Posts mit dem Label Senf werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Senf werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 19. Dezember 2020

Turons Senf zu "Terra Firma, Teil II" [DIS, S3Nr10]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Terra Firma, Teil II", den zehnten Teil der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
In einem der Kommentare zur vorherigen Rezension wies "Christian von wechselnden Planeten" darauf hin, dass einer der Verdienste der letzten Folge gewesen sei, dass es "Star Trek: Discovery" endlich gelungen sei, auf sich selbst Bezug zu nehmen und der eigenen Erzähltradition zu folgen, wie es z.B. TNG durch die Bank weg getan hat.
Ich habe mir meine Antwort für diese Einleitung aufgehoben, denn tatsächlich schafft "Discovery" dies in meinen Augen bereits seit der zweiten Staffel (vgl. dazu die Ausführungen zur vierten Folge "Charonspfennig"). Zählt man zudem die Short Treks hinzu, in denen die Serie die Etablierung verschiedener Handlungselemente geschickt in die Staffel-Adventszeit auslagerte, kann man der Serie durchaus zugestehen, bereits frühzeitig ein eigenes Gepräge aufgebaut und extensiv genutzt zu haben.
Aber ist das wirklich die ganze Wahrheit?
Seit Anfang an bediente sich die Serie auch großzügig bei jenem Vorbild, dem sie chronologisch vorangesetzt wurde; der stilprägenden Originalserie. So wurde Michael Burnham kurzerhand in die Familie von niemand geringerem als Sarek vom Vulkan hineingedichtet, die Reise des Schiffes führte in das durch TOS begründete Spiegeluniversum und das Staffelfinale endete mit einem Rendezvous mit der USS Enterprise. Die zweite Staffel verstärkte diesen Trend sogar noch. Originalseriencharaktere wie Christopher Pike, Spock oder Nummer Eins bestimmten den Kurs, wohlbekannte Rollstuhlvisionen schockierten den ersatzweisen Captain und den Höhepunkt bildete ein stilvoller Besuch des verbotenen Planeten Talos IV. Beinahe wirkte es, als würde sich die Serie allmählich mit ihrer ungünstigen Position im Fahrwasser der einflussreichsten Star-Trek-Serie überhaupt arrangieren können, auch wenn es weiterhin eine Vielzahl von Kanonbrüchen und Logiklöchern zu bewundern gab.
Doch dann zog Alex Kurtzman plötzlich die Reißleine, um "Discovery" auf neue kreative Höhen zu katapultieren.
Die Flucht nach vorn, die das Schiff mit seinem Sprung in eine neunhundertdreißig Jahre entfernte Zukunft auslöste, sollte unter anderem auch dazu dienen, sich von TOS abzunabeln und eigene Wege zu beschreiten. Mit einer Rückkehr ins Spiegeluniversum jedoch beschwor die Serie nun aber alter Geister wieder herauf, die längst verschwunden geglaubt schienen…


Story.
Zurück im Spiegeluniversum versucht die innerlich zerrissene Imperatorin Philippa Georgiou verzweifelt, ihre geliebte Ziehtochter Michael Burnham nach deren Verrat wieder auf Linie zu trimmen. So verschont sie – allen ehernen Traditionen zum Trotz – das Leben der Verräterin. Im Zuge einer intensiven Gehirnwäsche gelingt es ihr zunächst, ihr verloren geglaubtes Kind dazu zu bringen, einer Handvoll an Co-Konspiratoren effektvoll zur Strecke zu bringen. Doch in Sicherheit wiegen kann sich die Herrscherin – deren eigene Ansichten sich durch den unfreiwilligen Sabbatical in einem anderen Universum grundlegend gewandelt haben - deshalb noch lange nicht, denn die aggressive Natur der Spiegeluniversumsvariante von Michael Burnham lässt sich in ein paar Monaten keineswegs einfach so mir-nichts-dir-nichts außer Kraft setzen…


Lobenswerter Aspekt.

Besetzung.
Die Folge zeigt durch die Kombination zweier sehr gegensätzlicher Plots erneut, dass die wahre Stärke von "Star Trek: Discovery" (wie in jeder anderen Star-Trek-Serie eigentlich auch) in der vielfältigen Mannschaft der USS Discovery liegt. Eine Episode funktioniert schlichtweg besser, wenn alle Beteiligten etwas Sinnstiftendes zu tun haben und durch ihre Zusammenarbeit Fortschritte erzielen, die einem größeren Ganzen dienen. Außerdem beweist "Terra Firma, Teil II" eindrucksvoll, dass nicht nur der Fokus auf Michael Burnham doof ist, sondern die Fokussierung auf einzelne Person generell eine schwache Idee ist.
Doch der Reihe nach:
Michelle Yeoh schafft es als geläuterte Imperatorin Philippa Georgiou durchaus, dem Charakterwandel ihrer Figur den notwendigen Ausdruck zu verleihen. Die Tragik, in ihren Reformversuchen ebenso kläglich zu scheitern wie ihr Spiegeluniversumskollege Spock wird von ihr schlüssig transportiert und tatsächlich gelingt es ihr in einigen Momenten sogar, ihrer stets befremdlich anmutenden Fixierung auf Michael Burnham durch sehr emotionale Einblicke in ihr Seelenleben nachträglich Gewicht zu verleihen. Zudem darf Yeoh in einem munteren Showdown noch einmal ihre legendären Zweikampfkünste unter Beweis stellen.
Yeohs intensive Darstellung wird jedoch durch zwei Faktoren entscheidend gemindert:
Zum einen entpuppt sich ihr dreimonatiges Martyrium letzten Endes als Test, um die charakterliche Integrität einer Regentin zu prüfen, die während ihrer Bewährungsprobe munter auf Manipulation, Folter und Mord beharrt. Es riecht nach einer Mischung aus der neunten Staffel Dallas, die sich am Ende komplett als Traum einer einzigen Figur entpuppte und dem Attest einer Querdenkerin zur Befreiung vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, das den Stempel der Arztpraxis ihres Schwiegersohns trägt.
Zum anderen wirkt das alles völlig überstürzt, da sich die Autoren in den Folgen zuvor kaum die Mühe gemacht haben, diese identitätsverschiebende Wesensveränderungen auf angemessene Weise anzubahnen. Tatsächlich hätten längere Szenen, in denen Georgiou mit Saru, Tilly oder all den anderen Besatzungsmitgliedern interagiert hätte, dieser Entwicklung den Weg bereiten können, aber diese sind zulasten eines Fokus' auf die Hauptfigur der Serie ersatzlos entfallen. So aber wirkt all das ein wenig über das Knie gebrochen, nicht zuletzt, weil eine Philippa Georgiou in einer Zukunft, in der eine gewissenlose Verbrecherbande einen zentralen Machtfaktor darstellt, durchaus ihre Daseinsberechtigung gehabt hätte. Aber bereits in den vorangegangenen Folgen hatte sich angedeutet, dass die Autoren mit der Figur kaum noch etwas Besseres anfangen konnten, als ihr ein paar Zoten und markige Sprüche in den Mund zu legen.
Dennoch kann ich der Entwicklung auch Verständnis abringen. Dass Georgiou nun plötzlich nicht mehr plakativ böse, aber definitiv auch nicht wirklich gut zu sein scheint, ist vielleicht kein Schachzug, der die Zuschaueridentifikation sonderlich befördert, bietet dafür aber eine richtungsweisende Ambivalenz für die kommende Sektion-31-Serie: Eine Frau, deren Gewissen es erlaubt, die Drecksarbeit zu erledigen, um ein utopisches Paradies vor der grausamen Welt um sie herum zu bewahren, bietet der ruchlosen Geheimorganisation genau jenen willigen Mitarbeiter, den sie für ihre verdeckten Aktionen benötigt. So gesehen mag dieser Discovery-Folge die Glaubwürdigkeit vielleicht abgehen, aber auf lange Sicht bildet sie den nötigen Grundstock für eine Serie abseits der Sternenflotten-Ideale.


Sonequa Martin-Green kann unter dem Label Michael Burnhams abermals gleich zwei Rollen auf einmal verkörpern: Zum einen die plumpe Spiegeluniversumseingeborene, deren unerfolgreicher Loyalitätswandel im Spiegeluniversum ebenso vorhersehbar wie ihr Tod war. Ihrer flachen Darstellung einer flachen Figur haftet ein wenig der Makel des Overactings an, aber immerhin bleibt es ihr vergönnt, die Handlung maßgeblich mitzubestimmen. Zudem verpasst sie die sich hier bietende Chance, ihre brutale Folter und das Brechen ihrer Persönlichkeit thematisch eindringlich zu behandeln, nur um ihr einen schwach orchestrierten Verrat anzuhängen.
Ihr Gegenstück zeichnet sich (für Discovery-Verhältnisse) zum anderen durch eine erstaunliche Passivität aus, auch wenn - oder gerade weil - ihr vor allem recht emotionale Szenen vorbehalten bleiben, in denen sie abermals ihren Tränen freien Lauf lässt.
Diese Diskrepanz zwischen dem Spiegeluniversum und der primären Realität setzt sich bei Sylvia Tilly nahtlos fort. Ihre Mirror-Version hat zwar wenig zu tun, wirkt aber in ihrer Bosheit komplexer als die meisten ihrer Kollegen und markiert damit einen der besseren Auftritte dieses Universums. Er wird allerdings durch einen eher schwächeren Gegenpart in der anderen Realität geschmälert, in der Tilly durch merkwürdig deplatzierte Anmerkungen über Georgiou noch kriecherischer wirkt, als ihr Pendant es gegenüber der Imperatorin jemals war.
Der bemerkenswerteste Auftritt des Spiegeluniversums bleibt jedoch Doug Jones vorbehalten. Der Schauspieler findet den schmalen Grat zwischen Unterwürfigkeit und begrenztem Selbstbewusstsein, der für diesen Part notwendig ist, erstaunlich gut. Das trotz der schweren Maske deutlich spürbare Entsetzen, das seine Rolle Saru befällt, wenn ihm Georgiou die Wahrheit über das vaha'rai erzählt, gehört zu den absoluten Höhepunkten dieser Episode und unterstreicht die Qualitäten des Darstellers.
Im Gegensatz dazu macht Saru allerdings eine weniger gute Figur als Captain der USS Discovery. Tatsächlich kann ich Admiral Vances berechtigte Vorwürfe gut nachvollziehen, denn der Kelpianer lässt die Professionalität seines Berufsstandes durchaus vermissen. Daran trägt Jones allerdings keine Schuld, sondern wird zum Spielball der Autoren, die nun beweisen müssen, dass diese fragwürdige (dem pedantischen Charakter widersprechende) Entscheidung in späteren Episoden von Mehrwert sein wird.
Der Rest der Besatzung bleibt ein weiteres Mal weit hinter den genannten Personen zurück. Sicherlich hinterlassen einige von ihnen, wie etwa Anthony Rapp (als Paul Stamets), Emily Coutts (als Keyla Detmer) oder Oyin Oladejo (als Joann Owasekun) durchaus einen bleibenden Eindruck, aber auch wenn sie ein oder zwei Worte mehr zu sagen haben als etwa Wilson Cruz (als Hugh Culber, dem vor allem in Spiegeluniversum noch nicht einmal eine Sprechrolle zuteilwird!), Blu de Barrio (als Adira Tal) oder David Ajala (Cleveland Booker), bleiben sie weit hinter den Möglichkeiten zurück.
Müsste man jedoch eine Szene wählen, die im besonderen Maße gelungen ist, so wäre es in meinen Augen jene, in denen Book, Stamets und Adira erfolgreich zusammenarbeiten, um einen Link zum Kelpianer-Schiff herzustellen, denn in diesem Moment zeigt sich, wie sehr die Crew der Discovery zusammengewachsen ist und wie viel lohnenswerter die Arbeit in einem Team im Vergleich zur Einzelkämpfer-Mentalität des Spiegeluniversums ausfällt. Allein mit dieser überschaubaren Szene schafft es der zweite Plot der Folge, sich über den ersten zu erheben und damit auch indirekt die Frage aufzuwerfen, wie sinnvoll der Spinoff-Versuch kurz vor Staffelende wirklich war.
Maßgeblich an dieser Szene beteiligt ist übrigens auch ein altbekanntes Gesicht, das eine längere Pause eingelegt hat (vgl. Denkwürdige Zitate): Tig Notaro kehrt für ein paar Einstellungen als Jett Reno zurück und schlüpft ohne viel Federlesen in die Rolle des schroffen, antiautoritären und schonungslosen Sprücheklopfers zurück, die ihr zuvor von Georgiou streitig gemacht wurde. Damit wurde auch gleich die Chemie zwischen den einzelnen Charakteren verbessert, weswegen ihre Rückkehr zu den großen Pluspunkten dieser Folge gezählt werden muss.


Unter den Gaststars dieser Folge gebührt Paul Guilfoyle als Carl die Pole Position. Über die Enthüllung, dass sich hinter dem Zigarre-rauchenden, Zeitung-lesenden und in Rätseln sprechenden Eremiten der Hüter der Ewigkeit verbirgt, kann man geteilter Meinung sein, aber in einer Staffel, die bislang erstaunlich arm an erinnerungswürdigen Gastauftritten bleibt, war seine Interpretation der Verkörperung einer künstlich-intelligenten Raum-Zeitmaschine mit Abstand das außergewöhnlichste, was der Zuschauer bis dato geboten bekommen hat.
Das zeigt sich beispielsweise im direkten Vergleich mit der Person Duggans, dessen Besetzung mit Daniel Kash (bekannt aus Aliens, Ein Mountie in Chicago, Dresden Files, The Expanse oder Orphan Black) in einem krassen Gegensatz zu seinem geringen Einfluss auf die Episode steht. In diesem Fall liegt die Vermutung nahe, dass Kash in der kommenden Sektion-31-Serie eine größere Rolle spielen könnte und dieser Kurzauftritt im Spiegeluniversum so etwas wie eine Aufwärmübung für einen Darsteller dieses Kalibers bedeutete.
Auch wenn Oded Fehr als Admiral Charles Vance Saru gegenüber die richtigen Fragen stellt, bleibt er erstaunlich inkonsequent für jemanden in einer so verantwortungsvollen Führungsposition. Dieser Widerspruch zieht sich allerdings bereits seit seinem Erstauftritt durch den Charakter, dem es dadurch auch an Glaubwürdigkeit mangelt.
Zu den positiven Aspekten des Spiegeluniversums zählt auch dieses Mal wieder, dass sowohl Hannah Cheeseman als auch Rekha Sharma mit von der Partie sein dürfen.
Doch wer 'A' sagt, muss auch 'B' sagen!
Nach den zahlreichen Erwähnungen Gabriel Lorcas hätte ein Auftritt Jason Isaacs den Abschied Michelle Yeohs und diesen Ausflug in die antiken Discovery-Erzählgründe abrunden können, doch diese Chance ließ die Serie ungenutzt liegen. Sicherlich hätte die Verpflichtung des namhaften Schauspielers aber auch das sichtbar eingeschränkte Budget (die Handlung beschränkt sich auf die Sets der Discovery, CGI-Effekte wie der Vorspann, die Ermordung Burnhams oder der Hüter der Ewigkeit bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück) gesprengt und so kann man sich als Fan damit trösten, dass der terranische Thron nach dem Tod Burnhams als auch der Imperatorin Georgiou für den 'Vikar' freigemacht wurde. Und wer weiß, vielleicht überschneidet sich die Sektion-31-Serie ja noch einmal mit dieser Zeitlinie, die vom Wächter der Ewigkeit begründet wurde…


Kritikwürdige Aspekte.

Folgenaufbau und Moralität.
"Terra Firma, Teil II" gelingt es nicht wesentlich, seinem schwachen ersten Teil nachträglich die nötige Legitimation zu verleihen.
Die Folge bleibt ein Zwitterwesen aus Spinoff und Abschiedsfolge, das sich anders als ihr Vorgänger anfühlt; etwa im Erzähltempo, dem Inhalt oder der Intensität der Figurenausleuchtung.
Doch auch in der Wahl der künstlerischen Ausgestaltung lässt sich ein offener Bruch ausmachen, da die Regiedebütantin Chloe Domont in ihrer Folge mit nervösen Wackelkameras, extensiven Porträtaufnahmen oder waghalsigen Kamerasaltos zusätzlichen einen unnötigen Formkontrast zum ersten Teil aufbaut. Dies geschieht auf Kosten einer visuellen Kontinuität und lässt die berechtigte Frage aufkommen, ob nicht vielleicht ein gemeinsamer Regisseur für beide Episoden sinnvoll gewesen wäre.
Als wäre diese Abnabelung vom Vorgänger nicht bereits schwerwiegend genug, trennt sich auch die Handlung (wie bereits in der Woche zuvor) in zwei sehr unterschiedliche Plots in sehr unterschiedlicher Ausprägung. So nimmt der Spiegeluniversumsteil stolze zwei Drittel der Folge ein. Domont gibt sich jedoch sichtlich Mühe, stilistische Elemente wie omnipräsente Spiegelungen, historische Querbezüge wie Burnhams Gefangenenkleidung (die an "Lakaien und Könige" erinnert) oder ein Auge für Design-Details (z.B. die fliegenden Rangabzeichen in Zeitlupe) zu bewahren.
Die dunklen Spiegeluniversumsszenen (deren Charakter sich schon durch den veränderten Vorspann ankündigen) stehen in einem Gegensatz zu den strahlend hellen Einstellungen an Bord der USS Discovery, denen in ihrem Umfang allerdings deutlich weniger Platz zur Verfügung steht und die in ihrer Funktion größtenteils auf eine bloße Spiegelung der Verhältnisse in beiden Realitäten reduziert werden können.
Dabei bleibt der schrägste Moment die Abschiedsszene in der Mannschaftsmesse, in der beinahe jedes Crewmitglied noch einmal die Vorzüge Philippa Georgious preisen durfte.
Die etwas surreal anmutende Trauerstimmung wird wohl am ehesten als metaphorisches Gegenstück zum Spiegeluniversum verständlich, doch insbesondere die einseitige Sicht auf Philippa Georgiou wird weder der Figur, noch ihren Lebensumständen gerecht. Denn die rücksichtslose Despotin, die dereinst die USS Discovery übernommen hatte, um einen Genozid an den Klingonen durchzuführen, hat deutlich kritischere Worte verdient als das recht harmlose "Hassliebesgeständnis" Michael Burnhams. Im Angesicht ihres fehlenden Respekts vor Leben, ihrem Hang für Folter und ihrer Leidenschaft für Gewalt sendet die Betonung von vermeintlich harmlosen Aspekten wie ihrem verwegenen Kleidungsstil, ihrem fehlenden Taktgefühl oder ihrer bedingungslose Ehrlichkeit (die keineswegs so konstant war wie Saru sie in seiner verklärten Erinnerung hatte) ein bedenkliches Signal in punkto Moralität aus. Bedenkt man ferner, dass sie trotz dieser offen zur Schau gestellten Abgründe ihre galaktische Charakterprüfung bestanden hat, wird deutlich, dass sich "Discovery" mit ihr vielleicht vom erzählerischen Ballast der Vergangenheit befreit hat, aber dafür auch die Werte und Ideale, die man in den letzten paar Folgen nicht müde wurde zu betonen, augenscheinlich mit Füßen tritt. Ich will nicht in den Chor der Personen einstimmen, die Georgiou gern als "Weltraum-Hitler" bezeichnen (vor allem weil ich glaube, dass ihre Herkunft ihr zum Überleben keine andere Wahl gelassen hat, als zu Intrigen, Brutalität und Mord zu greifen), aber diese plötzliche Absolution spiegelt weder den Verlauf der Handlung, noch die Entwicklung der Figur innerhalb der Serie angemessen wieder und steht in einem krassen Widerspruch zur Erzähltradition dieser Franchise. Darüber, was das im Hinblick auf den tagesaktuellen Bezug von Science Fiction bedeuten mag, möchte ich an dieser Stelle lieber erst gar nicht eingehen…
Im schlechtesten Fall kann man darin eine wegweisende Entscheidung für die neue Sektion-31-Serie sehen. Wenn man nämlich eine Serie konzipiert, in der die Charaktere über Leichen gehen, um die fragile Unschuld ihres Föderationsparadieses zu wahren, scheinen dementsprechend ausgestaltete Charaktere als eine logische Wahl. Eine eigens dafür konstruierte Spinoff-Folge, die diesem brachialen Gedanken huldigt, ist im Rahmen einer solchen Prämisse sogar irgendwie schlüssig, selbst wenn sie dem bisherigen Kurs von "Discovery" im Speziellen und Star Trek im Allgemeinen widersprechen mag. Es gilt allerdings zu bedenken, dass der Reiz der Sektion 31 stets mit dem moralischen Dilemma verbunden war, das den Taten der Geheimorganisation entgegenstand und man darf wohl gespannt sein, ob sich dieser Aspekt erhalten wird oder in explosiven Gewaltorgien heimlich, still und leise ad acta gelegt wird.  
Aufgrund der moralisch vergleichsweise prekären Implikationen bin ich eher geneigt, in der Schlussszene einen Abschied des Produktionsteams von einer geschätzten Schauspielkollegin zu sehen. Das ist als Statement durchaus verständlich, aber auch hier bleibt anzumerken, dass all die freundlichen Bemerkungen glaubhafter gewirkt hätten, wenn man im Vorfeld zugelassen hätte, dass Georgiou eine emotionale Bindung zu ihren Crewmitgliedern aufgebaut hätte. Denn den Lobeshymnen von Detmer, Owosekun oder Reno hätte man mehr Gewicht verleihen können, wenn die Autoren sich in vorangegangenen Folgen dazu herabgelassen hätten, diesen Figuren ein wenig gemeinsamen Raum zu vergönnen.


Kanonbrüche und Logiklöcher.
An dieser Stelle kommen wir nicht umhin, den dicksten Fisch dieser Folge bei der Flosse zu packen und aus dem modrigen Brackwasser des Spiegeluniversums zu heben: Der Hüter der Ewigkeit ist mit einem Paukenschlag zurück!
Das mag nach den geschickt in die letzte Episode gestreuten Hinweisen vielleicht absehbar sein, ist aber auch mit einigen Problemen behaftet. So hatten sowohl die TOS-Episode "Griff in die Geschichte" als auch die TAS-Folge "Das Zeitportal" die Fähigkeiten dieses stationären Sternentors noch ganz anders dargestellt: Mit ihrem Sprung zurück beeinflussten Personen wie Leonard McCoy oder Spock die Zeitlinie spürbar. Was aber Carl in diesem Fall für Georgiou aus der Melone zaubert, wirkt spürbar anders. Durch das verfrühte Ableben von Personen wie Paul Stamets, Ellen Landry oder Keyla Detmer wissen wir zwar, dass es sich nicht um das richtige Spiegeluniversum handelt, aber der Hinweis auf das Fortleben Sarus legt nahe, dass durch den Test ein neuer Zweig des Spiegeluniversums entstanden ist (ähnlich wie das Abramsverse im Vergleich zur primären Zeitlinie). Das klingt im ersten Moment sicherlich nach einem Widerspruch in der Funktionsweise des Zeitportals.
Aber zwischen den Ereignissen der Originalserie und dieser Folge liegen nicht nur mehr als neunhundert Jahre, sondern auch die verheerenden Ereignisse der temporalen Kriege, in deren Verlauf verschiedene Fraktionen offensichtlich versucht haben, den Hüter der Ewigkeit für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Glaubt man den Worten Carls, so musste er einen Weg finden, diese Einflussnahme zu unterbinden. Neben der Entwicklung eines Avatars zählte dazu wohl auch die Flucht aus dem Sternensystem und die Verwendung von Sicherheitsprotokollen, um einem Missbrauch den Riegel vorzuschieben.
Damit hat es diese Folge in meinen Augen geschafft, einen festen Bestandteil der Originalserie (die Folge "Griff in die Geschichte" zählt zu Recht zu den besten der Franchise) entscheidend weiterzuentwickeln, einen Charakter zu erschaffen, der sich in zukünftigen Episoden als hilfreich erweisen könnte und hat dabei sogar etwas für die Glaubwürdigkeit des Hüters getan. Tatsächlich boten die Ausführungen den temporalen Kriegen derart viel Potential, dass ich nach den schlechten Vorzeichen für die Sektion-31-Serie lieber eine Spinoff für eine Serie zu Zeitsoldaten und ihren Einsätzen sehen wollen würde. Das allerdings würde ein nahezu enzyklopädisches Verständnis der verantwortlichen Autoren für das Star-Trek-Universum voraussetzen, doch derlei Personal scheint auf dem Arbeitsmarkt gerade nicht verfügbar zu sein, wie diese Folge ebenfalls unter Beweis stellt.
Ein gutes Beispiel dafür liefern die neuen "vollpolarisierten Warpleitungen", mit denen sich Jett Reno zu Recht die Zeit vertrieben hat, denn diese Technologie ist laut der Voyager-Episode "Subraumspalten" nicht nur sehr ertragreich, sondern auch so gefährlich, dass sie ganze Zivilisationen auszulöschen vermag. Abgesehen davon, dass es ein Vertragswerk gibt, das den Gebrauch dieser Technologie ausdrücklich untersagt, stellt sich zudem die Frage, warum man diese Energiequelle nicht für Warpantriebe verwendet, denn wie bereits in vorangegangenen Rezensionen ausgeführt dient Dilithium lediglich dafür, als Reaktionsmedium bei der Energiegewinnung durch Materie-Antimaterie-Interaktion zu fungieren.
Philippa Georgious Auflösungserscheinungen sind ebenfalls ganz schön aus der Luft gegriffen.
Denn eine Person, die nicht nur in einer anderen Parallelwelt, sondern auch in eine andere Zeit gespült wurde, gab es in der reichhaltigen Star-Trek-Geschichte schon einmal. Alex Kurtzman sollte davon wissen, denn er war einer der Autoren des Drehbuches für "Star Trek [2009]", Wieso der ehemaligen Spiegeluniversumsimperatorin ständig die Gesichtszüge entgleisen, während der von Leonard Nimoy gespielte Spock des Primäruniversums davon unbehelligt eines natürlichen Todes sterben konnte, vermag sich mir nicht so recht erschließen.
Zudem entspannt sich ein schwerer Widerspruch daraus, einerseits den Hüter der Ewigkeit aus der Asservatenkammer zu holen, um damit eine Traditionslinie aus der Originalserie zu huldigen, während man an anderer Stelle der Serie offen wiederspricht.
Der Tantalusstrahler nämlich, über den Georgiou in ihren Gemächern verfügt und mit dem sie ihre Ziehtocher "[..] per Knopfdruck töten […]" könnte, spielt natürlich auf die TOS-Episode "Das Paralleluniversum" an. Dumm nur, dass Kirks Spiegeluniversumsvariante das geheime Gerät von einem außerirdischen Wissenschaftler erbeutet hat und diesen außergewöhnlichen taktischen Vorteil nutzt, um Karriere zu machen und Widersacher auszuschalten. Das gleiche Gerät zwölf Jahre vorher aber schon in den Händen der Imperatorin zu sehen, gräbt dem mysteriösen Aufstieg des Offiziers das Wasser ab. Zudem wäre es interessant zu wissen, ob die Imperatorin das Gerät bei jeder ihrer Reisen neu installieren lässt…
Andere vermeintliche Widersprüche lassen sich mit viel Kompromissbereitschaft hingegen auflösen:  
Die ISS Discovery soll das einzige Schiff in einem Umkreis von hundert Lichtjahren um Risa herum sein?
Vielleicht ist das Imperium auch wegen des Schiffsmangels ständigen Aufständen ausgesetzt.
Der Planet Risa hat plötzlich Ringe?
Vielleicht hat die imperiale Flotte einen der Monde als Machtdemonstration zerstört.
War Sarus vaha'rai nicht etwas verfrüht, zumal es in "Der Charonspfennig" von der Sphäre künstlich beschleunigt wurde?
Es könnte auf die Einwirkungen des Zeitportals zurückzuführen sein, um genau diesen Teil zum Gegenstand der Prüfung werden zu lassen.
Der Vollständigkeit halber will ich einen Punkt aber nicht unerwähnt lassen.
Den ganzen zwei Folgen überspannenden Spinoff hätte man sich auch bequem sparen können, wenn man Philippa Georgiou bei der Zeitreise in eine fast tausend Jahre entfernte Zukunft einfach zurückgelassen hätte. Im Hinblick auf eine Staffellänge von nur dreizehn Episoden bei "Discovery" und des bereits mehrfach verschobenen Drehbeginns der bislang noch auf das Reißbrett beschränkten Sektion-31-Serie, fühlt es sich an, als habe man zwei Folgen unnötig geopfert, die alternativ dazu hätten genutzt werden können, die Figuren mehr miteinander interagieren zu lassen, ein paar weitere Planeten zurück in den Schoß der Föderation zu holen und die Haupthandlung voranzutreiben. Ob ein derartiger Spinoff in Zeiten des seriellen Erzählens wirklich noch angemessen ist, möchte ich an dieser Stelle einfach mal bezweifeln, denn ein eigener Pilotfilm, in dem die Hauptprotagonistin mit den anderen Figuren im Rahmen der Serie zusammengeführt worden wäre, erscheint mir noch immer sinnvoller, als den Erzählfluss von "Discovery" zu abrupt zu unterbrechen.


Ausblick.
Vorsicht, dieser Abschnitt enthält eventuell Spoiler auf kommende Episoden!
In Anbetracht der Möglichkeit, diesen Zweiteiler als Starthilfe für eine Sektion-31-Serie zu nutzen, lassen sich bereits einige Vermutungen anstellen, wohin die Reise gehen wird. Zwar würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, eine konkrete Zeit zu benennen, in der Georgiou letztendlich landen wird, aber einige Entwicklungen scheinen sich deutlich abzuzeichnen.
Wie bereits erwähnt scheint die Serie Graubereiche ausloten zu wollen und auf Michelle Yeoh als Zugpferd zu setzen. Neben Daniel Kash als Duggan dürfte wohl auch Georgious früherer Intimus (Hu)San mit von der Partie sein und die Rolle Michael Burnhams als emotionaler Rettungsanker für die frühere Imperatorin einnehmen.
Doch auch für "Discovery" wage ich eine weitere Prognose.
Books leichtsinniger Einsatz der Smaragdketten-Alexa wird die mafiöse Verbrecherorganisation ebenfalls zur Khi'eth führen, wo sie versuchen wird, der USS Disovery in eine Falle zu locken, um ihres wertvollen Sporenantriebes habhaft zu werden…


Synchronisation.
Abermals möchte ich an dieser Stelle den sinnvollen Gebrauch des Siezens und Duzens hervorheben. Vor allem der Wechsel von der Höflichkeitsform zurück in das ungleich persönlichere 'Du' nachdem Michael Burnham durch Folter scheinbar gebrochen zurück zu ihrer Mutter kommt, passt einfach wunderbar in diese Szene.
Ein wenig schade hingegen fand ich, dass das an Bob Dylan angelehnte "the winds are a-shifting." im Deutschen verlorengegangen ist. Allerdings wird daraus ein "Das Blatt scheint sich zu wenden.", was im Hinblick auf die zeitgleich präsentierte Zeitung noch nicht einmal unpassend wirkt.
Allerdings unterscheidet sich die deutsche Tonspur dadurch von der englischen, dass hier nicht auf den originalen Sprecher zurückgegriffen wurde. Während in der Originaltonspur tatsächlich kurz eine Aufnahme Bart LaRues zu hören ist, wird dem 1999 verstorbenen Alwin Joachim Meyer diese Ehre nicht zuteil.


Fazit.
Dem zweiten Teil von "Terra Firma" gelingt es zwar trotz stilistischer Unterschiede, seinen Vorgänger abzuschließen, aber er bietet dem Zuschauer weniger eine "Discovery"-Folge als viel mehr eine Starthilfe für eine Sektion-31-Serie mit Michelle Yeoh in der Hauptrolle. Er scheitert bei dem Versuch, Philippa Georgious Sinneswandel schlüssig zu transportieren einerseits an der im Vorfeld zu sehr vernachlässigten Etablierung von persönlichen Beziehungen zu den anderen Figuren und andererseits an einer sehr fragwürdigen Moral, die mit der streitbaren Figur transportiert wird. Zudem verzichtet die Folge auf einen Auftritt Jason Isaacs und fabriziert unnötige Kanonbrüche wie Logiklöcher.
Dennoch gibt es auch den ein oder anderen Silberstreif am Horizont. Der Folge gelingt es, seine Crew als Vorteil herauszustellen, Tig Notaros Rückkehr bringt wieder Schwung in die Bude und mit dem schlüssigen Ausbau des Hüters der Ewigkeit schafft man es, einem Stück Kanon-Geschichte neues Leben einzuhauchen.


Bewertung.
Ein lahmer Spinoff mit wenigen Lichtblicken.








Schluss
.
Auch wenn die Discovery die Flucht nach vorn angetreten ist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht mehr großzügig in den reichhaltigen Jagdgründen der Originalserie wildert. Diese Staffel hat es scheinbar den Hüter der Ewigkeit getroffen – mit Potential auf eine fulminante Wiederkehr.
Aber der Rückbezug auf die Originalserie ist ein fester Bestandteil der Star-Trek-Tradition – insbesondere bei TNG. Gleich in der ersten Staffel von TNG gab es mit "Gedankengift" eine Folge, die einen Bogen zu "Implosion in der Spirale" schlug. Mehrfach konnte man ein Wiedersehen mit verschiedenen Originalserien-Charakteren wie Leonard McCoy, Sarek, Spock oder Montgomery Scott feiern. Und in zahlreichen Folgen gab es zahllose Anspielungen und Referenzen auf die Serie.
In anderen Serien setzte sich der Trend fort. In DS9 fand es seinen Höhepunkt in der Crossover-Folge "Immer die Last mit den Tribbles", bei "Voyager" musste Icheb Prüfungsfragen zu Kirk beantworten und in "Enterprise" gab es so viele Anlehnungen, dass der Platz hier gar nicht ausreichen würde, sie alle aufzuzählen.
So gesehen ist es absolut legitim, ab und zu in den Fußstapfen der Originalserie zu wandeln. Es ist aber ebenso wichtig, die eigenen Erzähltraditionen zu bedienen, um sich ein Image jenseits des großen Vorbilds zu schaffen. TNG hat das geschafft und ich bin mir recht sicher, dass auch Discovery diesen Sprung längst gemeistert hat.
Die neue Sektion-31-Serie muss sich dahingehend aber noch beweisen, nicht zuletzt, weil ihr holpriger Start erstmals in der Star-Trek-Geschichte durch einen Spinoff eingeleitet wurde, der sich in Gänze auf Erzähltraditionen aus der Originalserie und "Discovery" stützte. Ob das eine gute Wahl war, wird die Serie zeigen müssen – wenn sie denn je das Produktionsstadium erreicht.


Denkwürdige Zitate.

"Sogar Dschingis Khan hat gelernt, dass seine Macht irgendwann schwindet, wenn er nicht zulässt, dass die Menschen die er unterworfen hat ihre eigenen Götter verehren."
"Du hast versprochen, neue Welten zu unterwerfen. Du hast uns Beute versprochen. Nie enden wollenden Wachstum! Doch es gibt keine Beute, wenn Frieden herrscht."
Philippa Georgiou und Michael Burnham

"Niemand hat etwas von Lorca gehört. Ich schätze nicht, dass er kommen wird."
Keyla Detmer

"Kelpianerfleisch ist viel zu cholesterinreich und sehnig."
Georgiou

"Demokratische Prozesse sind so leicht zu sabotieren."
Georgiou

"Mein Leichnam wäre schon bis auf die Knochen abgenagt, wenn ich zwischen Schmeichelei und Loyalität nicht trennscharf zu unterscheiden wüsste."
Georgiou

"Zwischen Tür und Angel lebt es sich nicht gut."
Carl

"Ich hab Sie hier schon seit 'ner Ewigkeit nicht mehr gesehen…"
Paul Stamets zu Jett Reno

"Das ist kein Essen, sondern 'ne Süßigkeit. Praktisch 'nen Zubehörteil."
Jett Reno

"Ja gut, wenn ich Technologie von der Smaragdkette hätte, dann…"
"Sie können auch einfach 'danke' sagen…"
"Das ist biologisch unmöglich. Wenn er das tun würde, würde seine DNA rebellieren wie ein hormogesteuerter Teenager."
Stamets, Cleveland Booker und Reno


Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Sukal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Samstag, 12. Dezember 2020

Turons Senf zu "Terra Firma, Teil I" [DIS, S3Nr09]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Terra Firma, Teil I", der neunten Folge der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episode bereits gesehen hat.


Einleitung.
Der Weltraum. Unendliche Weiten.
Weil die scheinbar noch nicht genügend Erzählstoff bieten, sind findige Star-Trek-Drehbuchautoren schon früh darauf gekommen, die Existenz paralleler Dimensionen zu thematisieren, in denen sie die gleichen Requisiten benutzen und trotzdem neue Geschichten erzählen konnten.
Die ersten Episode "Ein Paralleluniversum" war zu ihrem Erscheinungsdatum 1967 jedenfalls ebenso visionär wie revolutionär, auch wenn das "Spiegeluniversum" am Ende nur eine Ansammlung von ziemlich flachen Bösewicht-Versionen der bekannten Seriendarsteller blieb – mit der einzigen Ausnahme Spocks.
Zusammen mit der Absetzung der Originalserie verschwand auch dieses Spiegeluniversum daher (nicht ganz zu Unrecht) aus dem Fokus und spielte weder in TAS, noch der Kinofilmreihe eine Rolle; ja selbst bei TNG vermied man die Wiederaufnahme dieses eng mit der Originalserie verbundene Topos (eventuell, weil man sich vom Erzählrahmen der Originalserie emanzipieren wollte?).
So war es ausgerechnet "Deep Space Nine" beschieden, dem Stief-Universum der Franchise wieder einen Platz an der Ausstrahlungssonne zu verschaffen. Doch Peter Allan Fields, der Autor der ersten DS9-Paralleluniversums-Episode "Die andere Seite", war damals bereits ein erfahrener Star-Trek-Drehbuchschreiber und sich des Umstandes bewusst, wie sehr das Grundgerüst des Spiegeluniversums die erzählerischen Möglichkeiten limitieren würde. So führte er den Sturz des terranischen Imperiums in die Geschichte dieser alternativen Realität ein und wurde mit Möglichkeiten für seine Figuren belohnt, die einen Ausbruch aus dem starren Rahmen der reinen Bosheit seiner Einwohner bot. Das Konzept ging auf und resultierte in vier weiteren Ausflügen in dieses Universum, das durch die dramatischen Entwicklungen allerdings auch seine Spiegel-Funktion teilweise eingebüßt hatte. So gesehen war es nicht verwunderlich, dass die Nachfolgeserie "Voyager" das alternative Gegenstück zu ihrer eigenen Dimension links liegen ließ. Allerdings stellte die Folge "Der Zeitzeuge" lebhaft unter Beweis, wie reizvoll das Spiel mit bis zur Unkenntlichkeit antagonisierten Charakteren sein kann.
Dieser Tatsache erinnerten sich die Schreiber für die finale Staffel von "Star Trek: Enterprise". Als alle Messen bereits gelesen waren und eine Absetzung zur traurigen Gewissheit wurde, begann die Serie plötzlich ihr Potential herauszukehren und sich der Möglichkeiten zu bedienen, die der größere Kanon einer Prequel-Serie bot. Zu diesen Momenten gehörte sicherlich auch die von der Haupthandlung der Serie völlig abgenabelte Spiegeluniversumsdoppelfolge "Die dunkle Seite des Spiegels", in der nicht nur die Hauptcharaktere in die Schuhe (und Uniformen) ihrer düsteren Pendants schlüpfen konnten, sondern quasi im Vorbeigang ein weiteres Mysterium der Originalserie lösten. Dieser unter Fans recht beliebten Folge folgten jedoch einige Jahre völlig ohne Star-Trek-Präsenz, die auch das Spiegeluniversum in Vergessenheit geraten ließen.
Bis zum Start der ersten Staffel von "Star Trek: Discovery". Hier lieferte man dem Publikum einen Charakter, der bereits vor den Ereignissen der ersten Spiegeluniversumsfolge die Seiten wechselte und damit die altbekannten Probleme wiederaufleben ließ: Aus einem intriganten, cleveren und vorausplanenden Bösewicht wurde nämlich ein Abziehbild dieser Figur, als Gabriel Lorca zurück in seine düstere Heimat gelangte. Die erzählerische Unzulänglichkeit zählte im Zusammenspiel mit den zahlreichen kanonischen Widersprüchen, die diese Entwicklung generierte, zu den Grundproblemen und Kinderkrankheiten der ersten Staffel. Die Flucht nach vorn in eine Zukunft neunhundertdreißig Jahre nach diesen Ereignissen war (unter anderem) auch eine Flucht vor dieser erzählerischen Sackgasse.
Doch nun ist das Spiegeluniversum in die Haupthandlung von "Discovery" zurückgekehrt…


Story.
Auf einem einsamen Planeten kurz vor dem Deltaquadranten schreitet die frühere Imperatorin Philippa Georgiou auf der Suche nach Heilung durch eine herrenlose Tür, um am Ende (hoffentlich) sich selbst zu finden.


Lobenswerter Aspekt.

Besetzung.
Eines kann man dieser Episode deutlich ansehen: Alle Beteiligten hatten ihren Spaß daran, aus ihren gewohnten Rollen ausbrechen zu können und den totalen 'Badass' heraushängen lassen zu dürfen.
Die unbestrittene Zentralfigur der Woche trägt dieses Mal zur Überraschung des Zuschauers den Namen Philippa Georgiou.
Michelle Yeoh wirft munter mit metaphorischen und echten Äxten um sich, pöbelt sich durch die Szenen und darf auch noch einmal ihre Zweikampfkünste zur Schau stellen. Vor allem aber nimmt sie den Fokus der üblicherweise für Michael Burnham reservierten Monoperspektive ein und nutzt den Raum geschickt, um ihrem Charakter zusätzliche Tiefe zu verleihen. Dabei ist auffällig, dass sich Burnham nicht etwa verdrängt, sondern deren Raum einnimmt und in sorgsam kopierten Szenen, die in vorangegangenen Episoden zur Ausleuchtung des Hauptstars der Serie dienten, an ihre Stelle tritt. Es ist ein Tausch der Perspektive, der den Reiz dieser Episode ausmacht.
Der Rest des Casts bleibt weit hinter der neuen Führungsfigur zurück.
Sonequa Martin-Green zum Beispiel pflegt die neue Bescheidenheit, die Michael Burnham nach den Ereignissen in "Das Schutzgebiet" zum zweiten Mal hintereinander an den Tag legt. Sie steht nicht im Mittelpunkt und selbst die Tränen, die sonst in trauter Stetigkeit ihre Wangen hinabkullern, sucht man dieses Mal vergeblich. Dafür darf sie endlich ihr Spiegeluniversumsgegenstück verkörpern und auch wenn sie dabei in Mimik und Gestik streckenweise an einen jungen William Shatner erinnert, schafft sie es, der dunklen Seite Michael Burnhams eine eigene Prägung zu geben.
Der von Douglas Jones gespielte Captain Saru lernt zwar noch immer, mit seiner neugewonnen Kommandoposition zurechtzukommen, hat aber längst die diplomatische Würde und Erhabenheit des Ranges erfasst. Dieses neue Selbstbewusstsein rettet er auch in die Mirror-Version seiner Rolle hinüber, was trotz der Tatsache, dass er damit ein wenig in Widerspruch zu seinem ungleich devoteren Auftritt in "Der Wolf im Inneren" steht, nicht deplatziert wirkt (zumal es augenscheinlich Philippa Georgiou bei ihrer meta-esoterischen Sinnsuche hilft).
An Mary Wisemans Sylvia Tilly scheiden sich jedoch noch immer die Geister. Während ihr die Darstellung 'Killys' zu Recht sichtlich Freude bereitete, bleibt der neue erste Offizier der USS Discovery die Zielscheibe recht gegensätzlicher Entwicklungen. Der öffentliche Angriff auf ihre noch fragile Autorität steht jedenfalls in einem massiven Gegensatz zur plötzlichen Umarmung, die Tilly für die Spiegeluniversumstyrannin übrighat, nachdem diese ihr die Uniform mit Kartoffelsuppe besudelt hat.
Auch Anthony Rapp hat als Paul Stamets hinter dem Spiegel mehr zu sagen als im primären Universum. Aber auch er bleibt einem sehr gemischten Auftritt bis zum bitteren Ende ausgesetzt: Sein ebenso absurder wie absehbarer Tod steht in einem spannenden Gegensatz zu seiner Wärme Adira Tal gegenüber, während er als Bestandteil der Clique, die sich dem Party-Kick zuliebe der 'berauschenden' Wirkung des Agonie-Simulators aussetzen, ebenso sehr deplatziert wird wie sein Partner und Mediziner Hugh Culber.
Auch Wilson Cruz kommt in den Genuss, endlich den Spiegeluniversums-Counterpart Culbers umsetzen zu dürfen, aber sein Dialogbeitrag bleibt ähnlich überschaubar wie jener Blu des Barrios als Adira Tal oder David Ajalas als Cleveland Booker. Jedem dieser Auftritte haftete ein wenig der Makel an, wie zur Anwesenheitskontrolle mal kurz die Hand gehoben zu haben, ohne eine wirkliche Auswirkung auf die Handlung gehabt zu haben. Am Ende des Tages rangiert ihre Screentime jedenfalls nur unwesentlich über der anderer Nebendarsteller wie Emily Coutts, Oyin Oladejo, Sara Mitich (mit attraktivem rotem Haar!), Patrick Kwok-Choon oder Ronnie Rowe jr., wobei man dieses Aufschließen auch als Indiz für eine mehr und mehr emanzipierte Discovery-Besatzung werten kann. In diesem Zusammenhang bleibt zudem positiv zu bewerten, dass sogar daran gedacht wurde, Darsteller ehemaliger Crewmitglieder wie Rekha Sharma oder Hannah Cheesman miteinzubinden – auch wenn ihr Auftritt nicht über den Umfang der zuvor genannten Schauspieler hinausreicht. Und allen, denen in dieser Episode der Saurianer Linus fehlte, denen sei nicht verschwiegen, dass David Benjamin Tomlinson dennoch als tolpatschiger Kelpianer zu sehen war.
Die Gaststars der Serie bleiben ebenfalls weit hinter Philippa Georgiou, manche sogar hinter den Crewmitgliedern der Discovery zurück.
Allein der mysteriöse Türsteher Carl vermag es, deutliche Akzente zu setzen. Paul Guilfoyle, den man eventuell als Polizisten Jim Brass aus CSI kennen könnte, schafft es, der geheimnisvollen Tür im Schneegestöber der kanadischen Wildnis etwas mehr Flair zu verleihen und die recht dadaistisch anmutende Situation in bester Q-Manier etwas aufzuhellen.
Oded Fehr als Admiral Charles Vance hingegen stellt zwar die richtigen Fragen, bleibt aber eher ein Werkzeug der Autoren zur Untermalung ihrer Handlungsideen als ein Oberbefehlshaber einer Raumflotte. Immerhin zeigt er eine recht väterliche Seite, die allein es vermochte, ihn ein wenig lebendiger wirken zu lassen als in den letzten paar Folgen.
Der zweite Auftritt David Cronenbergs in der Serie fiel allerdings sehr übersichtlich aus und hätte problemlos auch von Fehr übernommen werden können, ohne dass die Szene daran sonderlich gelitten hätte.
Zu guter Letzt sei noch der nicht minder umfangarme Auftritt Hannah Spears erwähnt, die – nachdem sie in der letzten Staffel und einem Short Trek bereits Sarus Schwester Siranna porträtierte – ein weiteres Mal als Kelpianerin Doktor Issa in Erscheinung tritt. Das kann man sicherlich kritisch sehen, aber andererseits verstärkt es Sarus Faszination für das nebulöse Schiff (ist es am Ende gar eine seiner Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelinnen?) und erinnert an die vielen Rollen, die zuvor Kenneth Mitchell innerhalb der Serie einnahm.


Kritikwürdige Aspekte.

Folgenaufbau.
Auch wenn dieser Punkt hier unter den Kritikwürdigen Aspekten zu finden ist, bedeutet das mitnichten, dass alles an dieser Episode schlecht wäre. Im Gegenteil; einige Umstände beweisen eher, dass "Discovery" längst nicht mehr der Serienfrischling ist, der vor drei Jahren bereits mit einem Ausflug ins Spiegeluniversum für Furore sorgte.
Omar Madha beweist in seinem Star-Trek-Regie-Debüt ein goldenes Händchen für gelungene Kameraperspektiven und stellt seine akribische Arbeit bei der bewussten Kopie ganzer Szenen aus "Leuchtfeuer" oder "Der Wolf im Inneren" unter Beweis. In bester Discovery-Tradition treibt er das altbekannte Motiv der 'Spiegelungen' auf die Spitze (durch die Verkehrung der Position Burnhams mit Georgiou, Kontrastmomente zu den Szenen des Primär-Universums und durch den Einsatz von realen Spiegeln) und zaubert eine Folge, die sich nahtlos an die Spiegeluniversumsdarstellungen der ersten Staffel anschließt.
Seine Arbeit ist handwerklich solide und zusammen mit Ideen wie dem gewöhnungsbedürftigen Propaganda-Theaterstück bereichert er das Paralleluniversum doch auch um eine Facette irgendwo zwischen griechischer Tragödie und Cirque du Soleil. Mahda bietet einen detailreichen Einblick in die Lebensrealität der Imperatorin vor ihrer Entführung durch Michael Burnham und seine minimalistische Umsetzung des Mysteriums von Dannus V erinnert in seinem Charme an die Originalserie und in seiner Ausführung an die "gruselige Tür" aus Futurama.
Es ist aber beileibe nicht alles Gold was glänzt – vor allem in diesem Spiegeluniversum, das jede katholische Kirche zu einem Hort der zur Schau getragenen Bescheidenheit degradiert.
So ist "Terra Firma, Teil I" in selbst zweigeteilt.
Der erste Teil, in dem die USS Discovery und ihre Crew beleuchtet werden, leidet an der Menge an Charakteren, die in ca. zwanzig Minuten behandelt werden müssen und in ihrer Vielzahl verhindern, dass ein sonderlich gut zusammenhängender Bogen gespannt werden kann. Streckenweise vermittelt dieser Teil der Folge eher den Eindruck, als würden er allein dem minimal notwendigen Aufrechterhalten des seriellen Erzählens (z.B. durch die Entschlüsselung des Signals, den Annäherungsbemühungen Books, dem Verweis auf die Aktivitäten der Smaragdkette oder dem verlorenen Kontakt Adira Tals zu Gray) dienen.
Im Gegensatz dazu krankt der zweite Teil an einer absoluten Zentrierung auf Philippa Georgiou, der die eindimensionalen Figuren im Spiegeluniversum nicht das Wasser reichen können. Es markiert die Rückkehr zu einem Spiegeluniversum, das nicht unbedingt zu den Höhepunkten der ersten Staffel gezählt werden kann.
Natürlich ist es bis zu einem bestimmten Punkt verständlich, wofür dieser erste Teil einer Doppelfolge dienen soll: Michelle Yeoh wird zum Star einer eigenen Star-Trek-Serie um die berüchtigte Sektion 31 aufsteigen und für ihre Arbeit ist es notwendig, eine schlüssige Erklärung für ihre Abkehr vom Spiegeluniversum zu liefern. Dass dieser Abschied in einer persönlichen Entwicklung und gar so etwas wie der Einsicht begründet liegt, dass Gewalt keine pauschale Lösung bietet, ist an sich eine absolut löbliche Idee.
Doch im Hinblick auf die Tatsache, dass vor der Ausstrahlung dieser Folge nur noch fünf Episoden bis zum Staffelende fehlten, wirkt es im Hinblick auf die Vielzahl loser Handlungsfäden etwas deplatziert, so viel Energie in einer Selbstfindungs-Episode im Spiegeluniversumsmantel zu stecken. Es birgt nämlich die Gefahr, dass dem Zuschauer im Staffelfinale Antworten auf zentrale Fragen verwehrt bleiben oder ein überhasteter Schlussakkord abermals die sorgfältige Aufbauarbeit ruiniert, die man bislang geleistet hat.
"Terra Firma, Teil I" wirkt wie der Versuch, einen Piloten für einen Spinoff in die Handlung einzuschmuggeln, der allerdings ähnlich holzig wie sein Originalserien-Spiegelbild "Ein Planet genannt Erde" wirkt. Zwar ist es durchaus legitim, eine solche Entwicklung zu befeuern, doch es drängt sich schon die Frage auf, ob "Discovery" den richtigen Rahmen für diese Ebenezer-Scrooge-Läuterung und spontane Wunderheilung bietet oder ob man dafür nicht den Pilotfilm der kommenden Serie hätte nutzen können.
Zumal das Spiegeluniversum wie gesagt nicht gerade die besten Umweltbedingungen für einen solchen Neustart bildet. Georgiou erhebt sich nämlich durch ihre Komplexität aus der Eindimensionalität der Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie nutzt eine Kulisse, die durch die Flucht der Discovery in eine weit entfernte Zukunft zu den Altlasten der vorherigen Staffeln gezählt werden kann. Und sie wirkt auch wie der Versuch, nachträglich Handlungselemente einzubauen, die man beim ersten Ausflug ins Spiegeluniversum unter den Tisch fallen ließ.
Das größte Problem jedoch, um diese Folge angemessen bewerten zu können, liegt darin begründet, dass sie der erste Teil einer Doppelfolge ist. Insbesondere in der zweiten Hälfte passiert erstaunlich wenig, verliert sich die Handlung in langatmigen Einstellungen und mangelt es der Episode grundlegend an Spannung. Der einzig nennenswerte Höhepunkt bleibt gar, dass eine Figur den Tod findet, die bereits beim vorherigen Ausflug in Spiegeluniversum das Zeitliche gesegnet hat.
Kurzum: Für den ersten Part eines Zweiteilers verfügt "Terra Firma, Teil I" über zu wenig Substanz oder bewertbare Entwicklungen. Klar, gab es auch schon vorher schwache erste Teile von Doppelfolgen bei Star Trek, aber in diesem Fall vermag es die Handlung noch nicht einmal, wenigstens im Ansatz eine tragfähige Erzähltiefe zu entwickeln, die mehr als einen Satz zur Beschreibung erfordert (vgl. Story), einen Erzählgegenstand zu etablieren, der den Zeitaufwand rechtfertigen würde oder schlussendlich einen nennenswerten Cliffhanger zu produzieren, der diese Bezeichnung auch verdient hätte. Das Auftauchen eines Jason Isaacs in den letzten paar Sekunden vor dem Abspann hätte es jedenfalls durchaus vermocht, diese Episode entscheidend aufzuwerten.
So aber bleibt sie eine Folge, die ihre Daseinsberechtigung vor allem dann unter Beweis stellt, wenn man die Serie ohne Pause hintereinander weg sehen kann. Dadurch aber, dass dem Zuschauer wochenweise nur Einzelepisodenbrocken zugeworfen werden, die entgegen ihrer Anlage als Standalone feilgeboten werden, muss die Bewertung dahingehend auch dementsprechend schlecht ausfallen.


Kanonbrüche und Logiklöcher.
Die Verschlusssache Beta-vier-acht-neun-fünf-Omega hat es in sich: Der betelgeusianische Lt. Cmdr. Yor stammt nämlich aus der Kelvin-Zeitlinie und mit der Erwähnung des unter Fans auch als "Abramsverse" bekannten alternativen Zeitrahmens schlagen die Autoren (und Angestellten Alex Kurtzmans) nicht nur eine Brücke zu diesem Ableger Star Treks, sondern verorten die Ereignisse der eigenen Serie entgegen allen Zweifeln noch einmal im gleichen Universum wie die Originalserie, dem nächsten Jahrhundert oder Voyager.
Mit Verweisen auf die Temporalen Abkommen und der Verwendung von Präfix-Codes wird außerdem auf "Star Trek: Enterprise" und "Star Trek II: Der Zorn des Khan" verwiesen. Mit Kepler 174d findet zusätzlich der erste real existierende Exoplanet bei Star Trek Erwähnung. Doch das alles kann kaum mit dieser tiefsinnigen Bemerkung des Torwächters Carl konkurrieren:

"Lesen Sie am besten einfach die Zeitung! Alles was Sie wissen müssen steht hier schwarz auf weiß…"

Das an sein Äquivalent in "Todessehnsucht" erinnernde Klatschblatt birgt nämlich – wie einige einige eifrige Internetportale herausgefunden haben – eine Vielzahl von Anspielungen z.B. auf Worfs Eintritt in verschiedene Paralleluniversen, den Absturz Scottys auf eine Dyson-Sphäre oder den Untergang des Tkon-Imperiums. Vor allem aber die dort gestreuten Bezüge zu "Griff in die Geschichte" legen die Möglichkeit nahe, dass es sich bei Carl nicht um einen Q, sondern um einen Hüter der Ewigkeit handeln könnte. Die Messlatte für den zweiten Teil der Folge hat dieses Stück Kanon-Journalismus zusammen mit der betont häufigen Erwähnung Gabriel Lorcas jedenfalls schon jetzt höher gelegt.
Wobei das Spiegeluniversum keineswegs den Eindruck vermittelt, als wäre Georgiou tatsächlich durch den Gang durch die Holztür in ihre eigene Vergangenheit zurückgeworfen worden. Stattdessen wirkt es wie einen Paralleluniversum dieses Paralleluniversums, zumal die Spiegelversion von Paul Stamets bereits in "Auftakt zur Vergangenheit" von Lorcas williger Henkerin Ellen Landry pulverisiert wurde. Am Ende dürfte es sich eher um eine Simulation handeln, wie Q sie bereits häufiger für seinen Lieblingsmenschen Jean-Luc Picard inszenierte (was wiederum der Theorie um den Hüter der Ewigkeit entkräften würde).
Doch gerade, wenn das Spiegeluniversum ins Spiel kommt, gibt es neben viel Licht auch eine Menge Schatten.
Hat zum Beispiel irgendjemand die Reifenspuren im Schnee der unbewohnten Welt Dannus V bemerkt?
Oder sich gefragt, warum es in der Discovery-Turnhalle neben Schwertern auch Äxte gibt?
Und ist nicht das Weitermelden von Informationen – egal wie substantiell sie sind – ein Grundprinzip des Sternenflottendienstes, wie bereits der Benzite Mendon in "Der Austauschoffizier" auf die harte Tour lernen musste?
Zudem scheinen Selbstversuche mit Agonie-Simulatoren so etwas wie die Tide-Pod-Challenge des Spiegeluniversums zu sein, dessen Verrohung soweit gediegen zu sein scheint, dass selbst Mediziner sich diesem Trend nicht einmal entziehen können, wenn der Imperator ihren Besuch ankündigt.
Besonders aber verwundert mich, wie wenig Argwohn die Besatzung der Discovery der neuen künstlichen Intelligenz entgegenbringt, die mit ihrem Bordcomputer eine ebenso unheilige wie untrennbare Allianz eingegangen ist. Nur zu bereitwillig folgt sie deren inhaltsarmen Instruktionen, für eine nicht näher beschriebene Heilung zu einem weit entfernten Planeten zu fliegen. An dieser Stelle hätte ich mir tatsächlich im Vorfeld eine Folge gewünscht, in der die vor einigen Folgen entstandene 'Zora' der Besatzung das ihr entgegengebrachte Vertrauen erst einmal verdient hätte.


Synchronisation.
Es gibt einige schöne Momente, in denen sich die Charaktere duzen, wir hören abermals wie Benjamin Stöwe seine Stimme an Hugh Culber verleiht und auch wenn Stamets' Ode an die Imperatorin zuweilen etwas holprig klang, fiel die deutsche Synchronisation am Ende tatsächlich sehr angenehm aus.


Fazit.
Handwerklich solide aber inhaltlich arm an Handlung, Spannung oder Höhepunkten führt die neunte Folge der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" den Zuschauer wieder zurück in den Schoß jenes Spiegeluniversums, das bereits im Zuge des ersten Besuchs nicht gerade Fernweh erzeugte.
Immerhin drängelt sich Philippa Georgiou mit ausgefahrenen Ellenbogen an Michael Burnham vorbei ins Schlaglicht er Aufmerksamkeit, doch es bleibt die berechtigte Frage offen, ob dieser Spinoff-Versuch so kurz vor dem Staffelende nicht anderen, in Anbetracht der Zeit viel drängenderen Entwicklungen das Wasser abgräbt. Vor allem aber schafft es "Terra Firma, Teil I" nicht, als Episode auf eigenen Beinen zu stehen, sondern bleibt eher eine Folge, die erst beim Binge-Watching ihre Wirkung entfalten kann.

Bewertung.
Der schwache Start eines Zweiteilers.






Schluss.
Bei ihrer Rückkehr zum Spiegeluniversum kann man dieser Folge keinesfalls fehlende Sorgfalt vorwerfen, denn die Set-Designer, Kostümdesigner und Innenausstatter gaben sich augenscheinlich größte Mühe, die untergegangen geglaubte Pracht des terranischen Imperiums mit großem Pomp wiederauferstehen zu lassen. In den Grenzen dessen, was Discovery für seine eigene Stilgeschichte etabliert hat, muss man der Folge einfach zugutehalten, hervorragende Arbeit geleistet zu haben.
Nun aber liegt es an der kommenden Episode, auch endlich Profit aus dieser Detailverliebtheit zu schlagen, denn bislang bediente die Folge auch alle Probleme, die das Spiegeluniversum mit sich bringt: Flache Charaktere, schwache Figurenmotivationen und altbekannte/ wenig innovative Erzählmuster rechtfertigen die Reisezielauswahl im Moment jedenfalls noch nicht.
So wird "Terra Firma, Teil II" die Kohlen aus dem Ofen holen müssen, um neben der absehbaren Selbsterkenntnis und Wunderheilung Georgious irgendetwas von nachhaltigem Wert zu produzieren.
Gibt es etwa ein Wiedersehen mit Jason Isaacs und dessen Original-Lorca?
Feiert Paul Stamets' Spiegeluniversumsversion durch seine Beziehungen zum Pilznetzwerk eine unerwartete Auferstehung?
Und halten die Q oder die Hüter der Ewigkeit die Schlüssel zum Spiegeluniversum in ihren omnipotenten Händen?
Mit Antworten auf diese Fragen kann es in der nächsten Woche doch noch gelingen, dem vermeintlich totgetrampelten Topos des blutberauschten Paralleluniversums eine Krone aufzusetzen und sie wenigstens teilweise vom Malus der Testosteron-Vergiftung zu befreien.
Man darf also gespannt sein, ob es den Autoren gelingt, diesen erzählerischen Umweg kurz vor dem Zieleinlauf mit Lorbeeren zu dekorieren…


Denkwürdige Zitate.

"Sieh an, wenn das nicht Sarus Fehler auf zwei Beinen ist…"
Philippa Georgiou zu Sylvia Tilly

"Wenn ein Crewmitglied ertrinkt und wir lassen es geschehen wird ihre Crew weder Sie noch die Föderation je wieder so sehen wie früher. Und Sie selbst werden sich auch nie wieder so sehen."
Admiral Charles Vance

"In meinem Universum waren wir 'primär' und Sie gespiegelt…"
Georgiou

"Gott, jetzt merk' doch endlich mal wann es Zeit ist die Klappe zu halten!"
Georgiou zu Michael Burnham


Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Sukal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"