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Samstag, 2. Januar 2021

Turons Senf zu "Es gibt Gezeiten..." [DIS, S3Nr12]


 Widmung.
Diese Rezension ist allen Mitgliedern der Star-Trek-Tafelrunde "Hermann Darnell" gewidmet. Danke, ohne Euch wäre diese Rezension vierundzwanzig Stunden früher erschienen.

Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Es gibt Gezeiten…" die zwölfte Folge der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.



Einleitung.
Für die paar wenigen Leser, die es noch nicht gehört haben: Das war (wenn man "Der Käfig" miteinrechnet) die achthundertste Folge Star Trek!
Zum Glück hatte Benjamin Stöwe als Synchronsprecher Hugh Culbers in dieser Folge nichts zu tun und dadurch Zeit, in seinem Social-Media-Feed eine Auflistung der bisherigen dreistelligen Meilensteine zu verbreiten (was mir an dieser Stelle erspart, selbst nachzuzählen).
Zu dieser Gelegenheit lässt sich feststellen, dass die fragwürdige Auszeichnung eine Jubiläumsfolge zu markieren, nicht zwangsläufig auch gleich ein Qualitätsmerkmal sein muss.
So begründet mit "Kulkulkan – der Mächtige" ausgerechnet eine TAS-Episode den ersten Hundert-Folgen-Schritt und auch wenn man an dieser Stelle sagen kann, dass diese Folge sicherlich nicht zu den schlechtesten der Serie gehört, kann man sie andererseits aber auch nicht ohne schlechtes Gewissen in den Reigen der besseren aufnehmen.
Die zweihundertste Folge, die TNG-Episode "Gefangen in der Vergangenheit", hat zwar mit Q einen prominenten Fürsprecher, aber sowohl der Vorgänger "Die Reise ins Ungewisse" als auch der Nachfolger "Das Standgericht" wären qualitativ eine deutlich bessere Wahl gewesen.
Die Ehre der dreihundertsten Folge oblag Deep Space Nine, wo sich übrigens die meisten Jubiläumsepisoden tummeln. "Rivalen" allerdings hatte sicherlich einen gewissen Unterhaltungswert, blieb aber am Ende noch alberner als "Gefangen in der Vergangenheit".
Ungleich besser fiel der vierhundertste Vertreter "Zu neuer Würde" aus, der dem Serien-Bösewicht Gul Dukat zusätzliche Tiefe verlieh und Damars ersten Auftritt in der Serie ermöglichte. Ihn würde ich als ersten 'würdigen' Höhepunkt listen wollen.
Auch die fünfhundertste Folge zählt zu den denkwürdigeren Star-Trek-Vertretern. In "Flaschenpost" muss das MHN der Voyager den Prototyp eines Sternenflottenkampfschiffes vor den Romulanern retten.
Die sechshundertste Folge hingegen ist gemäß dem IMDB-Ranking die zweitschlechteste DS9-Episode überhaupt und selbst wenn man die Serie mag, muss man doch zugeben, dass "Die Muse" sicherlich nicht zu den erinnerungswürdigsten Momenten der sieben Staffeln zählte.
Den bisherigen Abschluss bot die Enterprise-Folge "Die Vergessenen", die – dramatisch im Xindi-Handlungsbogen eingebettet – ebenfalls nur wenig Anlass bot, sie als siebenhundertste Episode sonderlich groß zu feiern.
Nun schickt sich also "Es gibt Gezeiten..." an, nach einem längeren Dornröschen-Schlaf der Franchise und immerhin fünf Staffeln der neuen Star-Trek-Serien-Welle (die Staffellänge der alten Serien ist wirklich etwas, was ich sehr vermisse) das Achthundert-Folgen-Jubiläum zu zelebrieren wie wir früher Sylvester.
Doch wie gesehen ist es nicht unbedingt ein gutes Omen, diesem Ehrentitel zu tragen. Kann diese Folge dem langen Schatten seiner Vorgänger entfliehen?
Wird es am Ende eine Folge wie "Zu neuer Würde" oder "Flaschenpost", an die sich die Fans gern erinnern oder bleibt sie dem Trend treu, den "Die Muse" und "Die Vergessenen" im Vorfeld begründet haben?


Story.
Die USS Discovery ist zurück im Schoß der Sternenflotte!
Allerdings nicht unbedingt so, wie sich das der amtierende CaptainSylvia Tilly vorgestellt hat, denn sie verbringt ihre Amtszeit unter der strengen Aufsicht von schwer bewaffneten Regulatoren der Smaragdkette. Während sie und die mit ihr in Geiselhaft gehaltenen Brückencrewmitglieder eifrig an einem Fluchtplan feilen, schafft ihre beste Freundin Michael Burnham derweil Tatsachen, indem sie zusammen mit Cleveland Booker im Shuttlehangar des Schiffes bruchlandet. Sie begibt sich auf eine Solo-Selbstmord-Tour durch die Eingeweide des Schiffes, um den fremden Besatzern das Leben so schwer wie möglich zu machen und ihre Schiffskameraden aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Und das ist auch bitter notwendig, denn der Pilzexperte Paul Stamets wird von einem Smaragdkettenwissenschaftler auf Herz und Nieren geprüft, um hinter das Geheimnis des revolutionären Sporenantriebes zu gelangen.
Währenddessen treibt sich Osyraa mit einer Bombe im Gepäck im Föderationshauptquartier herum. Doch das Explosivmittel ist eher diplomatischer Natur, denn die Ganoven-Führerin bietet dem sichtlich überraschten Sternenflotten-Oberbefehlshaber Charles Vance nichts Geringeres als die Vereinigung beider Machtblöcke an…


Lobenswerte Aspekte.

Besetzung.
"Es gibt Gezeiten…" ist eine Folge, die sich kurz vor dem Finale den Luxus erlaubt, gänzlich auf einen Auftritt zentraler Crewmitglieder wie Saru, Hugh Culber und Adira Tal zu verzichten -  nicht zuletzt, weil sie Lichtjahre entfernt dabei sind, einen grausamen Strahlentod zu sterben. Tatsächlich führt die Konzentration auf einen Handlungsstrang aber dazu, dass dieser inhaltlich geschlossener wirkt, ohne dabei die gestrandeten Kameraden aus den Augen zu verlieren (zum Glück erinnert Paul Stamets den Zuschauer wortgewaltig an das Schicksal der nicht mit Szenenwechseln bedachten Figuren). Warum jedoch auch Lt. Nilsson, Jett Reno oder Linus so kurz vor Staffelende mit Abwesenheit glänzen bleibt hingegen etwas, was die Folge ein wenig schmälert und ein düsteres Bild zeichnet. Waren ihre begrenzten Auftritte wirklich alles, was man in dieser Staffel von ihnen zu sehen bekam?
Der Serienheld Michael Burnham [Sonequa Martin-Green] hingegen wandelt munter auf den (nackten) Fußspuren John McClanes. In überdeutlichen Anleihen an den genre-prägenden Action-Streifen "Stirb Langsam" klaut sie dem Bösewicht das Walkie-Talkie, bekommt ein Messer ins Bein gerammt, lässt ihren Gegner wie Hans Gruber aus dem Nakatomi-Plaza-Building fallen und läuft barfuß über die Decks des Sternenflottenschiffes. Tatsächlich fehlt nur noch das dreckige Unterhemd und die Kopie wäre so perfekt, dass 20th Century Fox (inzwischen übrigens Bestandteil von Disney) anklopfen könnte, um die Autoren in Grund und Boden zu klagen.  
Das hat durchaus einen gewissen Unterhaltungswert (man denke nur an ähnlich gestrickte Star-Trek-Folgen wie "In der Hand von Terroristen") und es bleibt der Serienheldin zugutezuhalten, dass sie im Gegensatz zum Film nicht die alleinige erzählerische Last mit sich herumschleppen muss. Auch ihr Liebesgeständnis Book gegenüber war in Ordnung, wenn auch erstaunlich überschaubar für eine Serie, in der Gefühle eine so große Rolle spielen. Aber natürlich bleibt sich die Serie dahingehend treu, dass sie in einige ihrer typischen Fettnäpfchen tritt. Während ich ihre Tränen Stamets gegenüber an dieser Stelle die Angemessenheit jedoch zubillige, bleibt ihre Nutzung des Telefonanrufes bei ihrer Mutter einer der Tiefpunkte dieser Folge, da dies so kurz vor dem Zieleinlauf schlimmste Befürchtungen für das Finale weckt (z.B. dass Schwertnonnen-Mutter mit einer romulo-vulkanischen Flotte herbeieilt, um die sorgsam aufgebauten Probleme des zweiunddreißigsten Jahrhunderts wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen zu lassen).
Ihr Zukunftsabschnittsgefährte Cleveland "Book" Booker [David Ajala] darf ihr von der Seite weichen und Zeuge von mehr Handlungshöhepunkten werden als jede andere Figur der Folge. Damit einher geht ein Bedeutungszuwachs und es bleibt zu hoffen, dass der charismatische Zivilist der Serie als mäßigendes Element für Burnham auch nach dem gegenseitigen Liebesbekenntnis in dieser Form erhalten bleibt.
Sylvia Tilly [Mary Wiseman] versucht verzweifelt, den Anflug von Inkompetenz abzuschütteln, der seit der letzten Episode an diesem Charakter haftet wie Ganovenblut auf dem Doppelrippunterhemd von Bruce Willis. Das ist nicht einfach, weil einerseits eine Vielzahl von Charakteren nicht müde wird, sie mit der Nase in ihre Fehler zu stupsen und weil sie andererseits noch immer etwas planlos von den Wogen des Drehbuchs durch die Sets getrieben wird (auch wenn sie vorgibt, einen ominösen Plan zu haben).
Den besten Auftritt bis hierher muss man an dieser Stelle aber Paul Stamets [Anthony Rapp] zubilligen, der bislang eher von der Ersatzbank aus auf seine Einwechslung zu warten schien. Hier aber ist er ein zentraler Bestandteil der Story, baut eine zukunftsweisende Beziehung zu einem zentralen Vertreter der Smaragdkette auf und liefert sich einen emotionalen Schlagabtausch mit Michael Burnham, der wirklich angemessen scheint. Seine Motive sind ebenso schlüssig wie die Michael Burnhams und in der kontroversen Entscheidung der Kollegin liegt eine Tragik, die in dieser Serie selten so nachvollziehbar inszeniert wurden. Dieser Konflikt zwischen persönlichen Gefühlen ist jedenfalls etwas, was sich seit jeher durch Stark Trek und nun auch durch die dritte Staffel von Discovery zieht.
Zum Rest der an Bord verbliebenen Besatzung lässt sich festhalten, dass alle von Keyla Detmer [Emily Coutts], über Joann Owosekun [Oyin Oladejo] nebst Lt. Ina [Avaah Blackwell] und Gen Rhys [Patrick Kwok-Choon] bis hin zu R.A. Bryce [Ronnie Rowe, jr.] Anteil an den Dialogen hatten, ihre eigenen Kampfkünste unter Beweis stellen konnten und dafür Sorge trugen, die Entwicklungen nicht nur ein paar ausgewählten Autorenfavoriten zu überlassen.


Bei den Gaststars dieser Woche zeichnet sich abermals ein recht unterschiedliches Bild.
Den einzigen Auftritt, den man sich genauso gut hätte sparen können, leistet Zareh [Jake Weber] ab, indem er beweist, dass er seinen flachen Charakter aus der zweiten Folge "Fern der Heimat" tatsächlich noch eindimensionaler hinbekommt. Insbesondere seine Wortmeldungen wirkten, als hätte ein Praktikant die Aufgabe gehabt, im Paramount-Archiv nach den abgedroschensten Bösewicht-Plattitüden zu forschen und diese dann wahllos im Drehbuch zu verteilen.
Nur unwesentlich besser erwischt hat es Ryn [Noah Averbach-Katz], dessen denkwürdigster Moment jener blieb, in der er und seine akanonischen Antennenstummel zum Wohle der Charakterzeichnung öffentlichkeitswirksam in ihre Atome aufgelöst wurden. Ansonsten blieb es auch ihm verwehrt, etwas mehr von sich zu geben als Allgemeinplätze aus dem Drama-Handbuch.
Da hat es mich schon etwas mehr gefreut, Kenneth Mitchell wiederzusehen. Nachdem er Anfang des letzten Jahres in die Star-Trek-Schlagzeilen geriet, weil seine ALS-Erkrankung publik wurde, legen die Autoren eine ungewohnte Flexibilität an den Tag, indem sie den mittlerweile notwendigen Rollstuhl in die Handlung mitaufnahmen. Doch bei aller Freude bleibt auch sein Charakter Aurellio für ein Mitglied der Smaragdkette (das auf einem der berüchtigten Handelsplätze aufgewachsen sein soll!) erstaunlich einseitig. Dass er als 'alter Freund' Osyraas noch nichts von ihrer despotischen Seite mitbekommen haben soll, scheint ein wenig dick aufgetragen und konstruiert. Immerhin bleibt er durch seine bereits angedeutete Erkenntnis ein idealer Kandidat um das Bündnisabkommen zu unterschreiben, für das Osyraa bereits eine Abfuhr erhalten hat.
Während ebenjene Osyraa [Janet Kidder] bislang die (nun von Zareh übernommene) Rolle zukam, einen Bösewicht zu mimen, der in etwa so platt wie ein unaufgepusteter Luftballon war, kann man in "Es gibt Gezeiten…" nun Zeuge des Versuches werden, diesen Ballon innerhalb weniger Einstellungen auf sein Maximalfassungsvermögen aufzublasen. Urplötzlich wird aus der eiskalten Tyrannin eine engagierte Reformerin, die im Alleingang die Allianz zwischen Smaragdkette und Föderation schmieden möchte. Der unerwartete Wandel bleibt mit "überfallartig" noch wohlwollend umschrieben, zumal die Figur gegen Ende der Folge ohnehin wieder in die alten Verhaltensmuster zurückfällt. Hier hätten eine sorgfältigere Einführung und ein wenig mehr Konstanz sicherlich dazu beitragen können, einen formidablen Bösewicht zu formen, doch in der Kürze der Zeit wirkt diese Entwicklung arg an den Haaren herbeigezogen. Der vermeintliche Substanzzuwachs entpuppt sich am Ende jedenfalls genauso schnell wieder als warme Luft.
Somit bleibt der erste Platz auf dem Siegertreppchen dieser Folge Admiral Charles Vance [Oded Fehr] beschieden, dem es nicht nur gelingt, eine Befehlsautorität zu demonstrieren, sondern diese auch mit Kommandoentscheidungen zu unterfüttern, die diese Bezeichnung auch wirklich verdienen. Seine Verhandlungen mit Osyraa schwanken zwar zwischen Genie (sein Argwohn, der in einer Forderung nach juristischer Aufarbeitung gipfelt) und Wahnsinn (die Erklärung zur Funktionsweise von Replikatoren), aber es gelingt dem Darsteller eindeutig, im Alleingang ein Sternenflottenidealbild aufrecht zu erhalten, das lebhaft unter Beweis stellt, dass das Herz der Föderation auch in dieser düsteren Zukunft niemals aufgehört hat zu schlagen.


Folgenaufbau.
Rate, wer zum Essen kommt!
Niemand geringeres als der Star-Trek-Veteran und Regie-Altmeister Jonathan Frakes durfte die künstlerische Leitung der achthundertsten Jubiläumsfolge übernehmen. Wer aber einen festlichen Star-Trek-Braten im Look des achten Kinofilms erwartet, wird (abermals) enttäuscht werden, denn Frakes folgt peinlich genau den Vorgaben der Serie. Die größtenteils als Bottle-Show angelegte Episode strotzt nur so vor Lens Flares und ist mehr Actionfilm als der erste Teil eines Staffelfinales.
Der Anteil von Dialog und Action ist ausgewogen und das flüssige Erzähltempo leistet seinen eigenen Beitrag zum positiven Gesamtbild.
Allerdings ist längst nicht alles Gold was glänzt!
Die Dialoge in "Es gibt Gezeiten" sind streckenweise schmerzhaft unterirdisch: Egal ob von "Scheiße", "mein Süßer" oder "Ich benutz Deinen Schädel als Eisbecher." die Rede ist; die Episode bildet ein Sammelbecken für miese Kalauer, unschlagfertige Erwiderungen und dämliche Schurkensprüche. Als wäre das allein noch nicht schwer genug zu ertragen, verbrauchen sinnlose Worthülsen wie "Ich glaube Ihnen wenn Sie sagen, dass sie mehr ist als das Monster das ich in ihr sehe. Aber zugleich ist sie dennoch haargenau das Monster, das ich in ihr sehe." den Platz, den man effektiver für eine sorgfältigere Figurenzeichnung nutzen könnte.
Und wo wir schon beim Thema Dialoge sind, möchte ich an dieser Stelle in ähnlicher Ausdrucksweise etwas loswerden, was mir schon seit einigen Episoden auf der Seele brennt: Schwache Handlungsentwicklungen durch zynische Kommentare zu bagatellisieren ist in der dritten Staffel zwar Alltag geworden, ändert allerdings nichts am Umstand einer schwachen Handlungsentwicklung (vgl. Denkwürdige Zitate).
Das größte Problem bleibt jedoch, dass die Episode auch inhaltlich äußerst fad wirkt, denn die Autoren der Serie bedienen sich munter am Nachtschrank der ausgedienten Erzähltopoi. So ist auch in dieser Folge alles aussichtslos, die Crew muss sich gegen einen gemeinsamen Feind zusammenraufen und das Schiff muss wieder zurückerobert werden. All das wirkt ein wenig wie Flickwerk aus älteren Serien und Filmen (u.a. übrigens auch Star Trek) und nur wenig innovativ. Mit modernen Sehgewohnheiten oder aktuellen Erzählmustern hat das nur wenig zu tun.
Wer sich an dieser Stelle (zu Recht) fragt, warum sich dieser Punkt ausgerechnet unter den Lobenswerten Aspekten finden lässt, dem sei gesagt, dass es "Es gibt Gezeiten..." tatsächlich gelingt, zwei bemerkenswerte Kaninchen aus dem Hut zu zaubern.
Das erste ist sicherlich das moralische Dilemma, das sich zwischen Michael Burnham und Paul Stamets entspinnt. Der Ansatz des Mykologen, den er selbst in "Mein ganzes Leben ist in diesem Nebel!" trefflichst zusammenfasst, steht in einem wunderbaren Gegensatz zum eher pflichtbetonten Ansatz Burnhams, der mit dem ur-vulkanischen Sinnspruch "Das Wohl der Vielen wiegt mehr als das Wohl des einzelnen." sinnvoll ergänzt werden kann. Auch wenn ich persönlich die plötzlichen Vatergefühle Adira gegenüber ein wenig überzogen finde, bleibt der Umstand, dass er sich ein zweites Mal von seinem Partner Hugh verabschieden müsse, ein nachvollziehbarer Grund, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen um das zu verhindern.
Auf der anderen Seite sieht man eine sichtlich gereifte Michael Burnham stehen, die den größeren galaktischen Zusammenhängen mehr Gewicht beimisst. Sie weiß, dass sie ihre Handlungen über die Leichen dreier Kameraden stellt und ist sich dieser Verantwortung wohl bewusst.
Da können schon einmal Tränen fließen und im Prinzip ist es eine erzählenswerte Verkehrung des gleichen Erzählstoffes, dem "Star Trek III: Auf der Suche nach Mr. Spock" zugrunde liegt. Die Erkenntnis, die Spock in diesem Film machen muss (dass das Wohl des Einzelnen manchmal sehr wohl über dem Wohl der vielen liegen kann), blüht im Finale nun wohl auch Burnham, denn ich wage es an dieser Stelle einmal zu bezweifeln, dass die Zugpferde Doug Jones, Wilson Cruz und Blue del Barrio ab der nächsten Woche todesbedingt aus der Besatzungsliste der USS Discovery gestrichen werden (tatsächlich erwarte ich umso mehr eine Lösung, wie ich sie in der Rezension zu "Bewährungsprobe" bereits angedeutet habe).
Das zweite große Kaninchen der Woche ist viel eher ein Riesenkarnickel, das Wallace und Gromit das Fürchten lehren würde. Denn der Friedenspakt, den hier Osyraa dem verduzten Sternenflottenvertreter unter die Nase hält, hat wohl kaum jemand auf der Uhr gehabt. Tatsächlich schafft es vor allem der Erzählstrang um die Verhandlung einer zusammengeschustert wirkenden Story etwas mehr Tiefgang zu verleihen.
Das große Dilemma, ein unmoralisches Angebot zu erhalten, das fraglos dem Wohle der gesamten bekannten Galaxis dienen würde, aber den eigenen Idealen widerstrebt, bietet eine der spannendsten Frage dieser Folge. Zudem hat sie einen reizvollen Zeitbezug: Wie lange streckt etwa die EU zunehmend autoritär agierenden Staaten wie Polen oder Ungarn die Hand aus, bevor sie ihre eigenen Werte über Bord wirft?
"Discovery" findet eine klare Antwort auf diese Frage, die allerdings offen lässt, wie anwendbar sie im wahren Leben sein würde.


Kritikwürdige Aspekte.

Die Krux mit dem seriellen Erzählen.
Vor allem diese Friedensverhandlungen bleiben eine Entwicklung, die ebenso plötzlich wie spektakulär vom Himmel fällt. Sicherlich liegt in diesem unangekündigten Sturzflug auch ein gewisser Reiz, aber dieser Umstand stellt im gleichen Atemzug ein weiteres Mal unter Beweis, wie schwer sich Discovery noch immer mit dem seriellen Erzählen tut.
Der ganz besondere Reiz dieser Erzählform erschließt sich nämlich dadurch, dass im Verlauf mehrerer Folgen unterschiedliche Hinweise gestreut werden, die sich am Ende zu einem großen Ganzen zusammenfügen lassen. Im Hinblick auf den fertig ausgearbeiteten Vertrag, den Osyraa da aus ihrer Lederhosentasche zaubert, lässt sich festhalten, dass die selbe Person, die nun den Ölzweig ausstreckt noch vor wenigen Folgen ganz andere Töne anklingen ließ. Dabei hätte es noch nicht einmal eines sonderlich großen Aufwandes bedurft, um diese Ereignisse stilvoll einzuleiten.
Ein saloppes Föderationslob hier, eine mehrdeutige Anspielung da und schon hätten sich Rezensionen wie diese hier in ihrem Lob darüber überschlagen, wie subtil und geschickt diese unerwartete Entwicklung von den Autoren angebahnt wurde. Das Fehlen solcher und anderer (z.B. Saru nutzt die Delle im Captainsstuhl, Zareh deutet seine Kontakte zu Osyraa an oder Lt. Ina wird als Besatzungsmitglied etabliert) Folgen-übergreifender Kontinuitätsbrücken lässt berechtigten Zweifel aufkeimen, inwiefern die Serien-Produzenten, Drehbuchschreiber und Regisseure das Prinzip des seriellen Erzählens wirklich verinnerlicht haben. Zudem verstärkt das Fehlen eines sorgfältig gesponnenen roten Fadens weiterhin den Eindruck, dass der zwei Folgen umfassende Spinoff für Michelle Yeohs eigene Star-Trek-Serie "Discovery" wertvolle Erzählzeit gekostet hat, die man anderweitig sinnvoller hätte nutzen können.


Kanonbrüche und Logiklöcher.
Mit einigen deutlichen Anlehnungen an die Star-Trek-Geschichte gelingen der achthundertsten Episode so manche Ausrufezeichen. Die Wiederverwendung des Morse-Codes, der vulkanische Nervengriff und die symbolträchtige Verwendung von Äpfeln zählen inzwischen zwar beinahe zum Star-Trek-Inventar, finden aber in der Folge einen angemessenen Einsatz. Allein bei den Dot-7-Robotern der Schlussszene war ich mir nicht so recht sicher, ob sie mit ihren vier Fingern nun den vulkanischen Gruß, die Metal-Hand oder den Schweigefuchs gemeint haben könnten.
Erwähnenswert ist ferner, dass mit Kanak ein Mitglied jener Spezies zu sehen ist, die im Short Trek "Children of Mars" zwar ausgiebig gezeigt, aber nicht benannt wird.
Ansonsten bleibt sich "Discovery" vor allem selbst treu. Während Referenzen auf die Geschehnisse vorangegangener Folgen (der Auftritt Zarehs, die Sondererwähnung Kwejians oder Stamets Vatergefühle für Adira) im Hinblick auf den staffelübergreifenden Handlungsbogen vielleicht noch als notwendige Erzählbausteine abgetan werden können, drehen sich vor allem die mit Paul Stamets verbundenen Handlungselemente eher um frühere Staffeln: Seine Vorliebe für Opernmusik, seine Beziehungsprobleme und vor allem der tragische – wenn auch temporäre - Tod seines Partners geben ein Abbild der gesamten Figurenzeichnung seit dem Beginn der Serie.
Zudem bleibt der Folge hoch anzurechnen, dass sie sich eben doch noch der Künstlichen Intelligenz an Bord erinnert und deren Selbsterhaltungstrieb für die Rückeroberung des Schiffes einspannt.
Doch wie gewohnt bleibt "Discovery" sich auch darin treu, massive Logiklöcher in die ohnehin dünne Handlung zu reißen.
Wozu etwa brauchen die verschiedenen Machtblöcke des zweiunddreißigsten Jahrhunderts denn überhaupt Dilithium oder Sporenantriebe, wenn sie stattdessen einfach ihre superschnellen Transwarpkanäle aufräumen könnten?
Die generelle Dilithiumknappheit und die damit verbundenen Einschränkungen bleiben nämlich auch weiterhin die Achillesverse der Rahmenhandlung, denn die Figuren der Serie scheinen durch den verheerenden Brand weniger beeinträchtigt, als es in den ersten Folgen noch den Anschein erweckte. Stattdessen bleibt die Galaxis ein Ort, an dem entweder alle Handlungsorte verdammt nah beieinander liegen oder große Distanzen noch immer mühelos überwunden werden können.
So bleibt es erstaunlich, dass Book nur wenig später als die Discovery vor der Föderationshaustür landen kann oder Zareh scheinbar von einer Ecke des Universums zur anderen reist, ohne von der latenten Dilithium-Not der Smaragdkette sonderlich behindert zu werden. Ein wenig erinnert die erzählerische Inkonsequenz an "Voyager", wo die begrenzten Ressourcen des namensgebenden Schiffes im fortschreitenden Handlungsverlauf ebenfalls immer weniger eine Rolle zu spielen begannen.


Den nächsten großen Knackpunkt bieten die Friedensverhandlungen, denn auch wenn sie die Folge entscheidend aufwerten, wirken sie keineswegs sonderlich glaubhaft.
Als Ministerin einer Großmacht zeigt sich Osyraa gewillt eine Menge aufzugeben: Sie verzichtet auf Sklaverei, will ihren Staatsapparat völlig neu ausrichten, der obersten Direktive folgen und wichtige Welten opfern. Was aber kann im Gegenzug die Sternenflotte in die Waagschale werfen?
Ihren guten, aber im Verlauf von mehr als hundert Jahren sehr angestaubten Ruf?
Das scheint doch ein wenig weit hergeholt.
So gesehen ist das Vertragswerk eher ein massives Zugeständnis an die Föderation, die ihrerseits schon ziemlich weltfremd agieren müsste, um dieses einmalige Angebot auszuschlagen. Denn mal im Ernst: Was unterscheidet den angebotenen Vertrag von jenem Bündnis, das die Föderation zu TNG-Zeiten mit den Klingonen eingegangen ist? Wo ist der Unterschied zur Allianz mit den Romulanern während der Dominion-Kriege? Und ist nicht selbst Captain Janeway ein Bündnis mit den Borg eingegangen, als verzweifelte Zeiten verzweifelte Maßnahmen erforderten?
Der realpolitische Ansatz "Auf der Erde hat einmal das Erdöl aus miesen Gaunern Staatsmänner gemacht." lässt sich – wenn man das Erdöl auslässt und durch Dilithium oder den Sporenantrieb ersetzt – auch problemlos auf diese Situation anwenden. Denn die Idee, ausgerechnet von Osyraa eine juristische Aufarbeitung ihrer Verbrechen zu verlangen, scheint mit tagesaktuellem Blick auf das saudische Königshaus, die chinesische Staatsführung oder Wladimir Putin fern von jeder Glaubwürdigkeit zu sein. Zwar könnte man an dieser Stelle auch argumentieren, dass Star Trek in seiner Anlage zur utopischen Science Fiction gezählt wird und sogar dazu ausholen, dass man in einer achthundert Jahre entfernten Zukunft aus Fehlern wie dem Bündnis mit den Son'a, dem Friedensvertrag mit den Cardassianern oder falschen Friedensboten wie Shinzon gelernt hätte, aber allein auf der Basis der moralischen Oberhoheit ein Bündnis zu verwerfen, dass das Leben im Machtbereich beider Fraktionen schlagartig verbessern könnte, wirkt im Umkehrschluss auch nicht gerade utopisch oder gar von moralischer Integrität getrieben.
Übrigens wird im Zuge der Verhandlungen auch eine uralte Star-Trek-Debatte neu entfacht:
Gibt es in der Föderation noch Geld?
Nachdem es innerhalb der verschiedenen Serien und Filme immer wieder widersprüchliche Angaben dazu gab, scheint Osyraas Forderung, dass man den Kapitalismus anerkennen sollte, erstmals seit langer Zeit wieder ein Indiz dafür zu bieten, dass der Weltraum-Union selbst in der weiten Zukunft nichts an einer Geldwirtschaft liegt. Nun aber scheint darin gar ein ideologischer Gegensatz zwischen der (durch mehr Hintergrund aufgewerteten) Smaragdkette und ihren potentiellen Bündnispartnern begründet.
Außerdem erfahren wir, dass die Föderation tatsächlich einen Präsidenten hat (der aber zufällig gerade nicht anwesend ist) und erhalten damit auch die Bestätigung, dass die Autoren scheinbar doch zwischen Sternenflotte und ihrer Dachorganisation unterscheiden können.
An sich war es auch nett, dass sich Admiral Vance die Zeit genommen hat, seinem Gast die Funktionsweise eines Replikators zu erklären, wobei sich mir noch immer nicht erschlossen hat, warum er die Gelegenheit nutzt, um in einen Fäkalsprachgebrauch zu verfallen. Die gesamte Szene (vgl. Denkwürdige Zitate) passte weder in das Ambiente einer diplomatischen Verhandlung, noch hatte sie irgendeinen anderen Nährwert – abgesehen davon, dass man im amerikanischen Original gleich drei Mal hintereinander ein Schimpfwort fallen lassen konnte.  
Daneben gibt es eine Reihe kleinerer Ungereimtheiten, die ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen will.
Kann es sein, dass Michael Burnham keine Socken trägt?
Warum nutzt sie die holografische Matrix nur zur Materialisierung eines Phasers und nicht eines Hautregenerators?
Und warum hat Zareh dieses praktische Stück Technologie nach seinem unfreiwilligen Kontakt mit dem parasitären Eis nicht einmal über seine Hand gehalten?
Wozu hat der Shuttlehangar der Discovery eigentlich Schilde, wenn sie so leicht überwunden werden können?
Warum blockieren ausgerechnet Brandschutzsysteme die Sensoren? Wäre es bei der Anlage dieses Systems nicht sinnvoller, wenn das Gegenteil der Fall wäre, um Rettungskräften die Arbeit zu erleichtern? Schließlich hätte man den Ausfall der Sensoren auch bequem mit der Strahlung aus dem Verubin-Nebel erklären können!
Abschließend muss ich noch eines ergänzen. Die betonte Niedlichkeit der Dot-7-Roboter in der Schlussszene erinnern ein wenig an den Hype, den es zum Star-Wars-Reboot um BB-8 gab. Natürlich ist der Gedanke naheliegend, ähnliche Merchandise-Erfolge feiern zu wollen, aber irgendwie fühlt sich das ganze auch wie die Hausarbeit eines Schülers an, der ganz offensichtlich von seinem Sitznachbarn abgeschrieben hat.


Fazit.
Unter den wachsamen Augen des Star-Trek-Veteranen und Hausregisseurs Jonathan Frakes legt Michael Burnham in einer offensichtlichen Anlehnung den Filmklassiker "Stirb langsam" noch einmal neu auf. Leider bleiben auch viele andere Aspekte der Folge an einen Actionstreifen angepasst; neben unterirdischen Dialogen und einem dünnen Inhalt klaffen allenthalben tiefe Logiklöcher.
Aber die Episode lässt auch effektvoll zwei Bomben platzen.
Zum einen gewinnt sie durch einen emotionalen Konflikt zwischen Stamets und Burnham, während sie zum anderen plötzlich Friedensverhandlungen mit der Smaragdkette in Aussicht stellt. In beiden Fällen werden moralische Fragen in Geiselhaft genommen, die in bester Star-Trek-Tradition stehen.
Schade nur, dass Teile der Entwicklung nicht in vorherigen Episoden angedeutet wurden, denn der seriellen Erzählform genügen diese plötzlichen Handlungsexplosionen leider nicht immer.

Bewertung.
Später Schritt in die richtige Richtung.






Schluss
.
Mit seinem Kommentar "Allein kann diese Episode nicht stehen." zur letzten Episode hat der treue Rezensionsleser und Kommentator Malte1701 den Nagel auf den Kopf getroffen. Es ist bei "Discovery" recht schwierig geworden, einzelne Folgen zu bewerten, denn die Serie ist ganz klar darauf ausgelegt, dass ihre Staffeln in einem Stück gesehen werden.
Natürlich kann man sich Einzelfolgen – die ja auch nur portionsweise veröffentlicht werden – herauspicken und besprechen, aber Maltes Worte sind nicht zuletzt deshalb so treffend, weil man ein finales Urteil (selbst zu den Einzelfolgen) wohl erst fällen kann, wenn man die finale Auflösung kennt.
So gesehen lässt sich auch kein abschließendes Urteil über die Qualität der achthundertsten Folge im Vergleich zu den anderen Jubiläumsepisoden ziehen.
Denn bereits in "Enterprise" zeigte sich deutlich, dass in der dritten Staffel Einzelepisoden nur schwer für sich allein stehen konnten und sich einem größeren Erzählstrang unterordnen mussten. So gesehen mag die siebenhundertste Folge "Die Vergessenen" als Einzelepisode keinen großen Eindruck hinterlassen, aber im Xindi-Handlungsbogen hat sie einen wichtigen Platz inne, der sich erst im Zusammenhang mit den anderen Folgen erschließt.
Gleiches wird wohl auch mit "Es gibt Gezeiten…" passieren. Es wird entweder die Folge aus der Staffel sein, in der Discovery die Kurve bekommen hat oder die Folge aus der Staffel, in der ein enttäuschendes Finale die gesamte Entwicklung gegen die Wand gefahren hat.
Die Antwort erhalten wir also erst im Staffelfinale…


Weiterführende Leseliste.

"Du hast wirklich 'nen super Job gemacht. Es hat uns ganze zwölf Minuten gekostet Dein Schiff zu kapern. Mit einem weniger fähigen Captain wären es zehn gewesen."
Zareh zum amtierenden Captain Sylvia Tilly

"Ich kann kaum fassen, dass das eine neunhundert Jahre alte Technologie ist…"
"Neunhundertdreißig Jahre!"
"Das war wohl das Goldene Zeitalter der Wissenschaft… Es ist bemerkenswert."
Aurellio und Osyraa

"Wir sehen uns wieder…"
"Ich freu' mich schon drauf, mein Süßer…"
Zareh und Cleveland Booker

"Es war derart einfach das Schiff zu kapern, dass ich es zunächst für eine Falle gehalten hatte. Dann habe ich erfahren, dass Captain Saru nicht an Bord ist und nur ein Ensign die CONN hat…"
Osyraa

"Ich will Frieden."
Osyraa

"Schlagen Sie mir gerade eine neue Föderation vor?"
Admiral Charles Vance

"Die machen wir aus unserer Scheiße. Scheiße ist das Basismaterial für unsere Replikatoren. Wir zerlegen sie in ihre Atome und formen die Atome dann um. Ziemlich lecker für Scheiße."
Vance über Äpfel

"Nur im Licht der Vergangenheit sind wir in der Lage die Zukunft zu erkennen."
Vance

"Wir sind Ihretwegen in die Zukunft gereist! Wir sind Ihnen gefolgt! Hugh ist Ihnen gefolgt! Wir haben alles aufgegeben, damit Sie hier nicht ganz allein sind! Wie können sie so etwas machen?"
Paul Stamets zu Michael Burnham


Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Sukal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Samstag, 26. Dezember 2020

Turons Senf zu "Su'Kal" [DIS, S3Nr11]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Su'Kal", die elfte Folge der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
Ich gehe mal ganz pauschal davon aus, dass so ziemlich alle, die diese Zeilen hier lesen, Star-Trek-Fans sind. Und wo wir schon einmal unter uns sind, lasst uns Tacheles reden!
Mir stellt sich nämlich immer wieder die Frage, ob Star Trek wirklich so gut ist, wie seine Fans es nämlich immer wieder behaupten.
Schaut Ihr Euch etwa jede Folge der Originalserie an, selbst wenn es sich dabei um "Spocks Gehirn", "Die Reise nach Eden" oder gar "Auf Messers Schneide" handelt?
Haltet ihr es durch, Euch die gesamte erste Staffel von TNG anzusehen, ohne wenigstens ab und zu entnervt zu pausieren und die Qualität durch einen Gang zur Toilette wieder zu heben?
Spielt Ihr nicht wenigstens mit dem Gedanken, DS9-Folgen wie "Chula – Das Spiel", "Meridian" oder "Die Reise nach Risa" beim Rewatch einfach auszulassen?
Hat nicht "Voyager" irgendwo in den Untiefen der zweiten und dritten Staffel ein paar Tiefpunkte wie "Die Schwelle", "Unschuld" oder "Die neue Identität" zu bieten?
Und was ist mit dem größten Teil der zweiten Season von "Enterprise", die wohl maßgeblich mit der Absetzung der Serie zusammenhängt?
Nein, im Grunde unseres Herzens sind wir uns eigentlich um die Unzulänglichkeiten unserer Lieblingsserie bewusst und sind dennoch bereit, sie trotz einiger Tiefpunkte aufgrund ihrer Leuchtturmepisoden, ihres geschlossenen Universums oder ihrer Moralität bis aufs Messer zu verteidigen.
Diese Nachsicht scheint jedoch bei vielen Fans ein jähes Ende zu finden, wenn es um "Star Trek: Discovery" geht.
Wir erwarten aus irgendeinem Grund immer, dass in "Discovery" eine qualitativ hochwertige Folge die nächste jagt, ohne die gleiche Toleranzschwelle für schwache Episoden zu zeigen, wie damals, als unsere Liebe zu Star Trek noch frisch war.
Ist nicht "Discovery" das Problem, sondern seine engstirnige Fanszene?


Story.
Die USS Discovery geht endlich einem der größten Geheimnisse des Universums auf den Grund:
Woher kam der rätselhafte Brand, der alles Dilithium der Galaxis innerhalb von Sekundenbruchteilen zur Selbstdetonation trieb?
Das kelpianische Schiff Khi'eth, dass in den Tiefen des Verubin-Nebel gefangen ist, scheint der Schlüssel zur Lösung dieses Problems zu sein. Doch auch, wenn von  der originalen Besatzung niemand mehr am Leben sein dürfte, weiß Captain Saru besser als jeder andere, woher das einsame Lebenszeichen stammt, dass die Mannschaft der Discovery in der lebensfeindlichen Umgebung aufspürt und folgerichtig gilt die Suche des Außenteams dem mysteriösen Nachfahren von Doktor Issa, die anno dazumal mit einem kleinen Kelpianer schwanger ging.
Während sich also Saru, Dr. Hugh Culber und natürlich Michael Burnham auf eine riskante Außenmission im strahlungsverseuchten Nebel aufmachen, muss der frisch gebackene erste Offizier Sylvia Tilly unter Beweis stellen, dass sie die richtige Wahl für den Posten war. Dass aber mit Osyraa ausgerechnet die Führerin der Smaragdkette auf dem Weg zum Sternenflottenschiff ist, macht ihren ersten Einsatz als Stellvertreter des Captains zu einer schicksalshaften Bewährungsprobe…


Lobenswerte Aspekte.

Besetzung.
Stell' Dir vor es ist Discovery und Michael Burnham steht nicht im Zentrum des allgemeinen Geschehens!
Zugegeben, die Formulierung ist an dieser Stelle einmal bewusst zugespitzt, aber es bleibt dieser Episode zugute zu halten, dass weder Burnham die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht, noch dass Sonequa Martin-Green die Emotions-Keule schwingt und abermals unter der Last des Universums tränenreich zusammenbricht.
Im Gegenteil! "So'Kal" ist eine von jenen erholsamen Folgen, in denen die Hauptfigur der Serie zwar ihr Scherflein zur Handlung beiträgt, aber im Gegenzug auch darauf verzichtet, sich an allen anderen Figuren vorbei in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu drängeln. In angenehmer Bescheidenheit tritt Michael Burnham stattdessen zur Seite, um einmal anderen Kameraden den Vortritt zu lassen. Ich muss an dieser Stelle sogar einwerfen, dass ich ihre Strategie, in die Rolle eines Hologramms zu schlüpfen, um den Kulturschock Su'Kals vor dem Zusammentreffen mit Personen außerhalb seiner 'Blase' zu vereinfachen, sowohl in seiner subtilen soziologischen Wissenschaftlichkeit, als auch in seiner situativen Einfühlsamkeit zu schätzen wusste. Zudem ergab es – in Umkehrung der normalerweise bei "Discovery" üblichen Verhältnisse – durchaus Sinn, ausnahmsweise einmal Saru (zu Recht) vorzuwerfen, die emotional kompromittierte Person zu sein (vgl. Denkwürdige Zitate)!
Tatsächlich gibt sich Saru nämlich sichtlich Mühe, um tatkräftig unter Beweis zu stellen, wie sehr Admiral Vance mit der Kritik an seiner Person eigentlich Recht gehabt hatte. Seine fehlende Objektivität macht sich unter anderem darin bemerkbar, dass er das hochgefährdete Außenteam anführen will, die von ihm befehligte USS Discovery fast ins Verderben führt und auf seinem Einsatz auch noch jegliche professionelle Distanz vermissen lässt.
Was man aber nicht behaupten kann wäre, dass Doug Jones' Darstellung damit seiner Figur widersprechen würde. Stattdessen passt es haargenau zu einem Charakter, wie wir ihn in "Der Charonspfennig", "Donnergrollen" oder dem Short Trek "The Brightest Star" erleben konnten und dass der ständig unter massiven Masken versteckte Darsteller endlich einmal die Gelegenheit findet, ohne diese Prothesen aufzutreten, macht diese Folge zu etwas ganz Besonderem. Zusätzlich dazu darf er kelpianisch sprechen, ein heimisches Schlaflied singen, seiner Spezies mehr Hintergrund verleihen und vor allem streckenweise die Aufmerksamkeit genießen, die sonst eher Michael Burnham zugutekommt. Und auch das Bild, dass Su'Kal nicht der einzige Kelpianer ist, der sich in der Holosimulation mit sich selbst auseinandersetzen muss, bleibt zusammen mit seiner äußerlichen Menschlichkeit ein starkes Bild. Aufgrund all dieser mannigfaltigen Faktoren zählt Jones' Performance zu den ganz großen Höhepunkten dieser Episode.


Der einzige Makel bleibt seine Entscheidung, ausgerechnet den unerfahrenen Fähnrich Sylvia Tilly zu seinem designierten Stellvertreter zu benennen. Auch wenn Mary Wiseman die Rolle des unsicheren Kommando-Novizen mit dem Mut der Verzweiflung gut verkörpert, schafft ihre Figur es in Rekordzeit, das wichtigste Schiff der Sternenflotte an einen Widersacher zu verlieren, dem unter normalen Umständen noch nicht einmal zuzutrauen wäre, einem schlafenden Kind den Schnuller zu entreißen.
Paul Stamets und sein Partner Hugh Culber hingegen gehören ebenfalls zu den großen Gewinnern. Zwar hat Wilson Cruz trotz seiner Sinnsuche und Teilnahme am Außenteameinsatz nur wenig mit der Handlung zu tun (wichtige medizinische, psychologische und diagnostische Dialogszenen sind zum Teil auf Michael Burnham übergegangen), aber Anthony Rapp hingegen wandelt sich vom Ersatz-Papa für Adira Tal zum tragischen Helden der Folge, der besonders in den Schlussszenen der Episode aus dem Schattenreich der Randfiguren gerissen wird. Besonders gut gelungen bleibt allerdings die intime Darstellung der Beziehung beider, die der Situation gekonnt zusätzliche Dramatik verleiht.
Selbst Adira Tal bekommt in dieser Folge im Vergleich zu vorherigen Episoden verhältnismäßig viel zu tun. Zum einen kann sie ein Wiedersehen mit dem kurzzeitig abwesenden Vorwirt Gray feiern und zum anderen obliegt es ihr, die Befehlskette zu durchbrechen und der Kavallerie gleich zur Rettung der gestrandeten Kameraden zu eilen. Schauspielerisch haben sowohl Blue del Barrio als auch Ian Alexander jedoch keine allzu herausfordernden Auftritte, was sich aber in der kommenden Woche durchaus ändern könnte.
Ähnliches kann man von David Ajala behaupten. Die Szenen, in denen Cleveland Book mit seinem Scout-Schiff durch den lebensfeindlichen Nebel fliegt, um den Tag oder seine Schiffskameraden zu retten, wirken ein wenig wie Beschäftigungstherapie für eine Figur, für die man am überschaubaren Handlungsbüffet ansonsten nur wenig Betätigungshappen übrighat. Aber die Handlung dieser Episode legt auch in diesem Fall nahe, dass sich dieser Umstand in naher Zukunft ändern dürfte.
Die restliche Mannschaft hat bei so viel Platz für die erste Garde weit weniger Raum als noch in den vorherigen Folgen. Dennoch bleibt positiv zu bemerken, dass die Crew rein prinzipiell im Mittelpunkt steht, auch wenn bei der Erzähldichte nicht jedem viel Gelegenheit bleibt, ausgiebig in die schauspielerische Trickkiste zu greifen. Löblich ist, dass so kurz vor Staffelende auch Raven Dauda als Dr. Pollard ihr Gesicht in die Kamera halten darf und dass sogar Tig Notaro entgegen dem Trend der letzten Episoden auftritt – selbst wenn der Umfang des Engagement Jett Renos weit hinter den Möglichkeiten ihrer Figur zurückbleibt.
Die wenigen Gaststars lassen sich nicht über den Kamm scheren.
Am unteren Ende der Skala bleibt Margot Kidder als fieser Antagonist Osyraa stecken, die ihrer Figur zwar mehr Ausdruck verleihen kann als beim Auftritt zuvor, aber noch immer einen unglaublichen flachen, schablonenhaften und klischeebehafteten Bösewicht mimt. Dass es ausgerechnet ihr gelingt, der USS Discovery und ihres Sporenantriebes habhaft zu werden, zählt eher zu den Abstrichen in dieser Episode.
Eher durchwachsen fällt Oded Fehrs Wirken als Admiral Charles Vance aus. In vielen Punkten ist sein Skeptizismus mehr als angebracht, doch im Gegensatz zu einer glaubhaften Führungsfigur vermeidet er es abermals, seinen warnenden Worten Taten folgen zu lassen. Wie wichtig die Discovery für die Sternenflotte sein soll, lässt sich in seinem riskanten Laissez-faire-Führungsstil nicht unbedingt ablesen.
Den bemerkenswertesten Gastauftritt legt Bill Irwin hin: Seine Interpretation des titel-gebenden Folgenhelden ist mehr als schlüssig umgesetzt und bildet den obersten Wert auf der Skala. Die Hilflosigkeit, Ängstlichkeit und innere Verzweiflung einer unglückseligen Figur, die seit mehr als hundert Jahren jeglichen Kontakt zu reellen Personen verlor, ist durch Irwins Einsatz der schweren Maske zum Trotz deutlich zu spüren. Dass seinem Charakter nebenbei auch noch die schwere Bürde auf die schmalen Schultern geschnürt wurde, unfreiwillig Schuld am Kollaps der gesamten galaktischen Ordnung zu tragen, trägt zusätzlich zur Tragik bei. Vor allem aber das kindliche Gemüt Su'Kals überträgt der Darsteller, der zuvor unter anderem als Clown sein Brot verdiente, auf grandiose Weise auf seine Rolle.



Folgenaufbau und neue Welten.
Neue Woche, neuer Discovery-Regisseur!
Das muntere Regie-Karussell der noch jungen Serie dreht sich munter weiter und erfasst in der letzten Episode dieses Jahres seinen mittlerweile zwanzigsten Spielleiter. Man muss bei der Gelegenheit der Star-Trek-Novizin Norma Bailey allerdings zugutehalten, bei der Umsetzung des Drehbuchs von Anne Cofell Saunders eine stabile Arbeit abzuliefern. Mehr noch; "Su'Kal" weist ein angenehmes Erzähltempo mit einer angenehmen Erzähldichte auf, in der trotz des Verzichts auf epochale Raumschlachten, durchgestylte Zweikampfchoreografien oder bunte Explosionen der Zuschauer bei der Stange gehalten wird. Nach einem Cliffhanger, der diesen Namen ernsthaft verdient fragt man schon ab und zu, ob die Serie gerade im Stechschritt versucht aufzuholen, was man in den letzten zwei Wochen zu erzählen versäumt hat. Im Hinblick auf den seriellen Erzählrahmen passt die Folge gut ins Konzept und wird vor allem beim Hintereinanderweg-Sehen eine willkommene Rückkehr in altbekanntes Fahrwasser bieten.
Den Fokus in "Su'Kal" teilen sich mehrere Personen gleichzeitig, wenn auch Saru etwas mehr Augenmerk erhält als mancher seiner Kollegen. Dem Flair dieser Folge aber tut dies gut, denn mit der zusätzlichen Ausleuchtung, die der kelpianischen Spezies zugutekommt, beruft sich "Discovery" auf eigene Erzähltraditionen, die geschickt ausgebaut werden und der Erweiterung von Klingonen in TNG, Bajoranern in DS9, den Borg in "Voyager" oder den Vulkaniern in "Enterprise" in nichts nachsteht. Dahingehend blieb auch bemerkenswert, dass mit Robert Verlaque der gleiche Schauspieler für die Rolle des kelpianischen Ältesten herangezogen wurde, der bereits im Short Trek "The Brightest Star" in der Rolle von Sarus Vater Aradar aufgetreten war. Nachdem Doktor Issa schon von Hannah Spear (die in der selben Mini-Episode Sarus Schwester Siranna verkörperte) schafft es eine familiäre Aura um das Volk Sarus, die seinem Handeln weitere Glaubwürdigkeit verleiht.
Wirklich großartig gelungen ist aber die Holodecksimulation auf dem Dilithium-Planeten, die eigens für die Waise Su'Kal eingerichtet wurde. Der tragische Kaspar Holo-Hauser dieser Episode erweitert das stilprägende Stück Star-Trek-Technologie (man bedenke nur, wie viele Folgen sich allein um dieses ganz besondere Stück Unterhaltungselektronik drehten!) um einen weiteren Aspekt, der eine Daseinsberechtigung entwickelt, die der von "Der schüchterne Reginald" in nichts nachsteht und die Grund-Idee von "Gedächtnisverlust" aus Opfersicht betrachtet:
Kann das Holodeck eine Familie ersetzen?
Die Antwort fällt so absehbar wie deutlich aus und im Gegensatz zu den verklärten Abenteuern des Wolfskindes Mowgli ergeben sich schwerwiegende psychologische Konsequenzen, mit denen sich die Crew der USS Discovery nun auseinandersetzen muss. Das Dilemma um Su'Kals abgeschottetes Leben in der holografischen Irrealität ist eine überaus erzählenswerte Geschichte in bester Star-Trek-Tradition, die es tatsächlich schafft, thematisches Neuland in einer Franchise zu beschreiten, in der man schnell glaubt, schon alles gesehen zu haben.
Erwähnenswert bleibt in diesem Zusammenhang auch der Ansatz, die Ängste des kindlichen Einsiedlers zu personifizieren. In einer schemenhaften Gestalt, die in ihrer Ausprägung entfernt an einen Obscurial aus dem Harry-Potter-Universum erinnert, wird Su'Kal von seinen eigenen Unzulänglichkeiten verfolgt, was jetzt vielleicht kein so unglaublich neuer Ansatz innerhalb der Franchise wäre (man denke nur an die Voyager-Folge "Das Ultimatum"), aber sicherlich zu den besten Umsetzungen bis dato gezählt werden kann. Vor allem aber im Kontext der zahlreichen weiteren psycho-analytischen Anspielungen in der Holosimulation (z.B. die Furchtfestung, MC Eschers Penrose-Treppe, die zusammenbrechenden Hologramme) muss man der Folge eine gewisse Durchdachtheit zubilligen, die man in dieser Form leider nur selten miterleben kann.


Kritikwürdiger Aspekt.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen:
Ich bin kein besonders großer Freund der Enthüllung, dass der Gefühlsausbruch eines kleinen Kindes für den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung in der Galaxis verantwortlich ist. Zum einen, weil ich der Idee, Emotionen zu erzeugen, indem man Kinder instrumentalisiert, eine generelle Skepsis entgegenbringe und zum anderen, weil ich denke, dass bei so ziemlich allen anderen Möglichkeiten, die sich als Ursache für dieses katastrophale Großereignis angeboten hätten, mehr Potential bestanden hätte.
Soweit meine persönliche Meinung, die ich aber auch gleich etwas relativieren muss.
Denn auch wenn ich persönlich wenig Reiz in dieser unerwarteten Entwicklung sehe, so muss ich doch eingestehen, dass diese Enthüllung keineswegs vorhersehbar und auf jeden Fall überraschend war. Sie folgt sogar einem roten Faden gleich jenem Grundmotiv in "Discovery", in dessen Verlauf der erzählerische Höhepunkt massiv auf Emotionen setzt und das Schicksal von Einzelpersonen in den Fokus stellt, die in einer Beziehung zu einem oder mehreren Crewmitgliedern stehen. So gesehen ist es im Rahmen der Serie auf eine gewisse Art sogar irgendwie schlüssig, ein Kelpianerkind mit Sarus Familiendarstellern in der Ahnenreihe als Epizentrum des großen Dilithiumbrandes zu etablieren. Es ist sogar löblich, dass es dieses Mal nicht eine Person trifft, die mit Michael Burnham verschwippschwägert ist, sondern zur Abwechslung einmal den erweiterten Familienhaushalt eines befreundeten Mannschaftsmitgliedes umfasst. Man kann (und darf) damit natürlich mehr oder weniger anfangen können, aber es ist ohne Frage legitim für eine Serie, seine eigene erzählerischen Parameter zu entwickeln, auch wenn sie vom Duktus anderer Star-Trek-Serien abweichen.
Denn eine Kritik – die in Foren, Kommentarspalten und Sozialen Medien kursiert - kann ich nicht pauschal unterschreiben: Dass das nichts mehr mit "Star Trek" zu tun hätte.
Sicherlich kann der berechtigte Einwand erhoben werden, dass dieses Motiv (zusammen mit dem auf tönernen Füßen stehenden Dilithium-Brand) in seiner Ausführung verstärkt an eine andere traditionsreiche Science-Fiction-Serie denken lässt, die über ein ähnliches Alter wie Star Trek verfügt. In "Doctor Who" zählen vergleichbar auf Einzelpersonen beschränkte Handlungen (vgl. Clara Oswald), die in unerwarteten, mystischen und sogar gruseligen Auflösungen gipfeln, zum Qualitätsmerkmal der Show.
Doch selbst wenn sich eine derartige geistige Verwandtschaft zwischen einer britischen und einer amerikanischen Serie konstruieren ließe, bleibt das, was der ein oder andere Urheber vielleicht eher gemeint haben dürfte, dass es nichts mit TNG und seinen Nachfolgeserien gemein hätte, denn gerade im Hinblick auf klassische Episoden mit ähnlichen Grundanlagen wie "Der Fall Charlie", "Miri, ein Kleinling" oder "Tödliche Spiele auf Gothos" wird deutlich, dass hier eine Wiedergeburt von erstaunlich frühen Originalserienmotiven gefeiert wird. Insofern kann man sogar argumentieren, dass  "Discovery" das Kunststück gelingt, eine weit entfernte Zukunft mit Erzählmustern zu kombinieren, die längst schon als unvereinbar mit der Entwicklung der Franchise galten. Der Serie gelingt ein Brückenschlag zu den unmittelbaren Anfängen einer betagten Science-Fiction-Produktion, der nach der Flucht in eine weit entfernte Zukunft nicht unbedingt selbstverständlich erscheint.
Mein zweiter großer Kritikpunkt schlägt in eine ganz ähnliche Kerbe und ich war sicherlich nicht der einzige, dem die Übernahme der Discovery durch ein andorianisch-orionisches Verbrecherkartell ein wenig zu glatt über die Bühne ging. Tatsächlich kann man natürlich auch an dieser Stelle nicht ganz zu Unrecht darauf hinweisen, dass ähnliche Kidnappingversuche in Episoden wie "Der schlafende Tiger", "Erwachsene Kinder", "Der Symbiont" oder "Der Kampf ums Dasein" ebenfalls funktionierten, ohne qualitativ überzeugender zu wirken.
Das Problem liegt viel eher in der plumpen Weise begründet, mit der diese ganze Kaperfahrt inszeniert wurde, denn sie lässt die gesamte Discovery-Crew nach all der sorgfältigen Aufbauarbeit wie ein Haufen blutjunger Amateure wirken, die von ihrem Job nichts verstehen:
Stamets' Zögern etwa erlaubt dem Entertrupp erst, an Bord zu gelangen.
Tillys schiere Unfähigkeit (Warum sind die Schilde der Discovery nicht oben? Warum bringt sie nicht die Discovery außerhalb der Transporterreichweite? Warum ruft sie keine Verstärkung? Warum bleibt sie nach dem Abreißen des Kontakts zu Stamets so passiv?) katapultiert die Discovery in noch nicht einmal vier Stunden als amtierender Captain förmlich auf den Präsentierteller der Viridian.
Und Saru hinterlässt mit seiner Wahl Tillys einen ungeeigneten Stellvertreter auf dem viel zu großen Kommandosessel seines Schiffes.
Wenigstens die künstliche Intelligenz Zora hätte der für sie potentiell gefährlichen Übernahme ruhig etwas entgegensetzen können, denn die Sphärendaten sind in den Händen der Smaragdkette nicht gerade gut aufgehoben.
Natürlich kann man sich an einer Hand ausrechnen, dass die Ereignisse um den Cliffhanger dieser Folge bereits nächste Woche dazu dienen werden, die Crew durch eine heroische Rettungstat wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen, aber bewertet man Su'Kal als Einzelfolge, so kommt man nicht umhin zu bemerken, dass hier die Professionalität der gerade erst zusammengewachsenen Besatzung der Spannung zuliebe an einen unwürdigen Bösewicht geopfert wurde.


Neben diesen beiden großen Streitpunkten gibt es – in bester Discovery-Tradition – zusätzlich noch größere und kleinere Unstimmigkeiten, die das Gesamtbild der Episode schmälern.
Zum Beispiel die an sich schöne Story um die unscheinbare Delle am Stuhl des Captains. Hier waren sich die Autoren und die Bühnenbildner nicht ganz einig, wie das Endprodukt aussehen soll, weswegen das Endprodukt entweder so aussieht wie ein alter Kaugummi, den ein Werftarbeiter aus San Francisco dort absichtlich hingeklebt hat oder eine Schraube, die ein durchgebrannter Dot-7-Konstruktionsroboter an diese Stelle montierte, bevor seine Schaltkreise völlig durchgebrannt sind. Eigentlich würde ich darüber an dieser Stelle hinwegsehen, wenn es nicht ein Markenzeichen guten seriellen Erzählens wäre, derlei Details im Vorfeld wenigstens anzudeuten. Stattdessen aber habe ich auf die Schnelle keine Episoden ausfindig machen können, in denen man Saru an diesem 'Nervositätsgnubbel' herumspielen sieht.
Wofür Book seinen ersten Tripp in die tödliche Verubin-Weltraumwolke wagen muss, hat sich mir ebenfalls nicht erschlossen, denn wenn seinem Schiff der Rückflug selbst im Autopilot-Modus gelingt, hätte man nach dem Scheitern der ersten Annäherung einfach eine unbemannte Sonde abschicken können, um die notwendige Aufklärungsarbeit zu erledigen.
Auch das merkwürdige Verhalten Admiral Vances gibt dem Zuschauer Rätsel auf. Wäre der Ursprung des Brandes und ein Planet, der zum Großteil aus der strategischen Ressource Dilithium besteht nicht wert, mehr als nur ein Schiff, um zu verhindern, dass die Smaragdkette Zugriff auf diesen Rohstoff hat und damit das Kräfteverhältnis entscheidend verschieben kann?
Vielleicht wäre eine Flotte zu spät eingetroffen um irgendetwas verhindern zu können, aber ein solches Vorgehen würde dem Mindestmaß dessen entsprechen, was eine Führungsfigur in seiner Position leisten sollte. Mit dieser Einstellung aber bleibt er ein ebenso fragwürdiger Kommandooffizier wie Michael Burnham, Sylvia Tilly oder Saru.
Und schließlich gibt auch Osyraa ein Rätsel auf.
Woher weiß sie, dass sie zuerst die Sporenkammer und dessen Abteilungsleiter Stamets sichern muss, bevor sie sich des Rests des Schiffes annehmen kann?
Aber abgesehen von diesen berechtigten Fragen gibt es auch ein paar Aspekte, die in dieser Folge ausgesprochen gut gelungen sind.
So lehnt sich die Serie mit dem Sinnspruch "Eine Krise nach der anderen" (die leider in der deutschen Synchronisierung verloren geht) und der Wiederverwendung der Coppelius-Orchideen an seinen Serien-Cousin "Star Trek: Picard" an.
Zudem erleben wir – wenn auch in einer Aufzeichnung – die erste offizielle Föderations-Beitrittszeremonie der Star-Trek-Geschichte mit (auch wenn ich an dieser Stelle darauf hinweisen möchte, dass die Ba'ul aus irgendeinem Grund bei dieser Zeremonie außen vorgelassen werden)
Auch die Verwendung von Tarntechnologie finde ich nicht sonderlich problematisch, da der Vertrag von Algeron nach dem Zusammenbruch des Romulanischen Sternenimperiums und dem Beitritt der Romulaner zu Ni'var glaubhaft ausgesetzt ist.
Am stilvollsten fand ich allerdings, dass das modische Stirnband, das Stamets im Cliffhanger auf den Kopf gesetzt bekommt, an "Spocks Gehirn" erinnerte. Bleibt nur zu hoffen, dass darin kein verstecktes Statement für die Qualität des nun anstehenden Staffelfinale versteckt war…


Fazit.
"Su'Kal" ist eine erstaunlich solide Folge, die unmittelbar vor dem großen Staffel-Showdown noch einmal ein paar Schippen Spannung auflegt und sich geschickt in die moderne serielle Erzählweise einpasst. Sie glänzt mit einem grandios aufgelegten Doug Jones ohne Kelpianer-Maske, einem zeitgemäßen Ansatz zur Rezeption des Holodecks und einer detailreichen Holosimulation, deren Bestandteile von einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit psycho-analytischen Metaphern zeugen. Auch die einfühlsame Besetzung Su'Kals mit dem genialen Bill Irwin verdient an dieser Stelle eine Sondererwähnung.
Neben den üblichen Logiklöchern zählen zwei Aspekte zu den großen Kritikpunkten an dieser Episode: Zum einen leidet die Professionalität der Crew unter einer zu einfachen Übernahme des Schiffes und zum anderen bleibt die Enthüllung, dass ausgerechnet der Gefühlsausbruch eines Kindes den galaktischen Dilithiumbrand verursacht hat, weit hinter den Möglichkeiten zurück. Aber auch, wenn diese Auflösung vielleicht nicht das bietet, was man als Fan für geeignet hält, bleibt die Entwicklung in den Parametern von "Discovery" durchaus schlüssig.

Bewertung.
Im Rahmen von "Discovery" schlüssig.







Schluss.
Die neuen Star-Trek-Serien "Discovery", "Picard" oder auch "Lower Decks" mit ihren Vorgängern in einen Topf zu werfen, wird der Sache nicht gerecht. Zwar waren in der Tat in jedem vorherigen Vertreter der Franchise genügend schlechte Folge zu finden, aber dennoch fielen sie durch die dominante Konzentration auf episodenhaftes Erzählen weniger ins Gewicht.
Doch nicht die Fans haben sich verändert, sondern vor allem ihre Sehgewohnheiten.
Woran aber das moderne serielle Erzählen gemessen wird, ist weniger die Bewertung einer Einzelepisode, sondern vielmehr das Gesamtbild, das sich am Ende einer Staffel von den dort geschilderten Ereignissen zeichnen lässt.
Nicht umsonst fiel "Game of Thrones" in der Zuschauergunst vom Quoten-Olymp hinab in den Hades des Vergessens, als man sorgsam inszenierte Entwicklungen in einem unbefriedigendem Serienfinale ins Leere laufen ließ.
Das aber lässt sich anhand der elften Folge der dritten Staffel nur schwer auf "Discovery" ummünzen.
Es ist nämlich nicht so einfach, eine Entwicklung wie die Auflösung des Dilithium-Brandes ohne Einblick in das finale Gesamtbild zu bewerten. Sicherlich kann ich persönlich an dieser Stelle behaupten, dass die Ideen in der dritten Staffel von "Discovery" trotz ihrer inhaltlichen Nähe zur Originalserie bestenfalls erzählerisches Mittelmaß bieten, aber es bleibt abzuwarten, inwiefern die verschiedenen Charaktere, ihre Lebensgeschichten und der gemeinsame Weg in den nächsten zwei Folgen den Gesamteindruck prägen.
Wenn es der Serie gelingt, all diese Aspekte in schlüssiger Weise zusammenzuführen, kann ich gut mit einem Brand leben, der nicht von einem einzelnen Erzbösewicht, einer fiesen Schurkenspezies oder einer tyrannischen Geheimgesellschaft, sondern von einem traurigen Kind ausgelöst wurde. Aber dafür müssen die Autoren in den nächsten zwei Wochen unter Beweis stellen, dass sie der Kulmination ihrer staffel-übergreifenden Ideen mindestens so viel Energie gewidmet haben wie in dieser Episode der Ausgestaltung des kelpianischen Holodeckprogramms.


Denkwürdige Zitate.

"Wir haben wohl grade die Quelle des Brands gefunden."
Michael Burnham

"Und Saru macht Dir Sorgen…"
"Ich weiß nicht, ob er objektiv sein kann, ob er eine schwere Entscheidung treffen könnte oder eine schmerzvolle, die ihn Überwindung kostet. Aber zu so etwas muss ein Captain bereit sein…"
Cleveland Booker und Burnham

"Bei mir war das erste Mal auch hart. Die fünf Stunden und siebenunddreißig Minuten die Georgiou weg war konnt' ich kaum atmen."
"Tja, es ist eben so wie meine Oma Adele immer gesagt hat; 'Wenn Du kein Raumschiff in einen brennenden Nebel geflogen und alle gerettet hast, hast Du nicht gelebt."
Burnham und Sylvia Tilly

"Falls Sie uns hören können, wir haben etwas gefunden."
Stimme aus dem Off

"Wiederhole Anfrage: Sind Sie der erwartete Input? Wenn nicht dann Einleitung der Verteidigungsprotokolle."
"Ja, ja, wir sind der erwartete Input!"
vulkanisches Hologramm und Hugh Culber

"Früher war unter den Holos oft die Rede von 'Außerhalb'. Aber das 'Außerhalb' kam nicht nach 'Innerhalb'. Deshalb vermute ich, dass das 'Außerhalb' längst tot ist…"
Su'Kal

"Blut auf dem Stuhl macht sich nicht gut."
Osyraa


Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Su'Kal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"