Samstag, 24. Oktober 2020

Turon Senf zu "Fern der Heimat" [DIS, S3Nr02]



Spoilerwarnung.
Dieser Artikel enthält massive Spoiler zu "Fern der Heimat", der zweiten Folge der dritten Staffel "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und andere Folgen bereits gesehen hat.


Einleitung.
Der Ton innerhalb der Franchise ist rau geworden und allenthalben lassen sich hitzige Auseinandersetzungen über die neueren Serien in Foren, auf Facebookseiten und kleineren Blogs finden.
Dabei hat jede einzelne Star-Trek-Serie ihre ganz eigenen Pluspunkte. In "Star Trek: Discovery" schätze ich persönlich zum Beispiel die Besatzung des Schiffes und die großartigen Schauspieler, die sie verkörpern. Wer einmal Mary Wiseman getroffen hat, der weiß, was für eine positive Energie auch im wahren Leben von ihr ausgeht. Sonequa Martin-Green ist eine lebensfrohe, freundliche Frau, die sich für Fans Zeit nimmt. Und wer bereits von Doug Jones für ein Foto fest umschlungen wurde, der weiß, wie sehr ihm Star Trek und sein Fantum gleichermaßen am Herzen liegen. Auch für andere Schauspieler denen ich auf Conventions begegnen durfte wie Jason Isaacs, Anthony Rapp oder Wilson Cruz lässt sich durchweg nur Positives berichten.
Sogar optisch gibt es einige Aspekte, die ich absolut gelungen finde. Die Kostümschneider, Designer und Maskenbildner der Serie etwa haben von den verschiedenen Sternenflottenuniformen, über die zeremoniellen klingonischen Rüstungen bis hin zu den Alien-Makeups bislang unbekannter Spezies (z.B. Kelpianer, die Cancri oder Osnullus) einige Ausrufezeichen setzen können.
Oder die serielle, staffelspezifische Erzählweise, die durchaus eine Menge erzählerisches Potential zu bieten hat und in dieser Konsequenz in diesem Science-Fiction-Universum bislang noch nicht zu sehen war. Innerhalb von bislang zwei Seasons konnte man bei mehreren der Charaktere einer Achterbahnfahrt gleich das emotionale Auf und Ab mitverfolgen, bis einem vom Zuschauen ganz schwindlig wurde.
Es gibt also eine ganze Reihe guter Gründe, sich Freitagmorgen gemeinschaftlich zum Frühstück zu treffen und Netflix einzuschalten. Doch die Frage bleibt:
Ist die andauernde Kritik an "Discovery" gerechtfertigt oder nur Ausdruck eines wachsendes Hasses zunehmend konservativer Star-Trek-Anhänger?


Story.
Die USS Discovery stürzt in freiem Fall auf einen namenlosen Planeten nieder und kommt zu einer unsanften Landung, die den unverletzten Teilen der Crew einiges an schwerwiegenden Reparaturen abverlangt. Diverse Komponenten lassen sich jedoch nicht ohne weiteres flicken, weswegen der amtierende Captain Saru zusammen mit Fähnrich Sylvia Tilly zu einer nahe gelegenen Bergbaukolonie aufbricht, um mit den dortigen Bewohnern Rohstoffe zu tauschen. Bruchstückhaft können sie sich zusammenreimen, was Burnham und die Zuschauer in der letzten Episode bereits erfahren konnten und tatsächlich gelingt es ihnen sogar, das Vertrauen der anfangs skeptischen Eingeborenen zu erringen. Als jedoch der ruchlose Erzbösewicht Zareh auftaucht, zeigt sich, dass in dieser Zukunft ein ungleich aggressiverer Ton herrscht und die Erinnerung an die Föderation entweder mythisch verklärt oder absichtlich verdrängt wurde. Aber sowohl Saru als auch Tilly sind gewillt, den guten Ruf der Weltraum-Union wiederherzustellen und sie erhalten Gelegenheit von einer Person, die sich in dieser Epoche sichtlich wohl fühlt…


Lobenswerte Aspekte.

Aufbruch ins Unbekannte.
Olatunde Osunsanmi untermauert sein in "Discovery" bereits mehrfach unter Beweis gestelltes Regiegeschick abermals durch schöne Kamerafahrten und Einstellungen, die ihresgleichen suchen. Gepaart mit den noch immer atemberaubenden Aufnahmen der beeindruckenden isländischen Wildnis bleibt auch diese Folge ein optischer Hochgenuss. Allerdings wirkt der identische Drehort am Ende auch, als wäre die USS Discovery auf dem selben Planeten (Hima) abgestürzt wie Burnham ein Jahr zuvor. Das ist ein wenig schade, denn es hätte sicherlich auch im kühlen Kanada karge, fremd anmutende Landschaften in Polarkreisnähe gegeben und in den Vororten des für amerikanische Verhältnisse nahe gelegen Detroits hätte eine gescheiterte, in Ruinen liegende Industriesiedlung gar eine viel glaubwürdigere Inszenierung gefunden.
Doch selbst wenn es Parallelen in Regisseur und Drehort gibt, ist "Fern der Heimat" doch kein zweiter Teil im klassischen Sinne, vor allem, weil es sich um einen völlig eigenständigen Plot und eine ebenso eigenständige Entwicklungen handelt, die erst in den Schlusssekunden mit den Geschehnissen der vorangegangenen Folge in eine lose Verbindung gebracht wird. Dass sich die Wege Burnhams und der Discovery so zügig wieder kreuzen ist in diesem Zusammenhang sogar fast ein bisschen schade, denn eine länger andauernde Suche der beiden Parteien in einer unsicheren Zukunft voller Gefahren hätte durchaus ihren ganz eigenen Reiz gehabt.
Es bleibt dieser Episode maßgeblich zugutezuhalten, dass sie weit weniger Dystopie-geladen wirkt, als noch ihr unmittelbarer Vorgänger. Die generelle Marschrichtung wird an Bord der USS Discovery aber auch auf deutlich viel mehr Schultern getragen als zuvor von Burnham allein: Es geht wohl an den kommenden Freitagen vermehrt darum, die gute alte Föderation und ihre freiheitlich-demokratischen Werte wiederherzustellen. Ein klarer Aufwärtstrend bleibt im Zuge dieser Einblicke trotz einiger Momente des leeren Pathos' (inhaltlich der Schlussszene von "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I" erschreckend ähnlich) durchgängig bemerkbar und es erweckt den Anschein, als hätte Christopher Pikes Dienstzeit auf der Discovery ihre tiefen Spuren hinterlassen und der traumatisierten Mannschaft einen Sternenflottengeist eingeimpft, den sich die Crew ganz offensichtlich beim Übergang in eine weit entfernte Zukunft bewahren konnte. Vor allem aber bleibt dieses Motiv nicht auf die letzten paar Sekunden vor dem Abspann beschränkt, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Folge.
Dem entgegen steht die Härte der gescheiterten Zukunft, die ihrerseits mit einer (hoffentlich ironischen und auf diese Episode begrenzten) Westernatmosphäre dagegenhält. Mit Schwingtüren, einem Saloon und klingenden Reitersporen grüßt sie keck in Richtung "Firefly", "Saber Rider" oder die Enterprise-Episode "Faustrecht" und sorgten dafür, dass sich die Lensflares mal etwas besser ins Gesamtbild einfügten als dies sonst der Fall ist.
Auch mit dem Konzept der programmierbaren Materie, die hier erstmals beim Namen genannt wird, wird endgültig der neue technische Standard etabliert, der diese Zukunft dominiert. Spätestens, wenn wir den Minenarbeitern beim fröhlichen Materiehäkeln zusehen, schwingt aufs Neue ein wenig Wehmut ob der verpassten Gelegenheit mit, ein wirklich innovatives Science-Fiction-Konzept für die neunhundert Jahre entfernte Zukunft zu entwerfen, aber in diesem vergleichsweise trüben Umfeld wirkt es immerhin weniger deplatziert.
Obwohl Osunsanmi die Folge (abgesehen von wenigen Abstrichen) gekonnt umsetzen konnte, heißt das noch lange nicht, dass die Folge ohne Längen oder kleinere Makel wäre. So wird der geneigte Zuschauer Zeuge des dramatischsten Öffnens eines Kommunikationskanals der Star-Trek-Geschichte, auch wenn den meisten aufmerksamen Fernseheulen wohl schon längst klar gewesen sein dürfte, dass Burnham geduldig am Ende der anderen Leitung wartet. Andere Momente wirkten hingegen zu überhastet, wie zum Beispiel die Rettung des Außenteams durch Georgiou, die in ihrer Vorhersehbarkeit Parallelen zum Auftritt Burnhams bot.
Schließlich bleibt der Vollständigkeit halber noch zu erwähnen, dass es sich abermals um eine recht ungehemmte Darstellung von Gewalt handelte. Die blutbefleckten Stiefel Georgious, die Fleischfetzen in der Sporenkammer und der Tod Kals fielen jedenfalls nur knapp oberhalb jener Gürtellinie, die mit Ichebs Tod in der Picard-Episode "Keine Gnade" unterschritten wurde.


Besetzung.
Nach einem Einzelabenteuer für Michael Burnham steht nun die Mannschaft der Discovery im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und gibt dabei besten Anlass zur Hoffnung, dass sie von nun an mehr als nur die bloße Kulisse für die Einblicke in das Leben ausgewählter Hauptfiguren bieten wird.
Allen voran ist der von Doug Jones verkörperte Saru zu nennen, der nach zwei Jahren endlich zum  Captain erwächst. Nahezu staatsmännisch und väterlich erscheint er im Umgang mit seiner Besatzung, den Minenarbeitern der 'Kolonie' und vor allem seinem Außenteam-Protegé Sylvia Tilly. Dass er auch selbst Faust anlegt, als es darum geht, die Ehre der Sternenflotte in einer Kneipenschlägerei zu verteidigen, verleiht der Figur zusätzliche Bandbreite.
Gleiches lässt sich über Mary Wiseman als Tilly sagen. Dieses Mal glückt nämlich die Gratwanderung zwischen Flapsigkeit und Albernheit einigermaßen (so schlittert sie im englischsprachigen Original nur knapp an einer F-Bombe vorbei) und im Verlaufe der Mission entpuppt sie sich tatsächlich als ausgezeichnete Wahl für die Mitgliedschaft in diesem elitären Außenteam - auch wenn sie sich bei der großen Prügelei hinter der Theke verstecken musste.
An Philippa Georgiou hingegen scheiden sich abermals die Geister. Michelle Yeohs Anwesenheit scheint hauptsächlich durch aufwändige Kampfchoreografien definiert zu werden, obwohl sie in einer derlei verrohten Umgebung sicherlich die Art von Ass im Ärmel darstellen dürfte, derer es zur Rettung der Föderation bedarf. Andererseits legen gleich mehrere ihrer Bemerkungen nahe, dass ihr Aufenthalt in dieser Zukunft zeitlich begrenzt sein dürfte und die kommende, aber noch immer titellose Sektion-31-Serie mit ihr in der Hauptrolle schon bald Realität werden dürfte. Dennoch wirkt sie nicht "zwischengeparkt", sondern rettet antithetisch zum Sternenflottengebaren den Tag.
Anthony Rapp lernt als Paul Stamets in bester Star-Trek-Manier den Wert von Selbstüberwindung zum Wohle vieler, bleibt aber als Ingenieur weit hinter den Erwartungen zurück. Hat er  als Ingenieur denn wirklich für die Öffnung eines Panels, der Entnahme eines kaputten Teils, dem Einsetzen eines Ersatzes und dessen Anschluss an das System die Anleitung Renos benötigt?
Immerhin stimmt die Chemie zwischen beiden.
Tig Notaro nimmt als Jett Reno die Rolle des Ersatz-Counselors an und auch, wenn ihre Methodik etwas fragwürdig ist, gibt ihr er Erfolg am Ende wohl recht. Allerdings scheint ihre spezielle Beziehung zu Stamets ein wenig zu Lasten Hugh Culbers zu gehen. Der hat nach seinen Wiederbelebungsschmerzen der vergangenen Staffel wieder zu sich selbst gefunden, aber es bleibt ein wenig das Gefühl zurück, dass Wilson Cruz im Vergleich zu Nataro etwas weniger im Fokus stand.
Die beste Nachricht für Rachael Ancheril bleibt, dass sie  durch Nennung im Vorspann endlich zu einem Teil der Hauptdarstellerriege aufsteigen konnte. In diesem Zusammenhang gilt jedoch zu hoffen, dass dadurch ein wenig mehr von ihr zu sehen sein wird als noch in dieser Episode. Ihr einzig nennenswerter Dialog mit Georgiou war jedenfalls mit einer nicht sonderlich vielschichtigen Motivation zum Verbleib an Bord der Discovery verbunden.


Zudem kann der Zuschauer ein Wiedersehen mit den vielen anderen Crewmitgliedern feiern, die man im Verlauf der Serie schätzen gelernt hat. Dabei ist auffällig, dass die Schauspieler von Figuren wie Rhys (Patrick Kwok-Choon), Bryce (Ronnie Rowe Jr.), Owasekun (Oyin Oladejo), Linus (David Benjamin Tomlinson), Nilsson (die erste Airiam-Darstellerin Sara Mitich), Dr. Pollard (Raven Dauda) und allen voran Detmer (Emily Coutts) mehr Text als in der gesamten Staffel zuvor auswendig lernen mussten. Mit dem Namen Keyla Detmers verbunden ist mit dieser Episode zudem eine mysteriöse Spätfolge des Absturzes, die in kommenden Folgen noch näher beleuchtet werden dürfte. Hoffen wir an dieser Stelle einmal, dass der laut David Mack gebürtigen Düsseldorferin ein ähnliches Schicksal wie ihrer verblichenen Kameradin Airiam erspart bleibt.
Abseits dieses Personenkreises gibt es noch einige Charaktere, die bestenfalls der Vollständigkeit Erwähnung finden sollten.
Der von Jonathan Koensgen verkörperte Coridaner Kal bleibt ein verklärtes Bauernopfer und auch sein von Lindsey Owen Pierre gespielter Kollege Os'ir wandelt sich ein wenig plötzlich vom Saulus zum Paulus.
Das alles ist aber nichts gegen Zareh, der einmal mehr unter Beweis stellt, wie wenig Bösewichte und Star Trek unter einen gemeinsamen Hut passen. Zwar gaben sich die Drehbuchautoren ein wenig Mühe, ihm Attribute wie Cleverness anzueignen, aber am Ende des Tages blieb er trotz der sichtlich engagierten Darstellung durch Jake Weber so flach und eindimensional, dass man sich echt fragen muss, wie er überhaupt die Macht auf dieser Welt an sich reißen konnte. Spätestens ab dem Moment, in dem er eine sexistische Bemerkung über Georgiou zum Besten gibt, scheint sein Schicksal besiegelt. Immerhin bleibt seine Rückkehr dank des Gnadenerlasses in bester Sternenflottentradition nicht ausgeschlossen, so dass er eventuell in zukünftigen Folgen diesen ersten Eindruck revidieren kann.
Den Schlussakkord dieser Folge beschert uns Michael Burnham, die zwar endlich nach einem Jahr wieder mit ihren Freunden vereint ist, aber deren Ankunft vor allem wegen ihrer Extensions in Erinnerung blieb (die sicherlich aus Materie programmiert wurden). Ansonsten erscheint ihr Auftritt in seinem Umfang eigentlich zu gering, um ihn zu bewerten. Dennoch sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, dass ihr Auftauchen auch ein Zeichen der Hoffnung ist: Es weckt dank der hier zur Schau gestellten Teamleistung nämlich Spannung darauf, was alle Mannschaftsmitglieder erst erreichen können, wenn sie zusammen arbeiten.


Kritikwürdiger Aspekt.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Bevor an dieser Stelle das große Schimpfen beginnt, gilt es zunächst einmal einige Punkte explizit zu loben.
Mit dem Gastauftritt von Coridanern wird nach Auftauchen eines Betelgeusianers in der vorherigen Folge eine weitere traditionsreiche Star-Trek-Spezies aus ihrem Schattendasein befreit. Wie in "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I" zuvor ist die Generalüberholung der Maske auch in diesem Fall überaus gelungen, zumal es im Bezug auf die auch als "Coridaniten" bekannten Wesen, die in  den Enterprise-Folgen "Im Schatten von P'Jem" und "Dämonen" recht unterschiedlich dargestellt wurden, einigen Klärungsbedarf gab.
Besondere Erwähnung muss an dieser Stelle auch das Zitieren der Sternenflottenvorschrift 256.15 finden (vgl. Denkwürdige Zitate), denn sie stammt im Original aus dem nie auf Deutsch erschienenen Star-Trek-Roman "Vulcan's Forge".
In anderen Bereichen bleibt die Grundidee zwar recht gut, wurde aber zu oft nicht konsequent zu Ende gedacht.
So ist die Kommunikation ein vergleichsweise unwichtiges System, auf das ein wenig zu viel Aufmerksamkeit gelegt wird. Schließlich wäre ein Besuch der 'Kolonie' auch noch mit Shuttle oder Transportern möglich und Renos Kommunikation mit Stamets über PADD und Drohne beweist, dass es alternative Kommunikationsmöglichkeiten gibt, die man so lange schiffsintern nutzen könnte.
Der Gedanke, dass zellulare Regeneration in der TOS-Ära fast einen eigenen Raum benötigt, während ein Geweberegenerator zu TNG-Zeiten bequem in eine Hand passt, ist gleichermaßen lobenswert, aber wenn man wenige Einstellungen später sieht, wie zur Beseitigung von Kadaverresten Schaufeln verwendet werden, obwohl selbst ein Phaser bessere Arbeit geleistet hätte, wirkt dieser Fortschritt ein wenig bemüht.
Auch die Idee, den Begriff "V'draysh" für die "Föderation" aus dem Short Trek "Calypso" zu übernehmen und ihn in eine Verbindung mit einer Pidgin-Sprache zu stellen ist schlichtweg genial. Schließlich wäre es extrem unglaubwürdig gewesen, wenn sich die Sprache in neunhundert Jahren und im Hinblick auf die Isolation nicht maßgeblich weiterentwickelt hätte. Aber dass eine so sehr mit dem eigenen Vokabular verwandte Variation vom Universalübersetzer scheinbar nicht erkannt wird, straft die Bezeichnung des Gerätes lügen (obwohl man mit viel Augenzudrücken natürlich auch behaupten kann, dass das System mit dem Ausfall der Kommunikation ebenfalls nicht mehr funktionierte).


Ebenso schön ist im Grunde, dass Rubindium in einen schlüssigen Kontext zur Wahl des zentralen Rohstoffes dieser Folge gemacht wurde, denn das bereits bei TOS etablierte Material stand schon damals mit der Kommunikation in Verbindung. Aber der Transtator, in dem das Element (zu welchem Zweck auch immer) verbaut ist, zählt zu den typischen Teilen, die ein gut sortiertes Ersatzteillager eines jeden Sternenflottenschiffes in mehrfacher Ausführung vorrätig haben sollte - vor allem, wenn es so leicht beschädigt werden kann.
In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der Absturz der Discovery auf der vereisten Oberfläche, der in seiner Gestalt an den siebenten Kinofilm und - noch ein wenig mehr - an die Voyager-Episode "Temporale Paradoxie" erinnert. Im Gegensatz zu Discovery zeichnete die anderen beiden Fälle allerdings aus, dass es zu stärkeren Beschädigungen kam, denn es mutet zumindest etwas verwunderlich an, dass die Discovery diese Bruchlandung so glimpflich überstehen konnte, während ihre modernen Geschwister nicht mehr aus eigener Kraft starten konnten. Am peinlichsten blieb hinsichtlich dieses Ereignisses allerdings, dass im Anschluss sämtliche Brückenoffiziere wie ältere deutsche Passagiere eines Ryan-Air-Mallorca-Fluges nach dessen erfolgreichen Landung fröhlich Beifall klatschten.
Daneben gab es schließlich auch ein paar erzählerische Abkürzungen, die einfach überhaupt keinen Sinn ergeben.
So bemüht der erschreckend harmlose Absturz auch war; der Umstand, dass die Discovery zuvor durch einen derart großen Gesteinsbrocken hindurchfliegt als wäre es Zuckerglas, wäre schon bei voller Schildstärke absolut unsinnig gewesen.
Zudem propagiert man schon wieder die haltlose Behauptung, dass Dilithium ein exklusiver Bestandteil von Warpfähigkeit sei.
Und dann ist da noch die auffällig beiläufige Aussage, dass das Sehspektrum der Saurianer etwa hundert Mal weitreichender als das von Menschen sei (die maximal 740 Nanometer abdecken können). Nachdem schon Saru in den letzten beiden Staffeln zu einem Sammelbecken von außergewöhnlichen Fähigkeiten (Gefahrenganglien, Dartpfeile, erhöhte Laufgeschwindigkeit, besseres Sehvermögen) geformt wurde, ist nun der Staffelstab scheinbar an Linus übergegangen.
Die mit Abstand diskussionswürdigste Idee bleibt jedoch das Konzept des parasitäres Eises.
Auf welche Weise war es parasitär?
Es hat keine Energie aus dem Schiff gesaugt, keine Mineralien geraubt und die Discovery in keinem Moment dem eigenen Vorteil zuliebe ausgenutzt. Es wird nicht einmal spezifiziert, wie das Eis in der Lage ist, dem größtenteils auch noch nach Sonnenuntergang freiliegende Schiff so zuzusetzen.
Die Erklärung scheint einfach: Es war schlichtweg ein schlecht ausgedachtes Handlungselement mit dem einzigen Zweck, dass Michael Burnham wie die Kavallerie herbeieilen konnte, um ihre alte Mannschaft zu retten, die trotz guter Ansätze ansonsten verloren gewesen wäre. Ein ärgerlicher Schachzug, denn er reduziert den eigentlichen Reiz der Folge abermals auf ein altbekanntes Muster: Das Universum, die Föderation und vor allem die Discovery stehen allesamt im Schatten Michael Burnhams.


Synchronisation.
Schon wieder gibt es ein sinnvolles Siezen und Duzen! Während etwa Owosekun und Detmer sich auf der Brücke problemlos auf sehr persönliche Weise ansprechen, bleibt Saru als Führungsoffizier verständlicherweise bei der Höflichkeitsform. Und während Zareh seine coridanischen Opfer mit 'Du' anspricht, herrscht zwischen den Minenarbeitern und den Sternenflottenoffizieren ein ungleich respektvollerer Ton.
Nur in jenen Momenten, in denen der Bösewicht dieser Episode Saru oder Tilly anspricht, wechselt er aus irgendeinem Grund zwischen beiden Formen hin und her. Mit viel Mühe kann man das allerdings auch als Mittel zum Zweck ansehen, denn in diesen Interaktionen versucht er an die Kooperationsbereitschaft der beiden zu appellieren.
Ansonsten duzen sich natürlich Stamets und Culber gegenseitig, während Georgiou sich dies scheinbar vor allem für Personen aufhebt, die sie im Verlauf der weiteren Handlung umzubringen gedenkt. Auf jeden Fall gelangt auf diese Weise ein wenig mehr Vertrautheit in die deutsche Synchronisation, was ebenfalls entscheidend dazu beiträgt, die Besatzung nahbarer erscheinen zu lassen.
Davon ab gibt es ein paar Kosenamen aus dem Munde Renos, die sich nur schwer ins Deutsche übertragen lassen. Aber dass aus "Mr. Hazmat" hier "Mr. Biotonne" und aus "cranky pants" ein "Miesepeter" wird, geht völlig in Ordnung. Einzig und allein bei "bobcat", das im Deutschen (wohl nach dem Rapper aus den Neunzigern) "Papa Bär" umgewandelt wird, bleibt gewöhnungsbedürftig.
Eine Erwähnung ehrenhalber gilt auch dieses Mal dem Besitzer des kleinsten Star-Trek-Museums, David-Hurst-Preisträger und Synchronsprecher Benjamin Stöwe, der Hugh Culber seine Stimme leiht.


Fazit.
Nach dem Staffelstart greift nun auch endlich die USS Discovery ins Geschehen ein. Und das auf beeindruckende Weise: Mit einem spektakulären - wenn auch nicht sehr glaubwürdigen - Absturz zwingt sie die Crew zur Zusammenarbeit, während es Saru und Tilly in Rekordzeit gelingt, erste Verbündete zu finden. Der Star der Folge ist die Mannschaft des Schiffes, die sich aufmacht, mit guten schauspielerischen Leistungen, Teamarbeit und einem ungetrübten Sternenflottengeist das Gesicht der Zukunft zu verändern.
Getrübt wird dieses Bild allerdings von vielen Ideen, die nicht zu Ende gedacht wurden, einem unnötigen Hang zur Brutalität und einem Folgenende, dass den mühsam erarbeiteten Fortschritt der Schiffsbesatzung durch den Rückfall in alte Erzählmuster innerhalb der letzten paar Sekunden völlig ad absurdum führt.

Bewertung.
Unnötiges Eigentor Sekunden vor dem Abpfiff.








Schluss.

Der größte Pluspunkt von "Star Trek: Discovery" ist, dass es - allen Unkenrufen zum Trotz - eine Star-Trek-Serie mit einer unbestreitbaren Existenzberechtigung ist. Ich würde sogar noch weitergehen und sagen, dass die Serie wichtig ist für den Kanon, auch wenn sie ihn hin und wieder durch 'friendly fire' torpedieren mag.
Ihr Wert liegt z.B. auch darin, dass es die erste Star-Trek-Serie ist, in der ein homosexuelles Paar zur Hauptdarstellerriege zählt. Es ist die erste Serie mit einem Außerirdischen als Captain eines Sternenflottenschiffes. Und Michael Burnham ist nach einem schwarzen männlichen Stationskommandanten und einer weiblichen Kapitänin eine durchaus logische Wahl für den Platz direkt im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Vor allem aber gibt es zahlreiche Personen, für die "Star Trek: Discovery" das ist, was für andere TNG, DS9 oder Voyager war: Die erste Star-Trek-Serie, mit der sie in Berührung gekommen sind. Oder zumindest die erste Serie, in der sie sich selbst repräsentiert finden; egal ob es farbige, weibliche Sternenflottenoffiziere wie Burnham betrifft, homosexuelle Charaktere wie Reno und Stamets oder intelligente Frauen, die nicht hundertprozentig dem übertriebenen Idealbild magersüchtiger Topmodels entsprechen wie Tilly.
Insofern ist es natürlich in Ordnung, wie bei allen anderen Star-Trek-Ablegern inhaltliche Kritik zu üben. Oder einige der Designentscheidungen zu kritisieren. Oder ihre Fehler den Kanon oder die generelle Glaubwürdigkeit betreffend zu bemängeln. Dass "Discovery" aber ein wichtiger, zeitgenössischer Beitrag zu Star Trek ist, steht außer Frage und auch wenn sich der eine oder andere nicht immer an das erinnert fühlen mag, was er einst mit der Franchise verbunden hat, gilt es zu bedenken, dass für andere das Gegenteil der Fall ist. Und gerade im Hinblick auf die beständig wachsende Anzahl von Star-Trek-Serien bleibt für jeden Fan auch stets mindestens eine Produktion übrig, die seinen eigenen Ansprüchen genügt. Wenn wir das gleiche Recht auch allen anderen respektvoll eingestehen, sind wir tatsächlich ein Stückweit näher an jener Gesellschaftsutopie, die Gene Roddenberry dereinst für eine weiterentwickelte Menschheit vor Augen hatte.



Denkwürdige Zitate.

"Ja, wir sind zur Zeit vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, aber wir sind zusammen und noch am Leben."
Saru

"Ähm, da kleben noch Reste von Leland an ihren Schuhen…"
Sylvia TIlly

"T-Shirt wird mit Bindestrich geschrieben…"
Hugh Culber

"Holen wir das Kommandotrainingshandbuch oder kommen Sie auch so irgendwann auf den Punkt?"
Philippa Georgiou

"Wir werden unsere Glaubenssätze nicht über Bord werfen!"
Saru

"Saru will das wir in Teams arbeiten und offenbar gilt 'wer atmen kann, kann auch arbeiten'. Falls Ihnen also nicht Mr. Biotonne hier helfen soll, der nach der Sporenkammer noch Gang ünf reinigen muss…"
"M-Mein Name ist Gene…"
"Das vergesse ich ja sowieso wieder…"
Jett Reno und Gene

"Tut mir leid, Sir, wenn ich Angst habe rede ich immer viel."
"Ich weiß."
Tilly und Saru

"Bürokratie ist der Tod von allem Spaß."
Georgiou

"Sterneflottenvorschrift zwo fünf sechs Punkt eins fünf: Offiziere sollen sich jederzeit so verhalten wie es sich für einen Offizier geziemt. Deshalb flippen wir auch gerade nicht aus, obwohl uns Fremde einen Phaser vor die Nase halten. Aber das macht mir total Angst, also könnten Sie bitte die Waffen runternehmen und - keine Ahnung Sie uns ihren Namen sagen, damit Sie keine Fremden mehr sind?"
Tilly

"Was Du Schmerz nennst, nenne ich Vorspiel."
Georgiou

"Hugh? Danke! Jett? Danke für garnichts!"
"Immer wieder gern, Papa Bär!"
"Papa Bär?"
"Keine Ahnung, ich bin auf Drogen."
Paul Stamets, Reno und Culber

"Willkommen in der Zukunft!"
Os'ir


Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu: "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Sukal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Dienstag, 20. Oktober 2020

Turons Senf zu "Envoy" [LD, S1Nr02]


Widmung.

Ich will diese Rezension an dieser Stelle jenem namenlosen Kommentator widmen, der in den Kommentaren zu "Second Contact" so lobende Worte zum ersten Senf der "Lower Decks" ausgegeben hat.
Danke! Solche Kommentare von Dir und von allen anderen treuen Leser sind der Grund, der diese Kolumne antreibt.


Spoilerwarnung.

Dieser Artikel enthält massive Spoiler auf "Envoy", die zweite Folge der ersten Staffel "Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.



Einleitung.

Eine der unsinnigsten Diskussionen die man mit anderen Star-Trek-Fans dieser Tage führen kann ist jene, ob denn die Trickfilmserie "Lower Decks" offizieller Kanon sei. Interessanterweise gab es ähnliche Bedenken bereits von Beginn an mit der 'anderen' Zeichentrickserie "TAS", obwohl durch diese Serie Spocks Geburtsort ShiKahr, das kahs-wan-Ritual, Kirks Mittelname Tiberius, der Mädchenname der Mutter Spocks, Kors Schiff IKS Klothos, die Kzinti oder die Holodecktechnologie etabliert wurden, die dem unsicheren Status der Serie zum Trotz längst zum Kanon zählen.
Dennoch scheinen einige Fans zwar kein Problem zu haben, einer Serie zu folgen, die in einer fiktiven Zukunft mit fiktiver Technologie und fiktiven Personen spielt, aber andererseits ihre Fantasie zu verlieren, sobald eine Serie animiert wird.
Andere hingegen verweisen auf die fehlende Ernsthaftigkeit, die drastische Realitätsferne oder den verspielten Charakter. Wieder anderen sind die Stimmen zu hoch oder zu schnell, während die Handlung unnachvollziehbare Purzelbäume schlägt, ohne einen Sinn zu ergeben.
Daher drängt sich ein weiterer Blick auf diese Serie förmlich auf um zu überprüfen, was von diesen Vorwürfen berechtigt ist.



Story.

Bradward Boimler hat einen ganz besonderen Auftrag ergattern können: Er ist für den Transport des hochdekorierten klingonischen Generals K'orin zu Verhandlungen auf Tulgana IV eingeteilt worden. Doch zu seiner Überraschung findet er schon bald heraus, dass sich seine Kollegin Beckett Mariner nicht nur zu seiner Vorgesetzten auf dieser Mission aufgeschwungen hat, sondern auch eine ebenso langjährige wie chaotische Freundschaft zu dem trinkfreudigen Haudegen pflegt, den er transportieren soll. Dem jungen Fähnrich entgleitet die Mission Stück für Stück, was schließlich seinen Höhepunkt im Umstand findet, dass K'orin das Shuttle bei einem von Boimler ursprünglich abgelehnten Besuch des klingonischen Distrikts auf dem Planeten stiehlt und verschwindet. Es beginnt eine verzweifelte Suche nach dem Botschafter und dem Shuttle, bei der die Ansichten Boimlers und Mariners was Sternenflottenprotokolle angeht auf eine harte Probe gestellt wird…


Lobenswerte Aspekte.

Folgenanlage.

"Envoy" ist keine 'normale' Episode im herkömmlichen Sinn. Die zweite Folge der Serie greift das in "Second Contact" vorgegebene Tempo auf und erhöht es sogar, um einen Mini-Road-Movie im TNG-Gewand in vierundzwanzig Minuten unterzubringen. In einer erschreckend effizienten Nutzung der zur Verfügung stehenden Zeit erzählt sie gleich zwei gleichermaßen mitreißende wie unterhaltsame Geschichten, die inhaltlich ertragreicher als so manche klassische Episode, Discovery-Folge oder Abramstrek-Inkarnation ausfällt.
Ziel der Handlung ist ganz offensichtlich, die noch zarten Bande zwischen den Hauptcharakteren zu stärken und die Crew der USS Cerritos näher zu beleuchten. Als Zugabe gibt es eine rasante Außenmission, die den Vergleich mit anderen legendären Planetenbesuchen der Star-Trek-Geschichte nicht zu scheuen braucht.
Das alles schafft die Serie mit einem stringenten Humor, der zwar nicht immer das Zwerchfell zum Bersten zwingt, aber doch an mehreren Stellen zielgenau ins Schwarze trifft. In diesem Zusammenhang gaben sich die Autoren auch erkennbar Mühe, die Serie durch nicht immer jugendfreie Ausführungen vom Anschein einer Produktion für ein jüngeres Publikum zu befreien.
Vor allem aber mag ich die Moral der Geschichte, die trotz der begrenzten Zeit deutlich zutage tritt: Mariner stellt sich in bester Star-Trek-Manier absichtlich zurück, um den Enthusiasmus ihres blauäugigen Freundes nicht zu brechen, auch wenn diese gute Tat mit öffentlicher Erniedrigung gepaart und mit Witzen auf ihre Kosten gedankt wird – schließlich wiegt das Wohl des Einzelnen weniger als das Wohl der gesamten Sternenflotte, wenn ein Hansdampf-in-allen-Gassen wie Boimler der Organisation erhalten bleibt. Es ist genau diese Art der unaufgeregten persönlichen Selbstlosigkeit, die ich seit Enterprise so sehr vermisst habe. Zumal die Idee, dass man alles richtig macht und trotzdem verlieren kann (frei nach Jean-Luc Picard in "Galavorstellung") ebenfalls eine zeitlose Lektion ist, die Star Trek seinen Zuschauern mehr als einmal zu vermitteln versuchte.
Doch auch wenn das jetzt ein ideales Schlusswort wäre, muss an dieser Stelle doch ergänzt werden, dass der B-Plot von "Envoy" nicht minder reizvoll ausfällt. In einer ähnlich turbulenten Reise quer durch die Divisionen des Schiffes lernt Rutherford die einzelnen Aufgabenbereiche in einer Art 'Probetraining' genau kennen.
Und warum?
Weil er als Sternenflottenoffizier zu seinem Wort stehen will. Dass er am Ende aber doch dem Ruf seines Herzens folgt, stellt gleichermaßen ein Kernprinzip Star Treks dar. Das Großartige daran bleibt allerdings der erstaunliche Rückhalt, den er bei seiner Suche von allen einzelnen Abteilungsleitern erhält, die ihn sogar ermutigen, sich auszuprobieren beziehungsweise seinen eigenen Weg zu gehen. Die Charaktere mögen zwar auf dem "Unterdeck" ihren Dienst abseits der Laufrouten der Brückenbesatzung verrichten, aber der Geist der Sternenflotte vereint am Ende des Tages doch alle Besatzungsmitglieder zu einer geschlossenen Einheit.


Kanonfutter.

Es gibt und gab keine andere Star-Trek-Serie, die so sehr darauf bedacht ist, den offiziellen Kanon einer Richtschnur gleich aufzunehmen wie "Lower Decks".
Auf der einen Seite findet man natürlich die vielen Anlehnungen an all die anderen Serien und Filme, die sich wie ein roter Faden durch die Folgen ziehen. In "Envoy" sieht man missmutige Kaelonianer, Boimler kurz vor dem Jamaharon, einen gelungenen Auftritt der blauhäutigen Föderationsgründungsmitglieder, einen stark an "Der Wächter" erinnernden Ferengi, eine Borg-Simulation in bestem Kobayashi-Maru-Stil und eine Föderations-Botschaft, die in ihrem brutalistischen Baustil an die Enterprise-Episode "Der Anschlag" zurückdenken lässt.
Dabei lohnt es sich stets und ständig mit Adleraugen auf den Hintergrund zu achten. Vor allem bei den zahlreichen Draufsichten der Planetenoberfläche, die so detailreich ausfallen wie die aufwändig gestalteten Doppelseiten im Mosaik: Hier kann man Arkonianer, Evora, Ariolo, Lurianer, einen Außenposten im Farpoint-Design, klingonische Disruptoren in Schaufenster, ein ushaan-tor in Action, Vasquez-Rocks-ähnliche Felsformationen, die romulanische Vertretung und die Ferengi-Botschaft entdecken.

Ergänzt wird das Gesamtbild schließlich noch mit dem vollen klingonischen Programm: Von der General-Chang-Augenklappe über ein passendes Trinklied bis hin zum Klein-Qo'noS-Distrikt wurde an alles gedacht! Der Blutwein wird im passenden Trinkbecher serviert und der Gagh-Marktstand hat sogar die blaue Variation aus dem sechsten Kinofilm im Angebot.
Auf der anderen Seite steht dem ein erfrischend ironischer Umgang mit diesem Kanon entgegen, der sich in Gänze wohl nur langjährigen Fans erschließt und sich einmal quer durch alle 'alten' Star-Trek-Serien zieht. So gibt es gleich zu Beginn eine Begegnung der etwas anderen Art mit einem übermächtigen transdimensionalen Wesen, während der Captain der USS Cerritos nach einer identitätsstiftenden Catchphrase á la "make it so" sucht. Augenzwinkernd nimmt die Folge ferner den Hang der Drehbuchautoren für Apostrophe auf die Schippe (und legt dies auch noch in den Mund eines Charakters, dessen Name ein solches Zeichen enthält), lässt Beckett Mariner in 'großartigen' Khan-Träumereien schwelgen, spielt mit der Bekanntheit der ach so geheimnisumwitterten Sektion 31 und nennt endlich einmal das "Janeway-Protokoll" beim Namen - ohne dabei dem Zuschauer zu verraten, worum es sich dabei handelt.
Es ist diese Art der Selbstironie, die "Lower Decks" so sehenswert macht, zumal den Autoren die Problematik um den Vergleich mit der umstrittenen Vorgänger-Trickfilmserie so bewusst ist, dass sie ganz offensichtlich damit spielen. Nach dem ersten Auftritt einer Caitianerin im Pilotfilm regnet es gleich die nächsten TAS-Referenzen, als man einerseits einen gut versteckten Aurelianer ins Szenenbild schmuggelt und dann auch noch einem Vendorianer einen denkwürdigen Gastauftritt verschafft.
Genau diese bereitwillige und clevere Nutzung des Kanons als Hilfsmittel ist etwas, was die Serie ihren Geschwistern "Star Trek: Discovery" (wo Kanonreferenzen deutlich spärlicher gesät sind) und "Star Trek: Picard" (wo Nostalgie zu oft als Kanon missverstanden wird) deutlich voraus hat.
Wer aber glaubt, dass sie sich ausschließlich auf die Wiederholung althergebrachter Inhalte reduzieren lässt, sieht sich getäuscht, denn in "Envoy" dient der Kanon eher dazu, die rasante Handlung auszuschmücken, nicht aber dem Zweck, sie zu bestimmen. Im Gegenteil, das immer reichhaltigere Informationsgerüst wird mit neuen, kreativen Bestandteilen ergänzt. So mischt es neue Spezies wie Anabaj oder Taxor in die Vielzahl bekannter Weltraumwesen, bietet nie dagewesene Einblicke in den Alltag der einzelnen Abteilungen und erfreut den Zuschauer mit Nahaufnahmen einer neutralen Welt, wie sie bisher noch nie zuvor zu sehen waren.


Kritikwürdiger Aspekt.


Kanonbrüche und Logiklöcher.
Bei so viel Feingefühl für den Kanon bleiben ein oder zwei flapsige Einwürfe nicht aus, die den Kritikern der Serie durchaus in die Hände spielen könnten. Ich taufe diese Art künstlerische Freiheit an dieser Stelle einmal den "Cartoon-Effekt", weil es die Tendenz beschreibt, die Realitätsnähe in bester Tom-und-Jerry-Manier zugunsten der Komik zu beugen. Wo aber beispielsweise der Koyote bei Roadrunner multiple Stürze in einen Canyon schadlos übersteht, bleiben derlei Anwandlungen hier in ihrem Umfang vergleichsweise gering.
Dass Samanthan Rutherford etwa eine ganze Woche in den Jefferiesröhren zugebracht haben soll, klingt recht unwahrscheinlich, obwohl es andererseits auf der Hand liegen dürfte, dass es sich um eine rein figurativ gemeinte Bemerkung gehandelt hat.
Eher würdig unter "Cartoon Effekt" verbucht zu werden sind in diesem Zusammenhang die Parktickets, die K'orin durch seine Landung direkt vor der Föderationsbotschaft erhält. Die sind zwar für den ein oder anderen Lacher gut, aber ohne Frage etwas deplatziert in einer sehr digitalen Zukunft – zumal ein Nummernschild am Shuttle fehlt. Dass die Tickets darüber hinaus auch noch aus Papier sind, weckt Erinnerungen an den schlecht gealterten TOS-Pilotfilm "Der Käfig", als Papierdruck noch state of the arts war.
Dennoch bleibt dieser Punkt bestenfalls ein Minimalmakel, denn er wiegt deutlich weniger schwer als eine Gedankenverschmelzung durch eine Androidin, Gott im Zentrum der Milchstraße zu finden oder die Besatzung eines Shuttles nach dem Durchbrechen der Warpmauer in lustgetriebene Lurche zu verwandeln.


Fazit.
"Envoy" ist eine überaus gelungene zweite Folge voller Witz, Tempo und Kanonreferenzen. Sie setzt den Trend der ersten Folge fort, eine schlüssige Geschichte innerhalb des Star-Trek-Universums zu erzählen, ohne dem Bierernst zu verfallen, der damit normalerweise im Zusammenhang steht. Vor allem die 'sternen-flotte' Moral und der überraschend stringente Inhalt lassen "Envoy" zu einer der besten zweiten Star-Trek-Folgen überhaupt aufsteigen.

Bewertung.
Rasantes Abenteuer mit allen Extras.







Schluss.

"Lower Decks" ist Kanon!
Die Trickfilmserie bemüht sich deutlich mehr Anschluss an die Parameter des Star-Trek-Universums zu halten als etwa "Discovery". Dass sie dabei ab und an auf ironische Seitenhiebe oder gezielter Übertreibung als Stilmittel setzt ist legitim und in einer Tradition, die nicht zuletzt "The Orville" zu einem so erfolgreichen Konzept gemacht hat.
Natürlich lässt sich in der Serie bei angemessener Suche auch der "Cartoon-Effekt" ausfindig machen, doch es bleibt festzuhalten, dass sich dieser bis hier her noch in Grenzen hält, die eine Erwähnung kaum rechtfertigen.
Und wenn wir alle mal ehrlich sind hatte bislang noch jede Star-Trek-Serie Momente zu bieten, die man am liebsten wieder aus dem offiziellen Kanon streichen würde und bislang hat "Lower Decks" zwar einige weniger glaubwürdige Szenen, aber noch nichts in einem Kaliber zu bieten, was dazu verleiten könnte, ihm den Status des offiziellen Kanons abzustreiten. Dahingehend haben sich andere Serien (übrigens auch schon lange bevor "Discovery" dazu Gelegenheit erhalten hatte) deutlich schuldiger gemacht, selbst wenn es sich dabei um nicht um Trickfilmserien handelte…
Von daher gilt es, der Serie die gleiche Chance zu geben wie jedem anderem Star-Trek-Ableger auch, denn dass an diesem Projekt Fans arbeiten, die wissen was sie tun, kann man anhand der ersten beiden Folgen  deutlich sehen.


Denkwürdige Zitate.

"Where ist the Power cell, dude?"
"What, really?"
"Like I was going to ask for something that didn't come with batteries!"
Beckett Mariner und das transdimensionale Wesen

"K'orin… How do I know that name?"
"Maybe because he's like one of the most decorated, battle-hardened Klingon warriors in history?!"
"Or maybe it's just because all Klingon names sound the same, like they all have an apostrophe for some reason?"
"Yes, that's it!"
D'Vana Tendi, Bradford Boimler und Beckett

"Well, don't worry. Some people agree to do stuff, when they don't actually mean they're going to do it…"
"No, no, no, no! Im Starfleet – I never go back on my word."
Tendi und Samanthan Rutherford

"Buried alive… Marooned for eternity… Moons of Nibia… ahhh! Oh sorry, I keep having this awesome dream!"
Beckett

"I must update you on my many sexual conquests, Mariner!"
"What, both of them?"
K'orin und Beckett

"Okay, that was a rough start! FYI in situations like that, try employing the 'Janeway Protocol'."
"Got it! And what's that?"
"Hah! Good one…"
Jack Ransom und Rutherford

"I've never even heard about an Anabaj… How did you know?"
"Affinity for red, drawn to the weak minded, plus I kind of dated one once – but only to make my mom mad!"
Boimler an Beckett

"Computer, initiate combat simulation 'Smorgasborg'!"
Shaxs

"Starfleet doesn't just need badass cool people like me – they need, like booksmart people kike you, too!"
Beckett

"Rutherford… That is… Outstanding!! Gotta be true to yourself!"
Shaxs


Weiterführende Leseliste.

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"

Samstag, 17. Oktober 2020

Turons Senf zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I" [DIS, S3Nr01]




Spoilerwarnung.
Dieser Artikel enthält massive Spoiler auf "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I", die erste Folge der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.




Einleitung.
Im Moment sehe ich mir wieder einmal TNG bei Netflix an – von ganz vorn. Dabei fällt mir immer wieder auf, wie sperrig und holzig insbesondere die erste Staffel daherkommt. Denn mal ganz ehrlich: "Raumschiff Enterprise - das nächste Jahrhundert" war nicht unbedingt wegen sondern eher trotz ihrer ersten sechsundzwanzig Folgen so erfolgreich.
Doch was hat das alles mit der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" zu tun?
Nun, es gilt das Prinzip Hoffnung.
Nach den ersten achtundzwanzig Folgen Discovery fällt das Fazit nämlich eher gemischt aus. Obwohl insbesondere die zweiten Staffel durchaus einige positive Ansätze aufwies, krankte die Serie bislang ganz generell im erzählerischen Feld, wo Logiklöcher so groß wie die Milchstraße selbst die Drehbücher ein ums andere Mal unheilvoll aus den Heftstreifen rissen. Die Flucht aus den Zwängen und Begrenzungen des 23. Jahrhunderts am Ende der zweiten Staffel war schließlich eine gute Wahl, nicht zuletzt weil in einer Zukunft, die selbst den Erzählrahmen von "Star Trek: Picard" um knapp 800 Jahre übertrumpft, genug Freiheiten für die Kreativabteilung geboten sein sollten, um endlich eine eigene Serien-Identität zu schaffen, die nicht von Pike, Kirk oder anderen Star-Trek-Serien in den Schatten gestellt wird.
Doch kann Discovery die Zeichen der Zeit nutzen, um wie TNG anno dazumal ordentlich durchzustarten oder wird es in alte Muster zurückfallen?



Story.
Michael Burnham hat es geschafft!
Nicht nur, dass sie in einer weit entfernten Zukunft gelandet ist; sie hat die mörderischen Pläne Controls durchkreuzt und die Existenz organischen Lebens im Universum erfolgreich sicherstellen können. Trotz dieser Erfolgsbilanz sieht sie sich mit zwei großen Problemen konfrontiert: Zum Einen ist sie nicht in der Lage Kontakt zu ihrem Schiff herzustellen und zum Anderen findet sie sich auf einer kargen Welt wieder, in der Recht und Ordnung nur noch ein Schatten ihrer selbst sind.
Selbst der erste Mensch, zu dem sie ein überstürztes Vertrauensverhältnis aufbaut, hintergeht sie bei der erstbesten Gelegenheit, um sie ihrer wenigen Habseligkeiten zu berauben. Aber Michael Burnham wäre nicht Michael Burnham, wenn sie sich nicht auch aus dieser schwierigen Situation herauskämpfen würde: Gemeinsam mit Cleveland "Book" Booker entkommt sie schießwütigen Unterweltkillern, der Wirkung bewusstseinserweiternder Verhördrogen und dem Magen einer aquatischen Weltraumschnecke. Aber das Universum, in das beide daraufhin entfliehen, ist nicht mehr das selbe, das Burnham dereinst gerettet hat…




Lobenswerter Aspekt.

Folgenflair.
Oh wie schön ist Island!
Wenn man eines an dieser Folge in besonderem Maße loben muss, so ist es die Auswahl des Drehortes (mal abgesehen vom Handelsposten, für den zum gefühlt neunundzwanzigsten Mal das Hearn Generation Plant in Toronto als Drehort herhalten durfte):
Die karge, aber nicht zuletzt deshalb so beeindruckende unberührte Landschaft der nordeuropäischen Vulkaninsel ist der eigentliche Star der Folge. Statt immer wieder den gleichen kanadischen Wald als spektakelfreie Kulisse zu missbrauchen (siehe z.B. Pahvo, Terralysium oder Kaminar) bewiesen die Produzenten der Serie erstmals außergewöhnlichen Mut, indem sie über den eigenen Tellerrand hinausblickten und in Island ein außergewöhnliches Setting für fremde Planeten (dessen Name 'Hima' stark an das Isländische 'heima' für "zuhause" erinnert) entdeckten.
Nur könnte man natürlich nicht ganz zu Unrecht anmerken, dass Teile der Folge so ziemlich genau an jenem Ort gefilmt wurden, an dem bereits Carol Marcus und Leonard McCoy in "Star Trek Into Darkness" einen Augment-Photonentorpedo zu entschärfen versuchten, aber dem bleibt entgegenzuhalten, dass die wirklich spektakulären Shoots dieser Folge Wasserfälle, Küstenstreifen oder Landschaften umfassten, die dieser Folge den Flair einer wahrhaft fremdartigen Welt verliehen, der von bisherigen Traditionen abwichen, in denen Vasquez-Rocks schon zu den 'exotischeren' Schauplätzen gezählt wurde. Ergänzt wurde die Wahl Islands ferner durch eine Vielzahl spektakulärer Kameraeinstellungen und Drohnenflüge, die maßgeblich dabei halfen, die Schönheit der Natur einzufangen. Die computergenerierten Insekten, Fische und Monde bildeten eine nette Zugabe.
Das Resultat trägt optisch maßgeblich dazu bei, diese Folge zu einem besonderen Genuss zu machen, auch wenn der Inhalt der Episode zuweilen in einem starken Kontrast zur Schönheit der Landschaft stand.



Kritikwürdige Aspekte.

Rückfall statt Neubeginn.
"Star Trek: Discovery" war stets dann am stärksten, wenn die schillernde Crew des Schiffes im Mittelpunkt stand und in bester Star-Trek-Manier gemeinsam den Tag rettete. Insbesondere in der zweiten Staffel war das Zusammenwachsen der leidgeprüften Besatzung unter der Führung des Leih-Kapitäns Christopher Pike einer der stärkeren Aspekte der Serie, vor allem, weil er mit der starken Zentrierung auf Burnham brach und die Vielzahl der spannenden Charaktere an Bord in den Fokus rückte.
So gesehen war die Entscheidung, Michael Burnham zum alleinigen Star dieser Folge zu erheben eine ebenso mutige wie unerwartete Wahl, die sich am Ende der Folge jedoch nicht auszahlte. Ich persönlich bin kein Freund des Burnham-Bashings, aber dem Charakter wurde weder damit, sie noch vor Einsetzen des Vorspanns wie einen Schlosshund heulen zu lassen, noch mit dem überdrehten Drogentrip (der hart an der Grenze zur Albernheit rangierte) ein sonderlich großer Gefallen getan. Viel eher fühlt man sich nach dieser One-(Wo-)Man-Show absichtlich an all das erinnert, was in den Folgen zuvor massive Kritik hervorgerufen hatte.
Das setzt sich in den Design-Entscheidungen fort. Abermals lässt sich der lange Schatten von J.J. Abrams und Star Wars nicht abschütteln, zumal die exzessive Verwendung von Lens-Flares ein gleichsam unnötiges Revival feierte.
Und wo wir schon bei der anderen großen Science-Fiction-Franchise angekommen sind: Burnhams neuer Sidekick Cleveland Booker (der an sich von David Ajala gut verkörpert wird) erinnert arg an Han Solo. Der im Grunde seines Herzens gute Bösewicht arbeitet als Schmuggler/ Kurier für schmierige Unterweltgestalten und begegnet anderen zuerst mit Misstrauen, bevor er sich ein Herz fasst und sich für die Schwachen und Benachteiligten einsetzt. Und natürlich lässt sich auf seinem Schiff auch ein fellbedeckter Compagnon finden (der an sich von Leeu und einer weiteren Katze gut verkörpert wurde).
Wer den Vergleich mit Han Solo unpassend findet, dem sei auf Craft in dem ebenfalls von Olatunde Osunsanmi verwirklichten Short Trek "Calypso" verwiesen, der in seiner Charakteranlage ebenfalls erstaunliche Parallelen bietet.
Und genau da liegt eines der Grundprobleme von "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil 1": Es ist bestenfalls eine mäßig originelle Zweitverwertung vieler anderer Ideen, die es bei Star Trek und anderen Science-Fiction-Serien bereits zuhauf gegeben hat.
Die verzögerte Ankunft der USS Discovery im Vergleich zu Burnham?
Das gleiche Problem hatten bereits Nero und Spock in "Star Trek [2009]".
Ein Sternenflottenoffizier wird von einer vermeintlich aggressiven Kreatur gefressen, die sich dann aber doch als harmlos erweist?
Das hat "Lower Decks" in seinem Pilotfilm deutlich besser inszeniert.
Die Rettung dieses armen, vom Aussterben bedrohten Tieres durch engagierte Menschen?
Das wirkte selbst in Star Trek IV weniger künstlich inszeniert.




Abseits dieses Ideenrecyclings ist die Gratwanderung zwischen Kitsch und Pathos ein weiteres Problem, das "Discovery" seit seiner Erstausstrahlung begleitet. An sich ist die Idee, die Werte und Ideale der Föderation auch in dystopischen Zeiten des Untergangs zu bewahren und wiederaufleben zu lassen wirklich gut (auch wenn sie arg an Gene Roddenberrys "Andromeda" erinnert), aber gerade gegen Ende der Folge verliert sich dieser Gedanke etwas zu sehr in übertriebener Theatralik – nicht zuletzt, weil die beinahe religiöse Flaggenverehrung für viele Mitteleuropäer nicht so einfach nachzuvollziehen ist wie für das amerikanische Publikum im Superwahljahr.
Aber auch das an sich gut gemeinte Tierschutzmotiv der Episode ist mitnichten clever oder subtil arrangiert, sondern erschlägt den Zuschauer derart mit der Brechstange, dass der bereits erwähnte Vergleich mit dem vierten Star-Trek-Kinofilm deutlich zugunsten des letztgenannten ausfällt.
Schließlich aber schafft es die Folge nur bedingt, ein wirklich schlüssiges Konzept in puncto Zukunftstechnologie zu entwerfen. Während bei Star Trek allein von TOS zu TNG ein wahrer technologischer Quantensprung stattfand, scheint in den neunhundert Jahren danach nur wenig Erfindungsgeist geherrscht zu haben (man vergleiche nur den heutigen Stand mit dem des Jahres 1120). Natürlich sind Transporter-, Replikator- oder Holografietechnologie ausgereifter und alltagstauglicher geworden, aber insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass ein Großteil dieser Entwicklungen bereits achthundert Jahre zuvor bei "Picard" eingeführt wurde, muss man den Autoren eine gewisse Ideen- oder Visionslosigkeit vorwerfen, was die konkrete Ausgestaltung dieser Zukunft betrifft. Andererseits bleibt man damit natürlich auch den wenigen Einblicken in die Sternenflottenzukunft treu, wie sie in "Star Trek: Voyager" ("Vom Ende der Zukunft" oder " Zeitschiff Relativity") und "Star Trek: Enterprise" ("Kalter Krieg", "Die Schockwelle" oder "Azati Prime") angedeutet wurden.
Am Ende bleibt die actiongeladene Folge inhaltlich eher ein ideenloses Potpourri aus altbekannten Grundmotiven, statt die sich bietende Gelegenheit beim Schopfe zu packen und eine wirklich neue Geschichte in einer Zeit zu erzählen, in der man eigentlich vom Ballast des Kanons befreit sein sollte. Man orientiert sich bei "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil 1" eher an althergebrachten optischen und inhaltlichen Sujets, die jeglichen Anflug einer eigenen Vision völlig vermissen lassen.




Logiklöcher und Kanonbrüche.
Natürlich könnte man an dieser Stelle die vielen typischen Unglaubwürdigkeiten anprangern, die diese Folge ab den ersten paar Minuten begleiten. Etwa, dass Burnham den Absturz auf den Planeten Hima übersteht, ohne auch nur einen Kratzer davonzutragen oder den Kajal verwischen zu lassen. Man könnte die Frage aufwerfen, was genau an der Absturzstelle eigentlich in Flammen aufgegangen ist und so munter vor sich und Burnham herloderte. Oder warum die Episode als "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I" deklariert wird, ohne dass ein Teil II dazu angekündigt wurde.
Aber das sei an dieser Stelle einmal zurückgestellt, denn ein ganz anderes Problem drängt sich viel mehr auf, weil es ebenfalls einen unnötigen Rückfall in alte Gewohnheiten aufzeigt: Die Rede ist natürlich vom verheerenden "Brand", der anno dazumal den größten Teil der Dilithium-Kristalle befiel und die bekannte Galaxis in Schutt und Trümmer legte.
Bis zu einem gewissen Grad kann ich die verantwortlichen Autoren tatsächlich verstehen. Schließlich will der Zusammenbruch einer Supermacht wie der Föderation gut erklärt sein und wenn eine Territorialmacht mit einem Staatsgebiet - das sich über tausende von Lichtjahren erstreckt - untergeht, scheint es plausibel, dies mit dem fast vollständigen Erliegen sämtlicher Kontakte zu begründen. Das Problem mit diesem Ansatz zeigt sich aber, wenn man diese Idee auf die heutige Zeit überträgt.
Nehmen wir einmal an, dass sämtliche fossilen Treibstoffe auf Erden in einer schicksalshaften Nacht (Vorsicht, 2020 ist noch nicht zu Ende!) spontan in Flammen aufgehen. Die Folgen wären fatal: Schiffsverkehr, Flugverbindungen und Landtransportwege wären innerhalb von Sekundenbruchteilen unter großen Opfern an Mensch und Material lahmgelegt.
Andererseits wäre es aber auch eine neue Chance! Die Menschheit wäre gezwungen andere (umweltfreundlichere) Kraftstoffe zu verwenden und hätte spätestens im Verlaufe einer Generation die Folgen dieser Katastrophe überwunden.
Das gleiche scheint weder mit der Föderation noch der Sternenflotte zu geschehen, obwohl es innerhalb des Star-Trek-Kanons zahlreiche Alternativen zu Materie-Antimaterie-Antrieben gibt (Dilithium-Kristalle werden benutzt, um Materie und Antimaterie miteinander reagieren zu lassen, sind aber nicht – wie Burnham behauptet – "[…] das Herz eines JEDEN warpfähigen Schiffes"). Der Slipstream-Antrieb wird in der Folge kurz angeschnitten, aber selbst die alten Bajoraner waren in der Lage, Warpgeschwindigkeit mit Sonnenseglern zu erreichen. Romulaner nutzten eine künstliche
Quantensingularität
, aber auch Soliton-Wellen oder Graviton-Katapulte haben sich als Antriebsalternativen erwiesen. Dass die restliche Föderation im Stillstand verharrt und keinerlei Initiative zeigt, eine andere Antriebsart zu entwickeln, wirkt jedenfalls nicht sonderlich glaubwürdig.
Natürlich liegt es noch im Bereich des Möglichen, dass die Autoren diesen vermeintlichen Widerspruch mit einer guten Erklärung auflösen, aber im Angesicht der vielen noch immer schuldig gebliebenen Erklärungen bei "Discovery" und den bisher eingesetzten erzählerischen Zaubermitteln wie dem Sporenantrieb oder dem roten Engels-Anzug wirkt es zumindest etwas unwahrscheinlich. Das ist natürlich schade, zumal die internen Verfallserscheinungen innerhalb der Föderation, die in "Picard" deutlich zutage treten, das Potential haben, diese Ungereimtheit (und andere, wie etwa Books esoterisch anmutende Fähigkeiten) mit multiplen Erklärungsansätzen zu unterfüttern.
Aber natürlich ist dies die erste Folge der dritten Staffel und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Vielleicht überraschen uns die Autoren im Verlauf der kommenden Episoden ja auch noch mit einer vielschichtigen und guten Erklärung, die genügend Stoff für viele weitere Staffeln bietet. Denn auch wenn diese Folge in vielen Aspekten Flickwerk aus der Second-Hand-Grabbelkiste bleibt, ist das Potential einer Reise in eine dystopische Zukunft zur Erneuerung utopischer Ideale zweifellos vorhanden und auch das bewusste Auslassen eines zweiten Teils dieser Folge legt nahe, dass weitere Erläuterungen früher oder später folgen dürften.



Synchronisation.
Von minimalen (und daher vernachlässigungswürdigen) Übertragungsfragwürdigkeiten abgesehen gilt dieser Synchronisation mein Lob, weil es endlich einmal das leidige Thema des Duzens und Siezens angeht. Gleich von Beginn an kann man neben einigen denkwürdigen Zoten (vgl. Denkwürdige Zitate) und vergleichsweise unterhaltsamen Dialogen hören, wie Book ohne Umschweife seine unfreiwillige Bekanntschaft Michael Burnham duzt, während sie ihn weiterhin konsequent in der Höflichkeitsform (dritte Person Plural) adressiert. Als sie jedoch gemeinsam dem Tod ins Auge sehen, beginnt sich das Blatt zu wandeln und man kann tatsächlich hören, wie Burnham dazu übergeht, Book zurückzuduzen!
Dieser Prozess (den es im englischen nicht gibt) zeugt von einer kreativen und vor allem flexiblen Synchronisationsarbeit sowie aktivem Mitdenken auf Seiten der Verantwortlichen, sodass ich nicht umhinkomme, der Übertragung ins Deutsche dieses Mal die absolute Bestnote auszusprechen.




Fazit.
"Discovery" ist endgültig in einer dystopischen Zukunft angekommen, um die Werte und Ideale der Vergangenheit zurückzubringen. Leider vermag es die Pilotepisode der dritten Staffel nicht, den langen Schatten der Fehlleistungen der eigenen Vergangenheit abzuschütteln und verliert sich optisch und inhaltlich in althergebrachten Sujets. "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I" gelingt es darüber hinaus nicht maßgeblich, eine Zukunftsvision zu entwickeln oder einen stimmigen Erklärungsansatz zum Untergang der Föderation zu bieten.
Und doch kann die Folge einen leichten Hoffnungsfunken entzünden. Das Potential einer Serie in einer weit entfernten Zukunft fernab der Kanongrenzen zeigt weiterhin ungebrochen seine Vorteile, während die mutige wie gelungene deutsche Fassung und die Wahl Islands als Kulisse sich ebenso positiv auf das Bild dieser Folge auswirken.

Bewertung.
Trotz einiger Glanzpunkte der schwächste Staffelstart bei Discovery bis hier hin.






Schluss.
Nach sechsundzwanzig Folgen TNG überraschte Jonathan Frakes die Zuschauer mit fulminanter Gesichtsbehaarung. Fortan wurde "Rikers Bart" zum Inbegriff einer qualitativen Vorwärtsrolle, die 'die nächste Generation' fortan vollführte. Das heißt aber nicht, dass die erste Folge der zweiten Staffel gleich richtig gut war. "Das Kind" war ein aufpoliertes Drehbuch der Original-Serie (also sogar noch mehr Ideenrecycling) und auch danach begann die Serie erst allmählich Fahrt aufzunehmen.
In diesem Sinne bleibt es auch das Privileg "Discoverys", zuweilen Episoden abzuliefern, die den ohnehin wahrscheinlich überhöhten Ansprüchen der Fans nicht genügen. Star Trek ist nämlich keine Einzelfolge, sondern viel mehr eine Idee (vgl. Denkwürdige Zitate), die mit dem ersten Kuss zwischen schwarz und weiß (TOS), dem Widerstand gegen Hexenjagd-ähnliche Verfolgungen (TNG) oder Auflehnung gegen Rassentrennung (DS9) Fernsehgeschichte geschrieben hat.
Auch wenn diese Folge in der Bewertung nicht unbedingt gut abgeschnitten hat, so stellt sie doch einen weiteren großen Star-Trek-Moment dar: Es ist die erste Star-Trek-Folge überhaupt, in der alle Charaktere farbig oder Außerirdische sind (von einigen wenigen und kaum sichtbaren Statisten einmal abgesehen) In einem Universum, das so groß und reichhaltig wie das Star-Trek-Universum ist, wirkt das nicht nur glaubwürdig, sondern sendet auch ein wichtiges Signal aus, dass in Zeiten von wiederaufflammenden Rassenunruhen zeigt, dass Menschen ihrer Hautfarbe zum Trotz am Ende des Tages doch nur Menschen sind.




Denkwürdige Zitate.

"Mein Name ist…"
"Den will ich gar nicht wissen!"
Michael Burnham und Cleveland Booker

"Ich kann besser ohne diese Antiquität am Kopf zuhören… Würdest Du die wegstecken?"
Book

"Meine Name ist…"
"Ich habe kein Interesse an Deiner Bekanntschaft! Das nächste natürliche Wurmloch ist hunderte Lichtjahre entfernt; das heißt Du kommst aus einem Wurmloch, das Du mit fremder Technologie geöffnet hast. Hälst Du die Raumzeit zu durchlöchern für eine gute Idee? Hat's nicht schon gereicht, dass die Gorn zwei Lichtjahre Subraum zerstört haben?"
"Sekunde, die Gorn haben was!?"
Burnham und Book

"Nennen Sie mich nie wieder 'Raketengirl'!"
Burnham zu Book

"Sie haben aber 'ne große Katze."
Burnham

"Book. Mein Name ist Book."
Book

"Du glaubst an Geister. […] Das Abzeichen, das Du trägst; ab und an laufen noch Typen mit so einem Abzeichen rum und labern alle von der Föderation voll; den alten Zeiten. Die glauben einfach dran und kommen nicht drüber weg, dass sie Geschichte ist."
Book

"Der 'Brand' war der Tag, an dem die Galaxis falsch abgebogen ist."
Book

"Die Föderation ist mehr als Warpantriebe und Schiffe. Es geht um eine Vision und jene, die dieser Vision folgen."
Burnham

"Wenn ich das Sagen hätte, würdest Du nicht reinkommen."
"Wie schade."
andorianischer Türsteher und Burnham

"Ich hab' ne Freundin mit roten Haaren die darf das nicht kriegen."
Burnham

"Ich habe es satt supercool und hilfsbereit zu sein."
Burnham




Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu: "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Sukal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"