sich der Möglichkeiten zu bedienen, die der größere Kanon einer Prequel-Serie bot. Zu diesen Momenten gehörte sicherlich auch die von der Haupthandlung der Serie völlig abgenabelte Spiegeluniversumsdoppelfolge "
Die dunkle Seite des Spiegels", in der nicht nur die Hauptcharaktere in die Schuhe (und Uniformen) ihrer düsteren Pendants schlüpfen konnten, sondern quasi im Vorbeigang
ein weiteres Mysterium der Originalserie lösten. Dieser unter Fans recht beliebten Folge folgten jedoch einige Jahre völlig ohne Star-Trek-Präsenz, die auch das Spiegeluniversum in Vergessenheit geraten ließen.
Bis zum Start der ersten Staffel von "
Star Trek: Discovery". Hier lieferte man dem Publikum einen Charakter, der bereits vor den Ereignissen der ersten Spiegeluniversumsfolge die Seiten wechselte und damit die altbekannten Probleme wiederaufleben ließ: Aus einem intriganten, cleveren und vorausplanenden Bösewicht wurde nämlich ein Abziehbild dieser Figur, als
Gabriel Lorca zurück in seine düstere Heimat gelangte. Die erzählerische Unzulänglichkeit zählte im Zusammenspiel mit den zahlreichen kanonischen Widersprüchen, die diese Entwicklung generierte, zu den Grundproblemen und Kinderkrankheiten der ersten Staffel. Die Flucht nach vorn in eine Zukunft neunhundertdreißig Jahre nach diesen Ereignissen war (unter anderem) auch eine Flucht vor dieser erzählerischen Sackgasse.
Doch nun ist das Spiegeluniversum in die Haupthandlung von "
Discovery" zurückgekehrt…
Story.
Auf einem einsamen Planeten kurz vor dem
Deltaquadranten schreitet die frühere Imperatorin
Philippa Georgiou auf der Suche nach Heilung durch eine herrenlose Tür, um am Ende (hoffentlich) sich selbst zu finden.
Lobenswerter Aspekt.
Besetzung.
Eines kann man dieser Episode deutlich ansehen: Alle Beteiligten hatten ihren Spaß daran, aus ihren gewohnten Rollen ausbrechen zu können und den totalen '
Badass' heraushängen lassen zu dürfen.
Die unbestrittene Zentralfigur der Woche trägt dieses Mal zur Überraschung des Zuschauers den Namen Philippa Georgiou.
Michelle Yeoh wirft munter mit metaphorischen und echten Äxten um sich, pöbelt sich durch die Szenen und darf auch noch einmal ihre Zweikampfkünste zur Schau stellen. Vor allem aber nimmt sie den Fokus der üblicherweise für
Michael Burnham reservierten Monoperspektive ein und nutzt den Raum geschickt, um ihrem Charakter zusätzliche Tiefe zu verleihen. Dabei ist auffällig, dass sich Burnham nicht etwa verdrängt, sondern deren Raum einnimmt und in sorgsam kopierten Szenen, die in vorangegangenen Episoden zur Ausleuchtung des Hauptstars der Serie dienten, an ihre Stelle tritt. Es ist ein Tausch der Perspektive, der den Reiz dieser Episode ausmacht.
Der Rest des Casts bleibt weit hinter der neuen Führungsfigur zurück.
Sonequa Martin-Green zum Beispiel pflegt die neue Bescheidenheit, die Michael Burnham nach den Ereignissen in "
Das Schutzgebiet" zum zweiten Mal hintereinander an den Tag legt. Sie steht nicht im Mittelpunkt und selbst die Tränen, die sonst in trauter Stetigkeit ihre Wangen hinabkullern, sucht man dieses Mal vergeblich. Dafür darf sie endlich ihr Spiegeluniversumsgegenstück verkörpern und auch wenn sie dabei in Mimik und Gestik streckenweise an einen jungen
William Shatner erinnert, schafft sie es, der dunklen Seite Michael Burnhams eine eigene Prägung zu geben.
Der von
Douglas Jones gespielte Captain
Saru lernt zwar noch immer, mit seiner neugewonnen Kommandoposition zurechtzukommen, hat aber längst die diplomatische Würde und Erhabenheit des Ranges erfasst. Dieses neue Selbstbewusstsein rettet er auch in
die Mirror-Version seiner Rolle hinüber, was trotz der Tatsache, dass er damit ein wenig in Widerspruch zu seinem ungleich devoteren Auftritt in "
Der Wolf im Inneren" steht, nicht deplatziert wirkt (zumal es augenscheinlich Philippa Georgiou bei ihrer meta-esoterischen Sinnsuche hilft).
An
Mary Wisemans Sylvia Tilly scheiden sich jedoch noch immer die Geister. Während ihr die Darstellung '
Killys' zu Recht sichtlich Freude bereitete, bleibt der neue
erste Offizier der
USS Discovery die Zielscheibe recht gegensätzlicher Entwicklungen. Der öffentliche Angriff auf ihre noch fragile Autorität steht jedenfalls in einem massiven Gegensatz zur plötzlichen Umarmung, die Tilly für die Spiegeluniversumstyrannin übrighat, nachdem diese ihr die Uniform mit Kartoffelsuppe besudelt hat.
Auch
Anthony Rapp hat als
Paul Stamets hinter dem Spiegel mehr zu sagen als im primären Universum. Aber auch er bleibt einem sehr gemischten Auftritt bis zum bitteren Ende ausgesetzt: Sein ebenso absurder wie absehbarer Tod steht in einem spannenden Gegensatz zu seiner Wärme
Adira Tal gegenüber, während er als Bestandteil der Clique, die sich dem Party-Kick zuliebe der '
berauschenden' Wirkung des
Agonie-Simulators aussetzen, ebenso sehr deplatziert wird wie sein Partner und Mediziner
Hugh Culber.
Auch
Wilson Cruz kommt in den Genuss, endlich den
Spiegeluniversums-Counterpart Culbers umsetzen zu dürfen, aber sein Dialogbeitrag bleibt ähnlich überschaubar wie jener
Blu des Barrios als Adira Tal oder
David Ajalas als
Cleveland Booker. Jedem dieser Auftritte haftete ein wenig der Makel an, wie zur Anwesenheitskontrolle mal kurz die Hand gehoben zu haben, ohne eine wirkliche Auswirkung auf die Handlung gehabt zu haben. Am Ende des Tages rangiert ihre Screentime jedenfalls nur unwesentlich über der anderer Nebendarsteller wie
Emily Coutts,
Oyin Oladejo,
Sara Mitich (mit attraktivem rotem Haar!),
Patrick Kwok-Choon oder
Ronnie Rowe jr., wobei man dieses Aufschließen auch als Indiz für eine mehr und mehr emanzipierte Discovery-Besatzung werten kann. In diesem Zusammenhang bleibt zudem positiv zu bewerten, dass sogar daran gedacht wurde, Darsteller ehemaliger Crewmitglieder wie
Rekha Sharma oder
Hannah Cheesman miteinzubinden – auch wenn ihr Auftritt nicht über den Umfang der zuvor genannten Schauspieler hinausreicht. Und allen, denen in dieser Episode der
Saurianer Linus fehlte, denen sei nicht verschwiegen, dass
David Benjamin Tomlinson dennoch als
tolpatschiger Kelpianer zu sehen war.
Die Gaststars der Serie bleiben ebenfalls weit hinter Philippa Georgiou, manche sogar hinter den Crewmitgliedern der Discovery zurück.
Allein der mysteriöse Türsteher
Carl vermag es, deutliche Akzente zu setzen.
Paul Guilfoyle, den man eventuell als Polizisten
Jim Brass aus
CSI kennen könnte, schafft es, der geheimnisvollen Tür im Schneegestöber der kanadischen Wildnis etwas mehr Flair zu verleihen und die recht dadaistisch anmutende Situation in bester
Q-Manier etwas aufzuhellen.
Oded Fehr als
Admiral Charles Vance hingegen stellt zwar die richtigen Fragen, bleibt aber eher ein Werkzeug der Autoren zur Untermalung ihrer Handlungsideen als ein Oberbefehlshaber einer Raumflotte. Immerhin zeigt er eine recht väterliche Seite, die allein es vermochte, ihn ein wenig lebendiger wirken zu lassen als in den letzten paar Folgen.
Der zweite Auftritt
David Cronenbergs in der Serie fiel allerdings sehr übersichtlich aus und hätte problemlos auch von Fehr übernommen werden können, ohne dass die Szene daran sonderlich gelitten hätte.
Zu guter Letzt sei noch der nicht minder umfangarme Auftritt
Hannah Spears erwähnt, die – nachdem sie in der letzten Staffel und
einem Short Trek bereits Sarus Schwester
Siranna porträtierte – ein weiteres Mal als
Kelpianerin Doktor Issa in Erscheinung tritt. Das kann man sicherlich kritisch sehen, aber andererseits verstärkt es Sarus Faszination für das nebulöse Schiff (ist es am Ende gar eine seiner Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelinnen?) und erinnert an die vielen Rollen, die zuvor
Kenneth Mitchell innerhalb der Serie einnahm.
Kritikwürdige Aspekte.
Folgenaufbau.
Auch wenn dieser Punkt hier unter den Kritikwürdigen Aspekten zu finden ist, bedeutet das mitnichten, dass alles an dieser Episode schlecht wäre. Im Gegenteil; einige Umstände beweisen eher, dass "
Discovery" längst nicht mehr der Serienfrischling ist, der vor drei Jahren bereits mit einem Ausflug ins Spiegeluniversum für Furore sorgte.
Omar Madha beweist in seinem Star-Trek-Regie-Debüt ein goldenes Händchen für gelungene Kameraperspektiven und stellt seine akribische Arbeit bei der bewussten Kopie ganzer Szenen aus "
Leuchtfeuer" oder "
Der Wolf im Inneren" unter Beweis. In bester Discovery-Tradition treibt er das altbekannte Motiv der 'Spiegelungen' auf die Spitze (durch die Verkehrung der Position Burnhams mit Georgiou, Kontrastmomente zu den Szenen des Primär-Universums und durch den Einsatz von realen Spiegeln) und zaubert eine Folge, die sich nahtlos an die Spiegeluniversumsdarstellungen der ersten Staffel anschließt.
Seine Arbeit ist handwerklich solide und zusammen mit Ideen wie dem gewöhnungsbedürftigen Propaganda-Theaterstück bereichert er das Paralleluniversum doch auch um eine Facette irgendwo zwischen griechischer Tragödie und
Cirque du Soleil. Mahda bietet einen detailreichen Einblick in die Lebensrealität der
Imperatorin vor ihrer Entführung durch Michael Burnham und seine minimalistische Umsetzung des Mysteriums von
Dannus V erinnert in seinem Charme an die Originalserie und in seiner Ausführung an die "
gruselige Tür" aus
Futurama.
Es ist aber beileibe nicht alles Gold was glänzt – vor allem in diesem Spiegeluniversum, das jede katholische Kirche zu einem Hort der zur Schau getragenen Bescheidenheit degradiert.
So ist "
Terra Firma, Teil I" in selbst zweigeteilt.
Der erste Teil, in dem die USS Discovery und ihre Crew beleuchtet werden, leidet an der Menge an Charakteren, die in ca. zwanzig Minuten behandelt werden müssen und in ihrer Vielzahl verhindern, dass ein sonderlich gut zusammenhängender Bogen gespannt werden kann. Streckenweise vermittelt dieser Teil der Folge eher den Eindruck, als würden er allein dem minimal notwendigen Aufrechterhalten des seriellen Erzählens (z.B. durch die Entschlüsselung des Signals, den Annäherungsbemühungen Books, dem Verweis auf die Aktivitäten der
Smaragdkette oder dem verlorenen Kontakt Adira Tals zu
Gray) dienen.
Im Gegensatz dazu krankt der zweite Teil an einer absoluten Zentrierung auf Philippa Georgiou, der die eindimensionalen Figuren im Spiegeluniversum nicht das Wasser reichen können. Es markiert die Rückkehr zu einem Spiegeluniversum, das nicht unbedingt zu den Höhepunkten der ersten Staffel gezählt werden kann.
Natürlich ist es bis zu einem bestimmten Punkt verständlich, wofür dieser erste Teil einer Doppelfolge dienen soll: Michelle Yeoh wird zum Star einer
eigenen Star-Trek-Serie um die berüchtigte Sektion 31 aufsteigen und für ihre Arbeit ist es notwendig, eine schlüssige Erklärung für ihre Abkehr vom Spiegeluniversum zu liefern. Dass dieser Abschied in einer persönlichen Entwicklung und gar so etwas wie der Einsicht begründet liegt, dass Gewalt keine pauschale Lösung bietet, ist an sich eine absolut löbliche Idee.
Doch im Hinblick auf die Tatsache, dass vor der Ausstrahlung dieser Folge nur noch fünf Episoden bis zum Staffelende fehlten, wirkt es im Hinblick auf die Vielzahl loser Handlungsfäden etwas deplatziert, so viel Energie in einer Selbstfindungs-Episode im Spiegeluniversumsmantel zu stecken. Es birgt nämlich die Gefahr, dass dem Zuschauer im Staffelfinale Antworten auf zentrale Fragen verwehrt bleiben oder ein überhasteter Schlussakkord abermals die sorgfältige Aufbauarbeit ruiniert, die man bislang geleistet hat.
"
Terra Firma, Teil I" wirkt wie der Versuch, einen Piloten für einen Spinoff in die Handlung einzuschmuggeln, der allerdings ähnlich holzig wie sein Originalserien-Spiegelbild "
Ein Planet genannt Erde" wirkt. Zwar ist es durchaus legitim, eine solche Entwicklung zu befeuern, doch es drängt sich schon die Frage auf, ob "
Discovery" den richtigen Rahmen für diese
Ebenezer-Scrooge-Läuterung und spontane Wunderheilung bietet oder ob man dafür nicht den Pilotfilm der kommenden Serie hätte nutzen können.
Zumal das Spiegeluniversum wie gesagt nicht gerade die besten Umweltbedingungen für einen solchen Neustart bildet. Georgiou erhebt sich nämlich durch ihre Komplexität aus der Eindimensionalität der Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie nutzt eine Kulisse, die durch die Flucht der Discovery in eine weit entfernte Zukunft zu den Altlasten der vorherigen Staffeln gezählt werden kann. Und sie wirkt auch wie der Versuch, nachträglich Handlungselemente einzubauen, die man beim ersten Ausflug ins Spiegeluniversum unter den Tisch fallen ließ.
Das größte Problem jedoch, um diese Folge angemessen bewerten zu können, liegt darin begründet, dass sie der erste Teil einer Doppelfolge ist. Insbesondere in der zweiten Hälfte passiert erstaunlich wenig, verliert sich die Handlung in langatmigen Einstellungen und mangelt es der Episode grundlegend an Spannung. Der einzig nennenswerte Höhepunkt bleibt gar, dass eine Figur den Tod findet, die bereits beim vorherigen Ausflug in Spiegeluniversum das Zeitliche gesegnet hat.
Kurzum: Für den ersten Part eines Zweiteilers verfügt "
Terra Firma, Teil I" über zu wenig Substanz oder bewertbare Entwicklungen. Klar, gab es auch schon vorher schwache erste Teile von Doppelfolgen bei Star Trek, aber in diesem Fall vermag es die Handlung noch nicht einmal, wenigstens im Ansatz eine tragfähige Erzähltiefe zu entwickeln, die mehr als einen Satz zur Beschreibung erfordert (vgl.
Story), einen Erzählgegenstand zu etablieren, der den Zeitaufwand rechtfertigen würde oder schlussendlich einen nennenswerten Cliffhanger zu produzieren, der diese Bezeichnung auch verdient hätte. Das Auftauchen eines
Jason Isaacs in den letzten paar Sekunden vor dem Abspann hätte es jedenfalls durchaus vermocht, diese Episode entscheidend aufzuwerten.
So aber bleibt sie eine Folge, die ihre Daseinsberechtigung vor allem dann unter Beweis stellt, wenn man die Serie ohne Pause hintereinander weg sehen kann. Dadurch aber, dass dem Zuschauer wochenweise nur Einzelepisodenbrocken zugeworfen werden, die entgegen ihrer Anlage als Standalone feilgeboten werden, muss die Bewertung dahingehend auch dementsprechend schlecht ausfallen.
Kanonbrüche und Logiklöcher.
Die Verschlusssache Beta-vier-acht-neun-fünf-Omega hat es in sich: Der
betelgeusianische Lt. Cmdr.
Yor stammt nämlich aus der
Kelvin-Zeitlinie und mit der Erwähnung des unter Fans auch als "
Abramsverse" bekannten alternativen Zeitrahmens schlagen die Autoren (und Angestellten
Alex Kurtzmans) nicht nur eine Brücke zu diesem Ableger Star Treks, sondern verorten die Ereignisse der eigenen Serie entgegen allen Zweifeln noch einmal im gleichen Universum wie die Originalserie, dem nächsten Jahrhundert oder Voyager.
Mit Verweisen auf die
Temporalen Abkommen und der Verwendung von
Präfix-Codes wird außerdem auf "
Star Trek: Enterprise" und "
Star Trek II: Der Zorn des Khan" verwiesen.
Mit Kepler 174d findet zusätzlich der erste real existierende Exoplanet bei Star Trek Erwähnung. Doch das alles kann kaum mit dieser tiefsinnigen Bemerkung des Torwächters Carl konkurrieren:
"
Lesen Sie am besten einfach die Zeitung! Alles was Sie wissen müssen steht hier schwarz auf weiß…"
Das an sein Äquivalent in "
Todessehnsucht" erinnernde Klatschblatt birgt nämlich – wie
einige einige eifrige Internetportale herausgefunden haben – eine Vielzahl von Anspielungen z.B. auf
Worfs Eintritt in
verschiedene Paralleluniversen, den Absturz
Scottys auf eine
Dyson-Sphäre oder den Untergang des
Tkon-Imperiums. Vor allem aber die dort gestreuten Bezüge zu "
Griff in die Geschichte" legen die Möglichkeit nahe, dass es sich bei Carl nicht um einen Q, sondern um einen
Hüter der Ewigkeit handeln könnte. Die Messlatte für den zweiten Teil der Folge hat dieses Stück Kanon-Journalismus zusammen mit der betont häufigen Erwähnung Gabriel Lorcas jedenfalls schon jetzt höher gelegt.
Wobei das Spiegeluniversum keineswegs den Eindruck vermittelt, als wäre Georgiou tatsächlich durch den Gang durch die Holztür in ihre eigene Vergangenheit zurückgeworfen worden. Stattdessen wirkt es wie einen Paralleluniversum dieses Paralleluniversums, zumal die Spiegelversion von Paul Stamets bereits in "
Auftakt zur Vergangenheit" von Lorcas williger Henkerin
Ellen Landry pulverisiert wurde. Am Ende dürfte es sich eher um eine Simulation handeln, wie Q sie bereits häufiger für seinen Lieblingsmenschen
Jean-Luc Picard inszenierte (was wiederum der Theorie um den Hüter der Ewigkeit entkräften würde).
Doch gerade, wenn das Spiegeluniversum ins Spiel kommt, gibt es neben viel Licht auch eine Menge Schatten.
Hat zum Beispiel irgendjemand die Reifenspuren im Schnee der unbewohnten Welt Dannus V bemerkt?
Oder sich gefragt, warum es in der Discovery-Turnhalle neben Schwertern auch Äxte gibt?
Und ist nicht das Weitermelden von Informationen – egal wie substantiell sie sind – ein Grundprinzip des Sternenflottendienstes, wie bereits der
Benzite Mendon in "
Der Austauschoffizier" auf die harte Tour lernen musste?
Zudem scheinen Selbstversuche mit Agonie-Simulatoren so etwas wie die
Tide-Pod-Challenge des Spiegeluniversums zu sein, dessen Verrohung soweit gediegen zu sein scheint, dass selbst Mediziner sich diesem Trend nicht einmal entziehen können, wenn der Imperator ihren Besuch ankündigt.
Besonders aber verwundert mich, wie wenig Argwohn die Besatzung der Discovery
der neuen künstlichen Intelligenz entgegenbringt, die mit ihrem Bordcomputer eine ebenso unheilige wie untrennbare Allianz eingegangen ist. Nur zu bereitwillig folgt sie deren inhaltsarmen Instruktionen, für eine nicht näher beschriebene Heilung zu einem weit entfernten Planeten zu fliegen. An dieser Stelle hätte ich mir tatsächlich im Vorfeld eine Folge gewünscht, in der die vor einigen Folgen entstandene '
Zora' der Besatzung das ihr entgegengebrachte Vertrauen erst einmal verdient hätte.
Es gibt einige schöne Momente, in denen sich die Charaktere duzen, wir hören abermals wie
Benjamin Stöwe seine Stimme an Hugh Culber verleiht und auch wenn Stamets' Ode an die Imperatorin zuweilen etwas holprig klang, fiel die deutsche Synchronisation am Ende tatsächlich sehr angenehm aus.
Handwerklich solide aber inhaltlich arm an Handlung, Spannung oder Höhepunkten führt die neunte Folge der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" den Zuschauer wieder zurück in den Schoß jenes Spiegeluniversums, das bereits im Zuge des ersten Besuchs nicht gerade Fernweh erzeugte.
Immerhin drängelt sich Philippa Georgiou mit ausgefahrenen Ellenbogen an Michael Burnham vorbei ins Schlaglicht er Aufmerksamkeit, doch es bleibt die berechtigte Frage offen, ob dieser Spinoff-Versuch so kurz vor dem Staffelende nicht anderen, in Anbetracht der Zeit viel drängenderen Entwicklungen das Wasser abgräbt. Vor allem aber schafft es "Terra Firma, Teil I" nicht, als Episode auf eigenen Beinen zu stehen, sondern bleibt eher eine Folge, die erst beim Binge-Watching ihre Wirkung entfalten kann.
Bewertung.
Der schwache Start eines Zweiteilers.
Schluss.
Bei ihrer Rückkehr zum Spiegeluniversum kann man dieser Folge keinesfalls fehlende Sorgfalt vorwerfen, denn die Set-Designer, Kostümdesigner und Innenausstatter gaben sich augenscheinlich größte Mühe, die untergegangen geglaubte Pracht des terranischen Imperiums mit großem Pomp wiederauferstehen zu lassen. In den Grenzen dessen, was Discovery für seine eigene Stilgeschichte etabliert hat, muss man der Folge einfach zugutehalten, hervorragende Arbeit geleistet zu haben.
Nun aber liegt es an der kommenden Episode, auch endlich Profit aus dieser Detailverliebtheit zu schlagen, denn bislang bediente die Folge auch alle Probleme, die das Spiegeluniversum mit sich bringt: Flache Charaktere, schwache Figurenmotivationen und altbekannte/ wenig innovative Erzählmuster rechtfertigen die Reisezielauswahl im Moment jedenfalls noch nicht.
So wird "
Terra Firma, Teil II" die Kohlen aus dem Ofen holen müssen, um neben der absehbaren Selbsterkenntnis und Wunderheilung Georgious irgendetwas von nachhaltigem Wert zu produzieren.
Gibt es etwa ein Wiedersehen mit Jason Isaacs und dessen
Original-Lorca?
Feiert Paul Stamets' Spiegeluniversumsversion durch seine Beziehungen zum
Pilznetzwerk eine unerwartete Auferstehung?
Und halten die Q oder die Hüter der Ewigkeit die Schlüssel zum Spiegeluniversum in ihren omnipotenten Händen?
Mit Antworten auf diese Fragen kann es in der nächsten Woche doch noch gelingen, dem vermeintlich totgetrampelten Topos des blutberauschten Paralleluniversums eine Krone aufzusetzen und sie wenigstens teilweise vom Malus der Testosteron-Vergiftung zu befreien.
Man darf also gespannt sein, ob es den Autoren gelingt, diesen erzählerischen Umweg kurz vor dem Zieleinlauf mit Lorbeeren zu dekorieren…
Denkwürdige Zitate."
Sieh an, wenn das nicht Sarus Fehler auf zwei Beinen ist…"
Philippa Georgiou zu Sylvia Tilly
"
Wenn ein Crewmitglied ertrinkt und wir lassen es geschehen wird ihre Crew weder Sie noch die Föderation je wieder so sehen wie früher. Und Sie selbst werden sich auch nie wieder so sehen."
Admiral Charles Vance
"
In meinem Universum waren wir 'primär' und Sie gespiegelt…"
Georgiou
"
Gott, jetzt merk' doch endlich mal wann es Zeit ist die Klappe zu halten!"
Georgiou zu Michael Burnham
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