Sonntag, 24. Februar 2019

Turons Senf zu "Donnergrollen" [Star Trek Discovery, S2Nr06]

Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler zu "Donnergrollen", der sechsten Episode der zweiten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gesehen werden, wenn man sowohl die anderen Folgen der Serie, sowie den Short Trek "The Brightest Star" gesehen hat.




I. Einleitung.
Als am Freitagabend eine Gruppe von etwa dreißig Fans aus Berlin und Brandenburg in einem traditionsreichen Potsdamer Lokal zur Star-Trek-Tafelrunde zusammenkamen, konnte der aufmerksame Beobachter eine seltsame Erscheinung ausmachen:
Vielleicht keinen roter Engel, aber Trekkies aus den unterschiedlichsten Lagern mit den unterschiedlichsten Vorlieben und den unterschiedlichsten Ansichten diskutierten gemeinsam angeregt über die erst am Morgen verfügbar gewordene Folge. Das geschah erstaunlich zivilisiert. Es wurde zwar genauso viel geschimpft wie gelobt, doch ein jeder versuchte seine Position mit Argumenten zu unterlegen. Am Ende des Abends schlich sich jedenfalls das Gefühl ein, als hätte sich langsam immerhin eine gewisse Akzeptanz der Serie beim Großteil der Fans breitgemacht.
Doch gab diese Folge so einen Stimmungswechsel wirklich her?



II. Story.
Ein weiteres Signal des roten Engels führt die USS Discovery zu einer fremden Welt.
Doch was für manches Crewmitglied nur wie ein weiterer, von primitiven Eingeborenen bevölkerter Planet scheint, ist viel mehr für den ersten Offizier Saru. Ausgerechnet über seiner Heimat Kaminar erscheint der rötliche Schimmer der unbekannten Macht.
Doch auf der Oberfläche seiner Heimat gerät Saru nicht nur auf Konfrontationskurs mit seiner Schwester und den Glaubensgrundsätzen seines Volkes, sondern erregt auch die Aufmerksamkeit der Ba'ul, die seine Spezies seit Jahrtausenden verängstigt, unterjocht und ermordet.
Mutig lehnt er sich mithilfe seiner Kameraden gegen die Ungerechtigkeit auf, doch er muss erkennen, dass nur er allein den Missstand beheben kann, um seinen Planeten von der Lüge zu befreien, die seine Artgenossen in ehrfürchtiger Schicksalsergebenheit hält.
Als erster Kelpianer seit zweitausend Jahren, der das vahar'ai überstanden hat, steht er plötzlich einem Mitglied der dämonischen Ba'ul gegenüber und muss erkennen, dass seine Version der Geschichte nur die halbe Wahrheit darstellt…



III. Lobenswerte Aspekte.
Bewegung.
Nein, mit 'Bewegung' meine ich nicht die vielen opulenten Kameraschwenke, raschen Schnitte und fließenden Übergänge, die man in dieser Episode am laufenden Band bewundern kann.
Obwohl wir abermals eine Folge erleben, in der wir vergeblich auf ein Lebenszeichen Spocks warten, kann man am Ende mit Fug und Recht behaupten, dass die größere Handlung ein gutes Stück vorangekommen ist.
In "Donnergrollen" werden nämlich nicht nur das Mysterium und die Motive des roten Engels näher beleuchtet, sondern auch packende Entwicklungen fortgeführt, die mit dem Short Trek "The Brightest Star" und der vierten Episode "Der Charonspfennig" eingeleitet wurden, nur um seither einsam vor sich herzuköcheln. Fraglos zeigen sich damit nicht nur deutlich die vielversprechenden Einbindungsmöglichkeiten solcher Mini-Folgen, sondern auch die mannigfaltigen Reize einer Staffel-übergreifenden Handlung, die immer wieder vermeintlich untergegangene Erzählstränge aufgreift, um sie zurück ins Schlaglicht zu zerren.
Lässt man sich darauf ein hat man als Zuschauer tatsächlich das beruhigende Gefühl, dass die Autoren irgendwo einen größeren Plan in der Hinterhand haben und immerhin wissen, in welche Richtung es gehen soll. Sie erzeugen massiv Spannung indem sie den Zuschauer nur häppchenweise Informationsfetzen zukommen lassen und es dem Zuschauer selbst überlassen, sich einen eigenen Reim auf das Geschehen zu machen. So gewinnt man aus Mangel an zuverlässigen Informationen schließlich beinahe zwangsläufig den Eindruck, dass die offensichtlichen Parallelen bei Sarus Geschwisterzwistigkeiten in bester Star-Trek-Tradition Burnhams Suche nach ihrem eigenen (Adoptiv-) Bruder maßgeblich inspirieren und am Ende durch eine Folge, in der sie zugunsten des Quoten-Außerirdischen ihren Platz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit temporär räumen muss, dem größeren Ganzen dienen.
Dabei bilden diese erzählerischen Gleichnisse keineswegs den einzigen Moment, in dem man vertraute Muster aus den guten, alten Star-Trek-Tagen wiederentdeckt. So lassen einige Knöpfe auf den Armaturen der Discovery-Konsolen an ihre Entsprechungen bei TOS denken und auch viele der liebevoll eingebauten Sounds erinnern – sofern man sie noch bewusst wahrnimmt - an diese erste Star-Trek-Serie.
Im Hinblick auf Sarus steigende Anzahl von Superfähigkeiten (Supersehkraft, Megastärke, Gehirn-Dartpfeile) muss man an dieser Stelle sogar auf den legendären Spock selbst verweisen, dem im Laufe der drei Staffeln TOS ebenfalls im Wochentakt neue abenteuerliche Sonderkräfte (Zusatzaugenlider, Megastärke, Telepathie) zugeschrieben wurden
Und dann bildet auch Sirannas rührseliger Abschied von ihrem Bruder ein altbekanntes Motiv:
Die bemühten Ausflüchte, warum sie auf der Planetenoberfläche bleiben muss statt ihren Bruder zu begleiten und das Universum zu entdecken, erinnert an eine Vielzahl von erschreckend ähnlichen Momenten der Star-Trek-Geschichte, in denen ein Nebencharakter das vermeintlich ernst gemeinte Angebot ausschlägt, von nun an ein Teil der Hauptdarstellerriege zu werden (Aquiel Uhnari, Melora Pazlar oder Nella Daren - um nur eine kleine Auswahl zu nennen).



Charaktermomente.
Dass längst ein neuer, frischer Wind bei Discovery weht kann man spätestens daran sehen, dass diese Folge mit einem weiteren 'ehernen Merkmal' der ersten Staffel Discovery bricht. Der gesamte Fokus dieser Episode liegt nämlich ausnahmsweise einmal nicht auf der Power-Frau Michael Burnham, sondern auf dem fanatischen Revoluzzer 'El Ché' Saru, der hier die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse auf seiner Heimatwelt radikal umwirft (und nebenbei sogar den Einleitungsmonolog halten darf!). Als angenehmer Nebeneffekt entpuppt sich zudem, dass man noch mehr als je zuvor über die Kelpianer, ihre Kultur und ihre Gesellschaft erfährt.
Doug Jones bewegt seine Figur dabei zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Licht und Schatten oder zwischen "Der Charonspfennig" und "Si Vis Pacem, Para Bellum".
Denn der ersten Offizier der Discovery ist zerrissen zwischen zwei Welten:
Zum einen seiner selbst auferlegten Mission zur Befreiung seines schmackhaften Volkes vom Joch der Ba'ul-Unterdrücker und zum anderen seiner Loyalität zur Sternenflotte, die ihm ein Leben jenseits der Zwänge seiner Heimatwelt ermöglicht hat.
Dabei präsentiert sich Saru vielleicht nicht immer nachvollziehbar (etwa sein aufmüpfiges Verhalten gegenüber seinem Captain) und rational (wozu erzählt er den Ba'ul von seiner Schwester auf dem Planeten?), aber welche zerrissene Seele ist schon nachvollziehbar und rational?
Seine Freundin Michael Burnham findet sich hingegen in einer Rolle wieder, die zuvor Saru häufig einnehmen musste: Die des Vermittlers.
So steht sie ein ums andere Mal zwischen den Fronten, baut Brücken zwischen Captain Pike und dem Sektion-31-Repräsentanten Ash Tyler und beschwichtigt ihren Kommandanten gar, als in knisternder Wildwest-Spannung der Showdown zwischen ihm und Saru droht.
Allerdings drängt sich in einigen Momenten der leise Eindruck auf, dass einige dieser Szenen vor allem deshalb untergebracht wurden, um die der Hauptaufmerksamkeit beraubte Sonequa Martin-Green nicht völlig beschäftigungslos wirken zu lassen.
Den Überraschungsauftritt des Abends legte in meinen Augen allerdings ausgerechnet Ash Tyler hin, denn Shazad Latif entpuppte sich mehr als einmal als Stimme der Vernunft: Er verwies erstmals auf den fragwürdigen Einfluss des roten Engels, deutete einen schädigenden Einfluss des Wesens auf Spock an und war so ziemlich der Einzige, der den eindeutigen Bruch der Obersten Direktive in der Folge als solchen klar benannte. Der Reiz seiner Rolle lag - zumindest in dieser Episode – in seiner Funktion als Paria und Fremdkörper auf einem Schiff, dessen Besatzung inzwischen als Kollektiv zusammengewachsen ist. Während er im Kontrast dazu jene dunklen Seilschaften repräsentiert, die zuvor durch Lorca, die Imperatorin Georgiou und Admiral Cornwell personifiziert wurden, scheint es beinahe zwangsläufig darauf hinauszulaufen, dass er einen Stellvertreter-Kleinkrieg gegen jenen Mann führt, der den Umbruch auf der Discovery herbeigeführt hat:



Captain Christopher Pike.
Der Befehlshaber der Discovery wirkt vielleicht in einigen seiner Szenen eher blass, inkonsequent und passiv. Dennoch obliegt es abermals in erster Linie Anson Mount, mit seiner großartigen Bildschirmpräsenz den Geist Star Treks zu transportieren. Seine stärkste Szene hat er meiner Meinung nach bei seinem Vier-Augen-Gespräch mit jenem Ash Tyler in der Messe, in dem er (im englischen Original deutlicher als im Deutschen) den nur mäßig verschleierten Vorwurf über sich ergehen lassen muss, im verlustreichen Krieg gegen die Klingonen durch Abwesenheit geglänzt zu haben – was ihn sichtlich in Mark und Bein trifft.
Sarus Schwester Siranna blieb eher im Schatten ihres großen Bruders. Zwar gelang es Hannah Spear recht gut, die offenherzige Eingeborene zu mimen, doch die Figur einer zweifelnden Priesterin, die wie ihr Vater mit den Ba'ul kollaborierte und hauptberuflich dafür Sorge trug, ihre Nachbarn in den Tod zu schicken, während sie im gleichen Atemzug hoffte, dass ihrem geliebten Bruder das gleiche Schicksal erspart bleiben würde, blieb weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Denn dass ausgerechnet sie, die eine Mitschuld an dem großen Leid trug, nach allem was sie mitangesehen hat so bereitwillig für eine Aussöhnung mit den völkermordenden Ba'ul plädiert, zeugt von den recht einfach gestrickten Lösungen, die diese eigentlich thematisch eher komplexe Folge leider zu häufig begleiten.
Neben diesen Hauptfiguren rutschten viele Personen, die noch in der letzten Woche die Haupthandlung bestimmten, ins zweite oder gar dritte Glied zurück.
Paul Stamets (Anthony Rapp) bleibt vor allem wegen seines euphorisch-wirklichkeitsfremden Dauergrinsens in Erinnerung, während sein Partner Hugh Culber (Wilson Cruz) von Zweifeln zerfressen wird, die nur oberflächlich berührt werden (wahrscheinlich wird es in kommenden Folgen noch weitere Ausführungen zu diesem Thema geben).
Selbst Sylvia Tilly (Mary Wiseman) – eigentlich die Lieblingsfigur der Autorenschaft - wurde dieses Mal vergleichsweise sehr wenig Beachtung geschenkt. Sie wertete vor allem Sensordaten der Sphäre aus, um überhaupt irgendeine Daseinsberechtigung in der Folge zu haben. Selbst dabei stand sie – zu meiner angenehmen Überraschung – sogar im Schatten des nur sporadisch mit Namen genannten Crewmitgliedes Airiam (Hannah Cheesman). Neben der kybernetischen Lebensform verdient schließlich auch Doktor Tracy Pollard (Raven Dauda) eine Erwähnung ehrenhalber, denn die Schiffsärztin wirkt zwar durchgehend ratlos, aber immerhin ehrlich in allen Szenen, in denen sie auftritt.
Aber während wieder vielen Mitgliedern der Discovery-Besatzung einige Dialogzeilen zuteilwurden, suchte man neuere Charaktere wie Nhan oder Jett Reno abermals vergebens.



Moral-von-der-Geschichts-Rad.
Was macht eine Person zu dem was sie ist?
Wird sie durch ihre Herkunft bestimmt?
Oder durch die Narben der Vergangenheit?
Oder durch die inneren Dämonen, die in einem jeden von uns ständig gegeneinander um die Oberherrschaft ringen?
In "Donnergrollen" geht es vor allem um solcherlei Fragen nach Identität, der Eigenwahrnehmung und den damit verbundenen Zweifeln.
Das können wir an Ash Tyler erkennen, den die Wirren des Krieges seiner Heimat, seiner Identität und seiner Familie beraubt haben.
Wir sehen es an Hugh Culber, der zwar von den Toten auferstanden ist, aber nicht nahtlos an sein altes Leben anzuknüpfen vermag.
Und wir sehen es an Saru, der nicht müde wird zu betonen, dass er nicht mehr derselbe Kelpianer ist, der einst seiner Heimatwelt entfloh. Doch auch wenn sein Traum, seine paradiesische Welt von der grausamen Tyrannei der gewissenlosen Ba'ul zu befreien, am Ende verwirklicht werden kann, muss er sich auf dem Weg dorthin einer unbequemen Erkenntnis stellen: Seine eigene Spezies hatte vor Äonen die Ba'ul durch Jagd an den Rand der Ausrottung gebracht und die Verteilung nach Tätern und Opfern, Jägern und Gejagten oder Fressen und Gefressen werden ist keinesfalls mehr die einfache Milchmädchenrechnung, die Sarus Identität über seine gesamte Sternenflottenkarriere bis dato maßgeblich begleitet hat. Die Grenzen zwischen Räubern und ihrer Beute sind verschoben worden und kein Kelpianer kann sich mehr hinter seiner Opferrolle verstecken.
So gesehen birgt das Aischylos-Zitat am Ende der Episode (siehe Denkwürdige Zitate) auch den Schlüssel zum Verständnis seiner selbst. Die Wahrheit über die eigene Identität zu erkennen ist meist kein schmerzfreier Prozess sondern ein langer steiniger Weg, an dessen Ende durchaus unangenehme Einsichten stehen können, wie sowohl Tyler, Culber und Saru in dieser Folge erfahren.



IV. Kritikwürdige Aspekte.

Unnötige Hektik.
'Vergebung' ist ein großartiges Thema.
Kirk muss im Verlaufe mehrerer Kinofilme lernen, den Klingonen den Tod seines Sohnes zu verzeihen.
Picard hingegen kommt von "Angriffsziel Erde" bis "Star Trek – Der erste Kontakt" nicht so recht über die Narben hinweg, die die Borg ihm zugefügt haben.
Und selbst Worf als Waise eines romulanischen Angriffs auf den klingonischen Außenposten auf Khitomer zeigt bis zum zehnten Kinofilm immer wieder große Schwierigkeiten, den Angreifern von damals Absolution zu erteilen.
Kurzum: Vergebung erfordert Zeit.
So gesehen ist es etwas befremdlich dieser Folge dabei zuzusehen, wie ein klassisches Star-Trek-Thema, dem stets viel Raum eingeräumt wurde, hier plötzlich brachial über's Knie gebrochen wird, nur um in einen Fünfzig-Minuten-Rahmen zu passen.
"Donnergrollen" hätte inhaltlich jedenfalls deutlich das Potential gehabt in einer Doppelfolge, wenn nicht gar einer ganzen staffelübergreifenden Handlung ausführlicher behandelt zu werden. Das zu schnell abgebrannte Feuerwerk aus Enthüllungen, Wendungen und Verzweiflungstaten fühlt sich jedenfalls am Ende so überhastet an, dass man sich am Ende etwas überrumpelt fühlt.
Vor allem, weil viele inhaltliche Aspekte nicht ganz zu Ende gedacht wurden um stattdessen in einer viel zu oberflächlichen Lösung eines so komplexen Sachverhaltes zu münden.
Das beginnt bereits damit, dass Ash Tyler Recht hat.
Das Vorgehen Pikes im Orbit von Kaminar ist definitiv ein klarer Verstoß gegen die Oberste Direktive, egal wie sehr Burnham dieses Handeln mit völlig an den Haaren herbeigezogener Interpretationslust zu verteidigen versucht. Die Crew mischt sich nicht nur in die Entwicklung eines anderen Planeten ein, sondern trägt die Verantwortung für einen radikalen sozialen Wandel und macht so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was die Oberste Direktive von Sternenflottenangehörigen verlangt.
Pikes radikale Vorgehensweise im Angesicht der fremden Signale erinnert dabei ein wenig an die aggressive US-Politik unserer Zeit, die auf der Suche nach Erdöl sämtliche Prinzipien wie die demokratische Selbstbestimmung vergessen lässt, wenn es notwendig scheint, bequemer ist oder der Gegner schwächer erscheint. Es stellt sich die Frage, ob die Discovery auch nach Qo'noS, Romulus oder Tholia geflogen wäre, wenn in deren unmittelbarer Umgebung ein solches Signal aufgetaucht wäre.
Dabei will ich nicht falsch verstanden werden.
Dass die Oberste Direktive und die Souveränität einer fremden Spezies in Frage gestellt werden ist absolut angemessen im Angesicht eines systematischen Genozids mit globalen Ausmaßen. Es wäre ein perfektes, moralisches Dilemma in bester Star-Trek-Tradition, das man durch einen absichtlichen Bruch auf wunderbare Weise hätte behandeln können.
Aber nix da! Statt diese großartige Vorlage zu nutzen, versteckt sich Discovery hinter äußerst fadenscheinigen Fehlauslegungen, umschifft die weitreichenden Auswirkungen eines solchen interplanetaren Zwischenfalls und beschließt die Handlung mit einer gigantischen Menge an Friede, Freude und Eierkuchen.
Doch das ist beileibe noch nicht das Ende der Fahnenstange. Die weitreichenden gesellschaftlichen Umwerfungen dieser Episode hinterlassen mehr Fragen als Antworten.
Haben die Ba'ul die Kelpianer denn nun wirklich gegessen oder nur gekeult um zu verhindern, dass sie sich zu den Fressfeinden der Frühgeschichte entwickeln?
Wenn sich die Ba'ul seit Generationen außerhalb der Reichweite der Kelpianer mit einem bequemen technologischen Vorsprung auf dem Meeresgrund verstecken, wozu müssen sie dann überhaupt noch um die primitiven Kelpianer an Land scheren, deren Zahl bestenfalls um 30.000 lag?
Wie konnten die Ba'ul eine solch perfides System aufbauen, wenn ihre Bevölkerungszahl zwischenzeitlich auf 252 Mitglieder der Spezies (!) gesunken ist (von der genetischen Vielfalt die nötig wäre, um eine Population zu erhalten ganz zu schweigen)?
Und warum gab es laut den Aufzeichnungen der Sphäre über mehrere hundert Jahre gar keine (in Zahlen: null) unentwickelten Kelpianer, obwohl dies ein natürliches Entwicklungsstadium der Spezies ist? Hätten nicht auch sie dadurch am Rand der Ausrottung stehen müssen?



Dazu gab es einige äußerst fragwürdige Design-Entscheidungen.
Dass etwa Saru nunmehr in der Lage ist, Zahnstocher aus dem Kopf zu schießen, mag vielleicht in einer späteren Folge hilfreich sein, wirkte an dieser Stelle aber eher bemüht. Auch die Drohnen im Bauch vom Kaminar-Atlantis' wirkten extrem ineffektiv, behäbig und störungsanfällig.
Vor allem aber die Erscheinungsform der Ba'ul irgendwo zwischen Armus, Sheliak und dem Alien HR Gigers stand in einem krassen Kontrast zu den aufwändigen Masken der Kelpianer, den CGI-Szenen um die Schmetterlinge auf Kaminar oder den Weltraumaußenaufnahmen im Orbit. Gerade für einen so zentralen Antagonisten hätte ich mir an dieser Stelle etwas mehr Substanz statt nebliger Formlosigkeit gewünscht, zumal nicht ganz ersichtlich wurde, warum entwickelte Kelpianer diese wehrhafte, magere und unappetitlich aussehende Spezies überhaupt jagen sollten – außer um den Planeten von diesem Anblick zu befreien.
Am Ende erscheinen die Ba'ul als Machtfaktor auch deshalb nicht sonderlich glaubhaft, weil es ihnen nicht einmal gelingt, mit ihrer überlegenen Technik zwei lumpige Kelpianer an Bord ihrer eigenen Unterwasser-Festung in Zaum zu halten. Wie soll diese Spezies jahrelang die Kelpianer dominiert, massenhaft abgeschlachtet haben und die Discovery ernsthaft bedrohen, wenn sie noch nicht einmal zu verhindern vermögen, dass ihre eigene hochentwickelte Technologie mit einigen wenigen Handgriffen gegen sie einsetzbar ist?
Doch es gibt auch andere Erklärungsansätze.
Vielleicht hat Discovery als Serie einfach den Punkt erreicht, an dem die massiven Budgetüberschreitungen Gretchen Bergs und Aaron Harberts für ihre Entlassung sorgten und rigide Sparmaßnahmen langsam Auswirkungen auf die Serie zeigten, die sich zuerst im Aussehen und der Konzeption dieser Spezies niederschlugen.
Aber noch ist die letzte Messe nicht gelesen!
Wie man als Star-Trek-Fan weiß, ist Vergebung ein langwieriger Prozess. Niemand kann vorhersagen, was auf Kaminar als Nächstes passiert. Wütende Kelpianer-Mobs, die ihre Rachegelüste an den ehemaligen Unterdrückern ausleben? Ein erbitterter Bürgerkrieg zwischen beiden einheimischen Spezies des Planeten? Oder zwischen verschiedenen Fraktionen der Kelpianer mit unterschiedlichen Zielen? Ethnische Säuberungen oder gar eine Teilung der Welt in eine kelpianische und eine von den Ba'ul bewohnten Hälfte? Oder droht gar der totale gesellschaftliche Kollaps nach Jahren der kelpianischen Unselbständigkeit?
Auch wenn die Folge die Chance auslässt, ein komplexes und zeitgemäßes Bild eines Planeten im Umbruch zu zeichnen, lässt es dennoch ein Hintertürchen für zukünftige Probleme offen. So wie sich die Klingonen in "Lichtpunkte" mit den Nachwehen der politischen Neuordnung auseinandersetzen müssen, bleibt Discovery in Zukunft gleichermaßen die Möglichkeit offen, ohne rosarote Brille einen kritischen Blick in Richtung Kaminar zu werfen. Immerhin bietet dies immense Möglichkeiten sowohl für die Figur des Saru, als die gesamte Sternenflotte, die an der Entwicklung eine maßgebliche Mitschuld tragen würde. Spätere Autoren könnten das moralische Dilemma, das man hier achtlos links liegengelassen hat, statt es zum Gegenstand der Folge zu erheben, in kommenden Staffeln noch immer in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen.




Kanonbrüche und Logiklöcher.
Zuerst die gute Nachricht: Der Pilzantrieb erhält die zweite Betriebspause der Staffel!
Doch dem folgt auch schon die schlechte: Discovery produziert nahtlos ein Logikloch nach dem anderen und die Liste bleibt selbst dann lang, wenn wir einige von ihnen bereits im vorangegangenen Punkt thematisiert haben.
Zum einen gibt es da die kleinen Verständnisfehler, die beweisen, wie wenig Star Trek die Autoren dieser Episode wirklich gesehen haben oder wie unausgeprägt ihr Grundverständnis der Sternenflottentechnologie ist.
Abgesehen von der völligen Verdrehung der Obersten Direktive sollte ihnen jemand auch erklären, dass Photonentorpedos nicht unbedingt Präzisionswaffen sind. Die Idee, maximal zehn Meter hohe Pylonen in der Mitte von dörflichen Siedlungen mit Materie-Antimaterie-Explosionen auszuschalten ist jedenfalls ähnlich unglaubwürdig wie eine Operation am Gehirn mit einem Schlagbohrer.
Nicht minder problematisch scheint, dass Saru sich auf die Planetenoberfläche zu beamen versucht, während die USS Discovery bei rotem Alarm und mit mit ausgefahrenen Schilden einer nominell überlegenen Flotte an Ba'ul-Schiffen gegenübersteht. Dass er für seine Flucht einen Countdown von sechzig Sekunden einstellen muss, ist nicht nur ein Novum in der Star-Trek-Geschichte, sondern auch das i-Tüpfelchen dieser Liste an Fehlinterpretationen.
So ganz wurde mir ja auch nicht klar, wie sich Pike vom Saulus zum Paulus wandeln konnte. Seine Skepsis gegenüber der Idee, Saru auf die Planetenoberfläche zu beamen, war - wie man im weiteren Verlauf der Folge sehen konnte - mehr als berechtigt. Natürlich kann man da auf die durchaus berechtigten Einwände der Xeno-Expertin des Schiffes hören und seine Meinung ändern. Aber als Captain hätte er die Situation entscheidend entschärft, wenn er seine Leute angewiesen hätte, sich eines der anderen viertausendfünfundfünfzig Dörfer für einen Erstkontakt auszusuchen, um zu verhindern, dass Saru durch den Kontakt mit seiner eigenen Familie emotional kompromittiert wird.
Aber wie wertvoll ist schon die Nachvollziehbarkeit von Kommandanten, wenn es primär um die Einleitung von Charaktermomenten geht?
Die Abwesenheit des erzählerischen Allheilmittels der Sporen in dieser Episode heißt zudem nicht gleich automatisch, dass die Folge frei von einem Zauberende wäre, das arg an so manche Doctor-Who-Episode erinnert. Die übermächtigen Pilze wurde schlichtweg von einem omnipotenten roten Engel ersetzt und der Tag wird durch dessen nicht näher bestimmbare, höher entwickelte Technologie gerettet. Hinzu kommt, dass erst das gesammelte Wissen einer verstorbenen Sphäre der Crew auf die Sprünge helfen muss.
Im Endeffekt hängt auch ohne Myzel-Netzwerk abermals die gesamte Handlung am Tropf höherer Einflüsse. Es scheint beinahe, als wären die Autoren gar nicht mehr in der Lage Drehbücher zu schreiben, in denen die Figuren Probleme aus eigener Kraft lösen. Egal ob Pilz, roter Engel oder Sphäre – der Trend geht eindeutig in eine Richtung, in der die Charaktere sich eher passiv mit den Konsequenzen der Handlung dritter Parteien auseinandersetzen, statt allein durch ihre Aktionen am positiven Ausgang beteiligt zu sein.



Das könnten jetzt wunderschöne Schlussworte sein, wenn mich eines nicht noch so sehr stören würde, um es einfach unter den Tisch fallen zu lassen.
Das Shuttle, das Saru vor achtzehn Jahren von Kaminar abholte, war in den Short Treks eindeutig mit der Kennung SHN-03 versehen, was auf eindeutig auf die Shenzhou verweist. In dieser Episode erfahren wir jedoch, dass das Shuttle in Wirklichkeit von der USS Archimedes stammte, auf der Georgiou anno dazumal diente.
Klar können solche Fehler passieren und sind bei aller Kritik auch ein fester Bestandteil Star Treks, der arroganten Besserwissern wie mir immer wieder die Möglichkeit bietet, mich darüber im Internet lustig zu machen. Aber die Produzenten der Serie gingen noch einen Schritt weiter: In den Rückblenden aus dem Short Trek "The Brightest Star" bearbeitete man das störende 'Nummernschild' insofern, dass der Hinweis auf die Shenzhou ersatzlos entfiel und es damit ungleich besser in den Kanon passt. 
Zeitgleich ist der Short Trek aber noch immer in unbearbeiteter Form verfügbar und bietet ein völlig anderes Bild mit einer völlig anderen Aussage. Statt einen Fehler produziert zu haben, hat man sich dazu entschieden, den Kanon unter Beibehaltung des Makels in einem weniger beachteten Short Trek einseitig zurechtzubiegen.
Diese revisionistische Entwicklung ist – besonders auf die unglaublichen vielen Kanonbrüche bei Discovery zur eigenen Seriengeschichte und dem größeren Star-Trek-Rahmen – ganz besonders bedenklich. Frei nach dem Motto 'was nicht passt, wird passend gemacht' negiert man die Bedeutung jenes Short Treks, dem man eigentlich die gesamte Grundlage dieser Folge zu verdanken hat. Nachträglich eine gut gemeinte, aber verspätete Verbesserung nachzuschieben ist in etwa so, als würde man am Lehrertisch vor den Augen der gesamten Klasse mit Tipp-Ex seine Abitur-Prüfung in Mathematik korrigieren, nur im Anschluss darauf zu bestehen, dass die Gesamtnote von fünf auf eins geändert wird: Einfach sehr, sehr peinlich.


V. Fazit.
"Donnergrollen" passt.
Es fügt sich nahtlos in den größeren Rahmen der staffelübergreifenden Handlung ein, orientiert sich an einem Short Trek und dessen Vorarbeit und schiebt die Suche nach Spock für einen lohnenswerte Abstecher auf Sarus Heimatwelt auf. Sie bricht zugunsten des Kelpianers Saru mit dem einseitigen Fokus auf Burnham, gibt den Figuren Platz zur Selbsterkenntnis und verzichtet gar auf den Einsatz des Sporenantriebes.
Dennoch bleibt die Folge weit hinter ihren Erwartungen zurück.
Sie verrennt sich in zu kurzer Zeit in zu einfachen Lösungen, verpasst es ein traditionelles Star-Trek-Thema angemessen zu behandeln und versagt dabei, ein schlüssiges Bild von den Zuständen auf Kaminar zu zeichnen. Hinzu kommt erschwerend, dass die Autoren ein ums andere Mal Verständnismängel für den erzählerischen Rahmen der Franchise offenbaren, die Geschicke der Crew höheren Mächten überlassen und die besorgniserregende Tendenz zeigen, den Kanon nach ihrem Geschmack zurechtzubiegen.



Bewertung.
Schnellschuss mit viel Luft nach oben.






VI. Schluss
.
Am Ende des Abends sind sich viele Trekkies einig: Es gibt eine Menge Kritikpunkte an der sechsten Folge der zweiten Staffel "Star Trek: Discovery", aber spätestens seit dem Start der zweiten Season ist die Grundstimmung vermehrt positiv.
Auch wenn "Donnergrollen" seine deutlichen Fehler hatte, lag sie qualitativ noch weit über dem Standard der ersten Staffel, die Fans mehr als einmal vor den Kopf gestoßen hat. Und spätestens, seitdem Captain Pike das Ruder übernommen hat, ist die optimistische Grundstimmung von Bord der USS Discovery auch auf die Fans übergeschwappt, auch wenn der ein oder andere dem Frieden noch nicht ganz trauen mag.
Der Trend geht jedenfalls eindeutig nach oben und es folgen hoffentlich noch viele angeregte Diskussionen dieser Art in Kneipen, vor dem heimischen Fernseher oder den Kommentarspalten von Internetrezensionen. Denn nach zwölf Jahren Serienabstinenz, die Star Trek erdulden musste, haben die Fans endlich wieder etwas, worüber es sich trefflich zu streiten lohnt.



Denkwürdige Zitate.

"Es ist geradezu unfassbar Sie wieder bei uns zu haben, Dr. Culber…"
"'Unfassbar' trifft es, ja."
Saru und Hugh Culber

"Etwas auszuhalten, das niemand für möglich gehalten hat, kann einen durchaus… sagen wir 'verwandeln'."
Saru

"Was ist ein Kelpianer ohne Angst?"
Saru

"Und jetzt, bei den Milliarden von Planeten in unserer Galaxis, taucht das Signal ganz plötzlich über der Heimatwelt meines ersten Offiziers auf. Wie wahrscheinlich ist das?"
"Das ist sicher kein Zufall."
Christopher Pike und Michael Burnham

"Klopfen wir einfach mal an und sehen, was sie sagen…"
Pike

"Achtzehn Jahre habe ich davon geträumt in mein Dorf zurückzukehren. Es hat sich kein Deut verändert, aber ich sehe es jetzt mit ganz anderen Augen."
Saru

"Trinken Menschen von der Erde Tee?"
Siranna

"Kehr' zurück zu den Sternen, Saru. Dort bist Du besser aufgehoben."
Siranna

"Wir suchen also etwas im Archiv der Sphäre das uns helfen kann!"
"Klar, dafür sind Airiam und ich ja hier und wir werden es herausfinden."
"Da ist es!"
"Also mit 'wir' da meinte ich Airiam…"
Burnham, Sylvia Tilly und Airiam

"Wieso bist Du zurückgekehrt? Alle anderen dachten, Du wärst tot! Aber als Du verschwunden bist habe ich das Licht gesehen, das in den Himmel gestiegen ist. Ich bin Priesterin geworden, um das Licht zu suchen; um Dich zu suchen! Auch wenn ich mich nach Dir gesehnt habe, hat ein Teil von mir gehofft Dich nie wieder zu sehen. Weil ich gehofft habe, dass Du frei bist."
Siranna

"Faszinierend…"
Burnham

"Was Ihr für den Frieden haltet rechtfertigt nicht, uns alle abzuschlachten! Kelpianer sind mehr als ihre Instinkte."
Saru

"Und wenn die Geschichte sich wiederholt? Wir dürfen nicht zulassen, dass die Ba'ul ausgelöscht werden!"
Pike

"Hier spricht Captain Pike. Ich werde nicht zulassen, dass Sie eine ganze Spezies auslöschen. Aus Angst vor den Kelpianern verschließen Sie sich einer friedlichen Lösung. Die Sternenflotte kann Ihnen dabei helfen, ein neues Gleichgewicht auszuhandeln, dass den Schutz aller auf Ihrer Welt ermöglicht. Sollten Sie sich jedoch dafür entscheiden auf Kaminar alle Kelpianer ermorden zu wollen, werden Sie zu unserem Feind. Überlegen Sie gut."
Pike

"Dieser letzte Krieg, Sir, hat von allen Beteiligten seinen Tribut gefordert. Einige sind noch immer nicht drüber hinweg."
Ash Tyler

"Er, der lernen will, muss leiden. Und selbst zur Stunde des Schlafs…"
"… tröpfelt die Qual zum Herzen. Und widerstrebend werden wir dabei klug."
Burnham und Saru zitieren Aischylos

"Ich bin mir ganz sicher, wenn Sie die Gelegenheit dazu hätten, würden Sie für Ihren Bruder dasselbe tun."
"Wenn ich ihn finde…"
Saru und Burnham

Weiterführende Leseliste.

Staffel 2.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitsturm"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"
Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Short Treks.

01. Rezension zu "Runaway"
02. Rezension zu "Calypso"
03. Rezension zu "The Brightest Star"
04. Rezension zu "The Escape Artist"


Dienstag, 19. Februar 2019

Turons Senf zum Short Trek "The Escape Artist"

Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler zum Short Trek "The Escape Artist" und sollte erst gelesen werden, wenn man zumindest die erste Staffel Discovery gesehen hat.




Einleitung.
Für die meisten Fans dreht sich Star Trek vor allem um die strahlenden Helden wie Kirk, Spock, Picard, Sisko oder Janeway. Vielleicht hängen sie auch an charismatischen Nebenfiguren wie Data, Worf, Jadzia Dax, Seven of Nine oder Phlox. Oder sie verfolgen gespannt die Beziehungen von Personen wie Julian Bashir, B'Elanna Torres oder T'Pol.
Die große Faszination, die von Star Trek ausgeht, wird aber auch von einer Vielzahl von Figuren bestimmt, die vielleicht nicht zum Stamm der Hauptdarsteller zählt aber durch mehrere Auftritte einen so bleibenden Eindruck hinterlassen haben, dass sie aus der Franchise nicht mehr herauszudenken sind.
Was wäre etwa TNG ohne Q, Gowron, Barclay, Lwaxana Troi, oder die Duras-Schwestern?
Wie würde DS9 aussehen, wenn es Dukat, Martok, Brunt, Ishka, Morn, Weyoun oder Kasidy Yates nicht gäbe?
Selbst die Voyager hatte im Delta-Quandranten treue Wegbegleiter wie Seska, Lon Suder, die Borg-Königin, Icheb oder Chaotica!
Und kann man sich Enterprise ohne Admiral Forrest, Degra, Soval, Daniels, Shran oder Major Hayes überhaupt vorstellen?
Einem dieser denkwürdigen Nebencharaktere wurde im Short Trek "The Escape Artist" der Vorrang vor den Hauptcharakteren der noch jungen Serie Discovery gegeben: Der bereits durch seine Auftritte in der Originalserie hinlänglich bekannte Kleinkriminelle Harry Mudd erhält beim vorerst letzten Mini-Folgen-Ableger überraschenderweise den Vorrang vor etablierten Figuren wie Michael Burnham, Gabriel Lorca, Hugh Culber, Philippa Georgiou, Ash Tyler oder Paul Stamets. Ob dieses Wagnis belohnt wird, klären wir in diesem vorerst letzten Senf zu den Short Treks.




Story.
Der Schurke Harcourt Fenton Mudd landet auf einem tellaritischen Schiff, dessen Captain kein Hehl daraus macht, was er mit dem flüchtigen Verbrecher vorhat: Er setzt einen Kurs auf das nächste Sternenflottenschiff um seinen unfreiwilligen Gast gegen ein hohes Lösegeld einzutauschen.
Doch Mudd nutzt die Zeit und zieht jedes Register.
Er fleht.
Er bettelt.
Er droht.
Er schleimt.
Er appelliert an das Gerechtigkeitsempfinden seines Gegenübers.
Doch am Ende gelingt es Mudd nicht, sonderlich überzeugend auf den tellaritischen Kopfgeldjäger zu wirken, der ihn mit auf ein Föderationsschiff nimmt. Doch an Bord der USS de Milo erleben sowohl Tevrin Krit als auch Harry Mudd die Überraschung ihres Lebens…


Lobenswerte Aspekte.


Der etwas andere Short Trek.
Der große Wert dieses Short Treks liegt darin, dass er nicht ist wie die drei anderen.
Das fängt schon mit der peppigen Musik an, die diese Kleinstfolge schwungvoll einleitet. In einem munteren Wechsel aus Rückblenden und spartanischen Szenen an Bord des Schiffes eines tellaritischen Handelsreisenden, steht vor allem ein sich windender Harcourt Fenton Mudd im Mittelpunkt, der eher an die heitere Originalserien-Variante als an die düstere Discovery-Neu-Interpretation des glücklosen Ganoven erinnert.
Weitab vom klinisch-sauberen Sternenflottenalltag wirkt "The Escape Artist" dadurch ungezwungener als "Runaway", leichter verdaulich als "Calypso" und auch weniger tiefgreifend als "The Brightest Star". Es zentriert sich auf das glücklose Leben eines gewieften Gauners und nutzt dabei vor allem Humor als lingua franca.
Dabei sitzt vielleicht nicht gleich jede Pointe und vor allem auf tellaritischer Seite muss man eine Menge Overacting in bester Shatner-Manier ertragen, aber im Großen und Ganzen bleibt "The Escape Artist" ohne Abstriche überaus unterhaltsam. In flottem Tempo rast die Handlung durch die Sünden Mudds in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und gewährt dem Zuschauer einen einzigartigen Einblick in das Innenleben einer gut getroffenen Star-Trek-Ikone.
Regie führte dabei niemand Geringeres als der Mudd-Darsteller Rainn Wilson höchstpersönlich, der die Mehrfachbelastung diverser gleichzeitiger Rollen scheinbar problemlos meistert. Das Drehbuch stammt übrigens aus der Feder jenes Mannes, der für die angekündigte animierte Lower-Decks-Serie die Hauptverantwortung tragen wird. Soweit sich das an einem viertelstündigen Real-Life-Mini-Fölglein und seiner bisherigen Arbeit an "Rick und Morty" beurteilen lässt, könnte dieser ebenfalls vom Sternenflotten-Ehrgeiz befreiten Erzähl-Ansatz ähnlich unterhaltsam ausfallen. 
Vor allem setzt Rainn Wilson in mehrfacher Ausgabe das überdeutliche Ausrufezeichen, dass die Star-Trek-Legende Harry Mudd sich noch irgendwo in den Weiten des Alls auf freiem Fuß befindet und eine Größe ist, mit der man in zukünftigen Star-Trek-Folgen rechnen sollte.



Kritikwürdige Aspekte.

Kanonbrüche und Logiklöcher.

Es gibt so einige Kanon-Leckerbissen, die diese Folge eigentlich zu einem Hochgenuss machen sollten. Dazu zählten fraglos die Szene um Myrthin Stagg als orionische Aufseherin in einem Unterweltfolterkeller, die Zentrierung auf einen Tellariten (die selten gesehene Spezies ist immerhin ein Gründungsmitglied der Föderation!) als Antagonisten, der Mudd-Android mit der passenden Originalserien-Jacke und jener andorianische Helm, der so prominent auf der Brücke zur Schau gestellt wird.
Auf der anderen Seite muss man sich an dieser Stelle fragen:
Mudd und lauter Androiden von gleicher Gestalt – gab es da nicht schon einmal was von Star Trek?
Die traurige Antwort lautet:
Ja, in "Der dressierte Herrscher".
Und so nimmt "The Escape Artist" uninspiriert die Ereignisse einer der besseren Episoden der Originalserie vorweg, ohne auch nur die leiseste Spur einer Erklärung zu bieten. Stattdessen wird der offizielle Kanon mit einem weiteren, völlig unnötigen Widerspruch belegt. Wozu muss denn Mudd zehn Jahre später noch absoluter Herrscher eines verwaisten Androiden-Planeten werden, wenn er sich muntere Kybernetik-Entsprechungen seiner selbst im düsteren Bastelschuppen seines eigenen Schiffes zusammenschustern kann?
Und das ist zu meiner eigenen Überraschung noch das kleinere Übel.
Wenn man sich Mudds manipulative Machenschaften einmal genauer ansieht, kann man nicht mehr genau feststellen, ob es am Ende wirklich Mudd war, der in den beiden Discovery-Episoden "Wähle Deinen Schmerz" und "T=Mudd²" zu sehen war.
Denn woher wissen wir überhaupt, dass der Mudd in diesen beiden Folgen nicht viel eher eine Kopie des Originals war?
Ich für meinen Teil würde es im Angesicht der Figurenzeichnung dieses Short Treks absolut schlüssig finden, wenn an Stelle des Originals ein androider Stellvertreter den unheilvollen Weg in ein klingonisches Gefängnisschiff oder in Stellas familiären Ehe-Kerker gegangen ist. So berauben fünfzehn Minuten harmlos gemeinte Unterhaltung der ersten Staffel eines zentralen Höhepunktes, nur weil abermals weder dem Kanon, noch der inneren Logik allzu viel Beachtung geschenkt wurden.

Synchronisation.
Die deutsche Übertragung ist recht unaufgeregt und lässt sich schon allein wegen fehlender Störfeuer als gelungen betrachten. DAher hätte ich diesen Punkt am liebsten ersatzlos unter den Tisch fallen gelassen, wenn das Übersetzerteam nicht ein Auge für entscheidende Details bewiesen hätte.
Statt herzlos das englische 'Credits' zu übernehmen, entschieden sich die Verantwortlichen tatsächlich dafür, den Originalserien-Terminus "Föderationsdukaten" aus der ZDF-Synchronisation zu "Kennen Sie Tribbles?" zu verwenden. Das passt nicht nur großartig in eine Folge, die zehn Jahre vor Kirks historischer Fünfjahresmission angesiedelt ist, sondern beweist auch auf wunderbare Art und Weise ein Einfühlungsvermögen, wie ich es mir öfter bei Star Trek wünschen würde (leider verändert sich die Bezeichnung der Währung am Ende warum auch immer urplötzlich in Latinum).




Fazit.
Der letzte Beitrag unter den Short Treks ist auch dessen größter Ausreißer. Abseits des starren Sternenflottenerzählrahmens bietet "The Escape Artist" einen humoristischen, schwungvollen und treffsicheren Einblick in Harry Mudds Ganoventum.
Doch die Produzenten stellen sich selbst ein Bein und stolpern über längst etablierte Momente in Mudds Biographie genauso wie über die selbst geschaffene Handlung der ersten Staffel, in dem sie unnötig Zweifel an der Identität Mudds säen.

Bewertung.
Ein wenig zu viel Kopie.






Schluss.
An sich unterstreicht "The Escape Artist", dass Short Treks den idealen Rahmen bieten, um auch mal den weniger besungenen Helden der Franchise ein wenig Raum zu bieten. Den großen Figuren wird ohnehin viel mehr Platz eingeräumt und auf diese Art und Weise erhält der Zuschauer auch einmal die Gelegenheit, anhand der kleineren Rollen Einblicke in jene Ecken der ach so heilen Föderationsutopie zu erhalten, die nicht sonderlich häufig von strahlenden Vorzeige-Sternenflottenoffizieren ausgeleuchtet werden.
Allerdings hätten die Schreiber deutlich mehr Sorgfalt in diese Premiere investieren müssen, denn am Ende scheitert dieser großartige Versuch darin, dass die Handlung nicht konsequent genug durchdacht wurde und in einem eklatanten Widerspruch zu Kanon und innerer Logik steht.
Schade eigentlich, aber hoffen wir, dass dem Versuch, kleineren Figuren eine größere Projektionsfläche zu verschaffen dadurch nicht auf längere Sicht der Weg eher verbaut wurde.

Denkwürdige Zitate.

"Harcourt Fenton Mudd. Gesucht von der Föderation wegen dreißig Fällen von Schmuggelei, zwanzig Fällen von versuchtem Mord, einem Fall von versuchtem Königsmord?"
"Pff, Königsmord. Er war nur ein Herzog. Das zählt wohl kaum als Königsmord. So genau sollten wir schon bleiben; so viel Zeit muss sein!"
"… dem Transport gestohlener Güter und einem Fall von Penetration eines Weltraumwals?"
"Es war nicht so wie es klingt…"
Tevrin Krit und Harry Mudd

"Ich sollte Ihnen das nicht sagen, aber ich bin Mitglied des Widerstands. Die Föderation wird nicht haltmachen, bis sie den gesamten Quadranten unterworfen hat! Natürlich verdrehen die alles und schwafeln irgendwas von 'friedlicher Erforschung'. Aber wonach sie wirklich streben ist totale hegemoniale Vormachtstellung!"
"Ich habe nie von diesem Widerstand gehört…"
"Es ist ja auch ein 'geheimer' Widerstand. Niemand weiß davon abgesehen von den Widerständlern. Tja und ich bin auch einer davon. Wir beide sind gar nicht so verschieden! Wir prügeln uns um die Reste; um ein paar Krümel vom Kuchen und so geht das nicht weiter. Vielleicht sollten wir uns zusammentun. Hm? Und mit vereinten Kräften unser Schicksal in die Hand nehmen."
"Ah!"
"Hören Sie die Weisheit in diesen Worten?"
"Sag mal ist jemals einer auf diese Masche reingefallen? Hahaha!"
Krit und Mudd

"Wenn Sie ein bisschen größer wären, würde Sie sich vielleicht nicht so oft verlaufen."
Mudd

"Oh, ein weit verbreiteter Irrtum. Aber daran ist leider kein Deut wahr. Doch, ich sage die Wahrheit! Immer wenn ich mal Geld hatte, hat sich's der Fiskus der Föderation geschnappt. Hätte ich Geld übrig würde ich jetzt an irgendeinem Strand Cocktails schlürfen, anstatt hier gefesselt herumzulungern in diesem… wunderbaren Kreuzer."
Mudd

"Hey Schwachkopf, Du weißt, dass wir 'ne Kamera hier drinnen haben?"
orionische Aufseherin

Weiterführende Leseliste.

Short Treks.

01. Rezension zu "Runaway"
02. Rezension zu "Calypso"
03. Rezension zu "The Brightest Star"
04. Rezension zu "The Escape Artist"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Staffel 2.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitsturm"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"


Samstag, 16. Februar 2019

Turons Senf zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit" [Star Trek Discovery S2Nr05]

Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit", der fünften Folge der zweiten Staffel Discovery und sollte daher erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden der Serie bereits gesehen hat.



I. Einleitung.
Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich mich mit Discovery-Zuschauern unterhalte, die zuvor kaum etwas mit Star Trek zu tun hatten und nun plötzlich einen Narren an dieser Serie gefressen haben.
In vielen Punkten – etwa der schauspielerischen Qualität einzelner Darsteller, ausgewählten Teilen des Konzepts oder einigen optischen Entscheidungen – kommen wir auf einen gemeinsamen Nenner, aber ein paar meiner Kritikpunkte stoßen bei ihnen auf taube Ohren. Vielen Neu-Fans sind Pilzantriebsungereimtheiten, Logiklöcher oder gar Kanon-Unstimmigkeiten schlichtweg egal.
Mehr noch; die von mir gelobte Folge "Der Charonspfennig" stieß in diesen Kreisen auf eher verhaltene Reaktionen.
Es wäre sicherlich zu leicht, die Antwort darauf an den beiden Extrempositionen wie 'Die Zuschauerschaft von heute kann keine Kost außerhalb von Popkornkino mehr verdauen' oder 'Star Trek muss vor allem neue Zuschauerschichten durch moderne Erzählstrukturen gewinnen' zu verorten.
Viel eher geht es wohl darum, dass die Serie gleichermaßen den Erwartungen von pedantischen Alt-Fans wie mir als auch dem Hunger von unvoreingenommenen Neueinsteigern gerecht werden muss. Ein schwieriger Spagat, bei dem man sich zu Recht fragen kann, ob es der aktuellen Folge gelang, dieses Kunststück fertigzubringen.




II. Story.
Alles was vom quirligen Fähnrich Sylvia Tilly übriggeblieben ist, ist ein leerer Kokon. Emsig versuchen die Mitglieder der Discovery-Crew - allen voran ihr Mentor Paul Stamets - den Aufenthaltsort der vermissten Kameradin auszumachen. Als sie schließlich fündig werden, beschließen Stamets und Burnham, ihre Freundin gemeinsam aus den Klauen des Myzel-Netzwerkes zu befreien.
Doch Tilly dreht keinesfalls Däumchen. Sie verpflichtet sich, den Ureinwohnern des Pilzparadieses bei der Lösung eines dringlichen Problems zu helfen: Seit den letzten Sprüngen der Discovery wird das empfindliche Ökosystem nämlich von einem tödlichen Eindringling terrorisiert, der das natürliche Gleichgewicht bedroht.
So macht sich Tilly auf die Suche und als sie dabei auf Stamets und Burnham stößt, entdecken sie zusammen, dass die Bedrohung der JahSepp keineswegs ein rücksichtsloses Monster, sondern ein vernunftbegabtes Wesen ist. Mehr noch; es entpuppt sich als alter Bekannter…



III. Lobenswerte Aspekte.

Goldener Boden.
Kurz gesagt: Es gibt an "Die Heiligen der Unvollkommenheit" handwerklich nichts zu beanstanden .
Die schlüssige Folge glänzt mit einem so angenehmen wie schlüssigem Tempo, beeindruckenden Einzelbildern, tollen Kameraeinstellungen sowie fraglos teuren Schiffsaußenansichten.
Insbesondere die Settings und Bühnenbilder auf der in einem Zustand der Auflösung befindlichen Discovery und Tillys Wanderungen im parkähnlichen Myzelnetzwerk machen die Folge auch zu einem optischen Genuss.
Hauptverantwortlich für dieses runde Bild ist wohl Regisseur David Barrett, der im Vorfeld nicht nur die Discovery-Folge "T=Mudd²", sondern schon für die Enterprise-Episode "Die Abweichung" die Verantwortung trug.
Die zweite Person, die an dieser Stelle unbedingt Erwähnung finden sollte, ist die verdiente Star-Trek-Buchautorin Kirsten Beyer, aus deren Feder auch die Folge "Si Vis Pacem, Para Bellum" aus der ersten Staffel stammte (und die eine der Hauptverantwortlichen für kommende Picard-Serie sein wird).
Beyer verrichtet gute Arbeit, hinterlässt eine Vielzahl zitierbarer Aussagen und ich persönlich mag auch die erzählerische Klammer sehr, mit der Burnham in einem Monolog die Folge ein- und ausleitet. Man merkt der Episode dabei deutlich an, dass sie sehr sorgfältig geschrieben ist: Mehrfach erklären die einzelnen Charaktere ihr Handeln noch einmal für den Zuschauer (z.B. beim Eintritt in die Kammer und deren Funktion als 'Luftschleuse') und fehlende Wissenslücken bei einigen Figuren werden nachvollziehbar als geschlossen thematisiert (z,B. Pikes Wissen über Tyler oder Culber). Es liegt wohl vor allem an Beyers langjähriger Schreiberfahrung, dass "Die Heiligen der Unvollkommenheit" am Ende den schwierigen Spagat zwischen Pilz, Sektion 31 und dem spürbaren Sternenflotten-Ethos schafft, ohne dass es zu gekünstelt wirkt.
Vor allem gelang es ihr rechtzeitig zum Valentinstag (zumindest in den USA) mit Ash Tylers und Hugh Culbers Rückkehr wieder das Element des Beziehungsdramas zurück an Bord zu holen, ohne dass die Serie zum Teil vier lange Folgen auskommen musste.
Allerdings gilt es auch einschränkend zu bemerken, dass sich an mehr als nur einer Stelle das ungute Gefühl einschlich, dass der allgemeine Tenor leicht in eine esoterisch-religiöse Richtung zu driften beginnt, was nicht nur der Star-Trek-Erzähltradition vehement widerspricht, sondern darüber hinaus auch eine äußerst bedenkliche Marschrichtung für eine ganze Staffel wäre, in der man 'roten Engeln' hinterherjagt.




Sektion 31.
Abermals komme ich nicht umhin, die Präsentation von Sektion 31 zu loben, denn abermals kann ich den Reiz (neben dem tagesaktuellen Bezug von NSA-Skandal, Giftanschlägen oder Wahlbeeinflussungen) völlig nachvollziehen, der von dieser Super-Geheimorganisation ausgeht und die Produzenten angeregt hat, eine eigene Serie zu diesem ganz speziellen Star-Trek-Kapitel zu planen.
Eine bunt zusammengewürfelte Gemeinschaft Ausgestoßener, die gemeinsam versucht ein übertrieben idealistisches Gesellschaftskonstrukt zu schützen ist nicht zuletzt deshalb eine so spannende Idee, weil man damit auch tatsächlich jenen 'Vorsprung durch Technik' rechtfertigen kann, den Tyler etwa im Gebrauch seines zukunftsweisenden Kommunikators unter Beweis stellt: Als Speerspitze der Föderationssicherheit steht der personell überschaubaren Sondereinsatztruppe experimentelle Technologie zur Verfügung, bevor sie durch Massenproduktion und Risikominimierung der breiten Allgemeinheit zugänglich gemacht wird.
Und wenn ich schon dabei bin, diesen Punkt zu verteidigen: Mir ist natürlich klar, dass Sektion 31 keinesfalls der Sternenflottengeheimdienst ist, auch wenn die gesamte Folge offensichtlich so tut. Die spannendere Frage ist für mich daher, was die – für ihren Status ohnehin erstaunlich weit bekannte – Organisation im Laufe von hundert Jahren zu jener totgeschwiegenen Schattenkreatur wird, die bei Deep Space Nine so gefährliche Ausmaße annimmt.
Darin sehe ich den wahren Wert der angekündigten neuen Serie, die diesem roten Faden im Laufe mehrerer Folgen sicherlich besser auf den Grund gehen kann, als man es sich als Fan mit den wenigen momentan zur Verfügung stehende Informationen zusammenreimen kann.
Den Habitus eines skrupellosen Geheimbundes ohne Gewissensbisse hat Discovery jedenfalls jetzt schon so gut wie glaubwürdig eingefangen und lässt sich an einer meiner Lieblingsszenen der Folge gut ablesen.
Der Apfel, den die Imperatorin Philippa Georgiou provokativ, laut und genüsslich vor den Augen Pikes und Burnhams verspeist, ist nämlich keineswegs allein eine Anspielung auf den Sündenfall in der Bibel. Es ist auch ein Querverweis auf den legendären (wenn auch später erst bedeutsamen) Sternenflottenkapitän James Tiberius Kirk und seinen Lösungsweg im Kobayashi-Maru-Test. Wie für den späteren Captain auch steht das Kernobst (im zweiten und im elften Kinofilm) nur im ersten Moment für Betrug. Beim zweiten Hinsehen entpuppt sich diese ethisch fragwürdige Handlungsweise viel mehr als originelles Denken im Angesicht von Situationen, die niemals ausweglos sind. Das ist wahrlich ein Motto, das man auch der Sektion 31 im Hinblick auf ihre unorthodoxe Arbeit zubilligen muss.
Ob die von oben herab bestimmte Zusammenarbeit zwischen Pike und seinem alten 'Freund' Leland aber reibungslos über die Bühne gehen wird, darf jedenfalls jetzt schon bezweifelt werden.



Charaktermomente.
Es gibt eine Reihe an Schauspielern, die großartige Leistungen abliefern, ohne wirklich Raum zur Entfaltung zu erhalten: die Brückencrew der USS Discovery, die neue Sicherheitschefin Nhan (Rachael Ancheril) oder Admiral Katrina Cornwell (Jayne Brook).
Leider muss man in dieser Folge auch Commander Saru (Doug Jones) in diese Personengruppe zählen, auch wenn ihm zuletzt der Fokus einer ganzen Folge zukam. Hier allerdings waren ihm nicht mehr als elf Sätze vergönnt, die ihn weder quantitativ noch qualitativ vom Rest der Brückencrew abzuheben vermochten, zumal vieles davon nur aus Einwortaussagen, Befehlen oder Meldungen bestand. Wirklich schade, denn nach seinem Transformationsprozess in der vorangegangenen Folge hätte ich zumindest erwartet, dass dieses Thema zumindest am Rande thematisiert werden würde.
Dem folgt eine Reihe von Schauspielern, die eine gute Leistung abgeliefert haben, ohne allerdings im absoluten Zentrum zu stehen. Oft bleibt ihnen nur eine einzige Szene, in der sie wirklich herauszustechen vermögen.
Der Sektion-31-Anführer Leland (Alan van Sprang) kommt mir in diesem Zusammenhang in den Sinn, der sicherlich einige gute Momente hatte und auch glaubwürdig eine Konkurrenz irgendwo zwischen Ideologie und Freundschaft mit Pike transportierte, aber Ende eben doch eine Nebenfigur blieb.
Oder Ash Tyler (Shazad Latif), dem auf der Brücke zumeist das Wort entzogen wurde und seine andere, stärkere Szene ausgerechnet in einem Gespräch mit Burnham hatte, in dem er wegen seiner Geheimhaltungsverpflichtung kaum etwas sagen konnte.
Ähnlich sehe ich den Fall beim wieder auferstandenen Hugh Culber (Wilson Cruz). Zwar wirkt er glaubhaft, als er einer deutlich ungepflegteren Variante von Lenny Kravitz gleich voller Verzweiflung über die Flure der menschenleeren Discovery robbt, aber seinen einzig ausdrucksstarken Moment hat er ausgerechnet dann, als er seinen Partner Paul Stamets davon zu überzeugen sucht, ihn in der Einsamkeit des Myzelnetzwerkes zurückzulassen.
Die Pilzvariante von May Ahearn ist mehr Schatten als Licht, was aber weniger an der Darstellerin Bahia Watson, als viel mehr an der recht flachen Figur liegt, die erzählerisch bestenfalls der Betonung von Tillys Großartigkeit dient.
Zu meiner Überraschung lässt sich auch Philippa Georgiou in dieser Reihe finden, denn tatsächlich hatte Michelle Yeoh zwar zu Beginn der Folge einen starken Auftritt, aber nur um im Anschluss völlig in den Hintergrund gedrängt zu werden. Dabei hat Yeoh erkennbar großen Spaß dabei, die durchtriebene Bösewichtin im Deckmantel des Geheimdienstes zu verkörpern. Allerdings verliert sie mit erschreckender Regelmäßigkeit stets dann an Durchschlagkraft, wenn sie wie ein Teenager um die Aufmerksamkeit Michael Burnhams buhlt. Mit einem Schlag verliert sie in solchen Momenten ihre Glaubwürdigkeit, zumal ihre 'Drohungen' gegen Burnhams Adoptiv-Bruder Spock ohnehin so platziert wirkten, als wolle man um jeden Preis das Zuschauerinteresse an diesem Erzählstrang trotz der Konzentration auf eine völlig andere Primärhandlung aufrechterhalten.
Fast wäre auch der Captain Christopher Pike (Anson Mount)in diesem Abschnitt gelandet, doch statt dessen markiert er an dieser Stelle den Übergang zu den Hauptfiguren dieser Folge. Klar wirkt er zuweilen erschreckend passiv und abermals hat er wenig Einfluss auf das Gelingen der gesamten Mission. Doch Mount zeigt auch einen anderen, einfühlsamen Pike, der sich der Expertise seiner Crew öffnet und der mit seiner offenen Antipathie zu Tyler wieder einen angenehm würzigen Konflikt in die fade Suppe der Sternenflotteneintracht bringt. Wobei das keineswegs heißen soll, dass er dem positiven Star-Trek-Flair abschwört, der seit seiner Ankunft auch auf der USS Discovery herrscht. Im Gegenteil; Pike trägt abermals die gesamten Star-Trek-Stimmung allein auf seinen Schultern und hält eine großartige Rede, die in der Endabrechnung der Höhepunkt dieser Folge war.



Erstmals seit langem darf auch Paul Stamets (Anthony Rapp) mal wieder zeigen, was in ihm steckt und auch wenn seine Ausführungen zum Sporenzauber zuweilen arg bemüht wirken, präsentiert er sie mit einer beeindruckenden Überzeugungskraft. Besonders in den Momenten, in denen er seinen Partner Hugh Culber wiederfindet, gelingt es ihm diese Augenblicke nicht in unerträglichem Kitsch untergehen zu lassen, sondern stattdessen Würde und Aufrichtigkeit gleichermaßen zu transportieren.
Obwohl Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) derweil die Folge mit ihnen Ausführungen beginnt und auch abschließt, bleibt sie erstaunlich blass. Ihre Szenen mit Georgiou vermögen ebenso wenig zu überzeugen wie ihr Wiedersehen mit Ash Tyler und der denkwürdigsten Augenblick bleibt in meinen Augen jener, in denen sie gegen Ende Tilly nach deren traumatischen Erfahrungen Trost spendet.
Und dann ist da noch Sylvia Tilly (Mary Wiseman).
Während ich mit dieser Figur durchaus meine Probleme habe, fällt mir immer wieder auf, wie beliebt sie vor allem bei unvoreingenommenen weiblichen Zuschauern ist, für die dieser Charakter eine außergewöhnliche Identifikationsfigur bietet. Ihre positive Grundeinstellung, ihre schräge Art, dass sie nicht dem gesellschaftlichen Konstrukt einer Traumfigur entspricht und immer wieder ihre 'tollen Haare' scheinen besonders im Kontrast zur eher perfektionistischen Burnham eine besondere Anziehungskraft auszuüben.
Freunde dieser Sichtweise werden erfreut sein, dass Tilly nicht nur überlebt, sondern auch ein weiteres Mal all ihre Besonderheiten ausspielen kann.
Aber für alle anderen zeigt diese Folge nur einmal mehr, wie sehr sich Tilly zum Lieblingsspielzeug der Autoren entwickelt hat, denn abermals wird dem Fähnrich mit den glänzenden Zukunftsaussichten unglaublich viel Raum geboten, der in starkem Kontrast zu den Chancen steht, die zeitgleich ihren Kollegen eingeräumt werden. Niemand – nicht einmal der eigentliche Serien-Star Michael Burnham – wird so ausgiebig thematisiert wie Sylvia Tilly. So sieht man sie abermals flapsig, übertrieben sentimental und stetig über sich hinauswachsend durch die Szenen dieser Folge stolpern. Während die einen dabei unweigerlich an Wesley Crusher erinnert werden, mögen andere ihren Spaß daran haben. Ich für meinen Teil würde mir für die Zukunft ein wenig mehr Zurückhaltung und mehr Gleichberechtigung bei der Vergabe von Screentime wünschen.



IV. Kritikwürdige Aspekte.

Die Sache mit dem Pilz.
Die Autorensitzung, in der der Inhalt dieser Folge abgesprochen worden ist, stelle ich mir ungefähr so vor:

Produzent #1: "Wie müssen unbedingt Hugh Culber wieder zurückbringen! Der war bei zu vielen Fans beliebt und außerdem steigt uns die LGTB-Gemeinschaft auf's Dach, weil wir ihn abgemurkst haben. Irgendwelche Ideen?"
Produzent #2: "Warum holen wir nicht einfach auch seine Spiegeluniversumsvariante ins Boot?"
Produzent #1: "Nee, das mit dem Spiegeluniversum ist nur mäßig angekommen. Kaum ein Mitglied der moderneren Zuschauerschichten hat da durchgeblickt. Und die, die es verstanden haben, waren überhaupt nicht begeistert. Hat irgendwer vielleicht eine bessere Idee?"
Produzent #3: "Warum beleben wir ihn nicht einfach wieder?"
Produzent #2: "Wie das? Der ist doch schon seit ein paar Folgen tot!!"
Produzent #3: "Na da machen wir eben irgendetwas mit Pilzen!"
Produzent #1: "Ja, aber wie sollen wir erklären, dass die jetzt auch noch Tote zum Leben erwecken können?"
Produzent #3: "Ach da ergibt doch sowieso nix einen Sinn und die Zuschauer wissen doch eh genauso wenig wie wir, wie das ganze funktionieren soll…"
[alle Personen im Raum nicken zunächst und spenden dann stehend frenetischen Applaus]

Ich muss unweigerlich an eine Episode von "Pinky und Brain" denken, in denen eine völlig unlogische Entwicklung mit der Verwendung einer Mikrowelle erklärt wird, da ohnehin niemand genau verstehen würde, wie dieses Wunderwerk der Technik funktioniert. Dass dem Pilz-Hokus-Pokus bei Discovery ähnliche Bedeutung zukommt, kann man nicht zuletzt auch an mehreren Wortmeldungen innerhalb der Folge hören.
Burnhams nachvollziehbar ungläubige Äußerungen wie "In keinem bekannten Universum wäre so etwas möglich." Oder "Wie kann er noch hier sein?" sprechen Bände für den Bären, den man dem Zuschauer hier aufbindet.
So müssen wir hilflos zuschauen, wie Sporen um weitere, völlig unglaubwürdige Nuance bereichert werden: nach Überlichtantrieb, Bärtierchenfutter, Superwaffe, Energiequelle und Dimensionsportal sind Pilze nun auch noch als Transporter und Wiederbelebungsmaßnahme einsetzbar.
Das größte Opfer dieses erzählerischen Armutszeugnisses ist die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit, die bei jeder anderen Star-Trek-Serie bis zu einem gewissen Grad vorhanden war. Bei Discovery scheint dieser Aspekt völlig unwichtig und man zeigt die besorgniserregende Tendenz, einen Brückenschlag im Geiste zu Star Wars zu wagen, wo der 'Macht' und deren 'Midichlorianer' eine ähnliche Bedeutung zukommt wie hier dem Hütchenspiel mit dem Pilz. Da wo früher noch die 'Technik der USS Enterprise' detaillierte Vorgaben zur Verwendung der durchdachten Star-Trek-Technologie bereit stellte, zaubert man mittlerweile einfach wochenweise ein neues Kaninchen aus dem Myzel-Hut wenn es erzählerisch nicht mehr weiter geht.
Besonders verärgert hat mich gar der Twist, der mich für den Bruchteil einiger Sekunden hoffen ließ, dass man Culber nicht ohne weiteres retten können wird. Als würden die Autoren kurzzeitig aus ihrer Fantasie gerissen und von einem Anflug von Zurechnungsfähigkeit erfasst, demonstrierte diese nur kurz währende Vernunftsphase, dass die Serienschreiber dem erzählerischen Allheilmittel des Pilzes auch weiter die Treue halten werden. Jegliche Hoffnung, dass man die Stärke hätte, zum Wohle der Glaubwürdigkeit nicht kopflos in offensichtlichen Fanservice zu verfallen, wurde eine Absage erteilt.
Doch nun gilt es, mit den Auswirklungen dieser außergewöhnlichen Wiederbelebungsmaßnahme zurechtzukommen. Immerhin waren sämtliche Versuche, verstorbene Charaktere zurückzubringen (Spock, Tasha Yar oder Kirk) nicht minder bemüht und darüber hinaus birgt die Rückkehr Culbers sogar einiges an Potential nicht nur für Stamets, sondern auch für die Beziehung des Arztes zu seinem Mörder und ebenfalls zurückgekehrten Kollegen Ash Tyler.
Und natürlich könnten wir uns jetzt hinstellen und darauf pochen, dass wir diese absehbare Rückkehr von Anfang an prognostiziert haben.
Doch es geht auch stilvoller, wie etwa Culbers Synchronsprecher und ZDF-Morgenmagazin-Wettermann Benjamin Stöwe unter Beweis stellte, als er pünktlich zur Ausstrahlung der aktuellen Folge in den USA in einem Shirt vor die Kamera trat, dass Culber und Stamets glücklich vereint zeigte.



So bleibt nur die Hoffnung, dass sich die Wogen mit der Zeit glätten und diese Entwicklung ob ihrer Bemühtheit vorerst der letzte große Missbrauch des Pilzuniversums bleiben wird.
Doch ich hab da so meine Zweifel. Nicht zuletzt, wegen dieses Satzes aus dem Munde Tillys:

"Ich glaube fest daran, dass das Universum uns irgendwann wieder zusammenbringen wird."

Meine Angst wäre, dass ausgerechnet die mit Aufmerksamkeit überladene Tilly von nun an einen ganz besonderen Draht zu den Bewohnern des Myzel-Netzwerkes hat. Die Lage wird prekärer, wenn sich vor Augen hält, dass die JahSepp ganze Schiffe im Stundentakt verzehren können. Was wäre, wenn beispielsweise die Klingonen diese Technologie stehlen und den Sporenantrieb für einen Überraschungsangriff nutzen?
Würde Tilly dann ihre neuen Freunde bitten, die Feinde auf ihrem Kurs zur Erde aufzuhalten ähnlich wie es Sisko durch seine Kontakte mit den Propheten im bajoranischen Wurmloch tat?
Hoffen wir mal einfach, dass in den Autorensitzungen niemand auf diesen ganz besonderen erzählerischen Dreh kommt…



Spannung!?
Ein wenig durchbrach Burnham die vierte Wand als sie diesen Satz zum Besten gab:

"Ich beneide all jene die an eine höhere Macht glauben, die unsere Geschichte schreibt; die das Chaos durch Worte in Schach hält."

Denn natürlich wird auch Discovery von Autoren geschrieben, die (hoffentlich) einen größeren Plan verfolgen. Doch dafür überstrapazieren sie die Geduld des Zuschauers zuweilen.
Zum Beispiel hält der rasante Einstieg nicht was er verspricht und zögert abermals Spocks Auffinden hinaus. Burnhams verspätetes Antworten auf Sarus Anfrage zu ihrem Missionserfolg ließ wohl keinen zurechnungsfähigen Zuschauer so atemlos zurück wie die gesamte Brückenbesatzung. Auch der verzweifelte Kampf der Brückencrew gegen den sicheren Untergang der Discovery in der Myzel-Pfütze war ebenso mäßig spannend wie die Schwierigkeiten des Sektion-31-Schiffes, angemessene Hilfe zu leisten. Selbst die Verzögerung beim Übertritt Culbers in das hiesige Universum war kaum nennenswert fesselnd.
Warum?
Weil wir spätestens seit der ersten Sichtung Culbers genau wissen, dass niemand aus der Hauptbesetzung die plötzliche Arbeitslosigkeit befürchten muss. Wer einen Vertrag hat, dessen Figur wird auch überleben und der Anspruch, "Game of Thrones" auf Star Trek zu übertragen ist spätestens mit dieser Folge endgültig aufgegeben worden.
Immerhin war diese Entwicklung seit einiger Zeit bereits abzusehen, weswegen mich eine andere Entwicklung viel mehr stört. Schon wieder wird die Suche nach Spock - wie in der letzten Folge auch - urplötzlich beiseitegeschoben, um dringlicheres Problem zu lösen. Im Zuge der Rückkehr zum Pilzbefall der ersten Staffel fällt im Vergleich aber auf, dass seit dem Beginn der zweiten Season die immer gleiche Formel angewandt wird.
Dieses Strickmuster F besagt, dass eine Gefahr x in einem Zeitrahmen t (ungefähr eine Folgenlänge abzüglich Vorspann, Abspann. Einleitung und Abschluss) bewältigt werden muss. Ständig sitzt den Protagonisten die Zeit im Nacken und ständig gilt es, diesen sich wiederholenden Wettlauf zu gewinnen. Während das in den ersten beiden Folgen noch mit dem Eingreifen der fremden, engelsgleichen Spezies erklärt werden könnte, wirkt es langsam ein wenig eintönig.
Zumal man unnötigerweise auf maßlose Übertreibungen als Spannungsstütze setzt. Genauso wenig wie Saru in der letzten Folge sterben musste, entpuppt sich diese Woche die Bedrohung des Lebensraumes der JahSepp als echtes Damoklesschwert. Das Umherirren eines einzelnen gestrandeten Wesens klingt nicht einmal mehr im Ansatz so apokalyptisch wie noch in "Der Charonspfennig" und ist nicht die schwere Umweltkatastrophe, die May noch wenige Momente heraufbeschwor.
Am Ende mögen die Schreiber sicherlich weniger Chaos als noch in der unfertigen ersten Staffel bewirkt haben, doch leider ging mit diesem Wechsel auch deutlich weniger Spannung einher.


Logiklöcher und Kanonbrüche.

Für einen kurzen Moment dachte ich wirklich, dass diese Folge behaupten würde, dass die fliegenden Spiegeleier-Parasiten aus der TOS-Folge "Spock außer Kontrolle" das Ergebnis eines Inside-Jobs der Sektion 31 gewesen sein sollen. Doch bei Lichte besehen war die Geheimdienst-Operation nicht nur eine Dekade zu früh, sondern wohl nur eine zufällige Referenz auf die Föderationskolonie Deneva.
Ungleich problematischer hingegen ist der Verweis darauf, Leland hätte mit 'Reptilien auf Cestus III' zu tun gehabt, was nicht minder zu früh für eine Kolonie und einen Grenzstreit ist, der erst in zehn Jahren überhaupt einsetzt.
Weil darüber hinaus aber kaum Kanonreferenzen auftauchen, machen abermals die vielen Logiklöcher den Hauptteil dieses Kritikpunktes aus.
Es fängt bereits damit an, dass Pike Lichtjahre als Zeitmaßeinheit verwendet.
Dann gelingt es der Brückencrew zwar, ein einzelnes Lebenszeichen auszumachen, aber nicht darauf zu achten, ob es (halb-) vulkanisch oder zumindest männlich ist.
Woher May die Information bezieht, wie Insekten innerhalb des irdischen Ökosystems funktionieren bleibt mir ein Rätsel, zumal sie wenige Augenblicke darauf daran scheitert, einen 'Pinkie-Swear' zu erkennen.
Wobei sich an den JahSepp so einige Ungereimtheiten festmachen lassen.
Warum greifen sie zwar Culber und Tilly, aber nicht auch Stamets und Burnham an?
Warum erscheint die USS Discovery am Ende ihrer langwierigen Leidenszeit erschreckend unbeschädigt?
Und warum zeigt sich Culber nachdem er per Pilz-Post zum Absender zurückgekehrt plötzlich rasiert und frisiert?




V. Synchronisation.
Es ist schon eine Crux mit der deutschen Übertragung. Die Verwendung des Begriffes 'Prädator' wirkte ein wenig einfallslos, während die Wandlung 'scorpion to the frog' zu 'Storch zum Frosch' im Gegensatz dazu etwas weit hergeholt ist (bei einem Fuchs wäre im Deutschen immerhin eine gute Brücke zur Voyager-Doppelfolge "Skorpion" geschlagen worden). Tylers sehr klingonische Aussprache von 'Qo'noS' (und damit seine Doppelidentität als Voq) geht völlig unter und Captain Pike 'hasst' den Plan Stamets' plötzlich nicht mehr, sondern findet ihn 'ganz toll'.
Aber es ist nicht alles doof. An vielen Stellen nimmt die die deutsche Synchronisation die nötigen Freiheiten und geht angenehm kreativ mit der Vorlage um. Aus dem Dialog

Pike: "Mr Stamets! Are you ready to execute this very bold, deeply insane plan of yours?"
Stamets: "'Execute' might have not been my choice of words, but that I am, Sir."

wird im Deutschen

Pike: "Mr Stamets! Sind Sie bereit ihren Plan auszuführen und sich kopfüber ins Verderben zu stürzen?"
Stamets: "Das wäre zwar jetzt nicht ganz meine Wortwahl gewesen, aber ja, ich bin bereit, Sir."

Vor allem aber kann man an der deutschen Version seit Culbers Rückkehr auch die Stimme des verdienten Star-Trek-Fans Benjamin Stöwe wieder hören, die allen anderen Trekkies beweist, dass man selbst als deutschsprachiger Fan durchaus Möglichkeiten hat, die Franchise mitzugestalten.



VI. Fazit.
"Die Heiligen der Unvollkommenheit" ist eine runde Folge, die fachgerecht von Star-Trek-Veteranen wie Kirsten Beyer und David Barrett umgesetzt wurde. Sie versteht durch ihre kraftvollen Darsteller, eine schwungvolle Rede und ihre Schilderung von Sektion 31 zu überzeugen.
Mit der Rückkehr Hugh Culbers allerdings kehrt zwar ein beliebter Charakter zurück in die Hauptdarstellerriege, doch dieser so streitwürdige wie absehbare Schachzug geht vor allem zulasten von Glaubwürdigkeit, Spannung und interner Logik, zumal weitere Ungereimtheiten, Nachlässigkeiten und dramatische Mängel dem Gesamtbild letztendlich abträglich sind.

Bewertung.
Absehbarer Rückfall zu alten und neuen Lastern.






VII. Schluss.

Ich wage zu behaupten, dass an dieser Folge eher die Neueinsteiger ihren Spaß haben werden, denn wenn man bereit ist, über Makel wie dem Pilzwirrwarr, den Logiklöchern oder dem Spannungsaufbau vorbeizusehen, bereitet diese Folge vor allem dann Freude, wenn man sich nicht allzu sehr mit den Versprechungen auseinandersetzt, mit denen Discovery dereinst gestartet ist.
Davon abgesehen ist aber ein flottes Stück Unterhaltung entstanden, dem man durchaus starke Momente zubilligen kann.
Viel wahrscheinlicher bleibt aber die Prognose zutreffend, dass die Serie auch in Zukunft alten und neue Zuschauerschaften unterschiedlich ansprechen wird. Ein Riss ist in der Zuschauerschaft auszumachen der wohl nur gekittet werden kann, wenn es Discovery gelingt eine wirklich außergewöhnliche Episode oder Staffel zu produzieren, die beide Parteien zu überzeugen vermag. Bis dahin ist es fraglos noch ein weiter Weg, aber bislang versteht die zweite Staffel immerhin noch Aufbruchstimmung zu verbreiten. Die Hoffnung ruht dabei auf jener höheren Macht, die die Star-Trek-Geschichten schreibt: Die wenig beneidenswerten Autoren, die diese Gratwanderung meistern müssen.



Denkwürdige Zitate.

"Schön wieder im Sattel zu sitzen?"
"Es ist ein erfrischender Ritt."
Christopher Pike und Philippa Georgiou

"Unschuldige fliehen nicht…"
"Sie sind vor uns geflohen!"
"Sie sagen es…"
Georgiou und Michael Burnham

"Sehe ich da etwa graue Haare?
"
"Das ist der Preis den man dafür bezahlt, noch welche zu besitzen…"
Pike und Leland

"Es stehen immer Leben auf dem Spiel. Deshalb gibt es uns doch. Wir machen unseren Job, damit ihr Euren machen könnt."
"Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich sagen das klingt wie eine Drohung…"
"Du kennst mich ziemlich gut
…"
Leland und Pike

"Zum Shuttlehangar geht es da lang. Sie müssen sicher schnell zurück in Ihre… Schlangengrube."
"Ssssss…"
Burnham und Georgiou

"Sie wirkt nicht wie die Philippa Georgiou, an die ich mich erinnere."
"Der Krieg hat sie verändert…"
"Sie können mich für romantisch halten, aber ich mag Menschen, deren Wort ich für bare Münze nehmen kann."
Pike und Burnham

"Wie bist Du bei Sektion 31 gelandet?"
"War 'ne interessante Reise. Ganz ehrlich."
"Erzähl mir davon."
"Leider 'geheim'. Das Wort kommt in meinem Vokabular jetzt häufig vor."
"Du warst ja immer ein Freund von Geheimnissen…"
Burnham und Ash Tyler

"Wir müssen so lange die Position halten, dass ich die Kammer verlassen und Tilly finden kann."
"Dass 'wir' die Kammer verlassen… Sie machen das nicht allein…"
Paul Stamets und Burnham

"An die Besatzung. Hier spricht Captain Pike. Die Sternenflotte ist ein Versprechen. Ich gebe mein Leben für Sie; Sie geben ihr Leben für mich. Und niemand wird zurückgelassen. Ensign Sylvia Tilly ist da draußen und hat jedes Recht auf uns zu hoffen. Wir halten unser Versprechen!"
Pike

"Was immer Du auch bist; ich habe ein Typ III Phasergewehr. Das hat mehr Power und ist auch viel größer als das Typ I oder Typ II, deshalb heißt es wahrscheinlich auch Typ III."
Sylvia Tilly

"Was für ein Kommunikator ist das denn?"
Pike

"Captain Leland, bitte setzen Sie nicht die Crew der Discover…"
"Auf meiner Brücke sprechen Sie erst nach Aufforderung, Tyler! Und Leland, mein Schiff, meine Entscheidung."
Tyler und Pike

"Wenn Du ihn fragst, seid Ihr die Monster."
Tilly

"Das ist mein Ernst. Jetzt ist Schluss mit diesem 'wer-hat-den-Längsten'-Schwachsinn. Leland, Sie haben sich vor einem Sternenflotten-Captain getarnt, der ihr Freund ist und das mitten in einer Rettungsmission."
"Admiral, unsere Tarnvorrichtung war…"
"Sparen Sie sich das! Und Captain Pike, Sektion 31 ist vielleicht nicht das strahlende Beispiel der Rechtschaffenheit so wie es Ihnen lieb wäre, aber es ist eine entscheidende Geheimdienstabteilung und es gibt zurzeit wichtigeres als über Artikel 14 der Charta zu streiten. Staatenbildung ist immer schmutzig – das ist die unappetitliche Wahrheit, und das wissen Sie. Es ist mir egal ob Sie glauebn auf verschiedenen Seiten zu stehen; wir sitzen alle im selben Boot."
"Wir beide kennen uns jetzt schon sehr lange, aber bei meinem Job muss ich auf einem schmalen Grat wandeln und den hab ich hier überschritten. Ich bitte um Entschuldigung."
"Ist angenommen. Ich versuche nicht zu vergessen, dass mein Weg manchmal gradliniger ist als Deiner
."
"Also das ist ja wohl die Untertreibung des Jahrtausends."
Admiral Katrina Cornwell, Leland und Pike

"Ich muss wissen, welche Absichten Sie verfolgen gegenüber Spock."
"Ich will ihn finden, bevor ein mordlustiger Mob es tut oder eine Bande schießwütiger Sternenflottencowboys. Ich bin ziemlich sicher, dass Du das gleiche willst."
Burnham und Georgiou

Weiterführende Leseliste.

Staffel 2.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitsturm"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"
Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Short Treks.

01. Rezension zu "Runaway"
02. Rezension zu "Calypso"
03. Rezension zu "The Brightest Star"
04. Rezension zu "The Escape Artist"