Dienstag, 19. Februar 2019

Turons Senf zum Short Trek "The Escape Artist"

Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler zum Short Trek "The Escape Artist" und sollte erst gelesen werden, wenn man zumindest die erste Staffel Discovery gesehen hat.




Einleitung.
Für die meisten Fans dreht sich Star Trek vor allem um die strahlenden Helden wie Kirk, Spock, Picard, Sisko oder Janeway. Vielleicht hängen sie auch an charismatischen Nebenfiguren wie Data, Worf, Jadzia Dax, Seven of Nine oder Phlox. Oder sie verfolgen gespannt die Beziehungen von Personen wie Julian Bashir, B'Elanna Torres oder T'Pol.
Die große Faszination, die von Star Trek ausgeht, wird aber auch von einer Vielzahl von Figuren bestimmt, die vielleicht nicht zum Stamm der Hauptdarsteller zählt aber durch mehrere Auftritte einen so bleibenden Eindruck hinterlassen haben, dass sie aus der Franchise nicht mehr herauszudenken sind.
Was wäre etwa TNG ohne Q, Gowron, Barclay, Lwaxana Troi, oder die Duras-Schwestern?
Wie würde DS9 aussehen, wenn es Dukat, Martok, Brunt, Ishka, Morn, Weyoun oder Kasidy Yates nicht gäbe?
Selbst die Voyager hatte im Delta-Quandranten treue Wegbegleiter wie Seska, Lon Suder, die Borg-Königin, Icheb oder Chaotica!
Und kann man sich Enterprise ohne Admiral Forrest, Degra, Soval, Daniels, Shran oder Major Hayes überhaupt vorstellen?
Einem dieser denkwürdigen Nebencharaktere wurde im Short Trek "The Escape Artist" der Vorrang vor den Hauptcharakteren der noch jungen Serie Discovery gegeben: Der bereits durch seine Auftritte in der Originalserie hinlänglich bekannte Kleinkriminelle Harry Mudd erhält beim vorerst letzten Mini-Folgen-Ableger überraschenderweise den Vorrang vor etablierten Figuren wie Michael Burnham, Gabriel Lorca, Hugh Culber, Philippa Georgiou, Ash Tyler oder Paul Stamets. Ob dieses Wagnis belohnt wird, klären wir in diesem vorerst letzten Senf zu den Short Treks.




Story.
Der Schurke Harcourt Fenton Mudd landet auf einem tellaritischen Schiff, dessen Captain kein Hehl daraus macht, was er mit dem flüchtigen Verbrecher vorhat: Er setzt einen Kurs auf das nächste Sternenflottenschiff um seinen unfreiwilligen Gast gegen ein hohes Lösegeld einzutauschen.
Doch Mudd nutzt die Zeit und zieht jedes Register.
Er fleht.
Er bettelt.
Er droht.
Er schleimt.
Er appelliert an das Gerechtigkeitsempfinden seines Gegenübers.
Doch am Ende gelingt es Mudd nicht, sonderlich überzeugend auf den tellaritischen Kopfgeldjäger zu wirken, der ihn mit auf ein Föderationsschiff nimmt. Doch an Bord der USS de Milo erleben sowohl Tevrin Krit als auch Harry Mudd die Überraschung ihres Lebens…


Lobenswerte Aspekte.


Der etwas andere Short Trek.
Der große Wert dieses Short Treks liegt darin, dass er nicht ist wie die drei anderen.
Das fängt schon mit der peppigen Musik an, die diese Kleinstfolge schwungvoll einleitet. In einem munteren Wechsel aus Rückblenden und spartanischen Szenen an Bord des Schiffes eines tellaritischen Handelsreisenden, steht vor allem ein sich windender Harcourt Fenton Mudd im Mittelpunkt, der eher an die heitere Originalserien-Variante als an die düstere Discovery-Neu-Interpretation des glücklosen Ganoven erinnert.
Weitab vom klinisch-sauberen Sternenflottenalltag wirkt "The Escape Artist" dadurch ungezwungener als "Runaway", leichter verdaulich als "Calypso" und auch weniger tiefgreifend als "The Brightest Star". Es zentriert sich auf das glücklose Leben eines gewieften Gauners und nutzt dabei vor allem Humor als lingua franca.
Dabei sitzt vielleicht nicht gleich jede Pointe und vor allem auf tellaritischer Seite muss man eine Menge Overacting in bester Shatner-Manier ertragen, aber im Großen und Ganzen bleibt "The Escape Artist" ohne Abstriche überaus unterhaltsam. In flottem Tempo rast die Handlung durch die Sünden Mudds in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und gewährt dem Zuschauer einen einzigartigen Einblick in das Innenleben einer gut getroffenen Star-Trek-Ikone.
Regie führte dabei niemand Geringeres als der Mudd-Darsteller Rainn Wilson höchstpersönlich, der die Mehrfachbelastung diverser gleichzeitiger Rollen scheinbar problemlos meistert. Das Drehbuch stammt übrigens aus der Feder jenes Mannes, der für die angekündigte animierte Lower-Decks-Serie die Hauptverantwortung tragen wird. Soweit sich das an einem viertelstündigen Real-Life-Mini-Fölglein und seiner bisherigen Arbeit an "Rick und Morty" beurteilen lässt, könnte dieser ebenfalls vom Sternenflotten-Ehrgeiz befreiten Erzähl-Ansatz ähnlich unterhaltsam ausfallen. 
Vor allem setzt Rainn Wilson in mehrfacher Ausgabe das überdeutliche Ausrufezeichen, dass die Star-Trek-Legende Harry Mudd sich noch irgendwo in den Weiten des Alls auf freiem Fuß befindet und eine Größe ist, mit der man in zukünftigen Star-Trek-Folgen rechnen sollte.



Kritikwürdige Aspekte.

Kanonbrüche und Logiklöcher.

Es gibt so einige Kanon-Leckerbissen, die diese Folge eigentlich zu einem Hochgenuss machen sollten. Dazu zählten fraglos die Szene um Myrthin Stagg als orionische Aufseherin in einem Unterweltfolterkeller, die Zentrierung auf einen Tellariten (die selten gesehene Spezies ist immerhin ein Gründungsmitglied der Föderation!) als Antagonisten, der Mudd-Android mit der passenden Originalserien-Jacke und jener andorianische Helm, der so prominent auf der Brücke zur Schau gestellt wird.
Auf der anderen Seite muss man sich an dieser Stelle fragen:
Mudd und lauter Androiden von gleicher Gestalt – gab es da nicht schon einmal was von Star Trek?
Die traurige Antwort lautet:
Ja, in "Der dressierte Herrscher".
Und so nimmt "The Escape Artist" uninspiriert die Ereignisse einer der besseren Episoden der Originalserie vorweg, ohne auch nur die leiseste Spur einer Erklärung zu bieten. Stattdessen wird der offizielle Kanon mit einem weiteren, völlig unnötigen Widerspruch belegt. Wozu muss denn Mudd zehn Jahre später noch absoluter Herrscher eines verwaisten Androiden-Planeten werden, wenn er sich muntere Kybernetik-Entsprechungen seiner selbst im düsteren Bastelschuppen seines eigenen Schiffes zusammenschustern kann?
Und das ist zu meiner eigenen Überraschung noch das kleinere Übel.
Wenn man sich Mudds manipulative Machenschaften einmal genauer ansieht, kann man nicht mehr genau feststellen, ob es am Ende wirklich Mudd war, der in den beiden Discovery-Episoden "Wähle Deinen Schmerz" und "T=Mudd²" zu sehen war.
Denn woher wissen wir überhaupt, dass der Mudd in diesen beiden Folgen nicht viel eher eine Kopie des Originals war?
Ich für meinen Teil würde es im Angesicht der Figurenzeichnung dieses Short Treks absolut schlüssig finden, wenn an Stelle des Originals ein androider Stellvertreter den unheilvollen Weg in ein klingonisches Gefängnisschiff oder in Stellas familiären Ehe-Kerker gegangen ist. So berauben fünfzehn Minuten harmlos gemeinte Unterhaltung der ersten Staffel eines zentralen Höhepunktes, nur weil abermals weder dem Kanon, noch der inneren Logik allzu viel Beachtung geschenkt wurden.

Synchronisation.
Die deutsche Übertragung ist recht unaufgeregt und lässt sich schon allein wegen fehlender Störfeuer als gelungen betrachten. DAher hätte ich diesen Punkt am liebsten ersatzlos unter den Tisch fallen gelassen, wenn das Übersetzerteam nicht ein Auge für entscheidende Details bewiesen hätte.
Statt herzlos das englische 'Credits' zu übernehmen, entschieden sich die Verantwortlichen tatsächlich dafür, den Originalserien-Terminus "Föderationsdukaten" aus der ZDF-Synchronisation zu "Kennen Sie Tribbles?" zu verwenden. Das passt nicht nur großartig in eine Folge, die zehn Jahre vor Kirks historischer Fünfjahresmission angesiedelt ist, sondern beweist auch auf wunderbare Art und Weise ein Einfühlungsvermögen, wie ich es mir öfter bei Star Trek wünschen würde (leider verändert sich die Bezeichnung der Währung am Ende warum auch immer urplötzlich in Latinum).




Fazit.
Der letzte Beitrag unter den Short Treks ist auch dessen größter Ausreißer. Abseits des starren Sternenflottenerzählrahmens bietet "The Escape Artist" einen humoristischen, schwungvollen und treffsicheren Einblick in Harry Mudds Ganoventum.
Doch die Produzenten stellen sich selbst ein Bein und stolpern über längst etablierte Momente in Mudds Biographie genauso wie über die selbst geschaffene Handlung der ersten Staffel, in dem sie unnötig Zweifel an der Identität Mudds säen.

Bewertung.
Ein wenig zu viel Kopie.






Schluss.
An sich unterstreicht "The Escape Artist", dass Short Treks den idealen Rahmen bieten, um auch mal den weniger besungenen Helden der Franchise ein wenig Raum zu bieten. Den großen Figuren wird ohnehin viel mehr Platz eingeräumt und auf diese Art und Weise erhält der Zuschauer auch einmal die Gelegenheit, anhand der kleineren Rollen Einblicke in jene Ecken der ach so heilen Föderationsutopie zu erhalten, die nicht sonderlich häufig von strahlenden Vorzeige-Sternenflottenoffizieren ausgeleuchtet werden.
Allerdings hätten die Schreiber deutlich mehr Sorgfalt in diese Premiere investieren müssen, denn am Ende scheitert dieser großartige Versuch darin, dass die Handlung nicht konsequent genug durchdacht wurde und in einem eklatanten Widerspruch zu Kanon und innerer Logik steht.
Schade eigentlich, aber hoffen wir, dass dem Versuch, kleineren Figuren eine größere Projektionsfläche zu verschaffen dadurch nicht auf längere Sicht der Weg eher verbaut wurde.

Denkwürdige Zitate.

"Harcourt Fenton Mudd. Gesucht von der Föderation wegen dreißig Fällen von Schmuggelei, zwanzig Fällen von versuchtem Mord, einem Fall von versuchtem Königsmord?"
"Pff, Königsmord. Er war nur ein Herzog. Das zählt wohl kaum als Königsmord. So genau sollten wir schon bleiben; so viel Zeit muss sein!"
"… dem Transport gestohlener Güter und einem Fall von Penetration eines Weltraumwals?"
"Es war nicht so wie es klingt…"
Tevrin Krit und Harry Mudd

"Ich sollte Ihnen das nicht sagen, aber ich bin Mitglied des Widerstands. Die Föderation wird nicht haltmachen, bis sie den gesamten Quadranten unterworfen hat! Natürlich verdrehen die alles und schwafeln irgendwas von 'friedlicher Erforschung'. Aber wonach sie wirklich streben ist totale hegemoniale Vormachtstellung!"
"Ich habe nie von diesem Widerstand gehört…"
"Es ist ja auch ein 'geheimer' Widerstand. Niemand weiß davon abgesehen von den Widerständlern. Tja und ich bin auch einer davon. Wir beide sind gar nicht so verschieden! Wir prügeln uns um die Reste; um ein paar Krümel vom Kuchen und so geht das nicht weiter. Vielleicht sollten wir uns zusammentun. Hm? Und mit vereinten Kräften unser Schicksal in die Hand nehmen."
"Ah!"
"Hören Sie die Weisheit in diesen Worten?"
"Sag mal ist jemals einer auf diese Masche reingefallen? Hahaha!"
Krit und Mudd

"Wenn Sie ein bisschen größer wären, würde Sie sich vielleicht nicht so oft verlaufen."
Mudd

"Oh, ein weit verbreiteter Irrtum. Aber daran ist leider kein Deut wahr. Doch, ich sage die Wahrheit! Immer wenn ich mal Geld hatte, hat sich's der Fiskus der Föderation geschnappt. Hätte ich Geld übrig würde ich jetzt an irgendeinem Strand Cocktails schlürfen, anstatt hier gefesselt herumzulungern in diesem… wunderbaren Kreuzer."
Mudd

"Hey Schwachkopf, Du weißt, dass wir 'ne Kamera hier drinnen haben?"
orionische Aufseherin

Weiterführende Leseliste.

Short Treks.

01. Rezension zu "Runaway"
02. Rezension zu "Calypso"
03. Rezension zu "The Brightest Star"
04. Rezension zu "The Escape Artist"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Staffel 2.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitsturm"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"


4 Kommentare:

  1. Ich fand diese Kurzgeschichte sehr unterhaltsam und am Ende hatte man richtig Mitleid mit Mr.Krit.

    Aber die Spekulation, ob in "T=Mudd²" ein Androide die Discovery heimgesucht hat, naja das halte ich für Unwahrscheinlich. Den ich bin mir sicher, das der Phaser auf Betäubung, den Mr.Stamets auf Mudd abgefeuert hat, bei einem künstlichen Wesen nicht funktioniert hätte.

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    1. Ja, den Einwand kann ich nachvollziehen und ich würde es auch als gutes Argument gelten lassen, wenn die Serie uns nicht mit Pilzantrieb, Culbers Wiederauferstehung, Lorcas Spiegeluniversumsherkunft oder Ash Tylers Doppelidentität bereits mehr als einmal unter die Nase gerieben hätte, dass man der Schreiberriege jederzeit die wildesten und unwahrscheinlichsten Entwicklungen zutrauen muss.

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  2. Du Turon, ich glaube diese Short-Episode hat einen deutschen Titel bekommen. Bei Netflix wird diese neuerdings mit "Houdini" bezeichnet.

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