Dieser Artikel enthält massive Spoiler auf "Et in Arcadia Ego, Teil Zwei", die zehnte und letzte Folge der ersten Staffel von "Star Trek: Picard" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.
Einleitung.
Eigentlich ist es ein fast kleines Wunder, dass ausgerechnet TNG aus so vielen deutschen Fernsehzuschauern kleine Star-Trek-Fans gemacht hat, denn die erste Staffel der Serie war nur schwer zu ertragen; besonders, wenn man sie heute versucht noch einmal anzusehen. Das bleibt daher eher Nostalgiker und Hardcore-Fans überlassen, die mit den Folgen positive Erinnerungen verbinden, Anekdoten der Schauspieler zu einzelnen Szenen kennen oder weil auch diese Season irgendwie zu Star Trek dazugehört.
Insofern ist es natürlich schwierig, jetzt -am Ende der ersten Staffel von "Picard" - über diese noch sehr junge Serie herzuziehen. Denn wenn damals die erste Staffel vom Internet derart kleingeredet worden wäre, dass ungeduldige Produzenten dem "Reboot" kurzerhand den Geldhahn abgedreht und damit zu einem frühen Ende gebracht hätten, gäbe es auch nicht "Angriffsziel Erde", "In den Händen der Borg", "Das zweite Leben" oder "Gestern, Heute, Morgen".
Doch die Zeiten sind heutzutage eben andere.
Eine Serie muss gleich von Beginn an einschlagen, um nicht kurz nach ihrer Geburt vom Absetzungsteufel bedroht zu werden. Im Angesicht dieses Schreckens lohnt es sich schon, den Effekt dadurch abzumildern, dass man eine Serie auf einem erfolgreichen Vorgänger basieren lässt, um sich einer stabilen Zuschauerschaft gewiss zu sein, ohne sich inhaltlich überschlagen zu müssen, um Zuschauerinteresse von null auf hundert in wenigen Tagen zu generieren. Streut man dann noch ein wenig Nostalgiemomente für die Fans ein, dürfte eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Oder etwa doch?
"Flieg! Sag den Adlern, dass ich ihre Hilfe brauche!" |
Story.
Die Androiden von Coppelius haben sich entschieden: Sie werden eine riesige Weltraum-Antenne errichten, um ihre entfernten Robo-Cousins herbeizurufen, um das synthetischem Leben gegenüber feindlich gesinnte organische Leben in diesem Teil der Galaxis auszumerzen. Doch anstatt mit gutem Beispiel voranzugehen, sperrt man den verdienten Sternenflottenoffizier und wortgewaltigen Menschen Jean-Luc Picard in das alte Zimmer von Bruce Maddox und verlässt sich darauf, dass Dr. Agnes Jurati ihrem Kollegen Alton Inigo Soong dabei hilft, seinen eigenen Geist in einen vorbereiteten Androiden-Rohling zu verpflanzen.
Doch dann überschlagen sich die Ereignisse!
Jurati befreit Picard, Narek läuft zu seiner Schwester, Elnor verfolgt Narek, Narek läuft zu Rios und Raffi über, Elnor schließt sich ihnen an und alle zusammen kehren guter Dinge zurück in die Coppelius Station, um dort den Plan Sutras zu vereiteln. Doch der geniale Plan scheitert ausgerechnet an Soji, die mit erstaunlich geringer Mühe die für die Signal-Anlage gedachte Bombe abfängt und im Himmel über Coppelius zu einer folgenlosen Explosion bringt…
Lobenswerte Aspekte.
Besetzung.
Wenn man Picard etwas fraglos Gutes abgewinnen kann, dann eindeutig seine großartig zusammengestellte Darstellerriege. Jeder der einzelnen Hauptcharaktere zeigt im Hinblick auf den gesamten Staffelverlauf eine deutliche Entwicklung und den Willen, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Natürlich allen voran der Namensgeber der Serie und dessen Darsteller Patrick Stewart, der einige denkwürdige Sprüche für's Star-Trek-Poesiealbum fabriziert, die irgendwo zwischen 'pathetisch' und 'universell anwendbar' stehen. Der nostalgische Charme der sich auch in der Episode durch das Drehbuch zieht wird abermals zu einem großen Teil durch ihn und seine Art Jean-Luc Picard über jede Altersgrenze hinweg mit Leben auszufüllen bestimmt.
Der andere Teil wird dieses Mal von Brent Spiner bedient, der nicht nur in der Rolle Alton Inigo Soongs mehr zu überzeugen versteht als noch in der letzten Woche, sondern noch ein letztes Mal in die Rolle Datas schlüpfen kann, um der Figur einen würdevolleren Abschied zu verpassen, als dies in "Star Trek Nemesis" der Fall war. Spiner steht seinem alten TNG-Kameraden Stewart dabei in nichts nach und versteht es trotz seines ebenfalls fortgeschrittenen Alters trefflich (auch Spiner ist bereits 71 Jahre alt), eine Brücke zu jenem Data zu schlagen, wie er zuletzt im zehnten Star-Trek-Kinofilm zu sehen war.
Und wenn wir schon thematisch bei den alten Kameraden gelandet sind, darf natürlich auch Jonathan Frakes (blutjunge 67 Jahre alt) nicht fehlen, dessen zweiter Auftritt als Will Riker zwar ein wenig absehbar war (vergleiche unsere Rezension zu "Nepenthe"), aber nichtsdestotrotz einen entscheidenden Beitrag zum nostalgischen Gesamtmoment beitrug.
Der Rest des Cast mag zwar etwas hinter den drei Altstars zurückstehen, beginnt aber auch damit, zu einer Crew zusammenzuwachsen und gefestigt aus der gemeinsam erlebten Krise hervorzugehen.
Ein weiteres Mal bietet Santiago Cabrera als Cristóbal Rios eine überzeugende Vorstellung mit einer überrschend großen Bandbreite an Gefühlen für einen derart zurückhaltenden Charakter ab, ohne dabei die Grenzen seiner Figur zu sprengen.
Auch seiner Bettgefährtin Dr. Agnes Jurati wird von Allison Pill neuer Lebenswille eingehaucht, nachdem sie vom Ballast der Gedankenverschmelzung befreit und vom Einsatz für die moralisch richtige Seite beflügelt entscheidend zum positiven Ausgang der Handlung beiträgt. Auch sie bedient dabei eine besonders breite emotionale Palette, die durchaus glaubwürdig anmutet.
Zurück zu alter Stärke und neuer Liebe hat auch Raffi Musiker gefunden. Michelle Hurd lieferte dieses Mal eine eher fürsorglich-resolute Darstellung ab, die ihr in meinen Augen aber auch am besten zu Gesicht steht. Lediglich ihrer plötzliche Beziehung zu Seven (an der per se nichts auszusetzen ist) hätte ein wenig mehr Hintergrund gutgetan, denn wenn man von ein paar vielsagenden Blicken in "Keine Gnade" absieht, leisteten die Autoren bis hier her nicht unbedingt eine gute Arbeit darin, die Beziehung zwischen beiden mit Leben auszufüllen. Mal sehen, ob es dahingehend in der nächsten Staffel ein wenig mehr Informationen geben wird.
Seven of Nine hingegen wird von Jeri Ryan mit gewohnter Stärke verkörpert und ihr bleibt das Privileg überlassen, die fiese romulanische Agentin zu vermöbeln, die ihren XB-Kameraden Hugh umgebracht hat. Das stärkste an dieser Szene bleibt jedoch der Umstand, dass sie es ein paar Einstellungen später zu bereuen beginnt und damit zu einer Menschlichkeit zurückfindet, die in "Keine Gnade" schon verloren geglaubt schien.
Die einzige Verlustmeldung in diesem Lobgesang gilt allerdings Evan Evagora, der sich zwar sichtlich müht, den Ansprüchen an seine Rolle zu genügen, aber von den Autoren sträflichst ignoriert wird. Auch in der zehnten Folge und letzten Folge dieser Staffel sucht der junge Ninja-Nonnen-Krieger vor allem noch sich selbst und es bleibt zu hoffen, dass den Schreibern der kommenden Staffel mehr einfällt, um den Schauspieler sinnvoll zu beschäftigen.
deutlich zu erkennen: das wertvollste Mitglied des Androiden-Casts (links im Bild) |
Wer im Vorfeld noch befürchtet hat, dass es unter Umständen schwierig sein könnte, kurz vor der Finalfolge noch einmal ein völlig neues Element wie Sojis Heimatwelt einzufügen, wird sich an den synthetischen Lebensformen im beschaulichen Androidenhausen bestätigt sehen. Keine der künstlichen Lebensformen abseits von Soji (und später auch Picard) spielt mehr eine beachtenswerte Rolle, wenn man vom Kontrollieren von Taschen, einer inszenierten Abschaltung oder in einer forensischen Untersuchung absieht. Selbst ihre Anteile am Dialog waren entsprechend mager. Aber auch wenn man Isa Briones' Einsatz als Sutra getrost unter den Teppich des Vergessens kehren darf, bleibt Sojis 180°-Drehung ein zentraler Aspekt der Folge, den die junge Schauspielerin mit Bravour meisterte. Ihr wahres Meisterstück aber blieb, dass sie als Sängerin der "Blue Skies"-Interpretation am Ende der Folge eingesetzt wurde, wo sie lebhaft unter Beweis stellen konnte, dass sie nebenbei ja auch noch eine talentierte Musical-Darstellerin ist.
Der Rest der – romulanischen – Darsteller ist schnell abgehakt.
Narek sinkt von einem der vielschichtigen, innerlich zerrissenen Figur herab zu einem willigen Gehilfen, dem kaum genug Basis für seinen abrupten Loyalitätenwechsel gelassen wird. Das ist schade, denn im Rahmen seiner geringen Möglichkeiten bleibt Harry Treadaway noch einer der auffälligeren Nebencharaktere.
Peyton List hingegen gelingt es auch dieses Mal nicht, Narissa Rizzo sonderlich viel Leben einzuhauchen, was zum einen am Umstand liegt, dass ihr Charakter das Zeitliche segnet und zum anderen an einem weiteren Drehbuch, das nicht allzu viel Energie darauf verwendet, ihre Rolle mit zeitintensiven Spielereien wie Motiven, Hintergrund oder Dialogen zu versehen.
Ähnliches gilt für Tomlyn Tomita, deren Auftritte als Oh keineswegs im Einklang mit dem erzählerisch reizvollen Tatbestand eines romulanischen Spions in einem der höchsten Ämter steht, das die Sternenflotte zu bieten hat…
Kritikwürdige Aspekte.
Strickmuster und Moralfaden.
Die gute, alte Sternenflotte mit all ihren Idealen, Werten und Prinzipien ist endlich wieder zurück!
Zurück in Gestalt altbekannter Gesichter, unter denen die Gastauftritte von Brent Spiner als Data und dem – vorab angedeuteten - Auftritt Jonathan Frakes als Riker hervorstechen. Das Schreckensgespenst einer dystopischen Star-Trek-Zukunft scheint zunächst einmal abgewendet, auch wenn wir natürlich jetzt schon um den Zustand der Föderation in der nächsten Staffel "Star Trek: Discovery" wissen.
So bleibt am Ende der ersten Staffel festzuhalten, dass die gesamte Serie im Prinzip kaum mehr eine zehn Stunden in die Länge gezogene TNG-Folge ist, vor allem, weil sie am Ende mit einer recht typischen Moral aufwartet, mit der Fans zur Genüge aus Folgen und Filmen vertraut sind: Das Leben ist kostbar und wir sind unseres Glückes eigener Schmied, der sich aussuchen kann, in welche Richtung sich seine Existenz entwickelt.
Das Staffelfinale ist dankbarerweise auch kein Hau-Drauf-Ende mit Phaser-Gewitter und selbst der epochale Zweikampf zwischen Seven und Rizzo fällt im Vergleich zu den ausgefeilten Zweikampf-Choreografien bei "Discovery" vergleichsweise gemäßigt aus. Statt großartiger (aber sinnfrei eingesetzter) Effekte bestimmen weise Worte und abwägende Einsichten den Ausgang der letzten Folge, die den bisherigen Traditionen der Serie durch einen hohen Symbolgehalt, schönen Schnitten (besonders mit Schmetterlingen am Ende der Episode) und einem großartigen Soundtrack genügt.
Vor allem aber ist "Et in Arcadia Ego, Teil Zwei" eine emotionale Achterbahn für langjährige Fans, denen dieser anrührende Nachruf ermöglicht, sich mit dem traumatischen Tod Datas in "Star Trek Nemesis" besser auseinandersetzen zu können, als es der Film anno dazumal anbot.
Doch die aufwühlenden - aber streckenweise doch sehr bemühten - Szenen bleiben am Ende die einzigen sehenswerten Momente in einem erschreckend belanglosen Finale. Tatsächlich sollte man es tunlichst vermeiden, über die Entwicklungen dieser Serie sonderlich intensiv nachzudenken.
Das ist schade, denn über den Inhalt von Star-Trek-Folgen nachzudenken war viele Jahre lang etwas, was Star Trek abseits von Nostalgie und Moral ausgemacht hat.
Nachdem man alle zehn Folgen gesehen hat, bleibt man aber mit dem unguten Gefühl zurück, mindestens zwei oder drei essentielle Episoden verpasst zu haben, in der grundlegende Motive, Ereignisse und Zusammenhänge behandelt wurden, die man verpasst hat.
Doch Pustekuchen!
Das Problem ist, dass "Picard" dem Zuschauer zwar kein "Discovery"-Ende aufzwingt, indem es eine überstürzte und unschlüssige Auflösung mit Knalleffekt bietet, sondern sich feige um die Beantwortung zahlreicher zentraler Fragen drückt, die zuvor das Interesse an der Serie maßgeblich bestimmt haben.
Was ist etwa mit der so aufgebauschten synthetischen Superspezies?
Die vermeintlichen synthetischen Überwesen stecken nur kurz ihre Tentakel in unser Universum, nur um kurz drauf wieder wortlos zu verschwinden.
Oder der Spion, der über Jahrzehnte hinweg die Sternenflotte unterwanderte?
Der wird auf zivilisierte Weise zurück ins Hoheitsgebiet der Romulaner eskortiert.
Das mysteriöse Artefakt?
Rostet jetzt in einer Pfütze auf einem regnerischen Planeten vor sich hin und Seven scheint gar am Ende der Episode die XBs völlig ihrem Schicksal zu überlassen, obwohl in der Gegend Verbrechersyndikate ihr Unwesen treiben, die es auf lukrative Borg-Implantate abgesehen haben.
Warum greift keiner der Bewohner von Androidenhausen ein, als Soong Sutra ausschaltet?
Vielleicht ja, weil die kindlichen synthetischen Lebensformen ohnehin arg wechselhaft in ihren Loyalitäten sind.
Der Bann synthetischen Lebens?
Wird mal eben in einem Nebensatz wieder aufgehoben.
Und das Spiel könnte man ewig so weitertreiben:
Was genau geschah denn nun auf dem Mars?
Wozu baut man Rizzo so gewissenhaft zum Bösewicht auf, nur um sie so einfallslos über das Geländer stürzen zu lassen?
Was ist mit der merkwürdig sexualisierten Beziehung zwischen ihr und ihrem Bruder?
Was ist mit der juristischen Aufarbeitung des Mordes an Bruce Maddox?
Und vor allem: Was ist mit dem Spion, der mich liebte?
Narek taucht bequemerweise gar nicht mehr auf, als die Episode seinem unausweichlichen Hurra-Ende nähert.
Alle zuvor sorgfältig aufgebaute Spannung verpufft ganz einfach ungenutzt und hinterlässt ein Gefühl der inhaltlichen Leere. Die Serie bleibt damit auch mit ihrer letzten Folge kaum mehr als ein inhaltlicher Flickenteppich aus Fanservice, halbgaren Ideen und einer gewissen Quantität, die zu oft zu Lasten der Qualität ging. Es wurden zu viele Nebenkriegsplätze aufgemacht, unter denen am Ende nur ein Teil in befriedigender Weise aufgelöst wurde.
Diese zur Gewohnheit gewordene Oberflächlichkeit setzt sich mit dem vermeintlichen Höhepunkt fort, denn der Zuschauer darf den lange erwarteten Tod Jean-Luc Picards miterleben, der – passend zu den restlichen erzählerischen Lücken - einerseits irgendwie passiert, aber anderseits dann irgendwie doch nicht.
Die ganze Art des Ablebens erinnert entfernt an eine ähnliche Entwicklung in der US-Serie "Dallas", die jemand munter mit ein paar Auszügen aus Spocks Wiederauferstehung im dritten Star-Trek-Kinofilm und Kirks Beinahe-Ableben im zwölften Kinofilm gekreuzt hat. Ob es erzählerisch wirklich ein Glanzpunkt war, Picard zu einem alterndem, sterblichen Androiden ohne irgendwelche Superkräfte zu machen, lasse ich an dieser Stelle einfach einmal dahingestellt…
Noch tragischer bleibt allerdings der Verlust des zeitpolitischen Anspruchs, mit dem die Serie so vollmundig gestartet ist (man erinnere sich der eindrucksvollen Worte Stewarts bei der Premiere in Berlin) und der in vorangegangenen Episoden deutliche Fußabdrücke hinterlassen hatte. Der noble Gedanke, die Zustände unserer Gegenwart (Populismus, Fremdenhass, Isolationismus) durch Science Fiction anzuprangern, schafft es trotz der ansprechenden Moral der Folge nicht auf nennenswerte Weise ins Finale. Die Essenz der Probleme wird soweit auf synthetisches Leben heruntergebrochen (die nicht einmal mehr zu Wortäußerungen kommen), dass sie am Ende keine größere Relevanz mehr haben.
Schlimmer noch; Das Finale bietet erschreckend demagogische Antworten, indem es massive militärische Präsenz, gezielte Täuschung und das (im wahrsten Sinne des Wortes) Ausschalten von oppositionellen Meinungen als legitime Auswege aus vermeintlich ausweglosen Krisen präsentiert. Das bleibt am Ende des Tages doch ein wenig zu einfallslos für die hohen Ansprüche, die man sich im Vorfeld selbst gestellt hat.
Aber zum Glück ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen.
Der Großteil der Bösewichter ist nämlich noch verfügbar! Narek dürfte noch irgendwo in Androidenhausen sein Unwesen treiben. Sutra könnte jederzeit reaktiviert werden. Oh sitzt mittlerweile wieder auf romulanischem Territorium und harrt ihrer Rückkehr. Und wer glaubt schon ernsthaft daran, dass Rizzos Sturz in die Tiefe das endgültige Aus für diesen Widersacher bedeutet?
Getreu der Regel 'Besser einen Bösewicht im Schrank, als gar kein Bösewicht' endet die Staffel ohne nennenswerte Verlust und es bleibt dem Finale vor allem zugute zu halten, dass es keinen Cliffhanger nutzt, um die Nerven der Fans weiterzustrapazieren.
Kanonbrüche und Logiklöcher.
Bei der Nutzung des Star-Trek-Kanons lässt sich "Picard" auch dieses Mal nichts vorwerfen. Geschickt bauten die Autoren den Vertrag von Algeron, das Picard Manöver und sogar kal-toh (jene vulkanische Mischung aus Schach und Mikado) in die Handlung mit ein.
Im Hinblick auf Alton Inigo Soong bin ich aber wohl noch schuldig, die Frage nach Noonian Soongs leiblichem Nachwuchs aufzulösen:
Es stimmt, dass Juliana Tainer in "Soongs Vermächtnis" davon sprach, dass sie und Soong niemals Kinder gehabt hätten. Doch beide heirateten 2328 auf Omicron Theta, als Tainer fünfundzwanzig Jahre jung war. Soong hingegen war – wenn man Brent Spiners Maske in "Die ungleichen Brüder" in Betracht zieht – wohl deutlich älter, was durchaus den Schluss zulässt, dass er zuvor in einer anderen Beziehung gelebt haben könnte (Memory Beta gibt sein Geburtsjahr immerhin mit 2279 an). Statt Tainers Aussage als Widerspruch zur Existenz Alton Inigo Soongs zu verstehen, kann man sie auch problemlos aus Erklärung für die Vernachlässigung des Sohnes durch seinen Vater verstehen.
Außerdem gilt es an dieser Stelle auch eine weitere Lanze zu brechen:
"Picard" blieb lange Zeit das Zeigen von Sternenflottenschiffen schuldig, doch wie sich nun zeigt, hat sich die Serie diesen unabstreitbaren Höhepunkt tatsächlich für die letzte Folge aufgehoben. Sicherlich kann man hier den gerechtfertigten Vorwurf von 'Masse statt Klasse' anbringen, denn die Flotte scheint keine allzu große Varianz an Schiffen zu bieten und wirkt nicht weniger projiziert als Juratis Schiffsflotte aus La Sirenas.
Es hätte der Glaubwürdigkeit gut getan, wenigstens ein paar Schiffe der Sovereign-, Prometheus- oder Steamrunner-Klasse in diesen Einheitsbrei zu mischen, doch man sollte bedenken, dass beim Dreh dieser Episode die Rechte an Star Trek noch zwischen CBS und Paramount aufgeteilt waren und eine Verwendung von Schiffen aus den Kinofilmen aus rechtlichen Gründen nicht möglich war.
Aber warum hat man dann nicht einfach Schiffe der Ambassador-, Nebula- oder Galaxy-Klasse verwendet (zumal wir seit TNG wissen, dass Schiffe der Excelsior-, Miranda- oder Constellation-Klasse fast hundert Jahre lang genutzt wurden)?
Die Antwort ist erstaunlich simpel und hat überhaupt nichts mit Rechten zu tun, denn laut dem Instagram-Account des Special-Effects-Leiters Ante Djekovic wurden die letzten Bearbeitungen erst am Dienstag (!) dieser Woche unmittelbar vor der Veröffentlichung fertiggestellt.
Ja, selbst Nareks Aussage"Es wird auf eine Zeit datiert lange bevor unsere Vorfahren auf Vulkan eintrafen."
ergibt einen Sinn, wenn man bedenkt, dass in der Originalserien-Episode "Geist sucht Körper" angedeutet wird, dass die vulkanische Gesellschaft das Produkt einer Kolonisation des Planeten durch die Spezies Sargons sei (die übrigens munter an synthetischem Leben herumexperimentiere).
Auch wenn den Autoren hier sicherlich keine Absicht sondern eher ein Lapsus mit glücklichem Ausgang unterstellt werden kann, müssen sie sich einige inhaltliche Fragen gefallen lassen.
Wie etwa haben die Wachen, die Rios und Raffi so aufmerksam filzen, nicht bemerkt, wie Picard und Jurati fliehen?
Woher wissen die Weltraum-Orchideen, dass sie die La Sirena nicht angreifen dürfen?
Wie ist es möglich, die romulanische Flotte im Orbit des Planeten am helllichten Tag von der Planetenoberfläche aus zu erkennen?
Fliegt der romulanische Warbird Ohs falsch herum oder präsentiert er in der Schlacht im Planetenorbit der Heimatwelt der Androiden absichtlich ständig sein Hinterteil??
Während man sich mit derlei kleineren Unzulänglichkeiten noch zähneknirschend arrangieren könnte, ist es der Einsatz von unsinnigen, erzählerischen Gimmicks, die der Handlung einen Bärendienst erweisen, wie selbst Raffi und Rios im Umgang mit einem mysteriösen Gerät in einem erstaunlich selbstreferenziellen Moment einsehen müssen:
"Was passiert hier?"
"Nichts, was irgendeinen Sinn ergibt."
Das Werkzeug nämlich, mit dem die beiden die La Sirena wieder auf Vordermann bringen, gleicht in ihrer Anlage einem Zauberstab, der selbst Harry Potters Fähigkeiten mühelos in den Schatten stellt. Ohne sich sonderlich viel mit sachdienlichen Erklärungen aufzuhalten, kann es durch reine Vorstellungskraft Lecks reparieren und neue Apparate erschaffen, die erfolgreich die Sensoren einer ganzen Flotte täuschen. Man wundert sich schon, warum es Soong nicht einfach eingesetzt hat, um seinen Geist in den 'Golem' zu transplantieren.
Noch fauler war man nur bei der Idee, wie man Jean-Luc Picard wiederbeleben könnte. Die mühelos wirkende Übertragung seiner Hirnaktivitäten in einen 'Golem' steht in einer traurigen Tradition mit ähnlichen Hilfsmitteln wie Augment-Blut ("Star Trek Into Darkness"), dem Pilzantrieb ("Discovery") oder Transwarp-Beamen ("Star Trek" [2009]). Es bleibt eine vermeintlich revolutionäre Technologie mit dem Potential, den gesamte Star-Trek-Erzählrahmen zu sprengen, denn von jetzt an könnte ja jeder Sterbende auf diese Art und Weise davor bewahrt werden, aus dem Leben scheiden zu müssen. Aber ich wette Stein und Bein darauf, dass das in der nächsten Staffel schon kein Thema mehr sein wird…
Synchronisation.
An sich ist die deutsche Version gefällig, auch wenn sie ihre Unschuld verloren hat. Hier wird plötzlich nichts mehr beschönigt; "fucked" wird zu "gefickt", "ass" zu "Arsch" und folgerichtig auch "asshole" zu "Arschloch". Vorbei sind die Zeiten, in den die deutsche Tonspur vor der Fäkalsprache des Originals Schutz bot.
Immerhin bleibt man auch in der letzten Staffel dem unsinnigen Siezen treu, das übrigens am meisten stört, wenn sich Data und Picard verabschieden. Klar gibt es auch im englischen Original eine (förmliche) Distanz zwischen beiden, aber die findet sich nirgendwo sonst so potenziert wie im Deutschen wieder.
Fazit.
"Et in Arcadia Ego, Teil Zwei" bietet langjährigen Fans die Gelegenheit, sich in sentimentaler Weise gebührend von Data zu verabschieden und einen Picard (und seine tollkühne Crew) in Höchstform zu erleben. Wer sich aber nicht von der omnipräsenten Nostalgiewolke einlullen lässt, wird darüber hinaus nur wenige zielführende Inhalte bemerken.
Das Staffelfinale verpasst es schlichtweg, elementare Grundfragen der Staffel zu klären, aussagefähige zeitpolitische Referenzen zu bieten oder klare Verhältnisse zu schaffen. Die Episode verwendet stattdessen erzählerische Allheilmittel wie Superwerkzeuge oder Androiden-Rohlinge und versäumt es im gleichen Atemzug, sie sinnvoll einzusetzen.
Bewertung.
Ein Schwarm von Nostalgiemomenten macht noch keinen Sommer.
Schluss.
Wenn das Finale der ersten Staffel eines gezeigt hat, dann dass vieles noch nicht ausgereift ist. Es gibt noch eine Menge Baustellen, an denen man arbeiten muss, um diese Serie zu verbessern, die noch weit davon entfernt ist, perfekt zu sein.
Und doch macht "Picard" auch vieles richtig.
Die Charaktere sind ungleich zugänglicher und ausgewogener als bei "Discovery" und werden von großartigen Schauspielern verkörpert (zugegeben, der Großteil der "Discovery"-Schauspieler ist auch großartig). Der Umgang mit dem Kanon und der Einsatz nostalgischer Momente ist exemplarisch. Und wann immer es aktuelle Bezüge gab, gelang es der Serie ganz besondere Ausrufezeichen zu setzen.
"Picard" wird durch seinen Erfolg sicherlich Auswirkungen auf die ein oder andere Star-Trek-Serien haben und wirft einen langen Schatten voraus. Sie hat definitiv Maßstäbe gesetzt und die Franchise bereichert, auch wenn das kein Grund ist, sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen.
Am Ende der ersten zehn Folgen mag ich persönlich nicht mit allem einverstanden sein oder jede Folge gut finden, aber eines kann ich mit Nachdruck sagen:
Es ist schön, dass es eine Serie wie diese gibt.
Denkwürdige Zitate.
"Was hast Du für ein Glück..."
Picard zu einem Schmetterling
"Bitte lassen Sie nicht zu, dass die Romulaner Sie in das Monster verwandeln, das sie fürchten."
Picard zu Soji
"Ich habe sie gefunden, Narissa! Ich, die Schande der Familie! Der Versager der Zhat Vash! Ich habe Seb-Cheneb gefunden..."
Narek
"Sag's!"
"Was soll ich sagen?"
"Diese drei schönen Worte."
"Du hattest recht..."
"Sag's bitte nochmal!"
"Du kannst mich..."
Raffi Musiker und Cristóbal Rios
"Ich habe zwölf weitstreuende Molekularlösergranaten bei mir und werfe nur Steine..."
Narek
"Nein, ich glaub dass das Geschichte ist. Und das Faszinierende an Geschichte ist, dass sie sich stets wiederholt."
Narek
"Ich dachte schon ich würde die schlechteste Geheimagentin aller Zeiten sein, aber ich glaube ich habe eine Gabe."
Agnes Jurati
"Aber Angst ist ein unfähiger Lehrer. Ja sie haben ein Leben, aber niemand hat ihnen beigebracht. wofür es gut ist. Wer lebt hat auch eine Verantwortung und nicht nur Rechte."
Picard
"Machen Sie's so."
Jurati
"Antworten Sie nicht, um Spannung aufzubauen, oder..."
Jurati
"Auf jeden Fall! Gute Sache! Immer ein Ding der Unmöglichkeit nach dem anderen."
Jurati
"Wenn Sie uns aus der Nummer rausholen würden, wird man das nach Ihnen benennen. Das 'Picard-Manöver! Moment, nein. Nein, das gibt es ja schon, oder?"
Jurati
"Nach ihrem S.O.S. habe ich um befristete Wiedereinsetzung gebeten. Nur weil ich Ihnen das nicht ausreden wollte, lass' ich Sie das doch nicht ganz allein durchziehen. Ich soll im Grünen 'rumhocken und Pizza backen während Sie den ganzen Spaß haben?"
William T. Riker
"Das Wissen um Ihre Liebe stellt einen kleinen, aber umso signifikanteren Teil meiner Erinnerungen dar."
Data
"Ich möchte leben, wenn auch nur ganz kurz. In dem Wissen, dass mein Leben endlich ist. Erst die Vergänglichkeit verleiht dem Leben so etwas wie Bedeutung, Captain. Frieden, Liebe, Freundschaft: Alles dies ist so kostbar, weil wir wissen, dass nichts davon ewig währt. Ein Schmetterling, der unsterblich wäre, ist in Wahrheit nie ein Schmetterling gewesen."
Data
"Ich hätte nichts gegen zehn weitere Jahre... Zwanzig?"
Picard
Weiterführende Links.
01. Rezension zu "Gedenken"
02. Rezension zu "Karten und Legenden"
03. Rezension zu "Das Ende ist der Anfang"
04. Rezension zu "Unbedingte Offenheit"
05. Rezension zu "Keine Gnade"
06. Rezension zu "Die geheimnisvolle Box"
07. Rezension zu "Nepenthe"
08. Rezension zu "Bruchstücke"
09. Rezension zu "Et in Arcadia Ego, Teil Eins"
09. Rezension zu "Et In Arcadia Ego, Teil Zwei"