Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler zur aktuellen
Discovery-Folge "
Der Wolf im Inneren". Es empfiehlt sich daher, diese
und sämtliche vorherigen Folgen gesehen zu haben, bevor man mit dem
Lesen fortfährt.
I. Einleitung.
Da hat mir doch tatsächlich
jemand vor einigen Tagen die Pistole auf die Brust gesetzt und im
Zuge eines Radio-Interviews gefragt, wie ich die neue Star-Trek-Serie
Discovery eigentlich finde. Ich druckste herum, kratzte sinnfreie
Worthülsen zusammen und gab letztendlich ein erstaunlich
unverfängliches Statement.
Wenig später habe ich mich gefragt,
warum ich eigentlich so reagiert habe.
Der Hauptgrund mag darin
liegen, dass ich bislang schlichtweg noch nicht weiß, wohin die
Serie führt. Ich habe jetzt einfach noch keinen Schimmer, ob die
Prämisse der Serie mich zur Ausstrahlung der letzten Episode noch
ansprechen wird, ob die Fortschritte in der Erzähltechnik am Ende
die krassen Designbrüche rechtfertigen werden oder ob es nicht noch
unbekannte Entwicklungen geben wird, die mich enttäuscht
zurücklassen werden.
So hangle ich mich – irgendwo zwischen
banger Furcht und brennender Neugier - von Folge zu Folge und
vermeide eine direkte Antwort auf die Frage, wie ich Discovery denn
finde so lange, bis ich meine Befürchtungen, Wünsche oder
Prophezeiungen erfüllt sehe.
Oder eben nicht.
II. Story
Der
Spiegeluniversumsalltag holt Captain
Michael Burnham an Bord der
ISS Shenzhou ein. Zwischen ihren Tagesroutinen wie gelangweilt auf dem
Captains-Stuhl zu sitzen, Untergebene zu exekutieren oder sich Baden
zu lassen, gewöhnt sie sich immer mehr an ihre Position, ihre Rolle
und ihre Autorität und wird ein wenig aus dem Trott gerissen, als
sie damit beauftragt wird, einen hochrangigen Rebellenführer in
seinem Hauptquartier niederzumetzeln.
Umgehend treten Burnhams
Sternenflotteninstinkte wieder zu Tage, denn die aus der Not geborene
Widerstandsgemeinschaft aus
Klingonen,
Andorianern und
Vulkaniern ist
in diesem Universum so ziemlich der einzige Hort von Ideen, der den
Föderationsidealen von Zusammenarbeit, Austausch und Miteinander
wenigstens im Ansatz nahekommt. Sofort wittert sie eine Chance, die Aufständischen zum
Wohle ihres eigenen Universums zu nutzen und verwässert die Befehle
ihres
gesichtslosen Imperators so lange, bis dieser persönlich
auftaucht und die Maske des Schweigens fallen lässt…
III. Lobenswerte
Aspekte.
Charaktermomente.
"
Der Wolf im Inneren" markierte
die Rückkehr zur Perspektive Michael Burnhams und so wirkt es wohl
nicht weiter verwunderlich, ihr die Pole-Position unter den Startern
dieser Episode zuzugestehen.
Sonequa Martin-Green spielt den von
Eindrücken überschwemmten Charakter mit einer beneidenswerten
Souveränität, vor allem wenn man bedenkt, dass sie sich in einer
Tragödie griechischen Ausmaßes den Geistern der vergangenen
Weihnacht (
Sarek), der jetzigen Weihnacht (
Georgiou) und der
zukünftigen Weihnacht (
Voq-
Tyler) stellen musste. Ihr gelingt vor allem
aber die Gratwanderung zwischen ihrer eigenen Welt und dem
Spiegeluniversum, ohne sich in ihrem eigenwilligen Lösungsansatz
nennenswert beirren zu lassen.
Die Reste des Casts sind bei Lichte
besehen bessere Statisten. Fraglos spielt sich auch
Shazad Latif den
inneren Wolf von der klingonischen Seele, aber am Ende wirkt sein
Coming Out doch etwas zu flach nach allem, was er für sein Ziel (was
auch immer es gewesen sein soll) erdulden musste. Mein ganz
persönlicher Höhepunkt war allerdings sein ungleicher Kampf mit
sich selbst, der in seiner handgreiflichen Auseinandersetzung mit
Mirror-Voq von der bloßen Metapher zum lebendigen Szenenbild
mutierte. Immerhin eine schöne Idee, die man an dieser Stelle einmal lobend erwähnen sollte.
Ähnlich verhält es sich mit
Tilly,
Sarek oder
Stamets. Fraglos agieren sie alle auf höchstem
Level, aber ihnen fehlt der nötige Platz, um ihre Fähigkeiten
angemessen zur Schau stellen zu können.
Immerhin bot sich
Saru –
vor allem in seinem etwas stark vom Grotesken geprägten Spiegelbild
– und
Detmer etwas Raum an, ohne dass die beiden Darstellungen
allerdings einen Eindruck hinterließen, der vorherigem Lob nochmals
die Krone aufsetzen würde.
Moral.
Wie bereits in der
letzten Rezension beschrieben ist das Spiegeluniversum eine
Sackgasse. Es ist das immer gleiche Lied vom ständigen Gegensatz des
eigenen Seins mit den Umständen, die es geformt haben (vergleiche
Denkwürdige Zitate). Das war in der
Originalserie zweifelsohne mal
eine nette Idee, aber schon bei
Deep Space Nine oder
Enterprise hatte
sich dieser Topos erschöpft. Nachdem bereits "
Nur wegen Dir"
einen ähnlichen Weg einschlug muss ich nun eingestehen, dass es
dieser Folge gelingt, das Spiegeluniversum um einen neuen Aspekt zu
bereichern, der dennoch den traditionellen Interpretationsansätzen
nahesteht. Es ist die gelungene Gratwanderung zwischen
Neuinterpretation und Vergangenheitshörigkeit.
Dies liegt vor
allem im Mix zweier grundlegender Aspekte begründet.
Zum einen ist
Michael Burnhams standfester Glaube an die Prinzipien und Ideale von
Föderation und
Sternenflotte selbst in einer so düsteren Umgebung
wie dem Spiegeluniversum nicht zu erschüttern.
Auf der anderen
Seite versucht sie aber auch nicht, sich im sinnfreien Versuch zu
verrennen, die verrohte Menschheit des Spiegeluniversums auf den
rechten Weg zurückzuführen, sondern erkennt ihre Werte und
Überzeugung auf Seiten der Rebellion wieder. Sie findet Inspiration
in einer aus der Not geborenen
Allianz aus Klingonen,
Tellariten,
Andorianern und Vulkaniern als alternative Interpretation der
Föderation und fegt ganz nebenbei den recht homozentrischen Gedanken
vom Tisch, dass es die Menschen sind, die der Föderation ihren
Stempel aufdrücken. Stattdessen rückt sie die Idee von Kooperation,
Demokratie und Völkerfreundschaft als universelles Leitmotiv in
einen Mittelpunkt, der von allen Seiten getragen wird, wenn die
Umstände es zulassen.
Ganz nebenbei findet sie darin sogar eine
Lösung für die Konflikte ihrer eigenen Welt und einen Ausweg aus
dem Krieg mit den Klingonen.
Gerade in diesem Punkt ist den
Autoren gelungen eine eigene Utopie nachzuzeichnen, die in bester
Star-Trek-Tradition steht, ohne unaufhörlich auf den altbekannten
Motive herumzureiten.
IV. Kritikwürdige Aspekte.
Folgenanlage.
Fraglos ist es den Autoren gelungen, dem Spiegeluniversum eine
clevere Daseinsberechtigung zu verleihen, aber der Preis dafür war
erschreckend hoch.
So fällt auf, dass diese Episode knallhart mit
ihrem Vorgänger bricht und das obwohl Jonathan Frakes sich sichtbar
Mühe gegeben hat, eine ganze Reihe von Brücken zu bauen, von denen
man bequem die Fahrt fortführen hätte können.
Aber nichts da;
stattdessen werden die Karten neu gemischt und eine völlig neue
Geschichte rückt in den Mittelpunkt, ohne sich thematisch allzu sehr
um vorherige Cliffhanger zu kümmern. Wozu hat man sich überhaupt
die Mühe gemacht
Lorcas unerwartetes (und Burnhams Befehlen
widersprechendes) Martyrium in der
Agoniezelle zum dramatischen
Abschlussbild der Folge zu stilisieren, wenn dieser Umstand
letztendlich bestenfalls in einigen Nebensätzen Erwähnung
findet?
Größer noch ist allerdings der Sprung von
Multiperspektive zur Monoperspektive. Ohne Frage ist dies eine
Burnham-Episode, in dem niemandem so viel Platz gelassen wird wie
Sonequa Martin-Green. Zwar gibt es auch den ein oder anderen Ansatz
für Tilly, Tyler oder Saru – aber auch wenn diesen zarten
Anklängen von alternativen Handlungssträngen eine gewisse Bedeutung
zukommt, verblassen sie doch im übergroßen Schatten der Hauptfigur.
Schlimmer noch: Den knappen, übrig gebliebenen Platz müssen sich
Stamets, Lorca und Co. auch noch mit lange nicht mehr gesehenen
Gesichtern wie Sarek, Voq,
T'Kuvma und sogar Captain/ Imperator
Georgiou teilen. Und auf Spiegeluniversumscharaktere wie
Killer-Detmer oder Schaumbad-Saru sei nur am Rande verwiesen.
Die
Figurenbreite ist schlichtweg zu umfangreich und es fehlen eigentlich
nur
Mudd,
Cornwell und
L'Rell, um den Reigen der mehr oder weniger
wichtigen Rollen der gesamten Serie endgültig vollzumachen. Im
Endeffekt leiden an dieser Fülle die Nebenhandlungsstränge, die nur
sehr sporadisch eingeworfen werden, um den roten Faden fortzuführen
(so umfasst der wohl für die weitere Story wichtige
Tilly-Stamets-Strang nur vier magere Szenen).
Im Hinblick auf die
Spannung gelang es ebenfalls nicht in nennenswerter Weise
Ausrufezeichen zu setzen (wenn man mal von einem Vorspann absieht,
der erst nach knapp einer Viertelstunde einsetzt). Dass sich hinter
Tylers Trauma-gebeugter Gestalt niemand anderes als Voq verbirgt, war
spätestens seit "
Nur wegen Dir" klar und dass es Michael
Burnhams Dilemma vergrößern würde, wenn ihr früher idolisierter
Captain Philippa Georgiou zum Imperator gekrönt würde, hat auch
niemanden in meinem Dunstkreis wirklich vom Hocker gerissen.
Tatsächlich hätte ich mir hier etwas mehr Mut von den Schreibern
erhofft, denn ein Harry Mudd auf dem Thron des Terranischen Imperiums
hätte der Folge eine in meinen Augen ungleich überraschendere
Wendung beschert.
Hinzu kommt der immense Forderungskatalog, dem "
Der Wolf im Inneren" aufgrund seiner Sendeposution kurz vor Staffelende nachkommen musste.
Es war überfällig, Tyler
als Voq zu enttarnen.
Der gesichtslose Imperator musste sein Antlitz
offenbaren.
Stamets medizinischer Zustand steht noch immer in den
Sternen.
In Anbetracht der Tatsache, dass uns nunmehr lediglich vier
weitere Folgen bleiben um die Auswirkungen dieser und anderer
Entwicklungen (z.B. der Krieg mit den Klingonen, Lorcas
Intrigenspiel, das Scheitern des Sporenantriebs) zu thematisieren,
kann man sich problemlos ausmalen, was für ein Husarenritt den
Zuschauern innerhalb des nächsten Monats bevorsteht.
Logiklöcher
und Kanonbrüche.
Es ist beileibe nicht alles doof in dieser
Folge. So freute es mich, dass die Verantwortlichen sich den
Spiegeluniversumsbart für Sarek aufgehoben haben. Die kurze
schematische Darstellung des Inneren eines Klingonen war nicht
weniger bemerkenswert. Und ich bin recht dankbar, dass das
Make-Up-Make-Over für die Andorianer und Tellariten vergleichsweise
milde ausgefallen ist.
Aber eine Sache störte mich dann doch
massiv.
Während mich an den
Abramstrek-Filmen unter anderem nervt, dass dort mit dem
Transwarp-Beamen und den
Superheilungskräften des
Augment-Blutes hanebüchene Logikfehler
bequemerweise mit Zauber-Elmenten zugeschüttet wurden, die nun jedoch in Abrede stellen,
warum sich z.B.
Picard in "
Geheime Mission auf Celtris III" nicht
einfachin den Föderationsraum zurückbeamt oder
Tasha Yar in "
Die schwarze Seele"
überhaupt von
Armus getötet werden konnte, hat Discovery nun
geschafft, diese großen Schuhe thematisch ebenbürtig
auszufüllen.
Mit dem rätselhaften und nur mäßig erforschten
Myzel-Netzwerk verfügt man jetzt seinerseits ein Plot-Device, dass nicht
nur große Entfernungen plötzlich überwinden kann, sondern auch in
der Lage ist, verstorbene Crew-Mitglieder von den Toten auferstehen
zu lassen.
Das ist eine bedenkliche Traditionslinie und es bleibt
nur zu hoffen, dass dieser ganze Pilzantrieb so schnell wieder aus
dem Star-Trek-Universum verschwindet, wie er sich dort vor einigen
Folgen erst eingenistet hat.
Ansonsten gibt es selbstverständlich
auch hier eine ganze Reihe merkwürdiger Ungereimtheiten.
So
widersprechen die Verhüllungsfähigkeiten des Rebellenlagers der
Aussage in "
Die Tarnvorrichtung", dass den Klingonen dieser
Realität die
Tarntechnologie völlig unbekannt sei.
Überhaupt
wirkt dieser ganze Föderationsvergleich (so schön er auch ist)
etwas bemüht; vor allem wenn man sich vor Augen hält, dass die Allianz im
Prinzip ein ähnlicher Haufen verbrecherischer Brutalos ist wie das
Terranische Imperium und mit
Tuvok sogar ein Vulkanier auf Seiten der
Menschen kämpfen wird.
Ferner verwundert mich, dass
Chekov anno dazumal für
den Tötungsversuch an seinem Captain in eine Agoniezelle gesperrt
wurde, während Tyler gleich zum Sterben ins All gebeamt wurde.
Immerhin war das
für den Plot relevant.
Allerdings erklärt das nicht, warum die
Discovery zufällig in Transporterreichweite war, als Tyler ins All
veerfrachtet wurde, zumal das Schiff zu Beginn der Folge definitiv noch im selben
Trümmerfeld herumdümpelte, in dem es bereits seit Anbeginn des
Spiegeluniversumsabenteuers vor Anker lag.
Wie kamen das Schiff dorthin?
War es vielleicht doch mit der Shenzou im Orbit von Halkar?
Und warum nimmt
die Imperatorin keine Notiz von der Discovery?
V. Synchronisation.
Die
ist an und für sich ganz okay, wenn man mal von den typischen
Übertragungsschwierigkeiten wie dem Duzen und Siezen absieht, die
vor allem dann etwas deplatziert wirken, wenn irgendwann Burnham den
Voq in Tyler zu siezen beginnt.
Ansonsten aber gibt es sogar den
ein oder anderen Pluspunkt:
Detmers Stimme etwa wirkt im Deutschen
deutlich lebendiger als im englischen Original.
VI. Fazit.
Zu den
besten Folgen der Serie zählt "
Der Wolf im Inneren" vielleicht
nicht, aber sie kann sich definitiv den Verdienst auf die Fahne
schreiben, dass Spiegeluniversum durch eine Deutungsebene bereichert
zu haben. Die Burnham-zentrierte Episode glänzt vor allem mit
Momenten für ihre Hauptfigur und treibt die Handlung voran.
Und
dennoch bleibt ein schales Gefühl zurück, weil die Folge sich
erzählerisch übernommen hat, die Fehler
J.J. Abrams wiederholt und
auch sonst innere Schlüssigkeit oft genug vermissen
lässt. Im Vergleich zu ihrem Vorgänger hinkt die Folge jedenfalls etwas hinterher.
Bewertung.
Ein etwas anderer Zugang zum
Spiegeluniversum.
VII. Schluss.
Auch dieser Folge gelang es
nicht in nennenswerter Weise, meine Entscheidungsfindungsphase
nennenswert zu beeinflussen.
Im Gegenteil!
Zwar bot sie
endgültige Auflösungen in einigen zentralen Handlungssträngen,
aber nichtsdestotrotz sind wir von der endgültigen Auflösung noch
immer meilenweit entfernt.
Und das vier Folgen vor Ende der ersten
Staffel.
Darin liegt natürlich eine gewisse Spannung auf den
Ausgang, die man durchaus als positiv werten kann. Inhaltlich aber
ist es nicht gerade hilfreich ein Urteil über eine Serie zu fällen,
die sich bis zum Schluss davor scheut, sich tiefer in die Karten
blicken zu lassen.
So werden werde ich wohl erst im Februar eine
Position beziehen können, die mehr umfasst als Sympathie,
vorsichtiges Wohlwollen oder verhaltenen Unmut.
Denkwürdige
Zitate.
"
Ein… ein Sklave hat keinen
Namen."
Mirror-Saru
"Wir alle sind Menschen. Wir haben
alle die gleichen Triebe, die gleichen Bedürfnisse. Vielleicht weiß
niemand von uns, aus welcher Welt er auch kommen mag, welche
Dunkelheit in uns allen lauert."
Michael Burnham
"
Ein
totalitäres Regime ist naturgemäß ein ängstliches
Regime."
Saru
"
Manchmal rechtfertigt das Ergebnis
furchtbare Mittel."
Gabriel Lorca
"
Bitte, Sir, ich
trage zwar kein Abzeichen mehr, aber ich gehöre zur Sternenflotte.
Bitte zwingen Sie mich nicht, diese Koalition der Hoffnung zu
vernichten."
Burnham zu Lorca
"
Jede Schlacht hat zwei
Seiten."
Burnham
"
Du hast gesagt, ich wäre Deine
Halteleine. Ash, ich brauche auch eine!"
Burnham
"
Wir
sind in einer archaischen und grausamen Welt gestrandet, aber wir
sind immer noch die Sternenflotte. Wir leben und sterben immer noch
nach ihren Gesetzen – wie abscheulich Ihre Verbrechen auch sein
mögen."
Saru
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