Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil!
Denn entgegen aller Schwarzmalerei hat es "
Lower Decks" dank
Amazon Prime in die Wohnzimmer der Bundesrepublik geschafft – wenn auch mit einem halben Jahr Verspätung. Immerhin muss man nun nicht den (technisch) unzuverlässigen und nur über Umwege zugänglichen US-Streaming-Dienst
CBS-All Access bemühen, um in den Genuss der besten Star-Trek-Serie des Jahres 2020 zu gelangen.
Nun kann man sich den deutschen Teil-Lockdown immerhin damit versüßen, die einzelnen Folgen hintereinander weg zu sehen und sich endlich eine Meinung über etwas zu bilden, was bis dato vor allem Fans jenseits des '
Großen Teiches' vorbehalten blieb.
Doch gerade im Hinblick auf die anderen beiden großen Star-Trek-Serien bleibt anzumerken, dass ein Staffelfinale eine hohe Kunst zu sein scheint, die Star Trek nicht mehr so recht zu meistern weiß. Sowohl bei "
Picard" als auch "
Discovery" blieben die Saison-Endpunkte weit hinter den Erwartungen zurück und es drängt sich schon ein wenig die Frage auf, ob denn "
Lower Decks" auch in seiner vorerst letzten Episode dem bisher hohen Standard der Serie zu genügen weiß…
Die
USS Cerritos folgt dem Notruf ihres Schwesterschiffes
USS Solvang ins
Kalla-System, um
Captain Dayton ein weiteres Mal aus einer vermeintlich misslichen Lage zu befreien. Doch an ihrem Ziel angekommen, muss die Besatzung des Schiffes nicht nur erkennen, dass Dayton und ihr Schiff zerstört wurden, sondern auch selbst einem deutlich überlegenen Feind die Stirn zeigen. Doch die
Pakleds, die sich ihr Raumschiff aus den Teilen der Schiffe anderer Mächte zusammengestückelt haben, schaffen schnell klare Verhältnisse: Sie schießen die Schilde ihrer Gegner zu Kleinholz, reißen den Rumpf der Cerritos auf wie einen
Truthahn und transportieren gar ein grobschlächtiges Enterkommando an Bord, das sicherstellen soll, dass ihrem '
Frankenstein-Schiff' auch
Föderations-Technologie zuteilwird. Doch in derart düsteren Zeiten beginnt
Captain Carol Freeman endlich, das ungenutzte Potential
ihrer Tochter zum Besten ihres Schiffes und der
Sternenflotte einzusetzen…
Lobenswerte Aspekte.
Aufbau.
Ich habe es in vorangegangenen Rezensionen bereits erwähnt, aber muss es abermals betonen: Es ist und bleibt immer wieder erstaunlich, wie viel Handlung diese Trickfilmserie in ihre begrenzte Sendezeit packen kann! Während sich bei "
Discovery" ganze Folgen in Action-Streifen-Anleihen verlieren und auch bei "
Picard" am Ende nur wenige Fäden geschickt zu einem stimmigen Ganzen verwoben werden, glänzt ausgerechnet "
Lower Decks" mit einem stringenten Handlungsbogen, dem man kaum zutraut, dass er in weniger als einer halben Stunde etabliert wird, Fahrt aufnimmt und schließlich sogar in einem wahren
Feuerwerk endet.
Dabei bleibt besonders bemerkenswert, dass die dramatische Enthüllung, Beckett Mariner sei die Tochter des Captains Carol Freeman, dem ungläubigen Zuschauer genauso wie der nicht weniger ungläubigen Besatzung gleich innerhalb der ersten drei Minuten (und noch vor dem Vorspann!) vorgesetzt wird wie ein
Burger im Fast-Food-Restaurant. Bemerkenswert bleibt das vor allem deswegen, weil dieser über mehrere Folgen erarbeitete Showdown ob seiner Brisanz zwar von Bedeutung, aber dennoch nur ein kleines Licht in einer ganzen Reihe unglaublicher Entwicklungen ist.
So erlebt der Zuschauer die teilweise Zerstörung des liebgewonnenen Schiffes mit, wird zum Augenzeuge der kurzen Dienstzeit des ersten
Exocomps an Bord, sieht liebgewonnene Charaktere wie Dayton und
Shaxs das Zeitliche segnen und muss auch noch um das dramatische Schicksal des jungen Ingenieurs
Samanthan Rutherford bangen.
Im Hinblick auf die Folgenlängen bleibt ebenfalls erstaunlich, wie sehr sich die nur zehn halbstündige Episoden umfassende Serie auf sich selbst beruft. Angefangen bei der Mutter-Tochter-Beziehung über die gelungenen Charakterentwicklungen der vier
Fähnriche bis hin zur folgenreichen Rückkehr
Badgeys und
Boimlers Erfahrungen mit
Tulgana IV nutzt das Finale ein Potential, das man kaum für möglich gehalten hat, um einen schlüssigen Abschied zu formen, der den Vergleich mit seinen Seriengeschwistern mühelos zu den eigenen Gunsten entscheidet.
Zugegeben; zuweilen ist die Folge unnötig schlüpfrig (vgl.
Denkwürdige Zitate), brachial vulgär (inklusive zweier unnötiger
F-Bomben), spart nicht mit
Lens Flares und wirkt an manchen Stellen sogar arg brutal für den ansonsten eher heiteren Charakter der Serie.
Tatsächlich aber rücken diese Kritikpunkte im Vergleich zum Endprodukt in den Hintergrund; vor allem, weil sich die Serie traut, für einen erzählenswerte Star-Trek-Geschichte bis zum Äußersten zu gehen. Im Gegensatz zu "
Star Trek: Discovery" ist sie sich nämlich nicht zu schade dafür, einen ans Herz gewachsenen Charakter auf dramatische Weise über die
Schippe springen zu lassen.
Vor allem aber zeigt sie, wie man die Symbiose zwischen namhaftem Auftritt zweier beliebter Star-Trek-Veteranen (die im englischen Original auch von
Jonathan Frakes und
Marina Sirtis eingesprochen werden) und einer Raumschlacht hinbekommt, ohne die Fans enttäuscht zurückzulassen. Der Moment, in dem die
USS Titan von den Klängen der Star-Trek-Kinofilm-Musik untermalt fulminant über den Fernseh-Bildschirm fliegt, war jedenfalls ein absoluter Star-Trek-Höhepunkt.
Aber auch wenn sich hier alle Anstrengungen in einer kathartischen Lösung zu übertreffen versuchen, lassen die eifrigen Autoren um Serienschöpfer
Mike McMahan noch genügend Anknüpfungspunkte für die nächste Staffel übrig, die dringender Klärung bedürfen:
Wer ersetzt Shaxs als
Sicherheitschef der Cerritos?
Wie findet Rutherford sein Gedächtnis wieder?
Wird es beim brüchigen Burgfrieden zwischen Mariner und ihrer Mutter bleiben?
Und vor allem:
Auf welche Weise werden Mariner und der auf die USS Titan versetzte Boimler wieder zusammengeführt?
Schon die ersten paar Sekunden des Staffelfinales machen deutlich, dass die Autoren ihr Handwerk verstehen, denn als Aufhänger dieser Episode haben sich McMahans Mannen für eine Rückkehr zu einer legendären TOS-Episode ("
Landru und die Ewigkeit") entschlossen. Geschickt mit einer weiteren
TAS-Anspielung gepaart stellt die bewusste Anlehnung an beide Vorbilder noch einmal den Anspruch der Serie unter Beweis, den Kanon einfühlsam als Starthilfekabel für die eigenen Ambitionen zu nutzen.
Die Rechnung geht schon allein deshalb auf, weil sich dieses Prinzip zusammen mit einer unbestreitbaren Liebe fürs Detail im weiteren Verlauf fortsetzt:
So kann man Sternenflottenabsperrband, ein schlecht in Geschenkpapier gewickeltes
bat'leth, charaktervolle Strichmännchen auf der
Sequoia, eine Trümmerkollision wie im
elften Kinofilm, wohlbekannte Waffen (vom
ushaan-tor bis zu den Keulen aus
Worfs kallisthenischen Holodeckprogrammen), wohlbekannte Alkoholika (
Kanar,
Blutwein oder
saurianischer Brandy) einen
Tribble, die Downloadgeschwindigkeitsanzeige im
okularen Implantat Rutherfords, die USS Titan, einen
Saurianer, eine
Beerdigung mit
Zorn-des-Khan-Flair, einen
Teller mit dem Gesicht
Ransoms im Quartier Boimlers und einen
Riker, der das 'andere'
Picard-Manöver vollzieht, sehen (wenn man nicht im falschen Moment blinzelt).
Eine Sondererwähnung muss an dieser Stelle ein besonderes Stück Schmuggelware finden, denn die Folge markiert das erste Mal, dass jener
Star-Trek-Helm, mit dem die Spielzeugfirma
Remco 1976 versuchte Kapital aus Star-Trek-Fans zu schlagen, seinen ersten offiziellen Auftritt erhält. Das mittlerweile längst zu einem Kultobjekt avancierte Stück Merchandise spielt zwar keine sonderlich große Rolle, zeugt aber mit seiner bloßen Existenz sowohl vom Humor, als auch vom Fachwissen der verantwortlichen Seriengestalter.
Wer genau hinhört, wird zusätzlich auch noch mit geschickt eingebauten Erwähnungen von "
Gamesters of Triskelion", der
Obersten Direktive, dem
Captain-Freeman-Day,
Wechselbälgern, dem
Dominion-Krieg,
Wesley Crusher und
seiner Mutter, einen von Rutherford und den
Borg geteilter Schlafmodus, der
Enterprise, dem
First-Contact-Day, einem
cha'DIch, Rikers Vorliebe für
Holodeckprogramme über die
NX-01 und einem
Horga'hn belohnt.
In diesem Zusammenhang bleibt hervorzuheben, dass der Captain der Titan erstmals in der Geschichte der Franchise
den Titelsong von "
Star Trek: Enterprise" zitiert.
Aber auch andere – beinahe banale - Ideen gehören zur Zierde dieser Episode. Die Schutzfolien auf der brandneuen Solvang, britische Dialekte in amerikanischen Fernsehserien und vor allem
wirre Verschwörungstheoretiker (vgl.
Denkwürdige Zitate) werden gekonnt in den Handlungsrahmen eingewoben. Das freut vor allem Star-Trek-Fans, denn in eine ähnliche Richtung schlägt auch die Ablehnung
des Exocomps, sich für eine Selbstmordmission zum Allgemeinwohl aufzuopfern. Sie entspricht nämlich so ziemlich genau der Prämisse der
TNG-Folge "
Datas Hypothese" und führt zusammen mit anderen inhaltlichen Anleihen aus "
Das Herz eines Captains" oder "
Beförderungen" die Serie auf ungeahnte Höhen, auf denen tatsächlich noch nie zuvor jemand gewesen ist.
Die Autoren von "
Lower Decks" haben ihre Hausaufgaben also auf jeden Fall gemacht…
Kritikwürdige Aspekte.
Kanonbrüche und Logiklöcher.
Wisst ihr, worüber ich mich an dieser Stelle beschweren könnte?
Etwa über die extrem niedrige
Registrierungsnummer der USS Solvang.
Oder über die angeblich weiße Weste Boimlers, die ihn für eine Beförderung praktisch aufdrängt, denn sie widerspricht einer ganzen Reihe von Fehlgriffen, an die sich der
ersten Offizier Jack Ransom erinnern sollte (man bedenke nur, dass der Fähnrich ihm erst
einige Folge zuvor absichtlich heißen
Kaffee in den Schritt gegossen hat).
Oder dass es auf der Brücke der Solvang mindestens einen Stiefel zu wenig für die Anzahl an Crewmitgliedern gibt. Und warum sind zwei Paar von ihnen weiß? Oder hat da etwa jemand vergessen, die Stiefel für die Brückenoffiziere aus der Wissenschaftsabteilung zu kolorieren?
Nein, um etwas zum Schimpfen zu finden, müsste man schon schwere Geschütze auffahren.
Bestenfalls könnte man monieren, dass die Pakleds ein wenig arg doof und zeitgleich aber auch erstaunlich mächtig ausgefallen sind. Immerhin war die Spezies ja nicht völlig verschwunden, sondern im Hintergrund bei "
Deep Space Nine" des Öfteren zu bewundern. Aber auch das mag nicht so recht zum Kritteln taugen, da es tatsächlich auch gelungen ist, der vernachlässigten Spezies ein wenig mehr Hintergrund zu verleihen (indem die hier gezeigten Vertreter keineswegs so schwerfällig wirkten wie in der TNG-Folge und auch tatsächlich ihr negatives Image durch ein verruchteres ersetzen können).
So könnte ich tatsächlich nur eines anmerken:
Mit dieser Folge wurde dem reichhaltigen Bücheruniversum der endgültige Todesstoß versetzt. Schließlich gibt es eine ausführliche literarische Aufarbeitung der Abenteuer der Familie Riker in den Romanen der
"Titan"-Reihe, für die schließlich auch das Raumschiff-Modell entworfen wurde, dessen sich die "
Lower Decks"-Macher hier bedienten. Dort aber hört die Sorgfalt auch schon auf, denn obwohl die Brückencrew in diesen Werken sehr genau beschrieben wird, tauchen die illustren (und vor allem vielen unterschiedlichen Spezies angehörenden) Charaktere nicht in der Serie auf.
Das ist natürlich etwas schade, aber andererseits auch Meckern auf verdammt hohem Niveau.
Das turbulente Staffelfinale von "Lower Decks" ist ein wahrer Leckerbissen für Star-Trek-Fans. In nur siebenundzwanzig Minuten wird eine nicht immer jugendfreie, aber dafür mitreißende, kanongerechte, vielschichtige und actionreiche Handlung aufgetischt, die mit mehreren überraschenden Momenten für jeden Geschmack aufwartet und die innere Geschlossenheit der Staffel perfekt abrundet. Als Sahnehäubchen serviert es zwei Gastauftritte altbekannter Veteranen und krönt im Star-Trek-Jahr 2020 ein Drei-Gänge-Menü, dass seinen kulinarischen Höhepunkt definitiv in seinem Nachtisch findet.
Bewertung.
Ein wahres Feuerwerk!
Schluss.
Es liegt mir natürlich fern, "Picard" oder "Discovery" herunterzuputzen. Nicht zuletzt, weil Star Trek mittlerweile eine spannende Vielfalt bietet, aus der sich jeder Fan selbst die Rosinen herauspicken kann. Jede einzelne Serie hat ihren ganz eigenen Stil und dadurch auch seine Daseinsberechtigung.
Fragt man mich persönlich aber, welche der aktuellen Serien in meinen Augen die beste sei, so lautet meine (von einem Strahlen in den Augen begleitete) Antwort ganz klar: "Lower Decks".
Die Serie bietet die perfekte Verschmelzung von Kanon und einer eigenen Geschichte und stellt lebendig unter Beweis, dass man dieser Tage sehr wohl eine gute Star-Trek-Geschichte erzählen kann, ohne in jede Kanonvorgabe zu treten wie in ein Fettnäpfchen. Stattdessen hat die Serie das Kunststück geschafft, den größeren Star-Trek-Rahmen als Chance zu nutzen, um die eigene Erzählung gekonnt auszuschmücken. Dabei kommt es mir noch nicht einmal auf die vielen Anspielungen an, die manchmal etwas bemüht unter die Dialoge gemengt wurden. Es ist eher das Flair eines Universums, in dem die vielen größeren und kleineren Zusammenhänge dazu dienen, Brücken zu schlagen, um damit einen Wiedererkennungswert zu erzeugen. Planeten wie Tulgana IV, Offiziere wie Shaxs und Schiffe wie die USS Cerritos bleiben eigene Erfindungen der Serie, aber stehen auch in einer Traditionslinie, die deutlich erkennbar bleibt. Dass es den Autoren zudem immer wieder gelingt, das Franchise und sein Fantum zu parodieren, macht einen großen Teil des Unterhaltungsfaktors aus.
Alles, was man tun muss, um die Serie genießen zu können, ist über den Schatten zu springen, der für viele Leute in der Erzählform einer Zeichentrickserie liegt. Doch die Überwindung kann äußerst lohnenswert sein – wenn man diesen Sprung meistert.
Denkwürdige Zitate."
Consume the intruders! Obey Landru!"
"
Hey! Don't make me paradox you into destroying yourself…"
"
Landru apologizes…"
Landru and Captain Carol Freeman
"
Yeah, I know; it's always weird revisiting Planets from the TOS-era."
"
TOS?"
"
It's what I call the twentytwo-sixties. It stands for "Those Old Scientists'. You know, Spock, Scotty, those guys? It seems they were stumbling into crazy new aliens every week back then…"
Jack Ransom und Freeman
"
Captain Freeman is your mom!"
"
I don't… I don't know what you're talking about!"
"
Oh come on, Mariner, the Captain's your mom, your dad's an admiral – you're basicly Starfleet royalty. I mean, how cool is that?!"
Bradward Boimler und Beckett Mariner
"
I'm only hard on you when you make me hard! I mean, I'm.. I'm not hard right now, I mean I could get hard, if I wanted to, but I'm not hard right now… I'm so sorry, you're bot great!"
Ransom
"
Hey, Mariner! I'm Lieutenant Levy, we went on a date last year, I don't know if you recall…"
"
Yeah, Steve, I remember. You said Wolf 359 was an inside job…"
"
Hahaha – it totally was!"
Mariner und Levy
"
This ist he best day of my life!"
Shaxs
"
Oh no, it's another Enterprise!"
Pakled-Captain
"
Mariner! This makes us even…"
William T. Riker
"
No! I hate it when a ship get's repaired and comes out looking all 'Souvereign class'…"
Freeman
"
Do you remember me at all?"
"
Well, no. But don't take it personally – I don't remember what I don't remember!"
"
You know what this means, right? We get to become best friends all over again!!"
"
Yeah, well that's Starfleet - good at observing and bad at maintaining."
Mariner
Weiterführende Leseliste.
Staffel 1.01. Rezension zu "
Second Contact"
02. Rezension zu "
Envoy"
03. Rezension zu "
Temporal Edict"
04. Rezension zu "
Moist Vessel"
05. Rezension zu "
Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "
Terminal Provocations"
07. Rezension zu "
Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "
Veritas"
09. Rezension zu "
Crisis Point"
10. Rezension zu "
No Small Parts"
Staffel 2.01. Rezension zu "
Seltsame Energien"