Samstag, 5. Dezember 2020

Turons Senf zu "Das Schutzgebiet" [DIS, S3Nr08]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Das Schutzgebiet", die achte Folge der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
Nach der letzten Folge "Wiedervereinigung, Teil III" stolperte ich bei Trekmovie über einen Kommentar zur Episode, bei dem ich nicht so recht einordnen konnte, ob der Urheber nur provozieren wollte, oder es tatsächlich mit seiner Äußerung ernst meinte. Dort schrieb nämlich ein Nutzer:

"I actually like her arc and her place in the universe A LOT because I believe a character like her is exactly what’s been missing from traditional Trek. It is the one issue Star Wars had been immensely superior over Trek for decades… and that is being a family saga."

Meine (sehr freie) Übersetzung dazu:

"Tatsächlich mag ich ihren Handlungsbogen und ihren Platz im Universum GANZ BESONDERS, denn ich glaube ein Charakter wie der ihrige ist genau das, was dem traditionellen Star Trek fehlt. Es handelt sich um einen Umstand, in dem Star Wars Star Trek gegenüber seit Jahrzehnten voraus ist… und das ist, eine Familien-Saga zu sein."

Im weiteren Verlauf weist der Autor darauf hin, dass die bekannten Captains der verschiedenen Serien ja nie miteinander verwandt gewesen sein und man sich ständig an neue Charaktere gewöhnen musste. Außerdem, so schreibt er, hätte Jean-Luc Picard ruhig der leibliche Enkel James T. Kirks sein können, so wie dieser seinerseits der Enkel Jonathan Archers.
Natürlich ist es in Zeiten, in denen "The Mandalorian" nach einer langen Durststrecke wieder eine gewisse Qualität in die 'Familien-Saga' bringt, durchaus gerechtfertigt, manchmal neidisch auf die andere große Science-Fiction-Franchise zu blicken, aber ich für meinen Teil halte es wie der Großteil der Nachredner dieses Kommentators und freue mich stattdessen, dass das Gegenteil bei Star Trek der Fall ist.
Nicht, dass ich "Star Wars" komplett ablehnen würde (tatsächlich habe ich noch immer jede Inkarnation dieser Serie mindestens einmal gesehen), aber ich glaube, dass das Science-Fiction-Genre als solches eher davon profitiert, wenn deren Ableger sich optisch, inhaltlich und stilistisch voneinander unterscheiden. Immerhin sind es die große Vielfalt und die verschiedenen Blickwinkel, die diese Erzählform seit ihrer Entstehung maßgeblich definieren.
Doch sind die Unterschiede wirklich noch so groß?
Spätestens seitdem wir wissen, dass J.J. Abrams Star-Trek-Reboot ihm wie erhofft für ein Engagement bei Star Wars Türen und Tore geöffnet hat, verschwimmen die Grenzen zwischen beiden Franchises immer weiter. Spätestens, seit starre Handlungselemente wie die militärische Hierarchie, die wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit oder die Bindung an einen größeren Kanon mehr und mehr in den Hintergrund rücken, lösen sich auch die Widersprüche zu Star Wars auf und machen den Weg frei für eine beiderseitige Annäherung.
Aber ist diese Entwicklung wirklich eine gute Sache?


Story.
Cleveland Booker ist auf der Suche nach Hilfe. Sein Bruder hat sich bei ihm gemeldet um ihm zu bedeuten, dass es ein Problem auf seiner Heimatwelt Kwejian gibt, das seiner unabdingbaren Anwesenheit bedarf. Da die Geschicke der kargen Welt von den Machenschaften der Smaragdkette beeinflusst werden, sorgt Captain Saru für Rückendeckung vom Hauptquartier der Sternenflotte, bevor er sich mit der USS Discovery aufmacht, um den Verwandten des hauptberuflichen Scouts einen Besuch abstatten zu können. Doch in seiner alten Heimat angekommen muss Book spätestens mit der Ankunft von Osyraas Schiff "Veridian" feststellen, dass es sich um eine Falle handelt, die dazu dient seiner habhaft zu werden. Doch das alles ist nur die Spitze des Eisberges, denn auf der Discovery überschlagen sich die Ereignisse:
Keyla Detmer überwindetet ihr posttraumatisches Stresssyndrom!
Saru sucht nach einem griffigen Kommando-Slogan!
Philippa Georgiou wird auf Herz und Nieren untersucht!
Adira Tal hat ihr Coming Out!
Paul Stamets entwickelt Vatergefühle!
Sylvia Tilly unternimmt erste Gehversuche in der Rolle des Ersten Offiziers!
Der antennenlose Andorianer Ryn hat ein dunkles Geheimnis!
Und Linus häutet sich!


Lobenswerte Aspekte.

Besetzung.
Den Anfang dieser Rezension muss jener Charakter bilden, der diese Show wie kein zweiter dominiert und maßgeblich dessen Richtung bestimmt: Michael Burnham [Sonequa Martin-Green].
Das wirklich Bemerkenswerte an dieser Folge bleibt nämlich, dass sie in den knapp fünfundvierzig Minuten Laufzeit keine einzige Träne vergießt. Als wäre das manchem Fan nicht schon Grund genug sich diese Episode einmal anzusehen, bleibt der wahre Wert von "Das Schutzgebiet" jedoch der Umstand, dass es nicht Burnham ist, der allein es vergönnt ist den Tag zu retten. Sie tritt zugunsten anderer Charaktere zurück und legt eine neue Bescheidenheit an den Tag, die ihr wirklich gut zu Gesicht steht. Plötzlich wirkt sie viel nahbarer, menschlicher und glaubwürdiger als in den vielen Momenten zuvor, in denen das Wohl des gesamten Universums allein auf ihren Schultern lastete.
Dieses unerwartete Vakuum bleibt jedoch nicht unausgefüllt. Gleich mehrere andere Charaktere können die günstige Gelegenheit nutzen, eigene Duftspuren zu setzen und auf sich aufmerksam machen.
Allen voran ein Neuzugang dieser Staffel: Cleveland Booker [David Ajala]. Dass er eine großartige Bereicherung für die Serie sein würde, hatte Ajala ja bereits in vorangegangenen Folgen angedeutet, aber abgesehen vom Staffelstart war ihm kam so viel Raum auf einmal vergönnt. Sein Charakter erhält eine Heimatwelt, einen familiären Hintergrund und eine Erklärung für das orangene Leuchten, das den Fans seit seinem ersten Auftritt Rätsel aufgab. Den Höhepunkt markiert allerdings Books Lippenbekenntnis, ebenfalls ein Teil jener Föderation sein zu wollen, die seine Gefährtin Michael Burnham mit so viel Enthusiasmus zu alter Größe zu restaurieren versucht.
An dritter Stelle steht in dieser Auflistung ein Name, den im Vorfeld wohl kaum jemand auf dem Zettel gehabt haben dürfte: Keyla Detmer [Emily Coutts]. Nachdem ihr zuletzt vermehrt erhöhte Aufmerksamkeit zuteilwurde, obliegt es nun ihr, beinahe im Alleingang, das waffenstarrende Flaggschiff Osyraas in die Flucht zu treiben. Dabei stellt sie sich den Folgen ihres posttraumatischen Stresssyndroms und kann quasi im Vorbeiflug einem Nebencharakter genügend Inspiration geben, um auch diesen zum Überdenken seiner Position zu bewegen.
Den denkwürdigsten Moment der Folge aber hat Adira Tal [Blu del Barrio] mit einem für Star Trek revolutionärem Coming Out für sich gepachtet. Nachdem der Zuschauer genügend Zeit hatte, sich an den Charakter zu gewöhnen, mutet diese Entwicklung vielleicht nicht mehr sonderlich überraschend an, bleibt allerdings ein Novum in der Star-Trek-Geschichte, das sich nicht vor anderen großen Momenten der Franchise (z.B. dem ersten Kuss zwischen einer farbigen Darstellerin und einem Kanadier) zu verstecken braucht. Abermals bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass diese Entwicklung im Hinblick auf die ohnehin fließenden Geschlechtergrenzen im Zusammenhang mit einem Trill-Symbionten ein cleverer Schachzug war. Adiras Probleme hingegen, den gewohnten Kontakt mit Gray aufzubauen, wirkt zwar im ersten Moment wie eine der üblichen Startschwierigkeiten bei frischgebackenen Wirten, hat jedoch das Potential in kommenden Folgen von größerer Bedeutung zu sein – zumindest für diese Rolle.
Philippa Georgiou [Michelle Yeoh] hingegen kämpft mit sich selbst. Einerseits, weil sich die in der vorletzten Folge etablierten Probleme soweit verschlimmerten, dass sie den beiden Bordärzte der USS Discovery widerwillig eine ausgiebige medizinische Untersuchung gestattet und andererseits, weil ihre bewusst betonte Spiegeluniversumspersönlichkeit verhindert, dass man als Zuschauer durch das Fehlen einer sorgsam aufgebauten emotionalen Bindung sonderlich betrübt wäre, wenn sie tatsächlich aus dem Leben und der Serie scheiden würde. An dieser recht künstlichen Distanz leiden auch ihre Dialoge stark, die nicht gerade zu den Höhepunkten dieser Episode gerechnet werden können.


Daneben geht mit einer Folge, in der derart viele Handlungen aufeinanderprallen, auch das Problem einher, dass anderen Charaktere weniger Raum bleibt, als den vormals genannten Figuren.
Paul Stamets [Anthony Rapp] zählt noch zu jenen, die etwas mehr Aufmerksamkeit erhalten. Er entwickelt eine neue Rolle die irgendwo zwischen 'Ersatzpapa' oder mindestens 'coolem Onkel' liegt und darf seine Klavierspielkünste unter Beweis stellen. Ihm bleiben einige denkwürdige Dialoge überlassen, auch wenn sein Wirken zum größten Teil dazu dient, dem Frischling Adira handlungsgerecht unter die Arme zu greifen.
Ähnlich verhält es sich mit Hugh Culber [Wilson Cruz], dessen Hauptaufgabe jene bleibt, Georgiou zu einer Auseinandersetzung mit ihrer lebensbedrohlichen Erkrankung zu verhelfen. Dabei bleibt er gewohnt einfühlsam und energisch; zeigt aber auch, dass er in der Lage ist, im Ernstfall deutliche Worte zu finden.
Sylvia Tilly [Mary Wiseman] hingegen wagt ihre ersten Schritte als neue rechte Hand Captain Sarus und hinterlässt dabei kaum einen Zweifel, dass es sich bei ihrem etwas plötzlichen Karrieresprung wohl kaum um eine temporäre Maßnahme handeln dürfte. Immerhin stimmt ihre Chemie mit ihrem kelpianischen Vorgesetzen.  
Saru [Douglas Jones] hingegen bleibt erstaunlich blass in dieser Episode. Das auffälligste Merkmal seines Auftritts ist seine recht verzweifelte Suche nach einer Catchphrase, die "Make it so!" das Wasser reichen könnte. Das sorgt zwar mindestens an einer Stelle für ein wenig Schmunzeln, blieb aber in "Lower Decks" thematisch schlüssiger gestaltet, zumal Saru bislang dadurch geglänzt hatte, solch ein repetitives Erkennungsmerkmal nicht benötigt zu haben.
Der Rest der Crew hat ebenfalls mehr zu melden, auch wenn es Oyin Oladejo, Sara Mitich, Patrick Kwok-Choon oder Ronnie Rowe jr. nicht gelingt, ähnliche Ausrufezeichen wie ihre Kollegin Emily Coutts zu setzen.Eine bemerkenswerte, aber im Umfang ebenfalls mangelhafte Rückkehr feiert übrigens Raven Dauda als Doktor Tracy Pollard, während Tig Notaro als Jett Reno wiederum mit Abwesenheit glänzt (ihre Interaktion mit Adira Tal hätte mich nämlich sehr interessiert).
David Benjamin Tomlinson kehrt in seine Rolle als Saurianer Linus zurück und unterstreicht mehr und mehr, dass er wie Morn für "Deep Space Nine" zum Vorzeigestatisten erhoben wurde, auch wenn damit im gleichen Atemzug auch die Rolle des Schiffsclowns einhergeht.
Neben der Schiffsbesatzung gibt es noch eine Reihe von Nebendarstellern, die an dieser Stelle ebenfalls Erwähnung finden sollten.
Allen voran natürlich der lange erwartete Auftritt des Staffelbösewichts Osyraa. Die wird nämlich von niemand geringerem als Janet Kidder verkörpert, die man beispielsweise als Ruvé Adams aus "Arrow" oder Lila Jacobs aus "The Man in the High Castle" kennen könnte. Zudem ist sie die Nichte Margot Kidders, die in den Siebzigern und Achtzigern als Lois Lane an der Seite Christopher Reeves in diversen Superman-Verfilmungen zu sehen war.
Doch während das alles auf schauspielerisches Potential hindeutet, bleibt davon in der Folge nur wenig übrig. Osyraa schafft es mit wenigen Plattitüden die geringen Erwartungen an ihre Figur noch zu unterbieten und fällt so flach aus, als hätten die Autoren versucht, im Rekordtempo eine Checkliste für Null-Acht-Fünfzehn-Fieslinge abzuhaken. Dass ihr Gesicht zusätzlich dazu unter unnötigen Prothesen verborgen und ihr Haar durch eine Perücke ersetzt wird, schmälert zusätzlich den Auftritt des Gaststars.
Auch wenn Ache Hernandez als Books verloren geglaubter Bruder Kyheem thematisch einen Gegenpol zu Osyraa bietet, bleibt er ähnlich plakativ hinter den Möglichkeiten zurück. Nur allzu schnell wird er vom Saulus zum Paulus, obwohl die komplexe Situation auf seiner Welt eine ambivalentere Handlungsweise gerechtfertigt hätte. Am Ende aber kommt es in einem wenig originellen Halb-Showdown zu einer absehbaren Versöhnung, wie man sie in anderen Serien und Filmen schon tausende Male gesehen hat.
Auch Admiral Charles Vance [Oded Fehr] kann scheinbar keine eigenen Entscheidungen mehr treffen, sondern dient abermals nur als Staffage und Rechtfertigung für ein Abenteuer, das seinen berechtigten Enwänden zum Trotz am Ende doch stattfindet.
Am ehesten lässt sich vielleicht noch der Andorianer Ryn [Noah Averbach-Katz] zu den Gewinnern zählen. Zwar sind ihm die Antennen noch immer nicht nachgewachsen, aber er erhält die Chance auf eine Entwicklung, die weit weniger überhastet wirkt, als die purzelbaumartige Wandlung Kyheems. Besondere Erwähnung verdient seine Interaktion mit der Katze Groll (vgl. Denkwürdige Zitate), die im Hinblick auf das scheinbare Fehlen solcher Haustiere auf Andoria lebhaft unter Beweis stellt, dass die Autoren eben doch in der Lage sein können, sich in die Haut ihrer Figuren zu versetzen.


Folgenaufbau.
"Das Schutzgebiet" ist eigentlich viel mehr eine Folge namens Nebenhandlung.
Das ist – vor allem im Hinblick auf die Ereignisse der letzten Wochen - eine eher positive Entwicklung, denn das breite Handlungsspektrum lässt den einzelnen Charakteren mehr Raum als jemals zuvor. Allerdings wäre es wohl zu einfach, die Verantwortung dafür allein dem Star-Trek-Veteranen und Schauspieler-Verstehbären Jonathan Frakes als Regisseur in die Schuhe zu schieben, denn die Drehbuchautoren dürften dabei ebenfalls ein gewichtiges Wörtchen mitgeredet haben.
So oder so jongliert diese Episode mit mehreren Handlungsbögen gleichzeitig und auch, wenn sie des Öfteren kurz davor ist, die Balance zu verlieren, schafft sie am Ende den gewagten Drahtseilakt zwischen einem dominanten Einzelepisodenthema, multiplen B-Plots und den Anforderungen des seriellen Erzählens.
Denn in der Mitte der Staffel ist es auch die Aufgabe der Folge, neue Anknüpfungspunkte zu setzen, vorhandene rote Fäden auszubauen und die Spannung noch einmal anzuheizen. Das gelingt tatsächlich vergleichsweise gut und die Episode wirkt im Vergleich zu ähnlichen Folgen in ähnlicher Position bei vorherigen Staffeln deutlich ausgereifter und eigenständiger. Die Vielzahl an Nebenhandlungen übertüncht jedenfalls fehlende Erzähltiefe (dass z.B. Book in eine Falle laufen würde, dürfte jedem Zuschauer wohl bereits ab Folgenbeginn bewusst gewesen sein), während die Ereignisse auf der Planetenoberfläche verhindern, dass die Episode wie ein Lückenbüßer wirken würde. Zugegeben; sie mag jetzt vielleicht keineswegs eine Folge sein, die einem lange im Gedächtnis bleiben wird, aber sie ist definitiv auch keine, an die man sich mit Schrecken zurückerinnert.
Zudem bewirkt sie, dass die Liste der potentiellen Sternenflottenoffiziere immer länger wird: nachdem Philippa Georgiou der Organisation trotz ihrer dramatischen Erkrankung als Geheimdienstoffizier (in einer eigenständigen Sektion-31-Serie) treu bleiben wird und Adira Tal im Maschinenraum längst unverzichtbar geworden ist, schließt jetzt auch Book in diesen erlesenen Kreis auf und wird die Renaissance der Föderation zukünftig wohl auch auf personeller Ebene unterstützen. Seine Heimatwelt zählt als Ergebnis dieser Folge mittlerweile jedenfalls nach den Ausflügen gen Trill, zur Erde und nach Vulkan zum vierten potentiellen Neumitglied einer neu erstarkten Föderation.
Die ganze Episode glänzt zudem mit offen zur Schau gestellten Föderationswerten, auch wenn die omnipräsente Moralkeule nicht so fulminant geschwungen wird wie in den vorangegangenen Wochen. Insbesondere das Technobabble, das im Zuge der Entschlüsselung des fremden Signals aus dem Verubin-Nebel zelebriert wird, stand in bester Tradition mit ähnlichen Ausführungen in so ziemlich jeder anderen Star-Trek-Serie und half maßgeblich dabei, das Rätsel um den Burn nicht in einer Fantasy-Schublade verschwinden zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Bemühungen nicht wieder durch kommende Entwicklungen konterkariert werden.
Denn bei allen Lobliedern gibt es auch ein oder zwei Kritikpunkte im Aufbau der Folge.
So hätte ich in der letzten Episode die Dialoge mehr loben sollen, denn in "Das Schutzgebiet" wirken sie mitunter arg holprig - insbesondere, wenn Georgiou in Gespräche involviert ist, Kommando-Phrasenschweine gedroschen werden oder Familienstreitigkeiten wie unvollständige Mitschriften des letzten Thanksgiving-Dinners wirken.
Vor allem aber krankt die Handlung an einem erschreckend zahnlosen Gegner. Eigentlich ist nämlich der Gedanke, einen gesetzlosen Feind zu konstruieren, der seine Stärke unter anderem daraus zieht, die Oberste Direktive der Sternenflotte als deren Schwäche auszunutzen, eine gute Idee und zeugt davon, dass die Smaragdkette eben mehr als eine Verbrecherorganisation sein sollte, die auf Brutalität und Einschüchterung als Machtmittel setzt.
Doch das, was der Zuschauer am Ende zu sehen bekommt ist bestenfalls ein Abziehbild eines zurechnungsfähigen Bösewichts, der diesem Potential nicht gerecht werden mag. Statt einer Alternative zur Föderationsdominanz erleben wir einen tumben Gangsterclan, der in seiner Gewieftheit in etwa auf einer geistigen Wellenlänge mit den Kazon (ohne Seska) spielt. Dass sich dieses Bild in kommenden Episoden wandelt, ist zwar ohne Frage möglich, dürfte allerdings in Anbetracht bisheriger Einblicke eher unwahrscheinlich sein.


Kritikwürdige Aspekte.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Tatsächlich gibt es einige gelungene Kanonreferenzen innerhalb der Folge wie die Erwähnung des bajoranischen Flächenmaßes Hecapate, das Spiel mit einem Kommunikator der "Picard"-Ära und einer Lösung, die bewusst an die Ereignisse aus "Donnergrollen" anknüpft.
Das Flaggschiff Osyraas namens "Viridian" spielt allerdings nicht auf den Absturzort der Enterprise-D an, sondern auf ein Farbpigment, das gleichzeitig blau und grün beinhaltet, was allerdings auch zu den Anzeichen gezählt werden kann, dass sich die Autoren hier wahrlich Gedanken um den größeren Rahmen ihrer staffelbestimmenden Geschichte gemacht haben.
Dennoch gibt es aber auch wie gewohnt eine Menge zu kritisieren.
Viele der Mängel wurden dabei bereits in vorherigen Rezensionen besprochen (z.B. abgehackte Antennen, freischwebende Warpgondeln oder die Beförderung eines Fähnrichs auf den Posten des ersten Offiziers), während andere Punkte neu auf die Liste gelangen.
Lassen wir an dieser Stelle Book die Story seines Heimatplaneten zusammenfassen:

"Der Brand hat Schäden im Subraum verursacht und den Orbit unseres Mondes und die Gezeiten verändert. Durch eine Seeschreckenplage wurde unsere gesamte Ernte vernichtet. Millionen sind damals verhungert. Dann kam die Smaragdkette. […] Sie haben uns, na ja, so eine Art Schutzmittel angeboten um sie tierschutzgerecht wieder ins Meer zurückzudrängen. Das hat uns die Ernte gerettet aber im Gegenzug mussten wir ihnen unsere Trance-Würmer geben."

Das allein wäre sicherlich schon bemüht genug, aber bei aller nötigen Ehrlichkeit noch in bester erzählerischer Gesellschaft von vielen anderen Handlungsentwicklungen in sämtlichen anderen Star-Trek-Serien.
Verwunderlicher wirkt eher, dass das Problem gelöst wird, indem Book zusammen mit seinem Bruder den Seeschrecken mittels Gedankenkraft befiehlt, ins Meer zurückzukehren, aber erst nachdem die Discovery ihre mentale Reichweite durch einen sichtbaren (!) elektromagnetische Verstärkungsstrahl vergrößert.
Aber für wie lange wird diese Maßnahme reichen?
Muss die Discovery in ein paar Jahren, Monaten oder Wochen wiederkommen um dieses Ritual zu wiederholen merken sich diese flugfähigen Insektenquallen und all ihre Nachkommen von jetzt an selber, dass sie auf dem festen Land nichts zu suchen haben?
Und wird Osyraa ihre Hauptbezugsquelle von Trance-Würmern einfach so in Ruhe lassen?
Diese halbgare Idee bleibt letztendlich aber nur ein Beispiel für die üblichen Schlaglöcher auf dem kurvenreichen Pfad einer Discovery-Episode.
So ist Tillys ambitionierte Idee, einen 'durchgedrehten' Offiziers als Sündenbock zu brandmarken und die Drecksarbeit übernehmen zu lassen an sich gar nicht so schlecht, aber der Glaubwürdigkeit halber wären wenigstens eine Warnung an Osyraa oder der gespielte Versuch, den vermeintlichen Delinquenten aufzuhalten hilfreich gewesen.
Auch Georgious plötzliche Erkrankung mag mir nicht so recht einleuchten: Warum haben die Super-MHNs der Föderation problemlos Burnhams emotionale Sensibilität, aber nicht Georgious labilen Gesundheitszustand bemerkt?
Oder hat der Verhörspezialist Kovich doch etwas mit Georgiou angestellt, von dem wir noch keine Ahnung haben?
Und ist eigentlich schon einmal jemanden aufgefallen, dass Georgiou für jemandem aus dem Spiegeluniversum mittlerweile erstaunlich wenig lichtempfindlich ist?
Woher weiß Tilly eigentlich von der barzanischen Musik auf der USS Tikhov, obwohl sie überhaupt nicht Teil dieser Außenmission war?
Warum bekommt Books Heimatwelt so viel Raum, während der Planet Vulkan in der letzten Woche links liegen gelassen wurde?
Neben all diesen berechtigten Fragen bleibt jedoch wiederum der Antagonist der Folge Hauptgegenstand der Unstimmigkeiten – und damit sind noch nicht einmal die offensichtlichen Star-Wars-Anleihen gemeint, die Books Schiff bei Detmers im Heldenflug gegen die Viridian wie einen X-Wing um den Todesstern kreisen ließen.
Denn für ein bis an die Zähne bewaffneten, schweren Kreuzer kann das Schiff nicht nur erstaunlich wenig einstecken, sondern benötigt auch recht lange, um im Zuge eines Bombardements der Planetenoberfläche mit warpfähigen Materie-Antimaterie-Waffen (!) irgendeine Wirkung zu erzielen.
Dass das Schiff vom Planeten aus sichtbar ist, obwohl der explosionsreiche Kampf eindeutig im Weltraum und nicht in der Atmosphäre des Planeten ausgetragen wurde, zeugt ebenfalls davon, dass hier Effekte eher die Realität beugen als umgekehrt. Der Ehrlichkeit halber muss man an dieser Stelle eingestehen, dass dies keineswegs etwas ist, was es nicht auch in ähnlicher Form in vorherigen Star-Trek-Serien gegeben hätte. Doch der rasante Abfall der Schildstärke von achtzig auf nur zehn Prozent, bevor sie die Joysticks (!) herausholt um das Schiff per Hand (Jonathan Frakes lässt Riker grüßen) zu fliegen, wirkt selbst für Star-Trek-Verhältnisse ein wenig zu dick aufgetragen.
Am unglaubwürdigsten aber bleibt der Umstand, dass Osyraa unbedingt Ryns habhaft werden will, weil dieser ein schreckliches Geheimnis kennt: Die Smaragdkette leidet an Dilithiummangel!
Wer jetzt wie Luis de Funès ein erstauntes "Nein! Doch! Oh!" zum Besten gibt, weil das in einer Zukunft, in der Dilithium ganz allgemein Mangelware ist und ja auch andere Mächte wie die Föderation betrifft, wird sicherlich bestätigen, dass das noch nicht einmal ein nachvollziehbarer Grund wäre, von selbst nachwachsende Antennen abzuhacken.
Aber nehmen wir zum Wohle des Argument doch einmal an, dass dieser Allgemeinplatz tatsächlich ein schützenswertes Geheimnis darstellen würde. Warum hat Osyraa den entmannten Andorianer dann mit vielen anderen Gefangenen zusammengepfercht und damit ihren unzufriedenen Sklaven die Möglichkeit gegeben zu erkennen, dass ihre grausamen Unterdrücker verwundbar sind?
Warum hat sie den potentiellen Verräter nicht einfach aus besseren Gründen den Trance-Würmern zum Fraß vorgeworfen als ihren eigenen Neffen?
Diese Widersprüche tragen weiter dazu bei, dem hochgepäppelten Bösewicht den Boden unter den Füßen wegzureißen. Statt der Föderation einen ernstzunehmenden Konkurrenten entgegenzustellen, der die Qualität der Handlung gehoben hätte, bedient man sich althergebrachter Klischees und flacher, nicht zu Ende gedachter Figuren, die es nicht vermögen, einen veritablen Gegner zu erzeugen.


Synchronisation.
Die gute Nachricht ist, dass Benjamin Stöwe endlich wieder die Gelegenheit erhalten hat, Hugh Culber die Stimme zu leihen.
Doch damit nicht genug, es gibt noch mehr gute Gründe, die deutsche Tonspur einzuschalten, denn nicht nur, dass sich wiederum Siezen und Duzen in angemessener Weise abwechseln; Books Bruder Kyheem ist im Deutschen auch definitiv besser zu verstehen.
Was allerdings in der englischen Sprache weitaus besser etabliert ist, bleibt die Verwendung von non-binären Personalpronomen, die im Original als "they" und "them" durchaus einer gewissen Nachvollziehbarkeit folgen. Das Fehlen einer solch einheitlichen Sprachkonvention im Deutschen aber fällt der Synchronisation undankbarerweise auf die Füße. Hier finden nämlich merkwürdige Konstruktionen wie die ans englische Vorbild angelehnten "dey" und "dem" (oder ist das Original einfach nur sehr deutsch ausgesprochen worden?). Im Hinblick auf die ohnehin recht uneinheitliche Regelung im Deutschen birgt dieser vorbildlose Sonderweg jedoch zusätzliche Verwirrung, auch wenn ich natürlich zugeben muss, dass die Eins-zu-Eins-Übersetzung die Situation nicht unbedingt verbessert hätte, weil die weibliche dritte Person Singular und die dritte Person Plural identisch sind. Mögliche Alternativen sind in der deutschen Sprache zwar vorhanden, haben sich allerdings noch nicht flächendeckend durchsetzen können und hören sich oft sehr künstlich an. So scheitert die Übersetzung einer der wichtigsten Szenen dieser Folge ausgerechnet am Umstand, dass das amerikanische Fernsehen moderner ist als deutsche Sprachkonventionen.
Schade eigentlich!


Fazit.
"Das Schutzgebiet" überrascht mit einer bunten Mischung aus episodenhaften Planetenabenteuer, zahlreichen Nebenhandlungen und einer nahtlosen Fortführung serieller Erzählelemente. Dabei profitiert die Folge in besonderem Maße davon, dass sich der Hauptcharakter Michael Burnham extrem zurücknimmt, um auch den anderen Darstellern die Möglichkeit zu geben, eigene Akzente zu setzen – zum Wohle einer sehr ausgeglichenen Verteilung der Aufmerksamkeit auf gleich mehrere Schultern.
Geschmälert wird die Folge allerdings davon, dass die Vielzahl der Handlungen zulasten der Erzähltiefe geht und weder die Smaragdkette als Organisation noch Osyraa als Person in der Lage sind, einen ernstzunehmenden Gegenspieler von nennenswertem Format zu erzeugen. Zusammen mit den üblichen Widersprüchen führt dies am Ende zu einer Folge, die vielleicht nicht bei jedem einen bleibenden Eindruck hinterlassen mag, aber innerhalb ihrer Parameter recht gelungen ausfällt.

Bewertung.
Eine neue Hoffnung.







Schluss.
Auf die Frage hin, warum Star Wars und Star Trek unterschiedlich sein sollen, obwohl beide zur Science Fiction zählen, erwidere ich immer gerne, dass Schalke und Dortmund ja auch beide nur Fußball spielen würden. Warum aber mögen sich deren Fans nicht sonderlich?
Ich finde es tatsächlich gut, wenn sich Schauspieler, Fans und Designer beider Franchises in einer gesunden Rivalität befinden, weil auch das die Science Fiction als Genre mehr bereichert, als würden alle Beteiligten immer einer gleichen Meinung sein.
Dennoch muss man auch stets bedenken, dass auch die Science Fiction im Allgemeinen und Star Trek im Speziellen davon leben, dass man in den Gefilden seiner Nachbarn räubert. Denn sowohl Gene Roddenberrys Vision als auch George Lucas' Saga wären ohne Vorbilder wie "Forbidden Planet" nicht denkbar. Ganze Folgen wie "Geheime Mission auf Celtris III", "Chaoticas Braut" oder "Morgengrauen" sind von Werken wie "1984", "Flash Gordon" oder "Enemy Mine – Geliebter Feind" abgekupfert. Das ist – bis zu einem bestimmten Punkt – nicht nur nachvollziehbar, sondern auch gerechtfertigt, denn es kann durchaus einen ganz eigenen Reiz haben, ein typisches Science-Fiction-Thema im Star-Trek-Gewand zu sehen. So gesehen darf sich auch eine Star-Trek-Serie mal bei seiner Konkurrenz bedienen, wenn es darum geht, einer Raumschlacht ein wenig Millennium-Falken-Optik oder Todesstern-Feeling zu verpassen.
Dumm wird es nur, wenn es zur Gewohnheit wird, denn es gibt eine dünne Linie zwischen Hommage und Plagiat. Wenn sich nämlich erst Woche um Woche die Ähnlichkeiten so sehr mehren würden, dass es praktisch kaum noch Unterscheidungsmöglichkeiten gäbe, wäre auch der Reiz einer solchen Serie verloren.
Daher bleibt zu hoffen, dass sich "Star Trek: Discovery" in zukünftigen Episoden auch wieder der eigenen Traditionen besinnt, denn die Raumschlachten in vielen Star-Trek-Kinofilmen, bei "Deep Space Nine" oder selbst in "Spock unter Verdacht" haben der Franchise einen ganz eigenen Ruf eingebracht, der sich nicht vor Star Wars und seinen Schlachten zu verstecken braucht.
Es ist kein Problem, gelegentlich bei "Star Wars", "Andromeda" und neuerdings auch "Avatar" zu wildern, solange man das zentrale Anliegen der Serie nicht aus den Augen verliert:
Eine Star-Trek-Geschichte zu erzählen.


Denkwürdige Zitate.

"Für so einen warmen und flauschigen Menschen haben Sie wirklich kalte Hände."
Philippa Georgiou zu Hugh Culber

"Das ist abgefahren – wissenschaftlich gesprochen."
Sylvia Tilly

"Schwarzer Alarm… uuund… ausführen!"
Saru

"Was ist das für ein Viech? Was macht das für Geräusche?"
"Das is' 'ne Katze!"
"Was soll das sein? Sowas wie ein Haustier?"
Ryn und Keyla Detmer

"Wenn Du Dich einer Sache stellst, kannst Du sie besiegen."
Detmer

"Ich muss nur das Signal verstärken, dann können die Brüder sie zurück ins Meer führen. Soll ich es 'ausführen'?"
"Legen sie… los!"
R.A. Bryce und Saru

"Ich werde Dir was zeigen was Dich umhaut!"
"Den Echsenmann?"
"Sein Name ist Linus und Du kannst ihm ein Stück Gesicht abpulen wenn Du willst!"
"Igitt! Au ja!"
Michael Burnham und Kyheems Sohn

"Die Discovery hat meinen Planeten von einer hundertjährigen Plage befreit. Was ihr getan habt, was die Föderation getan hat, für uns, für andere Welten wie andere, das will ich auch tun. Ich will etwas Bedeutendes machen."
Cleveland Booker



Weiterführende Leseliste.


01. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Sukal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Turons Senf zu "Veritas" [LD, S1Nr08]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Veritas", die achte Folge der ersten Staffel von "Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
Auch wenn "Star Trek: Discovery" von mir zuweilen keine allzu guten Noten erhält, gibt es trotzdem lediglich eine Star-Trek-Serie, die ich mir nur sehr ungern ansehe. Erstaunlicherweise ist die Rede von der ersten Trickfilmserie TAS, deren misslungene Gratwanderung zwischen Kinderunterhaltung und Erwachsenenpublikum mir bis heute den Zugang erschwert. Dass die Serie zudem von einem farbenblinden Regisseur betreut wurde, in einer erschreckenden Traditionslinie zur animierten He-Man-Serie steht und von lauter kleinen Animations-Fehlern durchzogen wird, trägt ferner zu der Entfremdung bei.
So gesehen empfinde ich "Star Trek: Lower Decks" regelrecht als Wohltat, denn nicht nur, dass die Serie inhaltlich eine klare Linie fährt; sie fällt auch handwerklich solide aus. Darüber hinaus strotzt sie nur vor Kanon-Referenzen, die insbesondere alten Star-Trek-Hasen wie mir in die Hände und Lachmuskeln spielt.
Doch immer wieder treffe ich auf Leute, die mit der Serie überhaupt nichts anzufangen wissen. Zu quietschig, zu überdreht und zu rasant scheint ihnen, was für mich als Meisterwerk gilt.
Warum aber wirkt die Kluft zwischen den beiden Positionen derart unüberwindbar?


Story.
D'Vana Tendi, Beckett Mariner, Samanthan Rutherford und Bradward Boimler finden sich plötzlich vor einem außerirdischen Gericht wieder, vor dem sie Rede und Antwort über die Aktivitäten ihrer Führungsoffiziere innerhalb der letzten Wochen geben müssen. Es entspinnt sich eine verschachtelte Geschichte um zwei verdeckte Operationen, die dazu dienen, ein mysteriöses Paket aus den Händen der Romulaner zu entreißen. Jeder einzelne der vier Zeugen erlaubt durch seine Berichte, dass sich das Rätsel Stück für Stück zusammensetzt, doch am Ende des ereignisreichen Tages ist dieser Schauprozess nicht das, was die ahnungslosen Junioroffiziere erwartet haben…


Lobenswerter Aspekt.

Kanonfutter.
Auf die Gefahr hin es schon zuvor behauptet zu haben:  Diese Episode bildet den absoluten Höhepunkt an Star-Trek-Referenzen innerhalb einer einzigen Folge. Eine bis dato noch nie erlebte Dichte von Querbezügen zieht sich nicht wie ein roter Faden, sondern eher wie das essentielle Gewebe durch die gesamten zweiundzwanzig Minuten Laufzeit.
So hört der geneigte Zuhörer von einem Töpferkurs wie in "Der Komet", vom klingonischen Rechtssystem, Roga Danar, Khan und seiner Plastikbrust, "Space Seed", einem Seitenhieb auf Picards Weingut und Siskos Restaurant, stellarer Kartografie, ein an den "Lebensformen"-Song angelehntes Lied, vom vulkanischer Nervengriff, Mark Twain mit einer Pistole, einem gefährlichen Müllbeutel hinter Tasha Yar, den Borg, Remanern, Beverly Crushers schottischem Geist aus der Wunderlampe, einem "Standgericht" oder der USS Enterprise.
Der geneigte Zuschauer hingegen erhält die Gelegenheit, Star Treks bekannteste Felsformation zu bewundern, Einstellungen aus dem sechsten Kinofilm wiederzuerkennen, Captain Freeman wie Spock im elften Kinofilm beamen zu sehen, die Karte der Neutralen Zone aus dem romulanischen Senat in "Star Trek Nemesis" zu entdecken, ein Wiedersehen mit Spocks minimalistische 'Verkleidung' aus dem vierten Kinofilm zu feiern, sein Shuttle aus dem ersten Kinofilm zu bemerken, einem Fallschirmsprung wie aus dem elften Kinofilm beizuwohnen, ein Ferengi-Shuttle zu betrachten, ein Jem-Hadar-Kampfschiff auszumachen, ein klingonisches Schiff der K't'inga-Klasse zu erahnen, eine Workbee zu erkennen, einen romulanischen Bird-of-Prey in Aktion zu erleben, die T'Plana-Hath zu sichten, ein tholianisches Schiff zu finden, einen Fächertanz wie aus dem fünften Kinofilm zu bewundern, einer Gorn-Hochzeit mit einem an Vaal angelehnten Altar beizuwohnen, ein kryogenes Paket wie in "Das Gesicht des Feindes" geliefert zu bekommen, bis zu vier D'deridex Warbirds zu begegnen, die Schönheit Romulus' zu bestaunen, das romulanischen Senatsgebäude zu besichtigen oder einen echten Salzvampir zu enttarnen.
Als wäre das nicht schon bereits genug, gibt es mit dem Hinweis auf den Riesen-Spock auf Phylos auch noch die obligatorische Anlehnung an den Trickfilmvorgänger dieser Serie.
Es empfiehlt sich wahrlich nicht zu blinzeln oder gar, sich während der Folge zu unterhalten, denn die massive Ballung an In-Jokes, Referenzen und visuellen Bezügen folgt so schnell aufeinander, dass man sich die Folge getrost mehrfach hintereinander anschauen kann und doch noch immer etwas neues entdeckt. Zusammen mit dem munteren Schlagabtausch, den die viergeteilte Handlung bestimmt, wird man abermals Zeuge einer rasanten, aber äußerst unterhaltsamen Folge.
Zumal sich die Serie dadurch auszeichnet, den Charakteren leichte Blicke über den Tellerrand hinaus zu gewähren: So beschwert sich Mariner nicht ganz zu Unrecht darüber, dass aller internen Logik zum Trotz in ihrem Wassertank neben todbringenden Aalen auch noch Heizelemente installiert sind, die das Wasser zum Kochen bringen. T'Ana hingegen muss am eigenen Leib erfahren, wie ähnlich die verschiedenen Sternenflottenschiffen äußerlich und innerlich scheinen. Und die reguläre Nutzungsdauer eines Eventsilos aus K'Tuevon Prime dauert mit zweiundzwanzig Minuten zufällig genauso lange, wie eine handelsübliche Folge von "Lower Decks".
Dass man sich schließlich die Mühe gemacht hat, auch noch den Monolith aus "2001 – Odyssee im Weltraum" ins vulkanischen Raumfahrtmuseum zu stellen, sollte an dieser Stelle ebenfalls Erwähnung finden, zumal ein ähnliches Objekt dieser Tage auch durch die Weltgeschichte geistert.
Den größten Höhepunkt aber markieren dieses Mal die Schauspieler, die in dieser Serie einen akustischen Gastauftritt absolvieren.
Kenneth Mitchell zum Beispiel, der nach Auftritten als Kol, Kol-Sha und Tenavik in "Star Trek: Discovery" nun gleich drei kleinere Nebenrollen in dieser Folge einspricht und damit seinen Status als Maskottchen der dritten Star-Trek-Welle untermauert.
Auch Kurtwood Smith ist keineswegs ein Unbekannter für langjährige Star-Trek-Fans, denn der Schauspieler, der hier dem ''Chefankläger' Clar die Stimme leiht, hat sich als Föderationspräsident im sechsten Kinofilm, als Thrax (dem Vorgänger Odos als Sicherheitschef auf Terok Nor) und natürlich Annorax ins kollektive Gedächtnis der Franchise gespielt.
Ohne diesen beiden ihre Verdienste abstreitig machen zu wollen trägt der denkwürdigste Gaststar allerdings den Namen John de Lancie. Sein gewohnt anarchistisch-unterhaltsamer Charakter Q macht hiermit ganz offiziell seinen dreizehnten Auftritt in seiner vierten Star-Trek-Serie perfekt. Der hat zwar kaum einen Einfluss auf die Handlung, weckt aber Erinnerungen an die besten Episoden des omnipotenten Tunichtguts, ohne dass seiner Anwesenheit der Verdacht des Fanservices allzu offensichtlich ins Gesicht geschrieben stehen würde.


Kritikwürdiger Aspekt
.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Es lohnt sich kaum, auf kleinere Unstimmigkeiten wie Rutherfords Fähigkeit, vulkanische Nervengriffe durchzuführen eingehen, denn tatsächlich lässt sich im Sinne der Erzählweise argumentieren, dass diese vernachlässigungswürdige Ausführung besonders im Hinblick auf seinen technisch bedingten Gedächtnisverlust erstaunlich gut ins Konzept passt (und von prominenten nicht-vulkanischen Vorgängern wie Data, Jean-Luc Picard, Seven of Nine oder Michael Burnham ohnehin bereits durchgeführt wurde). Weitere Zweifel an der internen Logik der Folge werden gegen Ende zudem unter dem Vorwand der Geheimhaltung geschickt überspielt.
Daher stellt tatsächlich der Umstand, dass die gesamten Handlung nur das Setting für eine Brückenoffiziers-Party gewesen sein soll, ein weiteres Mal lebhaft die Gefahr des Cartoon-Effekts unter Beweis. Denn schließlich führte man die vier Unterdeck-Offiziere genauso wie den Zuschauer an der Nase herum, weswegen die Auflösung am Ende auch ein wenig an die berühmt-berüchtigte Traum-Staffel bei "Dallas" erinnert. Gerade im Hinblick auf alle anderen sorgsam inszenierten Feinheiten und Kniffe wirkt diese Entwicklung eher kontraproduktiv auf den Gesamteindruck.




Fazit.
"Veritas" glänzt als die bis dato Referenz-reichste "Lower Decks"-Episode, die in einer wilden Achterbahnfahrt grandiose Unterhaltung bietet. Neben einigen Bemerkungen auf der Meta-Ebene glänzt die Folge vor allem durch die hochkarätigen Gastschauspieler, die denkwürdige Auftritte absolvieren.
Geschmälert wird das Endergebnis allein durch die etwas bemühte Auflösung, die in einem zu starken Kontrast zum ansonsten raffinierten Inhalt steht.

Bewertung.
Zwischen Genie und Wahnsinn.







Schluss.
Zeichentrickserien haben sich seit den siebziger Jahren, als die Star-Trek-Zeichentrickserie TAS noch ein branchenübliches Produkt war, massiv weiterentwickelt. Spätestens mit den "Simpsons" hat sich ein neues Subgenre innerhalb dieser eigentlich für Kinder angedachten Fernsehunterhaltungsnische entwickelt, dass sich an ein erwachsenes Publikum richtet. Es spielt mit wenig kindgerechten Themen, steckt voller Anspielungen für eine reifere Zuschauerschaft und lebt von der Überspitzung seiner Charaktere.
Wer seit den "Simpsons" offen für dieses Konzept geblieben ist, wird in anderen Serien wie "Family Guy", "South Park" oder "Rick and Morty" eine Weiterentwicklung dieser Idee finden, deren zentrale Grundzüge jedoch auch in "Lower Decks" bewahrt bleiben.    
Neu an der zweiten animierten Star-Trek-Serie ist eher die Idee, den reichhaltigen Kanon der Franchise als Bühne zu nutzen und nicht nur in humoristischer Weise traditionelle Themen zu behandeln, sondern das auch noch mit den vielen Informationen zu unterfüttern, die die Franchise bislang angehäuft hat.
So gesehen ist TAS für "Lower Decks" schon irgendwo das, was die Originalserie für TNG war, nur dass die 'nächste Trickfilmgeneration' sich mehr als jede andere Star-Trek-Serie den aktuellen Sehgewohnheiten einer stark veränderten Welt anpassen musste. Dass viele Fans aber nichts mit Zeichentrick im Allgemeinen und den neueren Entwicklungen im Speziellen anzufangen wissen, liegt in der Natur der Dinge.
"Lower Decks" wird es daher – selbst wenn es in Deutschland irgendwann einmal erscheinen sollte – noch schwieriger haben, als andere 'moderne' Star-Trek-Serien wie "Discovery" oder "Picard", denn der Einstieg wird nicht jedem leichtfallen. Wem etwa die inhaltlichen Nuancen nicht bewusst sind, die dieses Genre seit den "Simpsons" durchlebt hat, wer eine animierte Fortsetzung von TNG erwartet oder mit der Überzeichnung von Charakteren nicht vertraut ist, wird an diesen Folgen nicht den gleichen Spaß haben.
Und doch streckt die noch junge Serie hoffnungsvoll ihre Hand aus. Sie beruft sich in beinahe jeder Episode wenigstens beiläufig auf ihr geistiges Vorbild TAS, wirft mit Insider-Wissen für die elitären Star-Trek-Fans um sich und ist sich auch nicht zu fein, Missstände mit einem Augenzwinkern offenzulegen. Das ist etwas revolutionäres, das sein Animations-Ahne aufgrund des damals weniger reichhaltigen Kanons weder leisten wollte, noch leisten konnte. "Lower Decks" ist am Puls seiner Zeit und sollte spätenstens dann eine Chance erhalten, wenn die Serie auch auf deutsch verfügbar ist.
Früher oder später.
Wahrscheinlich später.


Denkwürdige Zitate.

"You will speak only into the Horn of Candor! With this horn, one of our most sacred horns, you must only speak--- the truth!"
"Happy to be here!"
Clar und Samanthan Rutherford

"Dance boy, dance!"
Shaxs

"Updating klingon fonts!"
"What!? Wait, why do I even need that?!"
Rutherfords Implantate und Rutherford

"Are you that stubborn, that you risk death by eels?"
"Yes, that's correct!"
"Then continue…"
D'Vana Tendi und Clar

"Apologizing to the enemy? That's cold, cleaner…"
Jack Ransom

"We're Lower Decks. No one ever tells us what's going on. We're not important enough to have anything to lie to you about."
Bradward Boimler

"Ts, what's that about?"
"Eh, I don't know, man, something dumb."
Boimler und Mariner

"Get out of here, Q! No, we are done with random stuff for today! We're not dealing with any of your Q bullshit!"
"Oh sil-vous-plait, Mariner, I want to put humanity tot he ultimate test!"
"I'm not french! No, go find Picard!"
"Oh Picard! He's no fun! He's always quoting Shakespeare! He's always making wine…"
Mariner und Q


Weiterführende Leseliste.

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu  "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"

Samstag, 28. November 2020

Turons Senf zu "Wiedervereinigung, Teil III" [DIS, S3Nr07]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Wiedervereinigung, Teil III", die siebente Folge der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
Seit seiner Erstausstrahlung in Deutschland zählt der TNG-Zweiteiler "Wiedervereinigung" für mich persönlich zu den besten Folgen der Serie. Dabei bleibt bemerkenswert, wie sehr sich meine Rezeption dieser Folge über die Jahre verändert hat, ohne dass die Episode selbst an Qualität eingebüßt hätte.
In meinen Kindertagen ging der Hauptteil der Faszination für die Folge vor allem auf die Anwesenheit Leonard Nimoys zurück. Dass der zentrale Originalseriencharakter hier einen Auftritt in der 'nächsten Generation' absolvierte verband beide Universen zu einem stimmigen Ganzen und half dabei, meine Faszination für den verbindenden Kanon zu begründen, auf dem beide Serien gemeinsam fußten.
In späteren Wiederholungen war ich eher von der Kultur der Romulaner beeindruckt, denen niemals zuvor und nur bedingt danach so viel Aufmerksamkeit verliehen wurde. Vor allem deren innere Ambivalenz und reichhaltige Historie hat mich seitdem nicht wieder losgelassen und die Folge verlieh der gesamten Spezies eine nie gekannte Tiefe, von der spätere Inkarnationen noch bis heute zehren.  
Erst viele Jahre später war ich auch in der Lage, dem Begriff der "Wiedervereinigung" auch eine tagesaktuelle Bedeutung abzuringen. Die Geschichte eines Volkes, das sich aufgrund von ideologischen Differenzen in zwei unterschiedliche Welten auseinanderlebte, war als Metapher für die deutsch-deutsche Geschichte zwar nicht unbedingt gut verschleiert, aber als Wendekind mit ganz eigenen Erfahrungen zur Materie auch nicht auf Anhieb zu entschlüsseln. Zumal es in der Folge ja nicht um die Wiedervereinigung als solche ging, sondern um die Macht dieser Idee. Schon allein deshalb rechne ich der deutschen Synchronisation bis heute hoch an, dass im Gegensatz zum englischen Original ein Fragezeichen hinter dem Titel zu finden war, wodurch die Folge im Deutschen Spocks missionarischer Expedition ins Romulanerreich inhaltlich deutlich näher kam als dem englischsprachigen Vorbild.
Als sich nun "Star Trek: Discovery" anschickte, den Titel einer ihrer Episoden an diese legendäre Folge anzulehnen, schossen die Erwartungen schlagartig in die Höhe. Befeuert von Posts in sozialen Medien wie diesem stellt sich allerdings die Frage, ob "Wiedervereinigung, Teil III" diesen Erwartungen auch gerecht werden kann…


Story.
Michael Burnhams Suche nach dem Ursprung des großen Dilitihiumbrandes erhält zusätzlichen Auftrieb, als sie von einem weit verteilten Sensornetzwerk erfährt, dass zeitgleich zur Katastrophe von den Vulkaniern betrieben wurde. Natürlich brennt sie darauf, die Informationen von ihrer Adoptiv-Spezies zu erhalten und endlich das ultimative galaktische Rätsel zu lösen.
Doch Vulkan ist nicht mehr die Welt, die sie als junge Frau verlassen hat. Nachdem die Wiedervereinigung mit den Romulanern nach einer verheerenden Supernova Wirklichkeit wurde, bildeten sich unterschiedliche Fraktionen aus, die nach zunehmendem Misstrauen den Föderationsaustritt beschlossen und den Namen des Planeten gar in Ni'var änderten.
Um an die Daten zu gelangen, muss Burnham nun ein altes vulkanisches Ritual heraufbeschwören, um überhaupt eine Chance zu erhalten, doch die Angelegenheit wird weiter verkompliziert, als sie erfährt, wer die Position ihres Rechtsbeistands in dieser heiklen Situation einnimmt…


Lobenswerter Aspekt.

Besetzung.
Wieder einmal glänzt "Star Trek: Discovery" durch großartige schauspielerische Leistungen, auch wenn anzumerken bleibt, dass einige Darsteller wie Wilson Cruz, Michelle Yeoh, Tig Notaro, Blu del Barrio, Ian Alexander oder David Benjamin Tomlinson überhaupt nicht zu sehen sind. Positiv zu bewerten bleibt allerdings, dass die Schauspieler dadurch auch nicht zu gezwungenen Dialogen, aufgesetzten Slapstick-Auftritten oder unnötigen Showeinlagen herangezogen wurden und dieser Mut zur Lücke sich schon allein durch das Fehlen entsprechender Sequenzen bezahlt gemacht hat.
Die überschaubaren Szenen mit Nebendarstellern wie Emily Coutts, Oyin Oladejo, Sara Mitich, Patrick Kwok-Choon oder Ronnie Rowe junior ließen allerdings auch nicht sonderlich viel Platz zur Entfaltung und der Ehrlichkeit halber muss man gestehen, dass selbst Anthony Rapp als Paul Stamets trotz seiner Namensnennung im Vorspann dem Arbeitspensum dieser Kollegen nur wenig entgegenzusetzen hatte.
Immerhin war es Douglas Jones aufgrund des Kapitänsrangs seiner Rolle Saru vergönnt, etwas mehr Anteil am Geschehen zu haben. Doch abseits seiner zaghaften diplomatischen Ausführungen bleibt er in dieser Episode vorrangig aufgrund einer fragwürdigen Personalentscheidung in Erinnerung (vgl. Kanonbrüche und Logiklöcher).
Das wiederum ruft Sylvia Tilly auf dem Plan. Mary Wiseman wirkt ein wenig gesetzter als in vorangegangenen Folgen, als hätte der neue Posten bereits Auswirkungen auf ihre Darstellung, aber ein wenig mehr Screentime (z.B. durch ein Gespräch mit Hugh Culber) hätte der Figur in Anbetracht der Tragweite der Entscheidung sicherlich gut getan.
David Ajala bleibt als Cleveland Booker hinter seinen Möglichkeiten zurück und wirkt ein wenig so, als würde er vor allem in Lohn und Brot gehalten werden, bis in kommenden Folgen ein wenig mehr Action mehr Einsatz von ihm verlangen würde. Auch das mysteriöse orangene Glühen seines Kopfes, das man in dieser Episode abermals sehen kann, bedarf noch immer der Auflösung. Immerhin bietet er einen emotionalen Anker für Burnham und ermöglicht uns einen Blick auf seine Katze.


Eigentlich wollte ich ja kein Wort mehr zur Monoperspektive auf Michael Burnham [Sonequa Martin-Green] verlieren, weil es als Stilmittel der Serie kaum einer Änderung unterliegen dürfte. Die Schauspielerin kann zudem nichts dafür und in den letzten paar Folgen blieb es sogar anderen Figuren vergönnt, Burnham dabei helfen zu können, den Tag zu retten. Beinahe hätte man glauben können, dass dies eine positive Tendenz der neu ausgerichteten dritten Staffel sei, aber mit "Wiedervereinigung, Teil III" fällt Michael Burnham nicht nur in alte Verhaltensmuster zurück, sondern potenziert diesen unpopulären Charakterzug auch noch um mehr, als noch gerade so auf eine Kuhhaut ginge. Sie dominiert die Handlung (vgl. Der lange Schatten Vulkans), die Auftritte ihrer Kollegen (ein weiterer Burnham-Moment gipfelt selbst jene Szene, in der Tilly den Zuspruch ihrer Mannschaftskameraden erhält) und erhält auch noch personelle Unterstützung ausgerechnet in der Person ihrer Mutter.
Diesem Motiv entsprechend rangiert Sonja Sohns Auftritt nach dem ihrer Serientochter vom Dialogumfang her an zweiter Stelle. Dabei kann sie allerdings mehr als Mutter und weniger als Qowat-Milat-Schwester überzeugen – nicht zuletzt, weil diese Entwicklung arg bemüht wirkt. Denn auch wenn ihre Wiederkehr früher oder später abzusehen war, bleibt ihre Mitgliedschaft in einem romulanischen Samurai-Orden ein sinnfreier Winkelzug in der fragwürdigen Tradition der ersten und zweiten Staffel.
Die übrigen Darsteller haben zwar mehr Platz als so manches Crewmitglied, lassen sich aber dennoch schnell abhaken:
Die romulo-vulkanischen Gegenspieler Oliver Becker [N'Raj], Stephanie Belding [She-Ra], Emmanuel Kabongo [V'Kir] und Tara Rosling [T'Rina] bieten dem Setting einen würdevollen Rahmen ohne die ganz großen Ausrufezeichen zu setzen und allein dem Badmiral Charles Vance [Oded Fehr] war es abermals nicht vergönnt, über den Status einen Schlagwortgebers hinauszukommen.



Kritikwürdige Aspekte.

Folgenanlage.
Nach einer Laufzeit von fünfzig Minuten bleibt der Zuschauer am Ende von Erstaunen gezeichnet zurück.
Erstaunt zum Beispiel davon, wie wenig nennenswerten Inhalt diese Folge zu bieten hat, deren aufgeblähte Handlung man bequem in einem Halbsatz zusammenfassen könnte.
Oder erstaunt davon, wie wenig Tempo dieser Folge innewohnte. Nachdem in der letzten Woche die Balance zwischen den langsamen Szenen an Bord und den Action-geladenen Einstellungen auf Hunhau nicht gelingen mochte, wird man nun unfreiwillig Zeuge davon, wie eine ganze Episode völlig ohne nennenswerte Spannung auskommen kann. Die größte 'Actionszene' blieb gar jener Moment, in dem eine planetare Verteidigungsplattform sich für ein paar Millisekunden in Richtung Discovery drehte. Nicht dass ich falsch verstanden werde; ich mag bedeutungsschwangere Star-Trek-Dialoge wie die in "Wem gehört Data?", "Das Standgericht" oder "Todessehnsucht" sehr (und diese Folge spielt definitiv nicht in einer Liga mit diesen Beispielen)! Aber für eine Folge, in der ein schwertkämpfender Ninja-Nonnen-Orden auf das Schiff mit der karate-affinen Spiegeluniversumsimperatorin trifft, kann man dieses seichte Plätschern als sträfliche Vernachlässigung von Potential werten, zumal sich über die Qualität der Dialoge trefflichst streiten ließe.
Oder man zeigt sich über den wuchtvollen Tritt in die Tränendrüse erstaunt, denn die Folge gibt sich so viel verzweifelte Mühe, auf kitschüberfrachtete Weise Gefühle beim Publikum zu erzeugen, dass reine Fremdscham beim Ansehen der ganzen Gefühlsduselei überhandnimmt. Letzten Endes werden alle Register der Gefühlsklischees bedient, die sonst schon gereicht hätten um nur eine Folge allein zu ruinieren. Hier aber bombardiert man den Zuschauer gleichzeitig mit schmierigen Explosivsprengstoffen wie Beziehungsherzschmerz, Mutterliebe, Heimatverlust, Unterstützungsbeifall, Selbstfindungsschwierigkeiten, Lobhudeleien oder Familiendrama und es drängt sich der Eindruck auf, als würde man in Erwartung von gekünstelten Tränen aus dem Fernseher heraus beständig mit Papiertaschentuchpackungen beworfen werden.
Aber wahrscheinlich merkt man das ja auch gar nicht mehr, denn nachdem die Hälfte der dritten Staffel ausgestrahlt ist, hat man sich bereits an derlei Unstimmigkeiten und andere Begleiterscheinungen wie Wackelkamera, Lens Flares oder die obligatorischen Krokodilstränen (diesmal sogar im preiswerteren Familienpacken!) gewöhnt.
So bleibt der Reingewinn am Ende etwas, das die Vorgänger dieser Folge bereits eindrucksvoller etabliert haben: Es wurde ein weiterer Baustein zur unausweichlichen Renaissance der Föderation gesetzt und Burnham weiß mal wieder, wo sie hingehört - zumindest bis es sich die Autoren kommender Episoden anders überlegen.


Der lange Schatten Vulkans.
Die 'Kanonfee' Kirsten Beyer ist zurück bei "Discovery" um eine ganz besondere Folge zusammenzuköcheln. Dafür hat sie ganz viele Drehbuchhappen aus dem Resteeimer von "Picard" mitgebracht, die nun noch einmal zum Verzehr in einer achthundert Jahre späteren Zukunft aufgewärmt werden!
Bereits der Folgentitel leitet Fans in die Irre, denn mit dem gleichnamigen TNG-Vorbild "Wiedervereinigung" hat dieser als dritte Teil angepriesene Discovery-Ableger inhaltlich bestenfalls eine periphere Schnittmenge. Es ist vielmehr eine nahtlose Fortführung dessen, was in der vierten "Picard"-Episode "Unbedingte Offenheit" etabliert wurde: Die romulanische Diaspora, die Qowat Milat und das Misstrauen den Motiven der Föderation gegenüber.
Natürlich wird durch einen schönen Einstieg mittels eines Ausschnitts aus dem Original-TNG-Zweiteilers eine inhaltliche Nähe suggeriert, aber dass dieser Etikettenschwindel kaum mehr als Fanservice bleibt wird spätestens dann klar, wenn man sich vor Augen führt, dass die Kombination von Vulkaniern und Romulanern zu Ni'Var nicht etwa umgesetzt wurde, weil Spock dafür so geflissentlich wie erfolglos über Jahrzehnte hinweg Propagandaarbeit betrieben hat, sondern weil eine Supernova der Romulus-Sonne in "Picard" für vollendete Tatsachen gesorgt hat.
Dieses explosive Gemisch aus Halbwahrheiten, gefühlten Kanonzusammenhängen und kontextfreien Schlagworten zieht sich aber wie ein roter Faden weiter durch die Episode. So wird der sinnstiftende, utilitaristische Ansatz der Vulkanier ("Das Wohl der vielen ist wichtiger als das Wohl der vielen.") ins komplette Gegenteil verkehrt, ein Forum zum Austausch von Logik, Fakten und wissenschaftlichen Werten zur Bühne einer emotionalen Selbsterkenntnis uminterpretiert und am Ende bleibt das T'Kal-in-ket nicht zuletzt deshalb bedeutungslos, weil die Präsidentin T'Rina die SB-19-Daten unabhängig von der Entscheidung des Quorums sowieso an Michael Burnham übergibt. Dass die Ereignisse der Folge als Bottle Show allein auf der Discovery konzentriert bleiben, ohne auch nur einmal die Oberfläche des wichtigsten Planeten der Franchise zu zeigen, trägt zusätzlich dazu bei, an der fragilen Glaubwürdigkeit dieser Episode zu zerren.
Dabei ist es beileibe nicht so, dass alle Ideen Vulkan betreffend vergebener Liebesmühe gleichen würden.
Einige der zuvor genannten Punkte wären nämlich (mit viel Wohlwollen) auch als Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung der wiedervereinigten Gesellschaft interpretierbar.
Die Idee, die Expertise Burnhams den Planeten betreffend auszunutzen ist ebenso schlüssig, wie die verschiedenen Fraktionen, die nunmehr die Geschicke der Welt lenken. Ihr bewusster (aber folgenloser Verzicht) auf die Daten ist gleichzeitig logisch-vulkanisch, als auch von besten Sternenflottenidealen geprägt. Ebenso ist es nur folgerichtig, den Vulkaniern den schwarzen Peter einer Antriebsalternative jenseits von Dilithium zuzuschieben, zumal die moralischen Spätfolgen (die ja im Föderationsaustritt gipfelten) für die pazifistische Spezies nicht minder nachvollziehbar wirken. Und selbst das Konzept des T'Kal-in-ket ist ein pfiffiger Einfall, der gut in die vulkanische Gesellschaft passt, die sich wie in "Enterprise" abermals in der ungewohnten Position des Gegenspielers wiederfindet.
Ja sogar die Idee, ausgerechnet die Krieger-Nonnen des Qowat Milat aufgrund ihrer Wahrheitsliebe zu Rechtssprechern zu erklären, hat durchaus ihren Reiz, zumal der Brückenschlag zu "Picard" einen überfälligen Schulterschluss mit einer anderen Serie der dritten Star-Trek-Welle bedeutete.


Doch Kirsten Beyer bleibt ihrer Philosophie treu, den Kanon immer dann auszuklammern, wenn er droht, ihren Handlungsentwürfen ein Veto entgegenzusetzen, denn die Autorin hat mittlerweile mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie nur allzu schnell bereit ist, allen Widerständen zum Trotz ihre eigenen Dickkopf durchzusetzen (vgl. dazu unser Kurzinterview im Rahmen der Picard-Premiere).
Sie nimmt sich Freiheiten heraus, die zulasten des erzählerischen Rahmens gehen, von denen drei schwerwiegende Entwicklungen an dieser Stelle noch einmal ganz besondere Erwähnung finden müssen.
Als erstes muss die fragwürdige Entscheidung ins Feld geführt werden, ausgerechnet Michael Burnhams Mutter Gabrielle als Mitglied des Qowat-Milat-Ordens auftreten zu lassen und damit auch das T'Kal-in-ket zu einer öffentlichen Familientherapiesitzung des Burnham-Clans zu degradieren. Der mäßig konstruierte und emotionsgeladene Gastauftritt trug maßgeblich die Hauptschuld daran, dass der Rest der Folge den vorherigen Besuchen auf der Erde oder Trill qualitativ hinterherhinkte.
Im Zusammenhang damit steht auch der zweite Punkt: Sämtliche sorgsam inszenierten Kanonbezüge sind einzig und allein Staffage für die moralische Integrität Michael Burnhams. Die "Wiedervereinigung" dient nämlich nicht als eigenständige Handlung, bietet kein moralisches Dilemma und steht auch nicht im Vordergrund dieser Episode. Alles, was man über die aktuelle romulanisch-vulkanische Gesellschaft erfährt lässt sich auf bloßes Hintergrundtheater für den Selbstfindungsprozess der Hauptfigur reduzieren; auf schmückendes Beiwerk, dem jegliche Tragweite fehlt.
Der dritte Punkt jedoch wiegt am schwersten. In Burnhams schon beinahe manisch anmutenden Vergleichen mit ihrem (über die Grenzen Star Treks hinaus bekannten) Bruder lag schon vom Beginn der Serie an eine unnötige Rivalität, die mit dem Ende der zweiten Staffel eigentlich einen verhältnismäßig würdevollen Abschluss erhalten hatte. Doch nun schmückt sich Burnham nicht nur mit den fremden Federn ihres Bruders und beansprucht dessen Erfolge für sich, sondern versucht sich auch über seine Leistungen zu erheben. Der "kleine Bruder" wird als Person sogar auf die Beeinflussung seiner Adoptivschwester zurückgeführt (vgl. Denkwürdige Zitate), was inzwischen jegliche Relation zu den mehr als fünfzig Jahren Star-Trek-Geschichte vor "Discovery" vermissen lässt. Diese Megalomanie einer Serie, die sich auch in ihrer dritten Staffel erst beweisen muss, erscheint nicht nur arg deplatziert, sondern auch reichlich arrogant.


Kanonbrüche und Logiklöcher.
Bei so wenig Substanz ist es immerhin möglich, auch weniger Kanonbrüche und Logiklöcher zu fabrizieren. Frei nach dem Motto "Wo wenig Inhalt herrscht, kann man über weniger Fallstricke stolpern." lassen sich nur wenige Widersprüche ausmachen, während der Bezug auf Vulkan sogar einige besonders clevere Querbezüge ermöglicht.
Der schönste von ihnen ist sicherlich die neue Bezeichnung "Ni'Var" für Vulkan, die auf eine Star-Trek-Kurzgeschichtenreihe der siebziger Jahre zurückgeht und den vulkanischen Begriff für "Zwiegestalt" beschreibt. Zusammen mit dem chimären IDIC-Warbird-Logo und der Erwähnung der Wissenschaftsakademie von Ni'Var trugen sie mit dazu bei, dem Hintergrundflair der Folge den passenden Anstrich zu verleihen.
Auch die Erwähnung einer USS Yelchin war eine nette Hommage an den Schauspieler, selbst wenn der Umstand, dass es sich um ein zerstörtes Schiff handelte, einen etwas bitteren Nachgeschmack im Hinblick auf das tragische Ableben des Darstellers hinterlässt.
Ansonsten gibt es die für Discovery üblichen Unstimmigkeiten.  
Die Aufzeichnungen über die Discovery und ihre Crew sind seit mehr als neunhundert Jahren Verschlusssache, aber Michael Burnham ist auf Vulkan bekannt wie ein bunter Hund?
Blockiert Books Schiff nicht die Shuttlehangareinfahrt der Discovery?
Widerspricht die Union Ni'vars nicht den Umsiedlungsproblemen, denen sich Jean-Luc Picard vor seinem Rückzug aus der Sternenflotte stellen musste? Und wie hat er die Aufnahmen Spocks auf Romulus machen können?
Inwiefern sind andere Romulaner wie die auf Vashti von der Wiedervereinigung betroffen oder bleibt dieses Motiv auf die Bewohner Vulkans beschränkt? Gibt es den romulanischen Freistaat noch?
Warum besinnen sich die Romulo-Vulkanier nicht auf die Idee, statt eines so gefährlichen Projektes wie SB-19 einfach die künstliche Quantensingularität der Warbirds wiederaufleben zu lassen?


Der folgenreichste Kanonbruch dieser Folge bleibt allerdings die ausstehende Beförderung Sylvia Tillys auf den Posten des ersten Offiziers.
Dabei will ich die Gelegenheit nutzen darauf zu verweisen, dass ich nicht der Meinung bin, dass Tilly als Person eine schlechte Wahl wäre. Zum einen gehört sie zu den wenigen Charakteren der Serie, denen neben Michael Burnham genügend Aufmerksamkeit zuteilwurde, um überhaupt so etwas wie eine nennenswerte Persönlichkeit zu entwickeln. Zum anderen wurde diese Entwicklung in den zurückliegenden Folgen für Discovery-Verhältnisse behutsam vorbereitet und entbehrt auf einer rein persönlichen Ebene noch nicht einmal einer gewissen Nachvollziehbarkeit.
Das Problem liegt eher in den fehlenden Dienstjahren. Erst in der letzten Staffel stieg Tilly vom Kadett zum Fähnrich auf, womit sie noch immer zu den Junioroffizieren an Bord des Schiffes zählt, die durch ihre jahrelange Arbeit an Erfahrung gewinnen, die sie für höhere Kommandoposten qualifiziert, indem sie ihre Fähigkeiten im Vorfeld z.B. die Leitung einer Abteilung unter Beweis stellen. Dass Tilly jedoch noch nicht einmal das Kommandotrainingsprogramm abgeschlossen hat, beseitigt den Widerspruch zwischen den niederen und höheren Rängen der Sternenflottenhierarchie, dem mit "Lower Decks" ja thematisch immerhin eine ganze Serie gewidmet ist. Saru führt mit seiner Entscheidung - die nebenbei auch noch qualifizierteren Offizieren wie Paul Stamets, Hugh Culber oder Jett Reno vor den Kopf stößt - die gesamte Kommandostruktur der Sternenflotte ad absurdum (man stelle sich ferner vor, Captain Picard hätte Wesley Crusher, Janeway Harry Kim oder Archer Travis Mayweather zum ersten Offizier gemacht!). Selbst die Ernennung eines ersten Offiziers aus dieser Zukunft, der dieser Crew bei ihren Eingewöhnungsschwierigkeiten hilft und sicherstellt, dass dieser Trumpf im Ärmel Admiral Vances auf einer Linie mit den Entscheidungen des Oberkommandos bleibt, wäre eine sinnvollere Entscheidung gewesen. Vor allem aber wird eine Beförderungsmethode salonfähig gemacht, die zuvor allein auf das Abramsverse beschränkt geblieben war und nicht unbedingt zu den Sternstunden der Franchise zählte.
Natürlich ist der Versuch, in diesem Fall Rang und Position zu trennen an sich löblich und in der siebenten Folge von "Lower Decks" war Beckett Mariner ebenfalls als Fähnrich kurzzeitig in die Position eines ersten Offiziers aufgerückt. Allerdings war diese Entwicklung von Anfang an als temporäre Maßnahme gedacht und selbst wenn es ähnliche Beteuerungen auch auf Seiten Sarus gibt, darf im Hinblick auf die bisherige Geschichte von "Discovery" wohl eher bezweifelt werden, dass dies nur einen Übergangscharakter hat. Es unterstreicht nur ein weiteres Mal, wie wenig Verständnis die Autoren für eine Organisation wie die Sternenflotte aufbringen und wie egal ihnen die innere Glaubwürdigkeit im Hinblick auf ihre eigene, aber auch auf andere Serien ist.


Synchronisation.
Wie eingangs bereits erwähnt, war der deutsche Titel der Vorbild-gebenden TNG-Episode seinem englischsprachigen Pendant gegenüber ungleich besser gewählt, weswegen es schade ist, dass das auch in diesem Fall angebrachte Fragezeichen aus irgendeinem Grund (ich vermute an dieser Stelle frecherweise einmal Recherche-Faulheit) entfallen ist. Immerhin müssen die Verantwortlichen die Folge noch einmal in der Hand gehabt haben, denn auch die deutsche Tonspur des damaligen Leonard-Nimoy-Auftrittes wurde übernommen.
Ansonsten ist abermals anzumerken, dass das Duzen und Siezen gleichermaßen sinnvollen wie wechselnden Einsatz findet und die deutsche Übersetzung recht gelungen ausgefallen ist.


Fazit.
Michael Burnhams Rückkehr nach Vulkan ist nicht das Bravourstück, das der ebenso ambitionierte, wie unzutreffende Titel vermuten ließe. Die "Wiedervereinigung" , der "Vulxit" aus der Föderation oder die Probleme des Planeten sind zwar schlüssig erzählt, dienen aber eher als blasse Staffage für die persönlichen Probleme Burnhams, die in einem besonders schweren Rückfall in die Monoperspektive ohne Rücksicht auf Verluste, Freunde oder Adoptivgeschwister zu Tage treten. Zusammen mit einer fragwürdigen Personalentscheidung Sarus, eklatanten Spannungsdefiziten und einer gezwungen wirkenden Emotionalität beschließt es eine Folge, die letztendlich weit hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Bewertung.
Schwache Kür.







Schluss.
Am Ende des Tages ist die Bezeichnung der Folge als dritter Teil einer TNG-Episode nichts weiter als eine billige Werbemasche, die mit dem tatsächlichen Inhalt des Vorbilds nur wenig gemein hat.  
Doch bei Lichte besehen war der erste und zweite Teil von "Wiedervereinigung" thematisch auch nur eine Wiederaufnahme der in der TOS-Episode "Spock unter Verdacht" etablierten Geschichte der Romulaner, die seither mit Folgen und Filmen wie "Das Gesicht des Feindes", "Unter den Waffen schweigen die Gesetze", "Star Trek Nemesis" oder eben "Unbedingte Offenheit" beständigen Ausbau erfahren haben.
So mag "Wiedervereinigung, Teil III" vielleicht einen unpassenden Titel tragen, inhaltliche Mängel aufweisen oder sträflichst den Planeten Vulkan auslassen, aber der Episode gebührt der Verdienst, ebenfalls sein Scherflein zum Gesamtbild der romulanischen Spezies beizutragen.
Und das ist nicht das einzige, was es mit dem namensgebenden Vorbild gemein hat.
So überschaubar Spocks Video-Auftritt auch gewesen sein mag, schlägt er dennoch eine Brücke zu TOS und TNG und hilft dabei, "Discovery" mit dem größeren Kanon zu verbinden.
Und dem Thema der "Wiedervereinigung" bleibt es trotz aller tagesaktueller Brisanz (man denke nur an Nord- und Südkorea) ebenfalls nicht vergönnt, eine ähnliche Rolle zu spielen. Zwar gibt es de facto eine Reunion beider Völker, doch diese ist nicht das Ergebnis von mutigen Massenprotesten, diplomatischen Verhandlungen oder komplizierter Großmachtpolitik, sondern einem Naturereignis (?) geschuldet. Es ist fast ein wenig so, als wäre die deutsche Wiedervereinigung passiert, weil alle Atomkraftwerke der Sowjetunion explodiert sind und die Bewohner der DDR in den Nachwehen des atomaren Fallouts massenhaft in den Westen flohen, um dort überleben zu können.
Somit markiert die Folge eher eine Absage an die Idee, die deutsche Wende in eine geistige Nähe zur romulo-vulkanischen Wiedervereinigung stellen zu können, denn hinter den streitenden Fraktion auf dem Planeten steckt mittlerweile eher ein Sinnbild des ideologischen Risses, der sich quer durch die amerikanische Gesellschaft zieht. Aus deutscher Sicht ist das vielleicht ein wenig schade, aber einen vielversprechenden Erzählgegenstand mit einem deutlichen Bezug auf die Probleme unserer Zeit bietet es in bester Star-Trek-Manier auf jeden Fall.


Denkwürdige Zitate.

"Die denken sie hätten den Brand verursacht?"
"Nein, sie denken wir hätten sie dazu getrieben den Brand zu verursachen."
Michael Burnham und Charles Vance

"Ich möchte Sie bitten als mein erster Offizier einzuspringen bis ich einen permanenten Ersatz gefunden habe."
"Was? Sir, was? Äh, ich, ich habe das Kommandotrainingsprogramm nie abgeschlossen!"
Saru und Sylvia Tilly

"Sir, fragen Sie mich wegen meiner Folgsamkeit oder wegen meiner Qualifikation?"
Tilly

"Selbst die Wissenschaft lässt sich nicht von Kultur und Politik trennen. Es gibt immer Wechselwirkungen, auch Spock musste das lernen."
T'Rina

"Es ist das alte Lied, nicht wahr? Dass das Schicksal zweier Völker so eng verflochten ist, dass sie sich ähneln aber einander dennoch vertrauen."
T'Rina

"Man wird sich an Spocks Schwester immer als Heuchlerin erinnern, wenn Sie sich als unglaubwürdig erweisen und das hätte schwere Konsequenzen."
T'Rina

"Meiner Lebenserfahrung nach lernen wir die größten Lektionen dann, wenn wir einen hohen Preis dafür bezahlen."
Saru

"Sie führt ihren Bruder in den offensichtlichen Bemühen ins Feld, uns emotional zu bewegen. Doch dies ist ein Forum für Logik, Commander Burnham."
V'Kir

"Drei Quorumsmitglieder, drei Meinungen, kein Konsens."
Gabrielle Burnham

"Ganz ehrlich, die Vorstellung von Ihnen Befehle anzunehmen fühlt sich ziemlich, ziemlich schräg an. Man könnte sagen fast schon verstörend."
Paul Stamets

"Du bist eine Qowat Milat und Du bist meine Mutter."
Burnham

"Wir mögen unvollkommen und voller Fehler sein und stecken uns trotzdem hohe Ziele."
Burnham

"Sie hat außerdem gesagt sie frage sich wie viel von dem Mann zu dem Spock geworden ist eigentlich auf seine Schwester zurückgeht."
Gabrielle Burnham

"Meine Toilette müsste repariert werden. Da läuft das Wasser nach."
Keyla Detmer


Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Sukal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"