Posts mit dem Label Lower Decks werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Lower Decks werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Sonntag, 15. August 2021

Turons Senf zu "Seltsame Energien" [LD, S2Nr01]




Spoilerwarnung
.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Seltsame Energien", die erste Folge der zweiten Staffel von "Star Trek: Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.





Einleitung.
Bislang war das Jahr 2021 ein erstaunlich Star-Trek-freies Jahr: Weder "Star Trek: Picard" noch "Star Trek: Discovery" gelang es trotz großspuriger Ankündigungen, bislang die nächste Staffel fertig zu produzieren und in den Streaming-Äther zu werfen. Auch "Star Trek: Prodigy" wird (vor allem hierzulande) wohl noch etwas auf sich warten lassen; von "Strange New Worlds" ganz zu schweigen.
In derlei ereignisarmen, durch die weltweite Corona-Pandemie geprägten Tagen vermögen bestenfalls noch neu aufgeflammte Film-Gerüchte die allgemeine Star-Trek-Lethargie zu durchbrechen, wäre da nicht eine ebenso umstrittene wie produktive junge Animationsserie, die allen Widrigkeiten zum Trotz acht Monate nach Jahresbeginn eine zweite Staffel aus dem Ärmel schüttelt, während der Rest der Film- und Fernsehlandschaft unter den erschwerten Bedingungen ächzt.
Doch kann "Lower Decks" die große Lücke schließen, die sich 2021 quer durch die Sehgewohnheiten der mittlerweile beinahe schon von der Serienfülle verwöhnten Fans gerissen hat?
Wir sagen entschlossen: "Jein".





Story.
Abermals gilt es für die Mannschaft der USS Cerritos eine dieser langweiligen Zweitkontaktmissionen zu absolvieren, von denen die Crew und vor allem ihr Captain langsam genug hat. Damit aber ist der Routine noch längst nicht Genüge getan, denn auch neben diesem Pflichtprogramm gibt es zahlreiche Déjà-Vu-Momente: Abermals geht Samanthan Rutherford mit dem attraktiven Trill-Fähnrich Barnes aus; abermals stemmt sich Beckett Mariner während einer Außenmission der Autorität des ersten Offiziers Jack Ransom entgegen und abermals kulminiert der Mutter-Tochter-Konflikt zwischen ihr und dem Captain Carol Freeman in einem Aufenthalt in der Arrestzelle.
Wäre da nicht der spontane Aufstieg Ransoms zu einem gottgleichen Wesen (natürlich inklusive dem damit einhergehenden Machtmissbrauch) und D'Vana Tendis Versuch, ihren Freund Rutherford von den Auswirkungen eines vermeintlichen Synthetik-Gedächtnisschwundes zu bewahren (natürlich inklusive der damit einhergehenden Versöhnung), wäre es ein ganz normaler Tag an Bord des Schiffes der California-Klasse…  





Lobenswerter Aspekt.

Kanonfutter.
Machen wir uns nichts vor: Der beste Grund sich "Lower Decks" anzusehen ist, sich an den zahlreichen Referenzen, Anspielungen und Easter Eggs zu ergötzen, die diese Serie vor allem den absoluten Supernerds unter den Star-Trek-Fans zuhauf entgegenwirft. Beinahe fühlt man sich wie eine Taube auf dem Markusplatz in Venedig, die vor von achtlosen Touristen sorglos umhergeworfenen Brotkrumen gar nicht weiß, wohin sie zuerst picken soll.
Das beginnt bereits in der Eingangsszene mit der bloßen Zurschaustellung von vier Lichtern in einem cardassianischen Verhörzentrum, womit die Serie einen klassischen Star-Trek-Moment aufgreift und den Zuschauern gekonnt unter die Nase reibt.
Im Anschluss dreht sich der Kern der Episode in erster Linie um die Originalserie, nicht zuletzt, weil Jack Ransom eine Transformation durchlebt, wie sie im zweiten TOS-Piloten "Die Spitze des Eisbergs" einem Mann namens Gary Mitchell widerfuhr – ein Name, den auch diese Episode nicht müde wird zu erwähnen. Gewürzt wird dieses neuaufgewärmte Mikrowellengericht mit Gott-Gefühlen aus "Der Tempel des Apoll", aber mit dem genialen Einbezug von "Nightingale Woman" und dem Schlussakkord eines stilecht zur Geltung gebrachten Felsbrockens weiß man recht schnell, welch Vaters Kind "Seltsame Energien" am Ende des Abends wirklich ist.
Mit einem Schiff der Miranda-Klasse (das im Hinblick auf die nach der Veröffentlichung des Trailers explodierenden Fan-Theorien passenderweise den Namen USS MacDuff trägt) und vor allem seiner  Brücke im klassischen Look des ausgehenden 23. Jahrhunderts bedient sich die Folge auch aus dem reichhaltigen Fundus der frühen Star-Trek-Kinofilme, wobei Ruthersfords 'Versprecher' von "SGS" zum "LSD" zu den subtileren seiner Art zählt (allerdings geht das in der deutschen Übersetzung verloren, wo man aus unerfindlichen Gründen "SOS" daraus macht).
Doch damit nicht genug!
Tendis Besessenheit im Bezug auf Rutherfords Gehirn erinnert stark an Phlox' parallele Manie in "Eigenarten", die komplette Eingangsszene in ihrer ganzen holografischen Nichtigkeit schlägt gekonnt einen optischen Bogen zu DS9 und unter den Schiffen der cardassianischen Station kann der geübte Beobachter gar den Delta-Flyer der USS Voyager ausmachen. Und unter den Souvenirs des Captains von ihren gemeinsamen Missionen mit ihrer Tochter befindet sich auch ein Helm, der den Klingonen aus den Abrams-Kinofilmen entliehen scheint.
Meine (ganz persönlichen) drei Highlights bestehen allerdings im Wiedersehen mit Captain William Riker und seinem Schiff USS Titan – auch wenn der Auftritt Jonathan Frakes' im Grunde ähnlich überschaubar (wenn nicht noch überschaubarer) blieb wie im Finale der ersten Staffel von "Lower Decks".
Platz zwei gilt der Erwähnung der cetaceanischen Ops, die - erstmals in der TNG-Episode "Die alte Enterprise" in den internen Bordfunkschnipseln erwähnt wurde – ihrerseits auf die Wale (lat. Cetacea) im vierten Kinofilm "Zurück in die Gegenwart" anspielt. Diese Schiffseinrichtung regt seit jeher die Fantasie der Fans an und es obliegt scheinbar dieser Serie, abermals (sie wurde bereits in "Zweiter Kontakt" als einer der großartigsten Orte an Bord beschrieben) mit diesem mystischen Schwebezustand geschickt zu spielen.
Der unangefochtene Spitzenreiter unter den Anspielungen dieser Folge bildet allerdings der lapidare Satz "Ich weiß, dass persönliche Konflikte nicht erlaubt sind, aber ich hasse diese Andorianerin!", den Mariner zum Besten gibt, nachdem sie von der Andorianerin Jennifer bei ihren Holodeckeskapaden unterbrochen wird. Damit spielt die Autorenschaft der Serie vor allem an die Vorgabe des Star-Trek-Schöpfers Gene Roddenberrys an, in seinen Serien und Filmen völlig auf interpersonelle Konflikte zu verzichten, um seine Vision einer utopischen Gesellschaft zu verdeutlichen. Seitdem stießen sich zahlreiche Drehbuchautoren an dieser starren Vorschrift, die spätestens mit dem Tod Roddenberrys in "Deep Space Nine" oder "Voyager" in den Hintergrund trat, um schließlich mit "Discovery" völlig ausgehebelt zu werden.
Genau wegen dieser mitunter harmlos erscheinenden, aber erstaunlich tiefen Seitenhiebe bleibt "Lower Decks" in meinen Augen die spannendste der aktuellen Star-Trek-Serien, an der man als jahrelanger Fan mit dem eigenen, über all die Jahre angesammelten unnützen Wissen durchaus seinen Spaß haben kann.



Kritikwürdige Aspekte.

The Return of the Flachwitz.
Vor allem in der Region Berlin-Brandenburg verdanken viele Menschen einem Hobbyphilosophen (und Aquariumsreiniger) namens Mike Lehmann die zeitlose Weisheit, dass Humor ein subtiles Fremdwort sei. Was dem einen beinahe die Bauchdecke vor Frohlocken zerreißt, wird dem anderen bestenfalls ein müdes Mundwinkelzucken bescheren, wenn nicht gar den Untergang des Abendlandes beschwören lassen.
An dieser Stelle möchte ich mich jedoch keineswegs in den Chor der Unzufriedenen einreihen, die dem Witzgehalt dieser als Comedy gelabelten Serie jegliche Lustigkeit absprechen. An einigen Stellen habe ich mich tatsächlich gut amüsiert, doch es ist der Schluss der Episode, der mich etwas ratlos zurücklässt.
Denn mal ehrlich: Den A-Plot der Folge damit zu lösen, dem gottgleichen Wesen mit gleich mehreren gezielten Tritten in die Weichteile nicht nur die Kräfte, sondern auch den letzte Rest Würde zu nehmen, ist selbst für eine Zeichentrickserie die sich primär an Jugendliche richtet eine ziemlich flache Nummer. Bedenkt man ferner, dass genau diese Art "Jackass"-Humor mit der Beschränkung auf Schadenfreude über die genitalen Schmerzen anderer im genialen Film "Idiocracy" als perfektes Sinnbild für die Verrohung und Sinnentleertheit der Gesellschaft herangezogen wird, hinterlässt es einen faden Beigeschmack für eine Science-Fiction-Franchise, den auch die mageren Humorhöhepunkte abseits dieser Entwicklung nicht zu übertünchen vermögen.





Die Null muss stehen!
Klar gibt es auch in "Seltsame Energie" einiges Neues zu entdecken. Der Vorspann etwa, der pünktlich zum Start der zweiten Staffel ein wenig aufgehübscht wurde. Oder die USS Cerritos, die etwas detailreicher daherkommt als noch in der Premierenstaffel. Oder die vielen Hintergrundgimmicks in Boimlers altem Bett, Captain Freemans Andenkenkiste oder dem cardassianischen Raumschiffparkhaus. Dennoch hallt ein Satz aus dem Munde Mariners nach, sobald die Folge vorbei ist:
"Halt, das kommt mir bekannt vor…"
Dass es ein erhöhtes Aufkommen von "Das habe ich doch schonmal irgendwo gesehen…"-Momenten gibt, liegt nicht allein darin begründet, dass ein Großteil der sehenswerteren Szenen bereits im Trailer prominent verbraten wurden; es gibt auch zahlreiche Momente, in denen komplette Handlungselemente wie Konservenfutter aufgewärmt werden: Rutherford geht erneut auf ein Date mit Barnes, Mariner löst ihre Alltagsprobleme wiederholt auf dem Holodeck und das, was man von Boimlers Karriere auf der USS Titan serviert wird, spricht auch nicht unbedingt von Weiterentwicklung.
Das ist schade, denn eigentlich hat man den Weg zur neuen Staffel mit zahlreichen Möglichkeiten gepflastert, um eine kontinuierliche Entwicklung zu befeuern. So fand im letzten Staffelfinale Mariner eine Möglichkeit, mit ihrer Mutter zusammenzuarbeiten, Samanthan Rutherford schien durch den Unfall sein Gedächtnis verloren zu haben und auf der Cerritos musste der Posten des Sicherheitschefs dringend neu besetzt werden.
Davon ist aber in der ersten Folge der zweiten Staffel kaum mehr etwas zu spüren.
Obwohl suggeriert wird, dass eine Zeitspanne vergangen sein muss, die groß genug ist, um eine ganze Kiste mit Erinnerungsstücken anzusammeln, ist die Stelle an der Spitze Sicherheitsabteilung noch immer vakant, von Rutherfords Synapsenkoller ist nichts mehr zu hören und eigentlich sind die Probleme zwischen Mariner und ihrer Mutter noch immer die gleichen.
Es ist also eher Figurenstillstand eingetreten und zentrale Entwicklungen sind gekappt worden, nur um die Uhr wieder auf null stellen zu können. Klar kann man auf diese Weise nahtlos da weitermachen, wo man dereinst aufgehört hat, aber im Angesicht der Tatsache, dass bei zwanzig Minuten Folgenlänge ohnehin kaum Platz für Figurenwachstum vorhanden ist, muss man an dieser Stelle von einer verpassten Gelegenheit sprechen.
Ähnliches lässt sich auch inhaltlich bemängeln. Tendi und Rutherford gelingt es nicht einmal in Abwesenheit Boimlers, etwas anderes als den B-Plot zu bestreiten. Währenddessen fällt bei Mariners Einzeleinsatz auf, dass der Reiz der Serie darin besteht, dass sie und Boimler sich derart gut ergänzen. Alles wirkt viel eher wie die Nachspielzeit der ersten Staffel, als der ernst gemeinte Start der zweiten. Und Hand auf's Herz: Auch wenn das Aufgreifen von übermenschlichen psionischen Kräften aus der Originalserie eine nette Reminiszenz auf den Ursprung Star Treks bietet, bleibt es ebenso dick aufgetragen und mäßig interessant (im Vergleich zu den anderen Science-Fiction-Storys) wie schon damals, als sich noch Kirk und sein Felsbrocken damit herumschlagen mussten.





Kanonbrüche und Logiklöcher.
Ich würde mich an dieser Stelle gerne einmal darüber beschweren, dass der Führer des Planeten Apergos einen Stapel neuer PADDs bekommen soll, anstatt einfach herunterzuscrollen, aber um ehrlich zu sein ist genau das eigentlich der Witz an der Szene.
Daher bleibt mir nur eines zu kritisieren: Das Universum ist erstaunlich anglophon. So ziemlich jeder menschliche Charakter dieser Folge – Freeman, Ransom, Rutherford oder Stevens - trägt einen englischen Namen und als wäre das nicht genug, begegnen wir nunmehr einer Andorianerin namens Jennifer und einem Trill namens Barnes. Vielleicht hätte man sich – anstelle gottgleicher Supermenschen - eher in diesem Punkt von der Originalserie inspirieren lassen können, wo Roddenberry immerhin versucht hat, die Vielfalt der Erde in der Crew des Schiffes widerzuspiegeln.





Fazit.
Wer nach den turbulenten Ereignissen des Finales vor ein paar Monaten einen fulminanten Staffelstart erwartet hat, wird von "Seltsame Energien" zwangsweise enttäuscht werden, denn der Folge gelingt es nicht, die sorgsam eingefädelten Entwicklungen aufrechtzuerhalten. Stattdessen kehrt sie in gewohntes Fahrwasser zurück und liefert auch wie gewohnt Referenzen, die das Herz von Star-Trek-Nerds höherschlagen lässt. Da aber auch der Humor dieser Folge keine gelungene Gratwanderung hinlegt, bleibt am Ende festzustellen, dass diese Folge bei weitem nicht die Qualität der letzten Episoden der ersten Staffel erreicht.


Bewertung.
Mäßiger Start.






Schluss
.
Es bleibt festzuhalten, dass es schön ist, nach so langer Zeit ohne eine aktuelle Star-Trek-Serie ausgerechnet "Lower Decks" in der Pole Position zu sehen, zumal es endlich gelungen ist, mit Amazon Prime einen Partner zu finden, der auch hierzulande eine zeitnahe Ausstrahlung im Wochenrhythmus gewährleistet. So haben die kommenden Monate endlich wieder Struktur und man hat jeden Freitag einen festen Eintrag im Terminkalender.
Die Serie wird allerdings in ihrer zweiten Staffel erst noch unter Beweis stellen müssen, dass der Überraschungserfolg der ersten Staffel keine Eintagsfliege war. Viele drängelnde Fragen (Wie kommt Boimler wieder zurück in den Schoß der USS Cerritos? Was ist mit der Stelle des Sicherheitschefs? Wie genau verbaut sich Captain Freeman ihre Versetzung auf ein Spitzenschiff der Sternenflotte?) gilt es zu klären und auch wenn der Start nicht unbedingt mit Bravour gelungen ist, bleibt dennoch die Hoffnung, dass die noch junge Serie sich schon bald berappeln wird, sich auf ihre Qualitäten besinnt und abermals ihren guten Ruf in (zumindest Teilen) der Fanlandschaft festigt.





Denkwürdige Zitate.

"Gott sei Dank, Mariner! Hol mich hier raus! Die zeigen mir immer diese Lichter…"
Hologramm von Bradward Boimler


"Worte können genauso wehtun wie Folterinstrumente, okay?!"
Beckett Mariner

"Hier geht grad irgendwas Sci-Fi-mäßiges ab!"
Mariner

"Die Menschheit hat ein, ähm, recht kompliziertes Verhältnis zu organisierter Religion."
Carol Freeman

"Es ist einfach ein Gott zu werden. Die Kunst ist, ein Gott zu bleiben."
Jack Ransom

"Ich sage nur Kirk und ein Felsblock."
T'Ana

Weiterführende Leseliste.

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu  "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"



Freitag, 22. Januar 2021

Turons Senf zum "Lower Decks"-Staffelfinale "No Small Parts" [LD, S1Nr10]

Klippe


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "No Small Parts", die zehnte Folge der ersten Staffel von "Star Trek: Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.


Einleitung.
Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil!
Denn entgegen aller Schwarzmalerei hat es "Lower Decks" dank Amazon Prime in die Wohnzimmer der Bundesrepublik geschafft – wenn auch mit einem halben Jahr Verspätung. Immerhin muss man nun nicht den (technisch) unzuverlässigen und nur über Umwege zugänglichen US-Streaming-Dienst CBS-All Access bemühen, um in den Genuss der besten Star-Trek-Serie des Jahres 2020 zu gelangen.
Nun kann man sich den deutschen Teil-Lockdown immerhin damit versüßen, die einzelnen Folgen hintereinander weg zu sehen und sich endlich eine Meinung über etwas zu bilden, was bis dato vor allem Fans jenseits des 'Großen Teiches' vorbehalten blieb.
Doch gerade im Hinblick auf die anderen beiden großen Star-Trek-Serien bleibt anzumerken, dass ein Staffelfinale eine hohe Kunst zu sein scheint, die Star Trek nicht mehr so recht zu meistern weiß. Sowohl bei "Picard" als auch "Discovery" blieben die Saison-Endpunkte weit hinter den Erwartungen zurück und es drängt sich schon ein wenig die Frage auf, ob denn "Lower Decks" auch in seiner vorerst letzten Episode dem bisher hohen Standard der Serie zu genügen weiß…


Story.
Die USS Cerritos folgt dem Notruf ihres Schwesterschiffes USS Solvang ins Kalla-System, um Captain Dayton ein weiteres Mal aus einer vermeintlich misslichen Lage zu befreien. Doch an ihrem Ziel angekommen, muss die Besatzung des Schiffes nicht nur erkennen, dass Dayton und ihr Schiff zerstört wurden, sondern auch selbst einem deutlich überlegenen Feind die Stirn zeigen. Doch die Pakleds, die sich ihr Raumschiff aus den Teilen der Schiffe anderer Mächte zusammengestückelt haben, schaffen schnell klare Verhältnisse: Sie schießen die Schilde ihrer Gegner zu Kleinholz, reißen den Rumpf der Cerritos auf wie einen Truthahn und transportieren gar ein grobschlächtiges Enterkommando an Bord, das sicherstellen soll, dass ihrem 'Frankenstein-Schiff' auch Föderations-Technologie zuteilwird. Doch in derart düsteren Zeiten beginnt Captain Carol Freeman endlich, das ungenutzte Potential ihrer Tochter zum Besten ihres Schiffes und der Sternenflotte einzusetzen…


Lobenswerte Aspekte.

Aufbau.
Ich habe es in vorangegangenen Rezensionen bereits erwähnt, aber muss es abermals betonen: Es ist und bleibt immer wieder erstaunlich, wie viel Handlung diese Trickfilmserie in ihre begrenzte Sendezeit packen kann! Während sich bei "Discovery" ganze Folgen in Action-Streifen-Anleihen verlieren und auch bei "Picard" am Ende nur wenige Fäden geschickt zu einem stimmigen Ganzen verwoben werden, glänzt ausgerechnet "Lower Decks" mit einem stringenten Handlungsbogen, dem man kaum zutraut, dass er in weniger als einer halben Stunde etabliert wird, Fahrt aufnimmt und schließlich sogar in einem wahren Feuerwerk endet.
Dabei bleibt besonders bemerkenswert, dass die dramatische Enthüllung, Beckett Mariner sei die Tochter des Captains Carol Freeman, dem ungläubigen Zuschauer genauso wie der nicht weniger ungläubigen Besatzung gleich innerhalb der ersten drei Minuten (und noch vor dem Vorspann!) vorgesetzt wird wie ein Burger im Fast-Food-Restaurant. Bemerkenswert bleibt das vor allem deswegen, weil dieser über mehrere Folgen erarbeitete Showdown ob seiner Brisanz zwar von Bedeutung, aber dennoch nur ein kleines Licht in einer ganzen Reihe unglaublicher Entwicklungen ist.
So erlebt der Zuschauer die teilweise Zerstörung des liebgewonnenen Schiffes mit, wird zum Augenzeuge der kurzen Dienstzeit des ersten Exocomps an Bord, sieht liebgewonnene Charaktere wie Dayton und Shaxs das Zeitliche segnen und muss auch noch um das dramatische Schicksal des jungen Ingenieurs Samanthan Rutherford bangen.
Im Hinblick auf die Folgenlängen bleibt ebenfalls erstaunlich, wie sehr sich die nur zehn halbstündige Episoden umfassende Serie auf sich selbst beruft. Angefangen bei der Mutter-Tochter-Beziehung über die gelungenen Charakterentwicklungen der vier Fähnriche bis hin zur folgenreichen Rückkehr Badgeys und Boimlers Erfahrungen mit Tulgana IV nutzt das Finale ein Potential, das man kaum für möglich gehalten hat, um einen schlüssigen Abschied zu formen, der den Vergleich mit seinen Seriengeschwistern mühelos zu den eigenen Gunsten entscheidet.
Zugegeben; zuweilen ist die Folge unnötig schlüpfrig (vgl. Denkwürdige Zitate), brachial vulgär (inklusive zweier unnötiger F-Bomben), spart nicht mit Lens Flares und wirkt an manchen Stellen sogar arg brutal für den ansonsten eher heiteren Charakter der Serie.
Tatsächlich aber rücken diese Kritikpunkte im Vergleich zum Endprodukt in den Hintergrund; vor allem, weil sich die Serie traut, für einen erzählenswerte Star-Trek-Geschichte bis zum Äußersten zu gehen. Im Gegensatz zu "Star Trek: Discovery" ist sie sich nämlich nicht zu schade dafür, einen ans Herz gewachsenen Charakter auf dramatische Weise über die Schippe springen zu lassen.
Vor allem aber zeigt sie, wie man die Symbiose zwischen namhaftem Auftritt zweier beliebter Star-Trek-Veteranen (die im englischen Original auch von Jonathan Frakes und Marina Sirtis eingesprochen werden) und einer Raumschlacht hinbekommt, ohne die Fans enttäuscht zurückzulassen. Der Moment, in dem die USS Titan von den Klängen der Star-Trek-Kinofilm-Musik untermalt fulminant über den Fernseh-Bildschirm fliegt, war jedenfalls ein absoluter Star-Trek-Höhepunkt.
Aber auch wenn sich hier alle Anstrengungen in einer kathartischen Lösung zu übertreffen versuchen, lassen die eifrigen Autoren um Serienschöpfer Mike McMahan noch genügend Anknüpfungspunkte für die nächste Staffel übrig, die dringender Klärung bedürfen:
Wer ersetzt Shaxs als Sicherheitschef der Cerritos?
Wie findet Rutherford sein Gedächtnis wieder?
Wird es beim brüchigen Burgfrieden zwischen Mariner und ihrer Mutter bleiben?
Und vor allem:
Auf welche Weise werden Mariner und der auf die USS Titan versetzte Boimler wieder zusammengeführt?


Kanonfutter.
Schon die ersten paar Sekunden des Staffelfinales machen deutlich, dass die Autoren ihr Handwerk verstehen, denn als Aufhänger dieser Episode haben sich McMahans Mannen für eine Rückkehr zu einer legendären TOS-Episode ("Landru und die Ewigkeit") entschlossen. Geschickt mit einer weiteren TAS-Anspielung gepaart stellt die bewusste Anlehnung an beide Vorbilder noch einmal den Anspruch der Serie unter Beweis, den Kanon einfühlsam als Starthilfekabel für die eigenen Ambitionen zu nutzen.
Die Rechnung geht schon allein deshalb auf, weil sich dieses Prinzip zusammen mit einer unbestreitbaren Liebe fürs Detail im weiteren Verlauf fortsetzt:
So kann man Sternenflottenabsperrband, ein schlecht in Geschenkpapier gewickeltes bat'leth, charaktervolle Strichmännchen auf der Sequoia, eine Trümmerkollision wie im elften Kinofilm, wohlbekannte Waffen (vom ushaan-tor bis zu den Keulen aus Worfs kallisthenischen Holodeckprogrammen), wohlbekannte Alkoholika (Kanar, Blutwein oder saurianischer Brandy) einen Tribble, die Downloadgeschwindigkeitsanzeige im okularen Implantat Rutherfords, die USS Titan, einen Saurianer, eine Beerdigung mit Zorn-des-Khan-Flair, einen Teller mit dem Gesicht Ransoms im Quartier Boimlers und einen Riker, der das 'andere' Picard-Manöver vollzieht, sehen (wenn man nicht im falschen Moment blinzelt).
Eine Sondererwähnung muss an dieser Stelle ein besonderes Stück Schmuggelware finden, denn die Folge markiert das erste Mal, dass jener Star-Trek-Helm, mit dem die Spielzeugfirma Remco 1976 versuchte Kapital aus Star-Trek-Fans zu schlagen, seinen ersten offiziellen Auftritt erhält. Das mittlerweile längst zu einem Kultobjekt avancierte Stück Merchandise spielt zwar keine sonderlich große Rolle, zeugt aber mit seiner bloßen Existenz sowohl vom Humor, als auch vom Fachwissen der verantwortlichen Seriengestalter.
Wer genau hinhört, wird zusätzlich auch noch mit geschickt eingebauten Erwähnungen von "Gamesters of Triskelion", der Obersten Direktive, dem Captain-Freeman-Day, Wechselbälgern, dem Dominion-Krieg, Wesley Crusher und seiner Mutter, einen von Rutherford und den Borg geteilter Schlafmodus, der Enterprise, dem First-Contact-Day, einem cha'DIch, Rikers Vorliebe für Holodeckprogramme über die NX-01 und einem Horga'hn belohnt.
In diesem Zusammenhang bleibt hervorzuheben, dass der Captain der Titan erstmals in der Geschichte der Franchise den Titelsong von "Star Trek: Enterprise" zitiert.
Aber auch andere – beinahe banale - Ideen gehören zur Zierde dieser Episode. Die Schutzfolien auf der brandneuen Solvang, britische Dialekte in amerikanischen Fernsehserien und vor allem wirre Verschwörungstheoretiker (vgl. Denkwürdige Zitate) werden gekonnt in den Handlungsrahmen eingewoben. Das freut vor allem Star-Trek-Fans, denn in eine ähnliche Richtung schlägt auch die Ablehnung des Exocomps, sich für eine Selbstmordmission zum Allgemeinwohl aufzuopfern. Sie entspricht nämlich so ziemlich genau der Prämisse der TNG-Folge "Datas Hypothese" und führt zusammen mit anderen inhaltlichen Anleihen aus "Das Herz eines Captains" oder "Beförderungen" die Serie auf ungeahnte Höhen, auf denen tatsächlich noch nie zuvor jemand gewesen ist.
Die Autoren von "Lower Decks" haben ihre Hausaufgaben also auf jeden Fall gemacht…


Kritikwürdige Aspekte.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Wisst ihr, worüber ich mich an dieser Stelle beschweren könnte?
Etwa über die extrem niedrige Registrierungsnummer der USS Solvang.
Oder über die angeblich weiße Weste Boimlers, die ihn für eine Beförderung praktisch aufdrängt, denn sie widerspricht einer ganzen Reihe von Fehlgriffen, an die sich der ersten Offizier Jack Ransom erinnern sollte (man bedenke nur, dass der Fähnrich ihm erst einige Folge zuvor absichtlich heißen Kaffee in den Schritt gegossen hat).
Oder dass es auf der Brücke der Solvang mindestens einen Stiefel zu wenig für die Anzahl an Crewmitgliedern gibt. Und warum sind zwei Paar von ihnen weiß? Oder hat da etwa jemand vergessen, die Stiefel für die Brückenoffiziere aus der Wissenschaftsabteilung zu kolorieren?
Nein, um etwas zum Schimpfen zu finden, müsste man schon schwere Geschütze auffahren.
Bestenfalls könnte man monieren, dass die Pakleds ein wenig arg doof und zeitgleich aber auch erstaunlich mächtig ausgefallen sind. Immerhin war die Spezies ja nicht völlig verschwunden, sondern im Hintergrund bei "Deep Space Nine" des Öfteren zu bewundern. Aber auch das mag nicht so recht zum Kritteln taugen, da es tatsächlich auch gelungen ist, der vernachlässigten Spezies ein wenig mehr Hintergrund zu verleihen (indem die hier gezeigten Vertreter keineswegs so schwerfällig wirkten wie in der TNG-Folge und auch tatsächlich ihr negatives Image durch ein verruchteres ersetzen können).
So könnte ich tatsächlich nur eines anmerken:
Mit dieser Folge wurde dem reichhaltigen Bücheruniversum der endgültige Todesstoß versetzt. Schließlich gibt es eine ausführliche literarische Aufarbeitung der Abenteuer der Familie Riker in den Romanen der "Titan"-Reihe, für die schließlich auch das Raumschiff-Modell entworfen wurde, dessen sich die "Lower Decks"-Macher hier bedienten. Dort aber hört die Sorgfalt auch schon auf, denn obwohl die Brückencrew in diesen Werken sehr genau beschrieben wird, tauchen die illustren (und vor allem vielen unterschiedlichen Spezies angehörenden) Charaktere nicht in der Serie auf.
Das ist natürlich etwas schade, aber andererseits auch Meckern auf verdammt hohem Niveau.


Fazit.
Das turbulente Staffelfinale von "Lower Decks" ist ein wahrer Leckerbissen für Star-Trek-Fans. In nur siebenundzwanzig Minuten wird eine nicht immer jugendfreie, aber dafür mitreißende, kanongerechte, vielschichtige und actionreiche Handlung aufgetischt, die mit mehreren überraschenden Momenten für jeden Geschmack aufwartet und die innere Geschlossenheit der Staffel perfekt abrundet. Als Sahnehäubchen serviert es zwei Gastauftritte altbekannter Veteranen und krönt im Star-Trek-Jahr 2020 ein Drei-Gänge-Menü, dass seinen kulinarischen Höhepunkt definitiv in seinem Nachtisch findet.

Bewertung.
Ein wahres Feuerwerk!






Schluss.
Es liegt mir natürlich fern, "Picard" oder "Discovery" herunterzuputzen. Nicht zuletzt, weil Star Trek mittlerweile eine spannende Vielfalt bietet, aus der sich jeder Fan selbst die Rosinen herauspicken kann. Jede einzelne Serie hat ihren ganz eigenen Stil und dadurch auch seine Daseinsberechtigung.
Fragt man mich persönlich aber, welche der aktuellen Serien in meinen Augen die beste sei, so lautet meine (von einem Strahlen in den Augen begleitete) Antwort ganz klar: "Lower Decks".
Die Serie bietet die perfekte Verschmelzung von Kanon und einer eigenen Geschichte und stellt lebendig unter Beweis, dass man dieser Tage sehr wohl eine gute Star-Trek-Geschichte erzählen kann, ohne in jede Kanonvorgabe zu treten wie in ein Fettnäpfchen. Stattdessen hat die Serie das Kunststück geschafft, den größeren Star-Trek-Rahmen als Chance zu nutzen, um die eigene Erzählung gekonnt auszuschmücken. Dabei kommt es mir noch nicht einmal auf die vielen Anspielungen an, die manchmal etwas bemüht unter die Dialoge gemengt wurden. Es ist eher das Flair eines Universums, in dem die vielen größeren und kleineren Zusammenhänge dazu dienen, Brücken zu schlagen, um damit einen Wiedererkennungswert zu erzeugen. Planeten wie Tulgana IV, Offiziere wie Shaxs und Schiffe wie die USS Cerritos bleiben eigene Erfindungen der Serie, aber stehen auch in einer Traditionslinie, die deutlich erkennbar bleibt. Dass es den Autoren zudem immer wieder gelingt, das Franchise und sein Fantum zu parodieren, macht einen großen Teil des Unterhaltungsfaktors aus.
Alles, was man tun muss, um die Serie genießen zu können, ist über den Schatten zu springen, der für viele Leute in der Erzählform einer Zeichentrickserie liegt. Doch die Überwindung kann äußerst lohnenswert sein – wenn man diesen Sprung meistert.


Denkwürdige Zitate.


"Consume the intruders! Obey Landru!"
"Hey! Don't make me paradox you into destroying yourself…"
"Landru apologizes…"
Landru and Captain Carol Freeman

"Yeah, I know; it's always weird revisiting Planets from the TOS-era."
"TOS?"
"It's what I call the twentytwo-sixties. It stands for "Those Old Scientists'. You know, Spock, Scotty, those guys? It seems they were stumbling into crazy new aliens every week back then…"
Jack Ransom und Freeman

"Captain Freeman is your mom!"
"I don't… I don't know what you're talking about!"
"Oh come on, Mariner, the Captain's your mom, your dad's an admiral – you're basicly Starfleet royalty. I mean, how cool is that?!"
Bradward Boimler und Beckett Mariner

"I'm only hard on you when you make me hard! I mean, I'm.. I'm not hard right now, I mean I could get hard, if I wanted to, but I'm not hard right now… I'm so sorry, you're bot great!"
Ransom

"Hey, Mariner! I'm Lieutenant Levy, we went on a date last year, I don't know if you recall…"
"Yeah, Steve, I remember. You said Wolf 359 was an inside job…"
"Hahaha – it totally was!"
Mariner und Levy

"This ist he best day of my life!"
Shaxs

"Oh no, it's another Enterprise!"
Pakled-Captain

"Mariner! This makes us even…"
William T. Riker

"No! I hate it when a ship get's repaired and comes out looking all 'Souvereign class'…"
Freeman

"Do you remember me at all?"
"Well, no. But don't take it personally – I don't remember what I don't remember!"
"You know what this means, right? We get to become best friends all over again!!"

"Yeah, well that's Starfleet - good at observing and bad at maintaining."
Mariner


Weiterführende Leseliste.

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu  "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"

Freitag, 11. Dezember 2020

Turons Senf zu "Crisis Point" [LD, S1Nr09]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Crisis Point", die neunte Folge der ersten Staffel von "Star Trek: Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und andere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
Gibt es bei Star Trek wirklich denkwürdige Bösewichte?
Khan Noonien Singh würde mir einfallen, auch wenn er bei Lichte besehen so eindimensional war wie seine Fähigkeiten im Bereich der Weltraumtaktik.
Oder die Borgkönigin, deren Spezies allerdings beängstigender wirkte, als sie noch einzig und allein damit drohte, trotz Führungslosigkeit jegliche Individualität aus ihren Opfern zu assimilieren.
Positiver sieht es mit verschlagenen Cardassianern wie Elim Garak, Gul Dukat oder Seska aus, denen es im Verlauf mehrerer Episoden gelang, sich zu ernstzunehmenden Widersachern emporzuschwingen und dennoch nie wirklich schwarz-weiß erschienen, sondern stets Zwischentöne erkennen zu lassen.
Dieser Umstand zeigt vor allem einen Widerspruch zwischen Serien und Filmen auf, denn andere Fieslinge wie Kruge, Shinzon oder Krall hatten in neunzig bis hundertzwanzig Minuten Laufzeit schlichtweg nie den minimal nötigen Raum erhalten, um sich mit sonderlich viel erzählerischer Tiefe zu profilieren.
Im Großen und Ganzen hat es aber den Eindruck, als würden der Franchise glaubwürdige Gegner noch immer fehlen (zumal "Star Trek: Discovery" diesem Missstand mit dem Spiegeluniversums-Lorca, dem von Control assimilierten Leland oder der blassen Smaragdketten-Trägerin Osyraa bislang noch nichts Fruchtbringendes entgegensetzen konnte) und es drängt sich schon die Frage auf:
Kann Star Trek keine Bösewichte?


Story.
Es ist zum Mäusemelken! So sehr Beckett Mariner es auch versucht – sie schafft es einfach nicht, den Anforderungen und Erwartungen ihrer Mutter und Vorgesetzten Captain Carol Freeman gerecht zu werden. Ständig findet diese das Haar in der Suppe, zählt ihrer Tochter Erbsen vor und sieht den Wald von lauter Bäumen nicht. Als sie Mariner nach einer gescheiterten Mission gar mit einer Therapie beim Counselor straft, bringt sie das randvoll gefüllte Fass endgültig zum Überlaufen.
Nachdem aber ihr Freund und Kollege Bradward Boimler ein Holoprogramm startet, um sich durch die Simulation der gesamten Besatzung der USS Cerritos einen Vorteil beim anstehenden Personalgespräch zu verschaffen, übernimmt sie kurzerhand die Geschicke des Programms, um ihre Wut gegenüber ihrem Captain Luft zu verschaffen. Doch das vermeintlich unterhaltsame Holodeckabenteuer läuft gleich in mehrfacher Hinsicht völlig aus dem Ruder…


Lobenswerter Aspekt.

Kanonfutter.
Wenn es eines letzten Beweises bedurft hätte, dass dieser Serie nichts heilig ist, dann würde man in der neunten Folge "Lower Decks" den ultimativen Beweis finden, denn Mike Mahans Mannen wagt es, einen ganz besonders großen Brocken auf die Schippe zu nehmen: "Crisis Point" parodiert die Star-Trek-Kinofilme!
Damit das auch vernünftig über die Bühne gehen kann, hat man sich sogar extra ein wenig mehr Zeit als üblich genommen, nämlich fünfundzwanzigeinhalb Minuten - statt der üblicherweise zweiundzwanzig! Und doch hat man am Ende keineswegs das Gefühl, dass ein zentrales Thema ausgelassen wurde, denn sie nimmt sich ausgiebig Zeit für einen stilvollen Vor- sowie Abspann, bietet Lens Flares satt und hat sogar an Formatwechsel gedacht, die pompöse Kinofilme lumpigen Einzelfolgen voraushaben. Ein Sonderlob hat sich an dieser Stelle allerdings die zielsicherere musikalische Untermalung verdient, die die außerordentlichen Fähigkeiten der Serien-Komponisten Chris Westlakes unterstreicht und rechtfertigen würde, dass mehr als nur ein Krankenpfleger seinen Namen trägt.
Daneben nimmt die Folge gekonnt den Schreibprozess, die innere Logik, den typischen Aufbau, Leute die sich den Vorspann aufmerksam ansehen, die touristische Schuttleanflüge auf perfekt ausgeleuchtete Sternenflottenschiffe, brandneue Warpeffekte, das sinnfreie Opfern eines Statisten, eine Crashlandung auf der Planetenoberfläche oder die logikfremden Pauschallösungen in Filmen ins Visier und schafft es auf recht pointierte Weise, gleichzeitig Persiflage und Hommage in einem zu sein.
Natürlich bleibt bei einem solchen Leckerbissen auch der offizielle Kanon nicht auf der Strecke. Im Gegenteil; habe ich in der letzten Woche noch "Veritas" zur Folge mit den meisten Referenzen gekrönt, muss diese Auszeichnung für die Folgen von "Lower Decks" mittlerweile als Wanderpokal geführt werden, denn die Autoren schaffen es – nicht zuletzt weil das Thema der Kinofilme so viele Möglichkeiten bietet – die Vorlage der Vorwochen noch zu überbieten.
So sehen wir (zusätzlich zu den bereits genannten spezifischen Film-Anspielungen) einen Argo-Jeep, Leonardo da Vinci, nostalgische Star-Trek-Fonts, Rutherford und Billups beim Teilen eines Janeway/ Torres-Moments, den Kopf eines Borgs, einen bajoranischen Ohrring in Großaufnahme oder Holodecksicherheitsprotokolle in Action.
Zu hören gibt es hingegen von der obersten Direktive, der Stimme des Schiffscomputers, Shakespeare-zitierenden Bösewichtern, den Pah-Geistern, von Bajor, den Orion-Piraten, den Befehl "Alterieren" oder von Toby dem Targ.
Dass außerdem mit Doktor Migleemo die erste Vogelspezies seit TAS zu sehen ist, dürfte wohl ebenfalls kein Zufall sein, sondern zu den bewusst gestreuten Referenzen auf den Trickfilmvorgänger gezählt werden. Sogar auf die nie verwirklichte Star-Trek-Serie "Phase II" (aus deren Entwürfen der erste Star-Trek-Kinofilm zusammengeschustert wurde) wird mit der Beschreibung Xons angespielt.
Dreh- und Angelpunkt der Episode ist jedoch der gewiefte Umgang mit dem erklärten "Bösewicht der Woche", denn auch wenn Beckett Mariner für das farbenfrohe Holodeckabenteuer in die Haut eines klischeebehafteten Widersachers in der Tradition von Khan Noonien Singh, Ru'afo oder Nero schlüpft, ist der große Feind, dem sie sich letzten Endes stellen muss, sie selbst. Das ist nicht nur eine Idee in bester Tradition Star Treks, sondern spielt auch mit einem Thema, das im Zusammenhang mit Doppelgängern bereits in Folgen und Filmen wie "Kirk:2=?", "Die Zukunft schweigt" oder "Star Trek Nemesis" angeklungen ist.
Schließlich wird auch Mariners dunkles Geheimnis die Tochter Carol Freemans zu sein, endlich gelüftet und man kann zu Recht gespannt darauf sein, wie diese Enthüllung im Staffelfinale wieder aufgegriffen wird…


Kritikwürdiger Aspekt.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Natürlich könnte man sich fragen, wie Beckett Mariner als popeliger Fähnrich die Selbstzerstörungssequenz der USS Cerritos auslösen konnte, aber genauso gut könnte man die Frage Andy Billups an Samanthan Rutherford aufgreifen, wie es ihm gelingen konnte, alle Besatzungsmitglieder des Schiffes aus der Gefahrenzone zu beamen – "Crisis Point" spielt explizit mit den Logiklöchern in Filmen und ist daher auch über sämtliche Kanon-Kritik erhaben - zumal im Notfall die Verantwortung auf den Rahmen eines holografischen (und deshalb wenig wirklichkeitsnahen) Fantasieprodukts geschoben werden kann.
Andererseits kann die Folge aber auch den Malus abschütteln, allein auf das Holodeckabenteuer reduziert zu werden, denn die Enthüllung über das verwandtschaftliche Verhältnis Beckett Mariners zum Captain der Cerritos hält die Folge auch auf Kurs mit dem Rest der Staffel.
Der Rest ist Meckern auf hohem Niveau. Tatsächlich empfinde ich persönlich es ähnlich wie D'Vana Tendi, der die gewalttätigen Eskapaden Beckett Mariners auf dem Holodeck zu sehr ausarten. Am Ende geht diese Zuspitzung zulasten der Möglichkeit, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren, denn wenn es schon Fantasien gibt, die man auf dem Holodeck ausleben sollte, so halte ich es nach den Ereignissen dieser Episode sogar noch mehr wie Reginald Endicott Barclay und seinem vergleichsweise harmlos ausgelebten therapeutischen Ansatz.
Alles in allem wirkt die Folge aber trotz der Brücke, die durch die Enthüllung der familiären Bande zwischen Mariner und Freeman geschlagen wird, nicht wie ein organischer Bestandteil der Staffel, sondern eher wie eine knallbunte Sonderepisode im Stile von "Immer die Last mit den Tribbles", "Tuvoks Flashback" oder "Dies sind die Abenteuer", in deren Rahmen sich die Autoren einmal so richtig austoben durften. Das hat sicher seinen ganz eigenen Reiz, wirkt aber bei einem Staffelumfang von nur zehn Episoden (mit jeweils knapp zwanzig Minuten Laufzeit) etwas verfrüht.


Fazit.
Die vorletzte Folge von "Lower Decks" überrascht mit einem erstaunlich offenen Bezug auf die Star-Trek-Kinofilme, die in ihrer Gesamtheit auf liebenswerte, aber keineswegs zurückhaltende Weise durch den Kakao gezogen werden. Zudem begeht die Episode nicht den Fehler, sich in einem Klischeebild eines Bösewichts zu verlieren und spitzt die Handlung kurz vor dem Staffelfinale noch einmal merklich zu.
Dabei gibt es nicht viel zu meckern. Zwar sind die Holodecktherapiestunden Mariners in ihrer Gewaltdarstellung recht drastisch und der Charakter der Folge etwas losgelöst vom Rest der Staffel, aber das vermag der Magie dieses ganz besonderen Abenteuers kaum zu schmälern.

Bewertung.
Ein Muss für jeden Kinofilm-Fan!





Schluss.
In meinen Augen liegt der Clou vieler Star-Trek-Folgen darin, es gar nicht nötig zu haben, einen Bösewicht als Kontrapunkt derHandlung etablieren zu müssen. Preisgekrönte und allseits beliebte Folgen wie "Griff in die Geschichte", "Das zweite Leben" und "Im fahlen Mondlicht" kommen völlig ohne einen zentralen Widersacher aus, ohne gleich an Qualität einzubüßen. Es ist schlichtweg ein Qualitätsmerkmal der Franchise, über das simplifizierende Bild von Gut und Böse hinauszudenken und Spannung durch andere erzählerische Mittel zu erzeugen.
Was aber nicht bedeutet, dass gut geschriebene Antagonisten keinen Platz in Star-Trek-Folgen und -Filmen hätten! Immerhin existierten beide Varianten spätestens seit TNG, DS9 oder Voyager zeitgleich einträchtig nebeneinander. Mittlerweile gibt es gar neun Star-Trek-Serien (Tendenz steigend) und dreizehn Kinofilme (Tendenz unsicher) und somit sogar noch mehr Platz für beide Ansätze.
Dennoch fällt auf, dass der Trend eher zum "Schurken im Schrank" geht: Die letzten sechs Kinofilme haben diese Erzählform bedient und auch die Star-Trek-Serien der dritten Welle beweisen mit Figuren wie Gabriel Lorca, Narissa Rizzo oder Osyraa, wie sehr dieses Prinzip noch immer eine stoische Anwendung findet – wenn auch oft mit schwachen Ergebnissen.
In Zeiten wie diesen sollte man au0ergewöhnliche Episoden wie diese daher umso mehr genießen, denn sie beschreiten einen Weg, der abseits des Story-Mainstreams liegt, denn sie sind eher selten geworden.
So gesehen ist es sicherlich positiv zu hören, dass der "Lower Decks"-Erfinder Mike McMahan in die Riege der Hoffnungsträger innerhalb der Franchise aufgerückt ist, denn das gibt auch berechtigten Anlass zu Hoffnung, dass wir in Zukunft auch wieder mehr erzählerische Vielfalt genießen können. Ob aber sich ein einziger Mann gegen einen so mächtigen Trend stemmen kann, bleibt jedoch abzuwarten…   


Denkwürdige Zitate.

"The lizard men will no longer be subject to rat opression!"
"Nah, they're not opressed! We raise them as food, they – they like it!"
"Well, we are delicious…"
Beckett Mariner, der Rattenkönig und ein Echsenmann

"No! It's the eighties, dude, we don't have psychiatric problems!"
Mariner

"If this was actually happening, they'd sent the Enterprise, but – you know – artistic licence…"
Bradward Boimler

"Time to take this puppy off its leash! Warp me!"
Captain Carol Freeman

"Andy Billups! You think you're the best engineer in the fleet… Well, I've wanted to say something to you for a long time. You are the best engineer in the fleet!"
Samanthan Rutherford

"Stop referencing foods!"
Freeman

"Not-a today! Not on daVincis watch!"
Leonardo daVinci


Weiterführende Leseliste.

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu  "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Turons Senf zu "Veritas" [LD, S1Nr08]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Veritas", die achte Folge der ersten Staffel von "Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
Auch wenn "Star Trek: Discovery" von mir zuweilen keine allzu guten Noten erhält, gibt es trotzdem lediglich eine Star-Trek-Serie, die ich mir nur sehr ungern ansehe. Erstaunlicherweise ist die Rede von der ersten Trickfilmserie TAS, deren misslungene Gratwanderung zwischen Kinderunterhaltung und Erwachsenenpublikum mir bis heute den Zugang erschwert. Dass die Serie zudem von einem farbenblinden Regisseur betreut wurde, in einer erschreckenden Traditionslinie zur animierten He-Man-Serie steht und von lauter kleinen Animations-Fehlern durchzogen wird, trägt ferner zu der Entfremdung bei.
So gesehen empfinde ich "Star Trek: Lower Decks" regelrecht als Wohltat, denn nicht nur, dass die Serie inhaltlich eine klare Linie fährt; sie fällt auch handwerklich solide aus. Darüber hinaus strotzt sie nur vor Kanon-Referenzen, die insbesondere alten Star-Trek-Hasen wie mir in die Hände und Lachmuskeln spielt.
Doch immer wieder treffe ich auf Leute, die mit der Serie überhaupt nichts anzufangen wissen. Zu quietschig, zu überdreht und zu rasant scheint ihnen, was für mich als Meisterwerk gilt.
Warum aber wirkt die Kluft zwischen den beiden Positionen derart unüberwindbar?


Story.
D'Vana Tendi, Beckett Mariner, Samanthan Rutherford und Bradward Boimler finden sich plötzlich vor einem außerirdischen Gericht wieder, vor dem sie Rede und Antwort über die Aktivitäten ihrer Führungsoffiziere innerhalb der letzten Wochen geben müssen. Es entspinnt sich eine verschachtelte Geschichte um zwei verdeckte Operationen, die dazu dienen, ein mysteriöses Paket aus den Händen der Romulaner zu entreißen. Jeder einzelne der vier Zeugen erlaubt durch seine Berichte, dass sich das Rätsel Stück für Stück zusammensetzt, doch am Ende des ereignisreichen Tages ist dieser Schauprozess nicht das, was die ahnungslosen Junioroffiziere erwartet haben…


Lobenswerter Aspekt.

Kanonfutter.
Auf die Gefahr hin es schon zuvor behauptet zu haben:  Diese Episode bildet den absoluten Höhepunkt an Star-Trek-Referenzen innerhalb einer einzigen Folge. Eine bis dato noch nie erlebte Dichte von Querbezügen zieht sich nicht wie ein roter Faden, sondern eher wie das essentielle Gewebe durch die gesamten zweiundzwanzig Minuten Laufzeit.
So hört der geneigte Zuhörer von einem Töpferkurs wie in "Der Komet", vom klingonischen Rechtssystem, Roga Danar, Khan und seiner Plastikbrust, "Space Seed", einem Seitenhieb auf Picards Weingut und Siskos Restaurant, stellarer Kartografie, ein an den "Lebensformen"-Song angelehntes Lied, vom vulkanischer Nervengriff, Mark Twain mit einer Pistole, einem gefährlichen Müllbeutel hinter Tasha Yar, den Borg, Remanern, Beverly Crushers schottischem Geist aus der Wunderlampe, einem "Standgericht" oder der USS Enterprise.
Der geneigte Zuschauer hingegen erhält die Gelegenheit, Star Treks bekannteste Felsformation zu bewundern, Einstellungen aus dem sechsten Kinofilm wiederzuerkennen, Captain Freeman wie Spock im elften Kinofilm beamen zu sehen, die Karte der Neutralen Zone aus dem romulanischen Senat in "Star Trek Nemesis" zu entdecken, ein Wiedersehen mit Spocks minimalistische 'Verkleidung' aus dem vierten Kinofilm zu feiern, sein Shuttle aus dem ersten Kinofilm zu bemerken, einem Fallschirmsprung wie aus dem elften Kinofilm beizuwohnen, ein Ferengi-Shuttle zu betrachten, ein Jem-Hadar-Kampfschiff auszumachen, ein klingonisches Schiff der K't'inga-Klasse zu erahnen, eine Workbee zu erkennen, einen romulanischen Bird-of-Prey in Aktion zu erleben, die T'Plana-Hath zu sichten, ein tholianisches Schiff zu finden, einen Fächertanz wie aus dem fünften Kinofilm zu bewundern, einer Gorn-Hochzeit mit einem an Vaal angelehnten Altar beizuwohnen, ein kryogenes Paket wie in "Das Gesicht des Feindes" geliefert zu bekommen, bis zu vier D'deridex Warbirds zu begegnen, die Schönheit Romulus' zu bestaunen, das romulanischen Senatsgebäude zu besichtigen oder einen echten Salzvampir zu enttarnen.
Als wäre das nicht schon bereits genug, gibt es mit dem Hinweis auf den Riesen-Spock auf Phylos auch noch die obligatorische Anlehnung an den Trickfilmvorgänger dieser Serie.
Es empfiehlt sich wahrlich nicht zu blinzeln oder gar, sich während der Folge zu unterhalten, denn die massive Ballung an In-Jokes, Referenzen und visuellen Bezügen folgt so schnell aufeinander, dass man sich die Folge getrost mehrfach hintereinander anschauen kann und doch noch immer etwas neues entdeckt. Zusammen mit dem munteren Schlagabtausch, den die viergeteilte Handlung bestimmt, wird man abermals Zeuge einer rasanten, aber äußerst unterhaltsamen Folge.
Zumal sich die Serie dadurch auszeichnet, den Charakteren leichte Blicke über den Tellerrand hinaus zu gewähren: So beschwert sich Mariner nicht ganz zu Unrecht darüber, dass aller internen Logik zum Trotz in ihrem Wassertank neben todbringenden Aalen auch noch Heizelemente installiert sind, die das Wasser zum Kochen bringen. T'Ana hingegen muss am eigenen Leib erfahren, wie ähnlich die verschiedenen Sternenflottenschiffen äußerlich und innerlich scheinen. Und die reguläre Nutzungsdauer eines Eventsilos aus K'Tuevon Prime dauert mit zweiundzwanzig Minuten zufällig genauso lange, wie eine handelsübliche Folge von "Lower Decks".
Dass man sich schließlich die Mühe gemacht hat, auch noch den Monolith aus "2001 – Odyssee im Weltraum" ins vulkanischen Raumfahrtmuseum zu stellen, sollte an dieser Stelle ebenfalls Erwähnung finden, zumal ein ähnliches Objekt dieser Tage auch durch die Weltgeschichte geistert.
Den größten Höhepunkt aber markieren dieses Mal die Schauspieler, die in dieser Serie einen akustischen Gastauftritt absolvieren.
Kenneth Mitchell zum Beispiel, der nach Auftritten als Kol, Kol-Sha und Tenavik in "Star Trek: Discovery" nun gleich drei kleinere Nebenrollen in dieser Folge einspricht und damit seinen Status als Maskottchen der dritten Star-Trek-Welle untermauert.
Auch Kurtwood Smith ist keineswegs ein Unbekannter für langjährige Star-Trek-Fans, denn der Schauspieler, der hier dem ''Chefankläger' Clar die Stimme leiht, hat sich als Föderationspräsident im sechsten Kinofilm, als Thrax (dem Vorgänger Odos als Sicherheitschef auf Terok Nor) und natürlich Annorax ins kollektive Gedächtnis der Franchise gespielt.
Ohne diesen beiden ihre Verdienste abstreitig machen zu wollen trägt der denkwürdigste Gaststar allerdings den Namen John de Lancie. Sein gewohnt anarchistisch-unterhaltsamer Charakter Q macht hiermit ganz offiziell seinen dreizehnten Auftritt in seiner vierten Star-Trek-Serie perfekt. Der hat zwar kaum einen Einfluss auf die Handlung, weckt aber Erinnerungen an die besten Episoden des omnipotenten Tunichtguts, ohne dass seiner Anwesenheit der Verdacht des Fanservices allzu offensichtlich ins Gesicht geschrieben stehen würde.


Kritikwürdiger Aspekt
.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Es lohnt sich kaum, auf kleinere Unstimmigkeiten wie Rutherfords Fähigkeit, vulkanische Nervengriffe durchzuführen eingehen, denn tatsächlich lässt sich im Sinne der Erzählweise argumentieren, dass diese vernachlässigungswürdige Ausführung besonders im Hinblick auf seinen technisch bedingten Gedächtnisverlust erstaunlich gut ins Konzept passt (und von prominenten nicht-vulkanischen Vorgängern wie Data, Jean-Luc Picard, Seven of Nine oder Michael Burnham ohnehin bereits durchgeführt wurde). Weitere Zweifel an der internen Logik der Folge werden gegen Ende zudem unter dem Vorwand der Geheimhaltung geschickt überspielt.
Daher stellt tatsächlich der Umstand, dass die gesamten Handlung nur das Setting für eine Brückenoffiziers-Party gewesen sein soll, ein weiteres Mal lebhaft die Gefahr des Cartoon-Effekts unter Beweis. Denn schließlich führte man die vier Unterdeck-Offiziere genauso wie den Zuschauer an der Nase herum, weswegen die Auflösung am Ende auch ein wenig an die berühmt-berüchtigte Traum-Staffel bei "Dallas" erinnert. Gerade im Hinblick auf alle anderen sorgsam inszenierten Feinheiten und Kniffe wirkt diese Entwicklung eher kontraproduktiv auf den Gesamteindruck.




Fazit.
"Veritas" glänzt als die bis dato Referenz-reichste "Lower Decks"-Episode, die in einer wilden Achterbahnfahrt grandiose Unterhaltung bietet. Neben einigen Bemerkungen auf der Meta-Ebene glänzt die Folge vor allem durch die hochkarätigen Gastschauspieler, die denkwürdige Auftritte absolvieren.
Geschmälert wird das Endergebnis allein durch die etwas bemühte Auflösung, die in einem zu starken Kontrast zum ansonsten raffinierten Inhalt steht.

Bewertung.
Zwischen Genie und Wahnsinn.







Schluss.
Zeichentrickserien haben sich seit den siebziger Jahren, als die Star-Trek-Zeichentrickserie TAS noch ein branchenübliches Produkt war, massiv weiterentwickelt. Spätestens mit den "Simpsons" hat sich ein neues Subgenre innerhalb dieser eigentlich für Kinder angedachten Fernsehunterhaltungsnische entwickelt, dass sich an ein erwachsenes Publikum richtet. Es spielt mit wenig kindgerechten Themen, steckt voller Anspielungen für eine reifere Zuschauerschaft und lebt von der Überspitzung seiner Charaktere.
Wer seit den "Simpsons" offen für dieses Konzept geblieben ist, wird in anderen Serien wie "Family Guy", "South Park" oder "Rick and Morty" eine Weiterentwicklung dieser Idee finden, deren zentrale Grundzüge jedoch auch in "Lower Decks" bewahrt bleiben.    
Neu an der zweiten animierten Star-Trek-Serie ist eher die Idee, den reichhaltigen Kanon der Franchise als Bühne zu nutzen und nicht nur in humoristischer Weise traditionelle Themen zu behandeln, sondern das auch noch mit den vielen Informationen zu unterfüttern, die die Franchise bislang angehäuft hat.
So gesehen ist TAS für "Lower Decks" schon irgendwo das, was die Originalserie für TNG war, nur dass die 'nächste Trickfilmgeneration' sich mehr als jede andere Star-Trek-Serie den aktuellen Sehgewohnheiten einer stark veränderten Welt anpassen musste. Dass viele Fans aber nichts mit Zeichentrick im Allgemeinen und den neueren Entwicklungen im Speziellen anzufangen wissen, liegt in der Natur der Dinge.
"Lower Decks" wird es daher – selbst wenn es in Deutschland irgendwann einmal erscheinen sollte – noch schwieriger haben, als andere 'moderne' Star-Trek-Serien wie "Discovery" oder "Picard", denn der Einstieg wird nicht jedem leichtfallen. Wem etwa die inhaltlichen Nuancen nicht bewusst sind, die dieses Genre seit den "Simpsons" durchlebt hat, wer eine animierte Fortsetzung von TNG erwartet oder mit der Überzeichnung von Charakteren nicht vertraut ist, wird an diesen Folgen nicht den gleichen Spaß haben.
Und doch streckt die noch junge Serie hoffnungsvoll ihre Hand aus. Sie beruft sich in beinahe jeder Episode wenigstens beiläufig auf ihr geistiges Vorbild TAS, wirft mit Insider-Wissen für die elitären Star-Trek-Fans um sich und ist sich auch nicht zu fein, Missstände mit einem Augenzwinkern offenzulegen. Das ist etwas revolutionäres, das sein Animations-Ahne aufgrund des damals weniger reichhaltigen Kanons weder leisten wollte, noch leisten konnte. "Lower Decks" ist am Puls seiner Zeit und sollte spätenstens dann eine Chance erhalten, wenn die Serie auch auf deutsch verfügbar ist.
Früher oder später.
Wahrscheinlich später.


Denkwürdige Zitate.

"You will speak only into the Horn of Candor! With this horn, one of our most sacred horns, you must only speak--- the truth!"
"Happy to be here!"
Clar und Samanthan Rutherford

"Dance boy, dance!"
Shaxs

"Updating klingon fonts!"
"What!? Wait, why do I even need that?!"
Rutherfords Implantate und Rutherford

"Are you that stubborn, that you risk death by eels?"
"Yes, that's correct!"
"Then continue…"
D'Vana Tendi und Clar

"Apologizing to the enemy? That's cold, cleaner…"
Jack Ransom

"We're Lower Decks. No one ever tells us what's going on. We're not important enough to have anything to lie to you about."
Bradward Boimler

"Ts, what's that about?"
"Eh, I don't know, man, something dumb."
Boimler und Mariner

"Get out of here, Q! No, we are done with random stuff for today! We're not dealing with any of your Q bullshit!"
"Oh sil-vous-plait, Mariner, I want to put humanity tot he ultimate test!"
"I'm not french! No, go find Picard!"
"Oh Picard! He's no fun! He's always quoting Shakespeare! He's always making wine…"
Mariner und Q


Weiterführende Leseliste.

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu  "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"