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Sonntag, 17. März 2019

Turons Senf zu "Projekt Daedalus" [Star Trek Discovery, S2Nr09]

Spoilerwarnung. Diese Rezension enthält massive Spoiler zu "Projekt Daedalus", der neunten Folge der zweiten Staffel "Star Trek Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und vorherige Episoden bereits gesehen hat.




I. Einleitung.
Die Geschichte Star Treks lässt sich in drei Phasen einteilen.
Die erste, die ich an dieser Stelle einmal mit 'Die Pionierzeit' überschreiben möchte, begann mit der Ausstrahlung der Originalserie und dem Aufbau einer Fanbasis, die eine Absetzung der Serie mit einer beeindruckenden Briefkampagne verhinderte. Nach dem endgültigen Aus nach der dritten Staffel erwuchs in den Wiederholungsausstrahlungen das ursprüngliche Fantum der Serie, die mit der Zeichentrickserie TAS einen eher zweifelhaften Entwicklungsstufenabschluss erhielt.
Die gemeinhin als das 'Goldene Zeitalter' bezeichnete zweite Hochphase der Franchise begann ausgerechnet mit einem Impuls von außen. Erst mit dem kommerziellen Erfolg von Star Wars erinnerte sich Paramount daran, dass man selbst eine Science-Fiction-Reihe in der Schublade zu liegen hatte, die bereits über eine treue Anhängerschaft verfügte. Nach dem Erfolg erster Kinofilme entstand gar eine neue Serie, die das Star-Trek-Universum in einer einhundert Jahre entfernten Zukunft weiterführte, und seinerseits Ableger wie "Deep Space Nine", "Voyager" oder den Prequel "Enterprise" hervorbrachte.
Nachdem der anfängliche Schwung vor allem in den beiden zuletzt genannten Serien deutlich abgenommen hatte, fiel die Franchise in einen Dornröschenschlaf, der allerdings nur vier Jahre dauerte, bevor die Abrams-Kinofilme einen neuerlichen – wenn auch nicht unumstrittenen – Neuanfang begründeten. Nach drei in einem alternativen Universum angesiedelten Leinwandspektakeln erschien schließlich 2017 eine neue Fernsehserie namens Discovery.
Aber nachdem die dritte Staffel der Serie unlängst in trockene Tücher gebracht wurde, wird klar, dass wir uns keineswegs am Ende der dritten 'Reboot-Phase' befinden, sondern an dessen Anfang. Es wird – vor allem mit Rückendeckung des Streamingdienstes von CBS – an einer Serie über Picard gearbeitet, während zusätzlich ein Spin-Off zur Sektion 31 in Planung ist. Zusätzlich wird eine animierte Serie in "Rick and Morty"-Manier für ein erwachsenes Publikum produziert, während CBS sich unlängst zusammen mit dem Kindersender Nickelodeon auf eine weitere Zeichentrickserie für eine jüngere Zuschauerschicht geeinigt hat. Daneben brodelt die Gerüchteküche um weitere Serien oder Fernsehfilmreihen wie etwa um Nicholas Meyers Khan-Projekt oder die Fortsetzung der Short Treks in animierter Form.
Kurzum: Die 'Reboot-Phase' wird einen Serienausstoß haben, der das Gesamtvolumen der beiden vorherigen Phasen übertreffen wird. Damit wird auch der offizielle Kanon – bislang eine der Achillesversen Discoverys – innerhalb kürzester Zeit aufgebläht werden.
Unter diesem Gesichtspunkt lohnt sich ein genauerer Blick auf die aktuelle Folge besonders, denn anhand der Herangehensweise dieser Serie könnten sich eventuell Rückschlüsse ableiten lassen, wie der abgeschlossene Kosmos, den die Star-Trek-Welt mit seinen vielen Serien und Filmen bislang bildet, in Zukunft gestaltet werden könnte.




II. Story.
Nach ihrem Kurzausflug nach Talos IV wieder auf der Discovery angekommen verschwenden Michael Burnham und ihr Adoptivbruder Spock keine Zeit mit Höflichkeiten und machen nahtlos an der Stelle weiter, an der sie aufgehört haben: Sie werfen sich gegenseitig Anschuldigungen, Verhaltensanalysen und Beschimpfungen an den Kopf, dass die Schachfiguren nur so durch den Raum fliegen.
Dabei steht die Discovery vor viel ernsthafteren Problemen! Bei der Annäherung an das supergeheime Hauptquartier der Sektion 31 muss sie bei gesenkten Schilden mitten durch ein Minenfeld navigieren, das natürlich auf halber Strecke damit beginnt, dem Schiff Welle um Welle gefährlicher Sprengkörper entgegenzuwerfen.
Als es der Crew dennoch gelingt sich der Raumstation zu nähern, um dem dortigen Supercomputer Hal 9000 Control einen unfreiwilligen Wartungsbesuch abzustatten, erlebt der Außentrupp ein blaues Wunder. Nicht nur, dass alle Stationsbewohner grausam zu Tode kamen; ihre sympathische Kollegin Airiam dreht durch und wendet sich in einem unaufhaltsamen Amoklauf gegen ihre eigenen Schiffskameradinnen…



III. Lobenswerte Aspekte.

Charaktermomente.
Will man über die herausragenden Darstellungsleistungen dieser Folge reden, kommt man um drei Namen nicht herum: Michael Burnham, Spock und Airiam.
Sonequa Martin-Green als Michael Burnham bleibt dabei als Hauptfigur der gesamten Serie der größte Raum zur Entfaltung überlassen. Sie darf die Idee zu Rettung des Schiffes im Minenfeld liefern, (kurz vor dem Equal Pay-Day) den ersten vollständig weiblichen Außentrupp seit der TAS-Episode "Das Lorelei-Signal" anführen und sich effektvoll mit Airiam auf einer gruseligen Raumstation prügeln. Richtig zu glänzen versteht sie aber erst, als sie sich wüste Wortgefechte mit ihrem Adoptivbruder Spock liefert.
Fraglos kann man Ethan Peck bei diesen Interaktionen eine ungewohnt emotionale Interpretation seiner Figur Spock vorwerfen, aber andererseits passt diese Entwicklung im Lichte seiner Erlebnisse um den roten Engel, seiner Gefühle um Burnham und seinen Selbstzweifeln als Halbvulkanier erstaunlich gut in den Rahmen. Sein Spock mag einen Bart tragen, erstmals seinen Gefühlen freien Lauf lassen und Schachbretter durch die Gegend werfen, aber er erhellt gleichzeitig auch den Zuschauer mit nachvollziehbaren Einsichten zu Michael Burnham (vgl. Denkwürdige Zitate) und merkwürdigerweise erhält man auch hier den Eindruck, als wäre sein Habitus Teil einer größeren Entwicklung, die gegen Staffelende Klärung finden wird.
Hannah Cheesman als Airiam wird mir tatsächlich fehlen, denn sie war seit der ersten Staffel einer der auffälligeren, mysteriöseren und spannenderen Nebencharaktere der Besatzung. Hier darf sie erstmals die Höhenluft des Hauptdarstellertums schnuppern, nur um am Ende der Folge einen heroischen Abgang hinzulegen. Für die einen mag sich das überhastet angefühlt haben, für mich passte es gut in den Rahmen einer Folge, die sonst nicht viel zu erzählen hatte. Das am Ende gar etabliert wurde, dass sie kein außerirdisches Wesen sondern ein 'kybernetisch erweiterter' Mensch war, deckt sich nicht ganz mit meinen Erwartungen, aber blieb recht gut umgesetzt – zumal es die Chance bot, Cheesman ohne ihre schwere Maske zu erleben.



Der Rest der Darstellerriege hatte zwar jeder mindestens eine gute Szene in petto, aber bei weitem nicht den Raum dieser drei Figuren.
So durfte sich Captain Christoper Pike [Anson Mount] von seiner direkten Vorgesetzten eine ordentliche Portion Honig um das Maul schmieren lassen, wobei die Szene auch von der Produzentenseite her unterstrich, wie wichtig Pike und der mit ihm eng verbundene Star-Trek-Geist für das bisherige gute Abschneiden der zweiten Staffel verantwortlich sein dürfte.
Paul Stamets' [Anthony Rapp] denkwürdigste Szene war sein Austausch mit Spock, dem ich eher ankreide, dass sich der Halbvulkanier hier unnötigerweise im unlogischen Bord-Tratsch der Discovery übt, denn für Stamets' Verhältnisse war der Dialog eigentlich nichts Ungewöhnliches.
Bei Sylvia Tilly [Mary Wiseman] habe ich im Moment das Gefühl, dass die Drehbuchautoren nach ihrem Pilzbefall keinen größeren Plan mehr für sie übrighätten. So schwebt sie irgendwo zwischen Pausenclown (bei Admiral Cornwells Ankunft), Supergenie (beim Enttarnen Airiams) und emotionalem Anker (bei ihrer finalen Kommunikation mit Airiam), ohne allerdings an die Bedeutung ihrer besten Freundin Michael heranzureichen.
Ähnliches ließe sich zu Saru [Doug Jones] feststellen, dessen erzählerischer Anteil an dieser Staffel mit seinen Erlebnissen auf Kaminar abgehandelt zu sein scheint. Hier besteht sein größter Beitrag jedenfalls darin, seine plötzlich seit Staffelbeginn etablierten Supersehfähigkeiten erneut unter Beweis zu stellen.
Admiral Katrina Cornwell [Jayne Brook] bleibt ein wenig blass und wirkt in ihrer Position ständig überfordert, zumal ihre Zweifel an Spocks Unschuld keine allzu großen Konflikte heraufbeschwören, die ihr vielleicht ein wenig mehr Gelegenheit geboten hätten, ihr Können unter Beweis zu stellen.
Eine der positivsten Überraschungen bot die Barzanerin Nhan [Rachael Ancheril], die nicht nur Airiams Machenschaften argwöhnisch beobachtet, sondern auch das Außenteam begleitet und letztendlich dafür Sorge trägt, Airiam auch wirklich aus der Luftschleuse zu katapultieren. Als es für einige Momenten tatsächlich so aussah, als würde sie diejenige sein, die in dieser Episode das Zeitliche segnen würde, war ich für einen Moment wirklich emotional kompromittiert.
Wann immer der Raum für Einblicke in Airiams Leben frei war, gelang es auch einigen Crewmitgliedern, Lebenszeichen jenseits von einer einzigen Dialogzeile zu liefern. Besonders Kayla Detmer [Emily Coutts], Joann Owosekun [Oyin Oladejo] oder Gen Rhys [Patrick Kwok-Choon], die ihr nicht nur Kollegen, sondern Freunde spielen, dürften sich über die erhöhte Aufmerksamkeit gefreut haben.
Gar nichts zu sehen ist in dieser Episode hingegen von Ash Tyler, Hugh Culber oder Doktor Pollard – die wohl zugunsten anderer Figuren ins Hintertreffen gerieten und einfach völlig ausgelassen wurden. Das mutet vor allem bei den Entwicklungen um die beiden erstgenannten Personen etwas merkwürdig an, aber bei einer Folgenlänge von über fünfzig Minuten musste man wohl oder übel den Rotstift ansetzen. Immerhin suggeriert eine Erinnerungsdatei Airiams zu Jett Reno, dass auch diese Figur nochmals auftreten könnte.



Back to the Roots.
Wer gedacht hätte, dass viel mehr Rückbesinnung auf die Star-Trek-Inhalte vergangener Tage als in der letzten Folge nicht geht, wird tatsächlich eines besseren belehrt - und ich meine damit noch nicht einmal die vereinzelten Anspielungen auf Kadis-kot, die 47 oder dreidimensionales Schach, die hier hin und wieder zu finden waren.
Nein, der Ansatz dieser Folge huldigt dem Original schlichtweg weniger mit der talosianischen Brechstange, als es "Gedächtniskraft" letzte Woche noch tat, sondern widmet sich stattdessen in gekonnter Manier einer traditionsreichen Thematik der ersten Star-Trek-Stunde:
Dem durchgeknallten Computer als Widerspruch zur menschlichen Existenz.
Schon in der Originalserie war diese Thematik mit Folgen wie "Landru und die Ewigkeit", "Computer M5" oder "Ich heiße Nomad" ein ständig wiederkehrendes Thema; ein Dauerbrenner der mit der Einführung von künstlichen Intelligenzen wie Data oder dem MHN der Voyager sogar beständig ausgebaut wurde. Nun nimmt sich Discovery dieses roten Fadens an und spinnt ihn in spannender Weise weiter.
Außerdem hat mit Jonathan Frakes am Regie-Ruder vom "Projekt Daedalus" ein verdienter Veteran das Sagen, der hinlänglich mit der Materie vertraut ist. In seiner Arbeit lassen sich deutliche Anleihen an dem ebenfalls von ihm betreuten achten Kinofilm erkennen (etwa beim Umherwerfen der Schachfiguren, das wohl nicht ganz zufällig Ähnlichkeiten mit Picards Ahab-gleicher Aggression gegen seine 'Schiffchen' aufweist) oder dem sechsten Kinofilm (die umherschwebenden Blutstropfen auf der Station in Kombination mit den Magnetstiefeln).
Sogar Spocks geschwisterliches Schachspiel erinnert an "Kirk unter Anklage", wo seine scheinbar nicht in die Situation passende Spontanpartie Unstimmigkeiten innerhalb des Schiffscomputers der USS Enterprise aufdeckt. In dieser Folge hingegen entlarvt das Spiel allerdings deutliche Unstimmigkeiten in Spock selbst, denn nur selten war eine derart emotionale Seite seiner selbst erlebbar.
Vor allem aber markiert diese Folge eine Trendwende in der serieneigenen Politik. Als Discovery nämlich antrat, die Star-Trek-Franchise in ihren Grundfesten zu erschüttern, orientierten sich die Produzenten noch dahingehend am Erfolgsmodell "Game of Thrones", dass sie keiner der Figuren eine Überlebensgarantie ausstellten. So sahen wir in der ersten Staffel Georgiou, Culber und Lorca den Leinwandtod sterben, was bei den Star-Trek-Anhängern auf nur wenig Gegenliebe stieß.
Und so folgte (neben vielen anderen Änderungen) mit der zweiten Staffel eine historische Kehrtwende.
Nicht nur, dass der Publikumsliebling Hugh Culber (allerdings unter sehr fragwürdigen Umständen) wiederauferstand; die Umstände des Todes der kybernetisch erweiterten Airiam wirkten ebenfalls eher in einer Traditionslinie mit diversen Star-Trek-Serien-Vorbildern wie Sito Jaxa, Enrique Muniz oder Mortimer Harren. Ihre Schicksale wurden vorrangig im Rahmen einer einzigen Folge näher beleuchtet, um dann heldenhaft in Selbstaufopferung das Zeitliche zu segnen. Das ist ohne Frage vielleicht nicht mehr ultramodernes Fernsehen und ganz gewiss hätte man mehr Zeit dafür aufbringen können, die Bindung zwischen Zuschauer und Figur aufzubauen, aber ich ganz persönlich hatte damit weniger Probleme, als mit dem plötzlichen Ableben liebgewonnener Mitglieder der Hauptdarstellerriege, der die Serie schon einmal mit den Fans entzweite.
Mit diesem Paradigmenwechsel hat Discovery letztendlich eine Kluft zu ihren Vorgängern überwunden und nicht nur vertraute Sehgewohnheiten aufgegriffen, sondern auch tatkräftig unter Beweis gestellt, dass die noch junge Serie auf dem den Fans zugewandten Ohr nicht völlig taub ist.
Womit natürlich nicht gleich gemeint ist, dass man Hannah Cheesman nun wie Wilson Cruz zuvor wieder zurückholen sollte. Airiam starb einen denkwürdigen Heldentod, den man nicht durch eine überhastete Wiederauferstehung ruinieren sollte, die zusätzlich das ohnehin belastete Glaubwürdigkeitskonto der Serie belasten würde…




Strickmuster.
Die Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten der Serie mögen kommen und gehen, aber inzwischen merkt man jeder einzelnen Episode an, dass sie nach ein- und demselben Grundrezept angerichtet sind.
In der Zutatenlisten finden wir aufwändige Kamerafahrten genauso wieder wie opulente CGIs, blendend grelle Lensflares, spannende Entwicklungen und einen angenehm dezenten Soundtrack.
Garniert wird das Ganze dann mit einer gepfefferten Gewürzmischung aus seichten Horrorelementen (Gefrierleichen, Amok-Roboter und Killer-Computer), knackigen Zweikampfszenen (die mich allerdings zuweilen an Bud Spencer und Terence Hill oder Kirk-Fu denken ließen) und etwas an den Haaren herbeigezogener Weltraum-Action (vgl. Kritikwürdige Aspekte).
Da die eigentliche Haupthandlung – der Anflug und die Landung an einer Raumstation – inhaltlich und erzählerisch nicht das Niveau des ungleich gehaltvolleren Vorgängers zu halten vermag, liegt der Fokus verstärkt auf den unausweichlichen Charaktermomenten, die mit solcher Handlungsarmut zumeist einhergehen, wobei abermals Konflikte den Geschmack bestimmen:
Spock reibt sich an Burnham, Nhan stalkt Airiam und überhaupt befindet sich die Discovery im Dauerclinch mit den vermeintlichen Kameraden der Sektion 31. Dabei bleibt viel Raum für gute (z.B. zwischen Spock und Burnham), mittelprächtige (Spock und Stamets) und gar schwache Wortwechsel (Tilly und Cornwell) – was leider oft zulasten des Tempos einer Folge geht, der es erst im letzten Drittel gelingt an Fahrt aufzunehmen.
Dabei bleibt man einem größerem Rahmen treu.
Wirklich nichts scheint aus Zufall zu geschehen: Das unerwartete Aufeinandertreffen der Discovery mit der sterbenden Sphäre ist genauso eng mit der Haupthandlung von "Projekt Daedalus" verzahnt wie die falschen Mordanschuldigungen gegen Spock oder die folgenweise gesteigerte Aufmerksamkeit für Airiam.
Zudem warten einige Fragen noch immer auf ihre dazugehörigen Antworten.
In welchem Zusammenhang steht das Auftauchen des roten Engels mit den roten Signalen?
Warum ist Spock der auserkorene Lieblingsgesprächspartner des zeitreisenden Wesens?
Wer verbirgt sich hinter dem roten Engel?
 Und:
Deutet der angebissene Apfel, der zwischen den Blutstropfen auf der Sektion-31-Basis herumschwebte, eventuell auf die Anwesenheit Georgious während der Morde an den Admiralen hin oder steht er eher symbolisch für den Sündenfall der toten Führungskräfte?
Abermals sind den Spekulationen der Fans Tür und Tore geöffnet…




IV. Kritikwürdige Aspekte.

Burnham als Nabel des Universums.
Ich habe einen Angstsatz in dieser Folge. Er stammte aus dem berufenen Munde Airiams kurz vor ihrem Tod, war an Michael Burnham gerichtet und lautete:

"Das alles geschieht nur Deinetwegen!"

Ich kann nur – wider besseren Wissens – hoffen, dass diese Aussage NICHT auf die Identität des roten Engels bezogen ist. Denn wie schon Spock richtig anmerkte, scheint Burnham der Fixpunkt zu sein, um den sich das ganze Universum dreht.
Ein Krieg zwischen Klingonen und der Föderation?
Burnham ist Schuld!
Der Fackelträger der Klingonen schlüpft in Menschengestalt und nutzt seine Position aus Liebe zu einer Frau doch nicht aus?
Burnham ist Schuld!
Philippa Georgious Spiegeluniversums-Abbild wird in dieses Universum gebracht?
Richtig; Burnham ist Schuld!
Darüber hinaus ist sie die nie zuvor erwähnte Adoptivtochter Sareks, ihr Spiegeluniversums-Gegenstück die innig geliebte Adoptivtochter der Imperatorin, sie wird von jedem ihrer Captains abgöttisch verehrt und ihre ach so cleveren Ideen retten pro Folge mindestens einmal den tristen Tag.
Statt diesem egozentrierten Unsinn mit dem Neustart zu Beginn der zweiten Staffel (die eigentlich in bester Star-Trek-Manier die gesamte Crew mehr in den Mittelpunkt rückt) ein Ende zu setzen oder wenigstens mehr Zurückhaltung walten zu lassen, legen die Autoren nun noch munter ein paar Schippen voll Unglaubwürdigkeit drauf: Burnham findet natürlich ihren Bruder Spock, leitet natürlich dessen Heilung auf Talos IV ein und hat natürlich auch noch die richtige Idee zum Umgang mit dem gefährlichen Minenfeld dieser Folge parat.
Daran ist allerdings nicht die sympathische Darstellerin Sonequa Martin-Green schuld, sondern der Übereifer einer Schreiberriege, der maßgeblich dazu beiträgt, die Figur für den Zuschauer noch unnahbarer, noch unglaubwürdiger und noch künstlicher zu machen. Dass eine Enthüllung wie 'Michael Burnham steckt auch hinter dem roten Engel' dem Charakter in irgendeiner Form gut tun würde, darf an dieser Stelle zumindest bezweifelt werden.

Logiklöcher und Kanonbrüche.
"Schießt doch einfach!"
Jede Faser meines Körpers schrie förmlich in Verzweiflung diesen einen Satz in die Ohren der unempfänglichen Discovery-Brücken-Crew, als sie vor dem Hauptquartier der Sektion 31 auf ein Minenfeld stieß.
Nur zur Erinnerung: Die Minen waren weder getarnt, noch selbstreplizierend und ein paar wohl platzierte Photonentorpedos oder ein Phaser-Streufeuer hätten dem Schiff nicht nur den unsinnigen Höllentrip durch diese sinnfreie Todesfalle erspart, sondern auch viel weniger Zeit und Nerven gekostet.
Man konnte fast den Eindruck gewinnen, als hätten die Verantwortlichen dieses Logikloch zum Wohle eines schlecht konstruierten Spannungsbogens billigend in Kauf genommen und darauf verzichtet, zumindest im Ansatz eine fadenscheinige Erklärung wie "Die folgende Explosion würde etwaige Überlebende auf der Station gefährden" zu liefern.
Und überhaupt – Minen sind in der Föderation keineswegs so verboten wie Saru es uns hier glauben machen will. Immerhin hat Captain Benjamin Sisko damit den Eingang zum bajoranischen Wurmloch gesperrt und William T. Riker (immerhin vom Regisseur Jonathan Frakes gespielt) legte damit im Zweiteiler "Geheime Mission auf Celtris III" eine ganze cardassianische Flotte lahm, die hinterhältig in einem Nebel lauerte.
Aber vielleicht fand dahingehend ja im Jahrhundert dazwischen ein Wandel in der Wahrnehmung dieser Waffensysteme statt.
In eine ähnliche Kerbe schlägt der scheinbare Widerspruch, dass die Serie zu Beginn der zweiten Staffel im Lichte des größeren Kanons zwar die Verwendung von Holografie-basierter Kommunikation auf der Enterprise verneinte und auf der Discovery arg zurückfuhr, aber nun täuschend echt wirkende holografische Fälschungen als handlungstragende Elemente einführt. Das geschieht immerhin zu einer Zeit, die mehr als einhundert Jahre vor TNG liegt, wo diese Technologie erstmals in einem größeren Rahmen genutzt wurde. Zumindest kann man sich zumindest in diesem Punkt dadurch herausreden, dass Sektion 31 exklusiven Zugang zu fortschrittlicher Technologie zu haben scheint, wie man an den Kommunikatoren in "Die Heiligen der Unvollkommenheit" sehen konnte, die ja eigentlich auch erst im 'nächsten Jahrhundert' der breiten Masse an Sternenflottenoffizieren zugänglich gemacht wurde (das die extensive Verwendung kybernetischer 'Erweiterungen' ähnlich problematisch ist, sei an dieser Stelle nur am Rande erwähnt).
Ansonsten zeigte sich abermals der theatralische Hang zur Übertreibung, der sich bei Discovery stets dann offenbart, wenn eine Folge durch einen Cliffhanger beendet werden muss. Nachdem wir am Ende der letzten Episode erfahren durften, dass die Discovery ad hoc zum 'meistgesuchten Schiff der Galaxis' erklärt wurde, blieb "Projekt Daedalus" den Beweis für diese sehr gewagte Hypothese schuldig. Die Besatzung ergriff jedenfalls keinerlei Vorsichtsmaßnahmen beim Flug in die Höhle des Sektion-31-Löwen, muss sich nicht mit anderen Sternenflottenschiffen auseinandersetzen und lässt sich während der Flucht gar von einem hochrangigen Admiral besuchen.
Cornwells mittlerweile gefriergetrocknete Amtskollegin Patar konnte für eine Logikextremistin eine beachtliche Karriere in einer so multikulturellen Truppe wie der Sternenflotte hinlegen, vor allem wenn man bedenkt, dass ihre Gesinnung keinesfalls ein gut gehütetes Geheimnis war.
Warum man auf der Discovery – die laut eigener Aussage jederzeit in der Lage gewesen wäre, das Außenteam zurück an Bord zu beamen – nicht einfach die außer Kontrolle geratene Airiam in eine Gefängniszelle transportiert oder zumindest selbst in die Kälte des Alls geschickt hat, bleibt ein weiteres Geheimnis der Autoren.
Schließlich hat mich auch gewundert, warum der schiffseigene Universalübersetzer nicht eingesprungen ist, als Spock ein vulkanisches Sprichwort zitierte. Aber auch hier hat wohl – wie ein wenig zu oft in dieser Folge – die Logik dem Effekt gegenüber den Kürzeren gezogen.




V. Fazit.
"Projekt Daedalus" schafft es nicht, die Qualität seines Vorgängers zu halten und kann - bei ähnlicher Folgenlänge - auch inhaltlich nicht mit dem Erzählfeuerwerk der letzten Woche Schritt halten.
Dennoch ist es keine schlechte Episode! Sie bezieht sich einfach in subtilerer Form auf die reichhaltige Star-Trek-Historie, hält das hohe Produktionsniveau aufrecht und verschafft in Freundschaft, Streit und Tod dem Zuschauer den ein oder anderen denkwürdigen Charaktermoment.
Großes Manko bleiben aber weiterhin die riesigen Logiklöcher und Kanonbrüche, die Discovery abermals in einem festen Griff halten.




Bewertung.
Qualitätsarbeit mit den üblichen Abstrichen.






VI. Schluss.

Ich sehe schwarz.
Nicht, dass es keinerlei Bemühungen geben würde, Kanon-Informationen in einzelnen Folgen, episodenübergreifenden Handlungsbögen oder gar Charakteren einzubetten, doch noch stellt sich Discovery mit erschreckender Regelmäßigkeit zu jeder Folge selbst ein Bein. Während viele Kritikpunkte der ersten Staffel überwunden, abgeschwächt oder zumindest ausgelassen wurden, bleibt der stiefmütterliche Umgang mit dem offiziellen Kanon und Logiklöchern eine Begleiterscheinung, die so ärgerlich wie unnötig ist.
Denn gerade in einer Zeit, in der Star Trek quantitativ in neue Serien-Welten vordringt, sollte der Identität der Franchise als Verbindungselement zu den Serien-Vorgängern vorheriger Phasen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Dabei ist das kritikfreudige, raubkopierende oder trollverseuchte Internet keineswegs nur ein Klotz am Bein kommender Serien, denn es beinhaltet genauso großartige Hilfsmittel wie das Star-Trek-Wikipedia Memory Alpha, das für Autoren, Produzenten und Designer gleichermaßen kostenfrei zugänglich ist und das Potential hat, selbst Novizen vor typischen Anfängerfehlern zu bewahren.
Da dies allerdings wohl nur Wunschdenken bleibt, ist es im Hinblick auf die massiven Expansionspläne von CBS mittlerweile schlichtweg von Nöten, eine übergeordnete Kontrollinstanz zu installieren, die Drehbücher vor dem Filmen auf Ungereimtheiten überprüft, Verbindungsmöglichkeiten zum Kanon aufzeigt oder Designentscheidungen mitbestimmt. Denn wenn jede dieser Serien ihr eigenes Süppchen kochen wird, ohne dass eine Hand kontrollierend den größeren Zusammenhang sicherstellt, verliert Star Trek seine Identität und damit auch seinen Reiz.




Denkwürdige Zitate.

"Egal was Sektion 31 sagt – ich halte die nicht für vertrauenswürdig. Man sollte denken, wir wären auf derselben Seite."
Christopher Pike

"Natürlich Sir. Und ich werde Tylers Unschuld beweisen – verlassen Sie sich drauf."
Michael Burnham

"Was bedeuten diese Visionen?"
"Jemand oder etwas wird alles Leben in der Galaxis beenden."
"Und mit 'alles Leben in der Galaxis beenden' meinen Sie…"
"Ich meine ganz genau das. Keine Menschen, keine Vulkanier, keine Föderation. Kein höheres Leben jeglicher Art."
Admiral Katrina Cornwell und Spock

"Vermutlich verteidigen Sie ihn ja, weil Sie seine Schwester sind…"
"Nicht blutsverwandt."
Cornwell und Spock

"Schön, dass Du jede einzelne Sekunde mit mir speicherst!"
"Ehrlich gesagt lösche ich diese Erinnerungen immer zuerst."
"Oh. Hähähähä. Eigentlich gut wenn man alles löschen kann was man vergessen will. Wenn ich das könnte würde ich meine Mutter wahrscheinlich nicht wiedererkennen."
Sylvia Tilly und Airiam

"Könnte einer von Ihnen vielleicht etwas sagen? Ich führe nicht gern Selbstgespräche, wenn mir jemand zuhört."
Paul Stamets

"Nentlo makiskati sipussim [?] - Du gießt eine Pflanze die tot ist."
"Ich weiß was das heißt."
"Übersetzen heißt nicht gleich verstehen."
Spock und Burnham

"Kein Ding für einen Halbroboter."
"Ich bevorzuge 'kybernetisch erweitert'. Schönen Dank auch."
"Ein Hoch auf die Kybernetik!"
"Ich weiß nicht, Detmer. Sie ist ja bisher noch nicht weit gekommen…"
Tilly, Airiam und Kayla Detmer

"Der Krieg zwingt einen manchmal dazu widersprüchliche Entscheidungen zu treffen."
"Wenn wir im Namen der Sicherheit unsere Werte verraten, haben wir den Krieg schon verloren. Aus reiner Neugier: Wurde die Enterprise abgestellt, damit sie von mir nicht daran erinnert werden?"
"Das hatte einen anderen Grund. Für den Fall, dass wir den Krieg verloren hätten, wollten wir, dass der beste Teil der Sternenflotte überlebt. Und wie diese Unterhaltung unterstreicht sind Sie das und alles wofür sie stehen
."
"Ich danke Ihnen."
"Gern geschehen. Würden Sie dann aufhören zu nerven, damit wir endlich arbeiten können?"
Cornwell und Pike

"Im Gegensatz zu Ensign Tilly fehlt Dir jede persönliche Note. Es ist eine Leistung, dermaßen profan zu sein."
"Ich drücke mich lieber durch meine Arbeit aus, nicht durch die Wahl meiner Einrichtung."
"Eindeutig."
Spock und Burnham

"Es ist arrogant von Dir anzunehmen, dass meine gegenwärtige Denkweise der Nachhilfe bedürfen würde."
"Und arrogant von dir anzunehmen, dass es nicht so wäre. Oder hast Du nur Angst zu verlieren?"
"Also gut, Michael; spielen wir Schach.
"
Spock und Burnham

"Ich möchte, dass Du bei mir bleibst. Geh nicht weg bis wir das Problem gelöst haben, hast Du das verstanden?"
Airiam

"Nein. Meine Mission; Ihr Schiff."
Cornwell

"Ich denke, dass unser Vater von Deinem mangelnden Engagement enttäuscht wäre
."
"Ich enttäusche ihn, er enttäuscht mich. Die Sonne geht unter, ein neuer Tag beginnt."
Burnham und Spock

"Wir haben uns jahrelang nicht gesehen. Auf welcher Grundlage willst Du meinen Charakter beurteilen? Trotzdem stehst Du da voller Selbstgefälligkeit und willst wieder die Verantwortung für etwas übernehmen, was sich Deiner Kontrolle entzieht. Meine Realitätswahrnehmung wurde durch die Visionen eines zeitreisenden Wesens herausgefordert. Wer außer Dir könnte mir also helfen? Schließlich hast Du auch den Krieg mit den Klingonen verursacht! Sogar am Tod Deiner Eltern warst Du Schuld…"
"Hör auf!"
"…Hättest Du nur nicht darum gebeten die Supernova anzusehen. Aber es ist gut, dass Du Dir die Schuld gibst: Den Angriff eines kriegerischen Volkes sollte ein Kind auch voraussehen! Vielleicht hättest Du etwas tun können. Kind gegen Klingone; da stehen die Wetten doch günstig…
"Du sollst aufhören!
"
"Du wurdest in einem Verschlag versteckt, Michael. Du hättest es nicht verhindern können; du hättest sie nicht gerettet. Es ist unsinnig, etwas anderes anzunehmen, trotzdem tust Du es! Du hast auch geglaubt, meine Familie vor den Logikextremisten retten zu können, dabei war ich der Grund für ihre Verachtung! Die halbmenschliche Abnormität… Deine Anwesenheit war völlig irrelevant."
"Und mir leuchtet die Relevanz Deines Argument nicht ein
…"
"Dann werde ich noch deutlicher: Du leugnest die Realität weil Du es vorziehst, Schuld auf Dich zu nehmen, statt Dich dem unermesslichen Leid zu stellen."
Spock und Burnham

"Das gibt es nichts herauszufinden. Ich bin wütend. Schlicht und einfach."
"Empfindest Du Dein Scheitern als Vulkanier oder als Mensch?
"
"Mein Scheitern empfinde ich als reinste Befreiung! Und zum allerersten Mal lasse ich meinen Emotionen freien Lauf!!"
Spock und Burnham

"Kein Spiel? Was wenn doch?"
Burnham

"Wenn Sie die Galaxis retten wollen, helfen Sie erstmal mir."
Paul Stamets

"Sieh an; Du darfst auf eine Mission! Vergiss aber uns einfache Leute nicht…"
Detmer

"Wir kämpfen gegen das System selbst…"
Pike

"Das ist es! Es will denken! Und sich entwickeln! Mit diesen Daten kann Control sich ein eigenes Bewusstsein erschaffen! Und wenn das geschieht…"
"… kann es jegliches Leben in der Galaxis vernichten."
"Genau das, was Spock in seiner Vision gesehen hat…."
Burnham und Pike

"Ich werde diese Tür entriegeln, Dich umbringen, meine Mission beenden und die Discovery zerstören."
Airiam

Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitsturm"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"
Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Short Treks.

01. Rezension zu "Runaway"
02. Rezension zu "Calypso"
03. Rezension zu "The Brightest Star"
04. Rezension zu "The Escape Artist"



Samstag, 9. März 2019

Turons Senf zu Gedächtniskraft [Star Trek Discovery, S2Nr08]

Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler zu "Gedächtniskraft", der achten Folge der zweiten Staffel "Star Trek Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen der Serie bereits gesehen hat.

I. Einleitung.
Five Year Mission ist eine sympathische amerikanische Band die sich fest vorgenommen hat, zu jeder Folge der Originalserie einen Song zu fabrizieren. Zu "Talos IV – tabu, Teil I" singen sie beispielsweise

"I once was the captain oft the Enterprise, in case you remember me Christopher Pike."

Meine bescheidene Übersetzung zu dieser Textzeile:

"Ich war einmal der Captain der Enterprise, Christopher Pike, falls sie sich erinnern können."

Auch wenn der Star-Trek-Pilot "Der Käfig", in dem Pike zu sehen war, mittlerweile mehr als fünfzig Jahre her ist, hat Captain Christopher Pike spätestens seit den Auftritten Bruce Greenwoods in den Kinofilmen J.J. Abrams' fulminant den Weg zurück ins kollektive Gedächtnis der Fans gefunden. Discovery geht nun gar einen Schritt weiter und holt die historische Figur zurück an den Ort, wo alles begann – nach Talos IV.
Aber warum?
Ist das reiner Fanservice?
Ein geschickter Rückbezug auf den größeren Kanon?
Und was ist nun mit der General Order 7, die den Besuch des Systems unter Androhung der Todesstrafe verbietet?
Diese Rezension sucht Antworten auf diese und viele andere Fragen zur aktuellen Folge Discovery.




II. Story.
Michael Burnham hat es geschafft:
Sie hat ihren Bruder nach Talos IV gebracht, wo telepathisch versierte Bewohner den Verstand Spocks wieder zurechtbiegen. Doch mit der Rückkehr seiner Zurechnungsfähigkeit geht auch ein frostiger Empfang ihres nachtragenden Ziehbruders einher, dem der rote Engel nicht weniger als den Totaluntergang des biologischen Lebens in der gesamten Galaxis (!) in Aussicht gestellt hat.
Derweil brennt auf der Discovery die Luft:
Nicht nur, dass Sektion 31 das Schiff von der Suche nach Burnham und Spock ausschließt; die Crew muss darüber hinaus einen hinterhältigen Maulwurf ausfindig machen, der Daten stiehlt und den Einsatz des Pilzantriebs sabotiert. Als sich die Zeichen verdichten, dass Ash Tyler hinter den unlauteren Machenschaften an Bord steht, wird der Verbindungsoffizier von der Brücke verwiesen, noch bevor sich das Schiff zur Rettung der vermissten Adoptivgeschwister nach Talos IV aufmachen kann.
Und:
Hugh Culber macht Schluss mit Paul Stamets!?




III. Lobenswerte Aspekte.

Eine Frage des Stils.
Heidewitzka, macht das einen Spaß!
Man kann Discovery ja einiges vorwerfen, aber langweilig wird es in der illustren Gesellschaft von Pike, Spock oder Burnham nicht.
Stringent verfolgt auch die achte Folge mit Engelsgeduld ihren roten Faden und versäumt es nicht, den Zuschauer in den Wogen ihrer aufeinander aufbauenden Episoden mitzureißen. Es macht im Moment schlichtweg Spaß, der Serie zu folgen.
Hinzu kommt, dass sie abermals handwerklich auf hohem Niveau daherkommt. Die einzelnen Szenen wirken elegant orchestriert und so bildgewaltig umgesetzt, als wären sie aus einem Comic-Buch entnommen worden sein. Gepaart mit schönen Frischluftaufnahmen der kanadischen Wildnis, kunstvollen Übergängen, ansehnlichen CGIs, aufwändigen Kamerafahrten, einem sehr gelungenen Soundtrack und weitreichenden Rückblicken markiert sie ein weiteres Mal den gesteigerten Standard, den die Serie seit dieser Staffel bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat.
Doch der wahre Höhepunkt ist ein anderer:
Nachdem sich bereits am Ende der letzten Folge angedeutet hatte, dass die Reise ausgerechnet auf das unwirtliche Talos IV gehen würde, wussten voll allem alteingesessenen Fans (Neueinsteiger dürften es trotz der gut gemeinten Videoschnipselshow schwer haben, diese Episode zu verstehen), dass es zu einem historischen Schnittpunkt zwischen der modernen Erzählweise der aktuellen Star-Trek-Serie Discovery und dem nicht ausgestrahlten Originalserien-Pilotfilm "Der Käfig" kommen würde, der immerhin prominent im TOS-Zweiteiler "Talos IV - tabu" weiterverwertet wurde.
Das mag im ersten Moment vor Fanservice gen Himmel stinken, bleibt aber am Ende der Folge erstaunlich unspektakulär, denn die Momente, die dem Planeten und seinen Bewohnern innerhalb der Handlung blieben, waren nicht nur überschaubar, sondern vor allem der Funktionalität untergeordnet: Die Fähigkeiten der Talosianer trugen nicht – wie etwa im Pilotfilm – die Handlung, sondern dienten eher als eines von mehreren erzählerischen Mitteln, um eine der (vielen) Baustellen der Serie schließen zu können. Statt sich ausgiebig an den Erinnerungen des wehrlosen Vulkaniers sattzusehen, helfen sie ihm, seinen Verstand wieder in die richtigen Bahnen zurückzulenken. Dass Burnham im Austausch doch noch die talosianische Gier nach Erinnerungspornografie stillen muss, dient abermals weniger dem Bad in wohltuender Fan-Nostalgie, als viel mehr dazu ein lange vor sich hergeschobenes Geheimnis endlich zu lüften. "Gedächtniskraft" ist eben nicht sympathischer Fanklamauk wie "Immer die Last mit den Tribbles", sondern eine gute Episode Discovery, die mal etwas mehr Star-Trek-Substanz als sonst bietet.
Deswegen bleibt die Folge wohl absichtlich weit hinter den immensen erzählerischen Möglichkeiten der Talosianer zurück (vgl. Kritikwürdige Aspekte) um ein Ausrufezeichen der etwas anderen Art zu setzen:
Nachdem sich Teile der Fanszene schon darin geweidet hatten, der Serie den Status der Zugehörigkeit zum offiziellen Kanon abzuerkennen, tritt sie nun für jedermann deutlich sichtbar den Beweis an, dass sie nicht nur einen fester Bestandteil des offiziellen Kanons repräsentiert, sondern - mehr noch – in der Lage ist, ihn maßgeblich zu beeinflussen. Es markiert sein Revier und unterstreicht, dass die noch junge Serie bereits jetzt schon eine feste Größe ist, die man nicht mehr kleinreden, wegdiskutieren, oder ignorieren kann. 



Zumal der Kanon im Allgemeinen und "Der Käfig" im Speziellen mit liebevollen Querbezügen bedacht werden. Wir hören davon, dass die in "Computer M5" etablierte Duotronik die Schiffs-Computersysteme der Discovery bestimmt, die Abschiedsworte der illusionären Geschwister Spock und Burnham gegenüber Leland erinnert an Datas Verabschiedungsformel in "Der unmögliche Captain Okona" und selbst Burnhams Schmähwort "half-breed" (im Deutschen völlig unzureichend als "Halbmensch" übertragen) für ihren kleinen Bruder wurden (zumindest im englischen Original) in gleicher Form bereits in "Der alte Traum" und "Falsche Paradiese" verwendet.
"Der Käfig" und "Talos IV – tabu" werden mit der Aufnahme der singenden, klingenden Pflanzen, der Sternenbasis 11 und den pulsierenden Adern auf den Schädeln der Talosianer gewürdigt, wobei mein persönlicher Lieblingsmoment jener ist, in dem Pike getreu dem Motto "Manchmal erzählt ein Mann einem Barkeeper Dinge, die er einem Arzt nie erzählen würde." in einem klärenden Gespräch mit Tyler Alkohol (Martini?) ausschenkt.
Abgesehen von ihrem vielleicht streitbaren Umgang mit dem Kanon bleibt der Folge zugutezuhalten, dass sie allerhand überfällige Antworten liefert. Wir können nunmehr in der Gewissheit Ruhe finden, dass Spock wieder normal, der rote Engel ein Mensch und Burnham eine gehässige Adoptivschwester ist.
Im gleichen Moment entlässt uns die Serie aber auch nicht ohne stapelweise neue Fragen aufzuwerfen, die den Spannungsbogen aufrechterhalten. Das Schiff ist auf der Flucht, die Crew hat einen Spion in ihren Reihen, die ehemalige Imperatorin gewinnt Stück für Stück die Kontrolle über die Sektion 31, Culbers Identitätskrise erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt und Ash Tylers unglückliche Position zwischen allen Stühlen führt ihn in den sicheren Stubenarrest.
Und wo wir schon bei der Sektion 31 sind [Achtung, es folgt eine Theorie!]:
Wir wissen nun, dass die Aktionen dieser elitären Sparte des Sternenflottengeheimdienstes von einer künstlichen Intelligenz namens Control gelenkt werden und dass in fünfhundert Jahren alles Leben in der gesamten Galaxis (!!) von einem technologisch hochentwickelten Gegner ausgelöscht wird.
Da steht wohl nicht ganz zu Unrecht die Frage im Raum, ob nicht diese künstliche Intelligenz dafür verantwortlich ist und als Gegner des roten Engels nun versucht, über die kybernetische Lebensform Airiam eine anderweitige Beeinflussung dieser Zukunft zu verhindern…




Charaktermomente.
Wer 'Talos IV' sagt, muss auch 'Christoper Pike' sagen.
Abermals läuft Anson Mount zur Höchstform auf und weckt berechtigte Bedenken über die Richtung von "Star Trek Discovery", wenn die bereits bestätigte dritte Staffel ohne seine Beteiligung über die Bühne gehen soll.
Hier darf er aber erst einmal die Folge mit einem persönlichem Logbucheintrag einleiten, einer Frau zärtlich über das Gesicht streicheln und die Besatzung in eine Meuterei führen, die Burnhams Revolte in der ersten Staffel nacheifert. Dabei spult Mount auf professionelle Weise ein Programm ab, dass zwischen unterschiedlichen Emotionsgraden wie nachdenklich, energisch, sinnlich, entschlossen, betrübt, optimistisch oder besorgt eine riesige Bandbreite glaubhaft vermittelt.
Daneben darf Ethan Peck erstmals zeigen, was er als Spock draufhat. Er eifert dabei - gut vorbereitet - dem Vorbild Mounts nach, indem er das fraglos schwere Erbe Leonard Nimoys und die Vorlage Zachary Quintos nicht eins-zu-eins zu kopieren versucht, sondern eine eigene Kontinuitätslinie irgendwo zwischen Nimoys ersten, sehr emotionalen Szenen in "Der Käfig" und dessen frühen Originalserienauftritten schafft. Er orientiert sich weniger am dem Zuschauer hinlänglich bekannten Bild Spocks, sondern nimmt sich ausgerechnet jene turbulente Zeit zum Vorbild, als die Rolle noch nach ihrer Identität suchte und mehrfach aus dem Rahmen brach, den spätere Folgen und Filme etablierten.
Auf diese Weise verpasst er diesem frühen Spock ein ganz eigenes Gepräge und verleiht der frühen Darstellung nachträglich eine Legitimation, die sich am besten im Spannungsfeld zwischen Emotionalität und Logik (wie es Discovery in dieser Staffel näher untersucht) zu zeigen vermag. So gesehen wurde der Ausschnitt eines lachenden Spock wohl nicht ohne Grund in die Diashow zu Beginn der Folge aufgenommen, denn sie spiegelt wieder, dass Pecks Form der Darstellung Spocks keineswegs ohne Vorbild im offiziellen Kanon ist.



Michael Burnham bleibt hingegen trotz des Besuches ihres beliebteren Bruders der Mittelpunkt der Serie und der Nabel des Universums. Tyler vertraut ihr bedingungslos, Pike sucht verbissen nach ihr und Spocks Charakter wurde erst durch ihre Taten zu dem geformt, was er heute ist. Das wirkt wie immer reichlich dick aufgetragen und es gereicht der Situation nicht immer zum besten, dass Burnham als emotionalem Gegenpart zu Spock die Aufgabe zukommt, seinen logischen Ausführungen gefühlsbetonte Reaktionen entgegenzusetzen, die bestenfalls egozentrisch, weinerlich und überdramatisisierend wirken.
Dafür kann freilich Sonequa Martin-Green nichts und in den Parametern, die diese Rolle erlauben, verrichtet sie einen guten Job.
Positiv überrascht war ich von Anthony Rapp, wohl aber vor allem, weil sein Charakter Paul Stamets in der Tat verändert wirkt. Statt des grummeligen Eigenbrötlers sehen wir hier plötzlich einen emotionalen, freundlichen und grundpositiven Menschen, der trotz aller Widrigkeiten versucht, seinem leidenden Partner nach allen Kräften zu unterstützen. Diese neue Seite steht der Figur bestens zu Gesicht, was man von seinem Partner allerdings nicht unbedingt behaupten kann.
Denn Hugh Culber ist nicht nur fremd mit sich selbst, auch ich als Zuschauer entfremde mich mehr und mehr von ihm. Zwar kann ich sein Martyrium und die damit einhergehenden Probleme durchaus nachvollziehen, aber mir fehlt der Anknüpfungspunkt zu dem liebgewonnenen, sanften Charakter aus der ersten Staffel inzwischen so sehr, dass ich mich mehr und mehr frage, ob dessen Wiederbelebung wirklich eine gute Idee war. Klar spielt Wilson Cruz den von Zweifeln zerrissenen Arzt so gut, wie Benjamin Stöwe ihn in der deutschen Synchronisation einspricht, aber der Funke vermag – bei mir persönlich – nicht überzuspringen.
Ash Tyler (Shazad Latif), Saru (Doug Jones), Philippa Georgiou (Michelle Yeoh), Sylvia Tilly (Mary Wiseman), Airiam (Hannah Cheesman) und Leland (Alan van Sprang) absolvierten allesamt stabile Auftritte mit vereinzelten Höhepunkten, ohne dabei allerdings in einer Form hervorzustechen, wie die fünf oben genannten Darsteller es taten. Allerdings wurden für jeden einzelnen von ihnen Fundamente gelegt, um in kommenden Folgen wieder mehr ins Zentrum des Geschehens zu rutschen.
Das Nhan (Rachael Ancheril) wieder zurück in den Schoß einer Besatzung fand, die als Ganzes abermals einen sehr positiven Gesamteindruck hinterließ, war insbesondere im Hinblick auf die Schlussszene (mit einer Crew die geschlossen hinter ihrem meuternden Captain steht) ein Höhepunkt ihrer Entwicklung bis hier her.
Bleibt nur noch, unser Auge nach Talos IV zurückzuwenden.
Gut, ich habe es verpasst, allzu große Ähnlichkeiten zwischen den Vina-Darstellerinnen Melissa George und Susan Oliver zu finden, die über das Statement "Sie sind beide blond." hinausgehen würden. Zudem weist Georges Neu-Interpretation so manchen Unterschied zum Original auf, der besonders traditionsbewussten Star-Trek-Fans gegen den Strich gehen könnte.
Am Ende gelingt meiner Meinung nach dennoch die Transformation einer Frau, deren Daseinszweck in der Vorlage mit dem Prädikat 'Eva' noch recht wohlwollend umschrieben wurde, zu einem Charakter, der eine Beziehung zu Pike hat, die über ein kurzes Techtelmechtel hinausgeht und rechtfertigt, dass er in "Talos IV – tabu" wieder in ihren Schoß zurückkehrt.
Exemplarisch zeigt sich an ihr die Bemühung der Serie Discovery, altbekannte Charaktere zu nutzen um durch sie eine Verbindung zum Kanon aufzubauen und dabei die ein oder andere Wertvorstellung, die seit den Sechziger Jahren zum Glück überholt ist (bestes Beispiel: das Frauenbild) ein Stückweit zurechtzurücken. Das tut nicht nur einer modernen Serie gut, sondern auch einer fünfzig Jahre alten, die heute auch deshalb schwer zugänglich wirkt, weil man sich nur bedingt in die gesellschaftlichen Verhältnisse jener Zeit zurückversetzen mag – vor, allem wenn sie auf eine so fortschrittliche Zukunft projiziert werden.




IV. Kritikwürdige Aspekte.

Abramstrek im Discovery-Mantel.
Es wirkt in einer Folge, die sich massiv auf den Pilotfilm Star Treks stützt natürlich etwas schizophren sich zu beschweren, dass man sich zu sehr auf einen der vielen Star-Trek-Vorgänger beruft, aber für eine Serie, die in einer Zeit zehn Jahre vor der Originalserie angesetzt ist, scheint es zumindest im Hinblick auf den Stil der eigenen Show fragwürdig sich der gleichen Bildsprache zu bedienen, die zuvor der unter Fans eher unpopulären Star-Trek-Reboot etabliert hat.
Eine immense Anzahl unnötiger Lensflares, eine omnipräsente Wackelkamera und immer wieder aus den Kinofilmen entlehnte Sounds wecken schon auf einer eher unterbewussten Ebene einen unablässige Bezug zur Neuinterpretation J.J. Abrams'.
Doch während dies in den vorangegangen Folgen gleichermaßen geschah ohne zwangsweise als Kritikpunkt zu enden, geht diese Episode noch ein paar Schritte weiter.
Neben deutlichen darstellerischen Parallelen bei Spock und Pike zeigt sich der Kelvin-Schatten etwa in jenem lichtscheues Wesen, das aus dem trockenen Wald-(!) -Boden von Vulkan bricht wie ein Hengrauggi aus dem Eis von Delta Vega.
Auch der Gedankenrückblick auf eine Zukunft, in der sämtliches Leben in der Galaxis (!!!) von einer fremden Intelligenz ausgelöscht wird, erinnerte in seiner Wirkung massiv an die rote Materie des ersten Abrams-Kinofilms.
Aber man kann diesen Aspekt auch in einem positiven Licht sehen. Der gleichzeitige Einbezug von Elementen aus der Originalserie und dem Reboot könnte gleichermaßen auch als Brückenschlag verstanden werden, der insbesondere in dieser denkwürdigen Folge Alt-Fans, Abramstrek-Jünger und Discovery-Anhänger in ein Boot holt und die Unterschiede zu verwischen versucht.




Kanonbrüche und Logiklöcher.
Wie bereits besprochen ist es ein schmaler Grat zwischen Fanservice und origineller Handlung.
Die Zurückhaltung der Autoren ist in diesem Zusammenhang so sinnvoll wie notwendig, aber auf der anderen Seite lebt gerade Star Trek als abgeschlossenes Universum davon, dass es durch den größeren Kanon innerlich geschlossen erscheint.
Genau ist mit der Darstellung der Talosianer aber nicht gelungen. Dabei hab ich weniger an der optischen Überarbeitung der Supertelepathen auszusetzen, als an der inhaltlichen Darstellung.
In "Der Käfig" erscheinen sie nämlich noch als eine verzweifelte, dem Untergang geweihte Spezies, die sich eine Art Weltraumzoo aus vernunftbegabten Spezies hält, um sich ungefragt an deren Erinnerungen zu ergötzen. Das Spannende und Bedrohliche an diesem Volk ist im Pilotfilm eben der Widerspruch zur Ethik ihrer menschlichen Gefangenen, die ihre individuelle Selbstbestimmung und Unabhängigkeit über ihr eigenes Leben stellen.
Davon ist nur wenig übrig.
Nicht nur, dass die Talosianer plötzlich um Erlaubnis zur Gedankenextraktion fragen; es ist nicht mehr erkennbar, warum über dem gesamten System die (erstaunlich vielen Personen bekannte) General Order 7 verhängt wurde, die ein Betreten unter Androhung der Todesstrafe (!) untersagt. Sieht man diese freundlichen Damen und Herren, die Spock im Austausch gegen ein paar Erinnerungen gleich zweimal vor dem sicheren Tod bewahren, muss man darin eher einen Widerspruch zum großen Kanon erkennen, als den eingangs beschriebenen Schulterschluss.
Zumal die 'große Enthüllung' um den geheimnisvollen Zwischenfall, der Spock und Burnham entzweit hat, völlig unbefriedigend war. Jeder, der selbst Geschwister hat, hat in seinem Leben wohl schwerwiegendere Streitigkeiten mit seiner Sippschaft ausgefochten, ohne damit derart schwere Traumata auszulösen. Klar kann man sich darauf berufen, dass Spock Halbvulkanier ist, aber er bleibt auch zur anderen Hälfte Mensch und dieser lächerlich profane Vorfall verfehlte völlig die Wirkung, einen so tiefsitzenden Konflikt glaubhaften zu begründen. Der so lange herausgezögerte Moment ließ so andere Enthüllungen der Serie (wie Ash Tylers Identität als Voq, Lorcas Herkunft aus dem Spiegeluniversum oder Sareks Bevorzugung Spocks vor Burnham) im Vergleich jedenfalls wie ein clever inszeniertes Gehirnfeuerwerk erscheinen.
Nicht minder verwunderlich erscheint zudem, dass Spock nach dem Teilen seiner Erinnerungen mit Burnham plötzlich wie aus heiterem Himmel geheilt ist. Keine Erklärung erläutert diese rasante Entwicklung, die man mit einer Gedankenverschmelzung genauso gut hätte erzählen können, ohne den Umweg über Talos IV einzuschlagen. Nach einem so gewaltigen Anlauf von immerhin acht Folgen erschien die Blitz-Genesung des Vulkaniers arg überhastet.



Hinzu kommt, dass ausgerechnet Pike, der Dank Anson Mounts Darstellung innerhalb der ersten Folgen eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte, dass in ihm als Captain viel steckt als der ausschnittartige Einblick, den der Zuschauer in "Der Käfig" erhalten hat, hier auf die Ereignisse dieser Episode reduziert wird. Er fällt in die Arme Vinas als wären drei Tage und nicht drei Jahre Zeit vergangen, muss (zur Information des Otto-Normal-Zuschauers) eines seiner Crewmitglieder darauf hinweisen, dass er um den Status des gesperrten Planetensystems weiß und scheint am Ende doch jene Fähigkeiten der Talosianer vergessen zu haben, die er einst selbst am eigenen Leib spüren musste.
Kurzum, die Story klafft abermals vor Ungereimtheiten, halbgaren Erklärungen, ausgelassenen Gelegenheiten, Fehlinterpretationen, Falschdarstellungen und vor allem riesigen Logiklöchern.
Dabei sind die angesprochenen Kritikpunkte mal wieder nur die Spitze des Eisbergs.
"Gedächtniskraft" hinterlässt eine Vielzahl an Fragenzeichen, von denen ich einige final dem Leser zur Rechtfertigung überlasse, statt mich selbst darüber zu ärgern:
Warum hat riesige Discovery-Shuttle hat einen eigenen Transporter, obwohl die "Galileo" Jahre später keinen hatte?
Wenn die Sternenbasis 11 nur zwei Lichtjahre vom Talos-System entfernt ist, warum hat die Enterprise in "Talos IV - tabu" dann so lange dorthin gebraucht?
Ist Andoria seit neuestem plötzlich kein Mond mehr, der um einen Gasgiganten kreist, sondern ein Planet mit Ringen?
Warum gibt es im vulkanischen 'Glühofen' - einer der unwirtlichsten Regionen des gesamten Wüstenplaneten - plötzlich einen Wald?
Warum finden Sektion-31-Holo-Konferenzschaltungen mitten auf dem Flur ihres Schiffes statt?
Verliert Burnhams Shuttle etwa Plasma als es sich Talos IV nähert?
Aus welchem Grund wird bei Vinas entstellter Erscheinung zerzaustes Haar mit abstoßendem Äußeren verbunden?


V. Fazit.
Bei näherem Hinsehen entpuppt sich "Gedächtniskraft" ist nicht als die typische Cross-Over-Folge, die man nach dem Cliffhanger der letzten Woche hätte erwarten können. Stattdessen präsentiert sich die Episode als weiteres spannendes Kapitel in der geschlossenen Serien-Erzählweise, die die Vorlagen aus dem Kanon eher nutzt um die eigene Handlung voranzutreiben, als sich mit Fanservice aufzuhalten. Unter soliden darstellerischen und handwerklichen Leistungen mag die Folge zwar einige Baustellen schließen, doch sie versäumt es im gleichen Atemzug auch nicht, gleichzeitig ebenso viele neue Fragen aufzuwerfen.
So sind es am Ende wieder einmal zu viele unnötige Ungereimtheiten, ausgelassene Gelegenheiten und vermeidbare Logiklöcher die diese Folge hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben lässt.

Bewertung.
Gewohnt gute Folge mit gewohnt gleichen Mängeln.






VI. Schluss.


"You're not my hero, what are You doing in my world?"

Meine abermals bescheidene Übersetzung dieser Zeilen des Five-Year-Mission-Gassenhauers zu "Der Käfig" (mit Reimversuch!):

"Du bist nicht mein Held, was treibst Du in meiner Welt?"

Nein, Pike mag nicht wie Burnham im Mittelpunkt der gesamten Serie stehen. Und doch schafft der charismatische Captain es immer wieder, durch seinen historischen Einfluss den Rest der Discovery-Besatzung in ein Star-Trek-Fahrwasser zu lotsen, in das sie aus eigener Kraft wohl nicht gelangt wären.
So ist es nur schlüssig, dass der Weg der Discovery unter dem Kommando Christopher Pikes über kurz oder lang auch über Talos führen muss; egal wie tabu der Planet auch immer sein mag.
Je länger der Mann auf dem Stuhl sitzt, desto mehr lässt sich erahnen, dass er eine tiefe Spur in der Serie hinterlassen wird. Wer weiß, vielleicht trifft der Kommentar Damons bei der Rezension zur letzten Episode ja zu, dass am Ende hinter dem roten Engel gar dieser Christopher Pike steht, dem auf bei seinem ausgedehnten Krankenurlaub auf Talos IV durch die Einwirkung der Talosianer als einziger bekannter Figur immerhin die Möglichkeit offenstünde, im 28. Jahrhundert noch am Leben zu sein. Es wäre sicherlich ein versöhnlicheres Ende, als abermals Michael Burnham mit noch mehr Aufmerksamkeit zu überfrachten.




Denkwürdige Zitate.

"War das eine Illusion? Das ist ein Test gewesen! Jetzt sind wir wie Alice im Wunderland hinter dem Spiegel."
Michael Burnham

"Immer rein in mein Büro…"
Sylvia Tilly

"Ich kenne das so: Wer den Phaser hat, stellt die Fragen…"
Burnham

"Der Vulkanier empfindet Zeit als fließendes und nicht als lineares Konstrukt. Die konventionelle Logik hat ihn nicht weitergebracht."
Talosianerin

"Jetzt verstehst Du."
Spocks erste Worte

"Was ist denn bitte normal daran? Das hat es noch nie gegeben, dass Du für uns Essen gemacht hast!"
Hugh Culber

"Wieso bist Du so wütend auf mich?"
"Weißt Du was, das ist eine gute Frage."
Paul Stamets und Culber

"Mr. Tyler, das ist mein Schiff. Und noch wichtiger: Meine Crew. Ich gebe die Suche nicht auf. Ich lasse keinen im Stich; erst recht nicht, wenn Anschuldigungen bestehen, deren Berechtigung ich anzweifle."
Christopher Pike

"Wenn Sie Burnham mehr vertrauen als Sektion 31 – wieso arbeiten Sie dann für die?"
"Die agieren zwar in Grauzonen, doch ich schätze ihr Engagement für die Sicherheit aller Mitglieder der Föderation. Bei allem was war und was ich jetzt bin, kann ich dort von Nutzen sein."
Pike und Ash Tyler

"Spock! Du hast den roten Engel gesehen."
"Zuerst als Kind. Und dann vor ein paar Monaten."
"Wer ist er? Was ist er?"
"Wenn ich das wüsste, wären wir nicht hier."
"Das war eher eine rhetorische Frage."
"Als hätte ich mich das nicht auch schon selbst gefragt."
"Können wir unserem Gespräch eine andere Wendung geben?"
"Hast Du eine substanzielle Frage parat?"
"Ja; gibt Dir der Bart irgendwas?"
Burnham und Spock

"Eine mögliche Zukunft. Und die hängt unter Umständen von unseren Handlungen ab. Von Deinen und meinen."
"Von Deinen und meinenSpock, es gibt so vieles das ich…"
"Nein! Ich bin hier nicht um Dir Absolution zu erteilen, Michael Burnham. Es geht hier nicht um Deine Gefühle."
"Und ich bin so blöd und nehme das persönlich."
Spock und Burnham

"In der Vergangenheit werden Sie die Antworten nicht finden, Doktor. Stattdessen müssten Sie mich fragen, wieso ich mich an die Zukunft erinnere…"
Spock

"Ich weiß nicht mal, wer ich bin…"
"Was soll ich denn da sagen…"
Culber und Tyler

"Und Sie haben diesen Kampf zugelassen?"
"Ich war der Meinung die Konfrontation diene als notwendige und unausweichliche Katharsis. Für beide übrigens."
"Aber schwerlich als Beispiel korrekter Konfliktbewältigung…"
"Das Handbuch der Sternenflotte stellt leider keine verbindliche Richtlinie zum Thema Interaktionen zwischen Menschen mit eingepflanzten Klingonen und von den Toten wieder auferstandenen Schiffsärzten zur Verfügung."
Pike und Saru

"Captain, der rote Engel hat mir das Ende unserer aktuellen Zeitlinie offenbart. Wenn wir unserem Schicksal entkommen wollen, müssen wir der Vorsehung des Engels folgen."
Spock

"Sicherheit ist ein relatives Konstrukt und hat keine einheitliche Bedeutung."
Spock

"Wenn man's genau betrachtet, bin ich Dir dankbar. Deine Worte haben mir gezeigt, wie negativ meine menschliche Seite war."
"Nein, Deine menschliche Seite war wunderschön."
Spock und Burnham

"Im Versuch den Emotionen zu entkommen – und Dir – bin ich vollkommen in die Logik eingetaucht. Aber das Fundament meiner Logik – meiner Konstante – ist immer die Zeit gewesen. Jetzt lässt Die Zeit mich im Stich. Die Logik lässt mich im Stich. Die Emotionen lassen mich im Stich. Ich habe nichts worauf ich mich verlassen kann, doch genau das muss ich tun. Dieser Moment könnte für viele Zivilisationen und Millionen von Leben entscheidend sein, und ich bin nicht vorbereitet."
Spock

"Sehe ich in ihrem Gesicht etwa ein Lächeln?"
"Ich glaube schon. Ja."
Pike und Spock

"Jedenfalls sollten wir einen neuen Kurs setzen. Denn in ein paar Minuten…"
"... wird die Discovery das meistgesuchte Schiff der Galaxis sein."
 Pike und Saru

"Ich kann von keinem von Ihnen verlangen sich an etwas zu beteiligen, das einen klaren Akt des Ungehorsams…"
"Welchen Kurs, Sir?"
"Bewegen wir uns und zwar schnell!"
Pike, Kayla Detmer und Tilly

Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu: "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitsturm"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"
Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Short Treks.

01. Rezension zu "Runaway"
02. Rezension zu "Calypso"
03. Rezension zu "The Brightest Star"
04. Rezension zu "The Escape Artist"