Posts mit dem Label Rezension werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Rezension werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 14. März 2020

Turons Senf zu PIC S1Nr08 "Bruchstücke"




Spoilerwarnung.
Dieser Artikel enthält massive Spoiler auf "Bruchstücke", die achte Folge der ersten Staffel von "Star Trek: Picard" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.



Einleitung.
Irgendwo zwischen acht bis achteinhalb Millionen Dollar kostet eine Folge von "Discovery". Obwohl es noch keine verlässlichen Angaben zu "Picard" gibt, dürften die einzelnen Folgen mindestens ebenso kostenintensiv oder (was der Wechsel von Netflix zu Amazon Prime nahelegen dürfte) gar noch teurer sein.
Wenn man sich die einzelnen Folgen nun aber einmal ansieht, kann man sich nicht ganz zu Unrecht fragen, wo das Geld geblieben ist.
Denn während "Discovery" Unmengen an Finanzmitteln in visuelle Effekte gesteckt hat, mehrere Innensets (Shenzhou, Discovery, Enterprise) nachbaute und gleich ab der ersten Folge eine Vielzahl neuer, unbekannter Sternenflottenschiffe einführte, scheint man bei "Picard" nur in eine überschaubare Anzahl von Effekten (z.B. der Borgkubus) und ein wenige spartanische Innensets (z.B. das der La Sirena) gesteckt zu haben. Sternenflottenschiffe sucht man (wenn man von einer Ansicht einiger Schiffe der Wallenberg-Klasse im Föderations-Fernsehen absieht, die man verpasst, wenn man in dieser Sekunde gerade blinzeln musste) vergebens und die meisten Schiffe die man sieht, sind häufig schlecht kaschierte Leihgaben aus "Discovery".
Doch damit nicht genug; seit letzter Woche häufen sich die Anleihen von Effekten, die man ganz offensichtlich eins zu eins aus Discovery übertragen hat.
Doch warum?



Story.
Nachdem Picards lange gesuchte Androidin Soji endlich an Bord der La Sirena gelangt, fühlt sich die Ankunft des plötzlich vertraut wirkenden Gesichtes für den Schiffseigner Cristóbal Rios wie ein Schock an. Denn was der Großteil der Besatzung nicht weiß: Er ist dieser Frau in seiner Sternenflottendienstzeit unter traumatischen Bedingungen bereits begegnet.
Aber Rios ist keineswegs der einzige, der von den Geistern der Vergangenheit verfolgt wird. So muss sich auch Doktor Agnes Jurati, nachdem sie aus ihrem Koma erwacht, mit den Verbrechen auseinandersetzen, die sie unter dem Einfluss der Gedankenverschmelzung mit Commodore Oh beging. Raffi Musiker hingegen kann sich endlich einen Reim auf ihre scheinbar haltlosen Verschwörungstheorien um den Angriff auf den Mars machen. Und auf dem Borgkubus ist es die Elnor zu Hilfe geeilte Seven of Nine, die sich mit dem Schrecken ihrer eigenen Borg-Vergangenheit stellen muss, als sie in die Rolle der Borg-Königin schlüpfen muss, um dem Genozid der Romulaner an wehrlosen XBs ein Ende zu bereiten und die Kontrolle über das Artefakt zu erringen…




Lobenswerte Aspekte.

Strickmuster.
Die Aussage mutet beim ersten Lesen vielleicht beinahe unglaubwürdig an, aber in der aktuellen Episode "Bruchstücke" passiert trotz seiner epischen Länge von etwa fünfundfünfzig Minuten (inklusive Rückblick, Vorspann und Abspann) erstaunlich wenig. Abgesehen von einigen munteren Zweikampfszenen, ein paar grausamen Hinrichtungen und der gezielten Tötung von unzähligen Borgdrohnen durch die Abschaltung schützender Kraftfelder bietet sie Freunden turbulenter Action vergleichsweise wenig Nährstoff.
Stattdessen liegt der Fokus primär auf Dialogen, Enthüllungen, zwischenmenschlichen Szenen, Informationszusammenführung und sehr persönlichen Einzelgesprächen unter den Charakteren. Platz für farbenfrohe Explosionen, wilde Verfolgungsjagden und mitreißende Feuergefechte gibt es da einfach nicht und vielleicht schlägt die Folge ja genau deswegen eine gelungene inhaltliche Brücke zu TNG.
"Bruchstücke" ist das Werk von Maja Vrvilo, jener vokalarmen Regisseurin, die bereits mit "Die geheimnisvolle Box" die beste Folge der noch jungen Serie bis dato fabriziert hat (jene clevere wie subtile Szene, in der Raffi den Kaffee für den von Problemen verkaterten Rios repliziert, gab es in gespiegelter Form deshalb auch bereits dort zu sehen). Nun, wo sie abermals am Steuer sitzt, gelingt ihr ein weiteres Bravourstück, dass durch eine gelungene Kameraführung, tolle musikalische Untermalung, schöne Schnitte und symbolschwangere Einstellungen glänzt (auch wenn Wackelkameras und Lens Flares weiterhin treue Begleiter bleiben). Dabei liegt der Reiz der Episode darin, dass sie den Zuschauer zunächst auf falsche Fährten lockt und zur Theorienbildung anregt, nur um im Anschluss mit weitreichenden Informationen herauszurücken, die viele größere Zusammenhänge deutlich klarer erscheinen lassen.
Vor allem aber lässt die Folge die Situation auf dramatische Weise zuspitzen und gibt damit strikt eine einzige Richtung vor: Geradeaus in Richtung Showdown, dem es nun obliegt, Nägel mit Köpfen zu machen. Denn wohin genau die Übernahme des Artefakts, die Verfolgung der La Sirena durch Narek, der Aufbruch der romulanischen Flotte zum Heimatplaneten Sojis und die Aufdeckung des romulanischen Plots um den Angriff auf den Mars führen werden, müssen die beiden kommenden, finalen Folgen besser beantworten, als zuletzt das Finale der zweiten Staffel Discovery die Entwicklungen ihrer Handlung auflösten.
Die Vorarbeit jedenfalls ist gemacht und es bleibt Vrvilo ferner zugute zu halten, dass ihr dabei sogar das Kunststück gelingt, (überschaubaren) Platz für (überschaubare) Komik zu erübrigen. Ich persönlich jedenfalls hatte meinen Spaß mit den verschiedenen Hologrammen, die hier nicht allein einem humoristischen Motiv dienten, sondern gar einen sinnvollen Einsatz erhielten, um Raffi auf die richtige Fährte mit ihren Überlegungen zur Konklave der Acht und den biografischen Problemen Rios' zu bringen.
Einziges Manko bleibt in meinen Augen allerdings das fortgeführte "Starfleet Bashing" (vergleiche Denkwürdige Zitate), das in dieser Episode neue Qualitäten erreicht. Sicherlich beziehen sich vor allem Picards Äußerungen am Schluss der Episode vorranging auf die Ereignisse, die mit der Installation Ohs als Sicherheitschefin der Sternenflotte innerhalb der Organisation begannen, aber die Worte lassen sich auch problemlos als Bruch mit einer Vergangenheit interpretieren, in der die Sternenflotte als Musterbeispiel einer konfliktfreien Utopie fungierte. Das ist nicht zuletzt deshalb ein kleiner Schmutzfleck auf der ansonsten weißen Weste der Folge, weil gerade dieser utopische Aspekt für mehr als fünfzig Jahre ein unverkennbares Alleinstellungsmerkmal Star Treks bildete, das diese Science-Fiction-Franchise von anderen unterschieden hat und nun von den veränderten Werten bei der Grunderneuerung massiv bedroht scheint. Es bleibt daher abzuwarten, in welche Richtung "Picard" und vor allem auch "Discovery" sich entwickeln werden oder ob der dunkle Schatten der Dystopie Star Trek für immer verändern wird.



Besetzung.
Den diversen Charaktermomenten kommt in "Bruchstücke" eine zentrale Rolle zu, was vor allem im Zusammenhang mit der Tatsache, dass es nur noch zwei weitere Folgen in dieser Staffel geben wird, außergewöhnlich erscheint. Doch wo auf unerwarteter Weise fast schon verschwenderisch viel Platz für schauspielerische Leistungen gelassen wird, kann man bei dieser Besetzung auch davon ausgehen, dass er hinlänglich genutzt wird.
Allen voran natürlich von Patrick Stewart der noch immer einen großartigen Picard mimt, auch wenn er arg wenig zu tun bekommt, außer in gewohnt eleganter Manier ‘words of wisdom’ von sich zu geben. Er bleibt die gesamte Folge über ein eher ein sonniger Ruhepol, um den eine Reihe von turbulenten Planeten kreist.
Raffi Musiker zum Beispiel, die sich mal wieder von den Drogen abgewendet hat und deutlich durchblicken lässt, welchen Qualitäten in ihr ruhen. Michelle Hurd zeigt dabei im Hinblick auf die zurückliegenden Episoden nicht minder deutlich, was für eine vielseitige Darstellerin sie ist.
Neben ihr hat sich in meinen Augen vor allem aber Santiago Cabreras als Cristóbal Rios zu einem weiteren unverzichtbaren Haltepunkt der Serie emporgeschwungen. Der innere Zwist um die traumatischen Erfahrungen auf der USS ibn Majid, die abgeklärte Ruhe als Captain seines Schiffes und auch seine charakterlich (und sprachlich) breit aufgestellten Hologramme unterstreichen seinen Wert als Schauspieler.
Im Vergleich zu diesen beiden wirkt der Auftritt von Isa Briones vergleichsweise überschaubar. Die beiden bemerkenswertesten Szenen blieben jene, in denen Soji Asha Picard über Datas Gefühle unterrichtet und jener (sehr kurze) Moment, in dem sie versucht, die La Sirena zu übernehmen. Ansonsten geht sie – mehr noch als Patrick Stewart – im Vergleich zu ihren Schiffskameraden eher unter.
Zwar mag Alison Pills Auftritt in dieser Folge sowohl umfangreicher ausfallen als auch schauspielerisch überzeugend wirken, doch Agnes Juratis Wandel vom Saulus zum Paulus wirkt mit dem einsetzenden Abspann dann doch ein wenig übereilt. Gerade in einer Zeit, in der immer wieder betont wird, wie wichtig Konflikte für die interpersonellen Beziehungen in Fernsehserien sind, wirkt es doch immer wieder überraschend, wie schnell sich derartige Auseinandersetzungen wortwörtlich in Wohlgefallen auflösen. Dass in der Mitte der Crew eine Mörderin von einer gewissen Gleichgültigkeit und ohne dafür angefeindet zu werden frei bewegt, bleibt in meinen Augen besonders im Hinblick auf Konfliktzentrierung unnachvollziehbar.
Evan Evagora mag als Elnor noch immer nicht unbedingt viel zur Handlung beitragen können, aber es bleibt ihm zuzugestehen, dass er seinen Job gut macht. Den unerfahrenen Ninja-Nonnen-Zögling, der mit allem außer Kämpfen ständig überfordert scheint und als kleines Kind in den Topf mit Wahrheitsserum gefallen ist, spielt der Australier jedenfalls überzeugend, wobei ihm sicherlich gut tut, nicht ständig an der Seite einer Figur wie Picard zu stehen, die mit ihrer Präsenz das Potential hat, andere Rollen noch kleiner wirken zu lassen.
Seine aktuelle Leidensgenossin auf dem Artefakt bleibt allerdings wie Patrick Stewart auch über jede Kritik erhaben. Jeri Ryan verkörpert eine großartige Seven of Nine/ Annika Hansen/ stellvertretende Borg-Königin, der das Leid der XBs nahegeht, der die erneute Verbindung zum Kollektiv belastet und die in ihren (fraglos niederen) Motiven absolut nachvollziehbar erscheint.
Ja, selbst Peyton List ruft mit ihrer Darstellung der fiesen Romulanerin Narissa Rizzo ihre beste Leistung des bisherigen Serienverlaufes ab, auch wenn die erste Hälft der Folge deutlich mehr Potential verdeutlichte, als die eher maue zweite. Dass sie gar fürsorgliche Gefühle für einen XB hegt hilft zusätzlich, ihre bislang eher flache Anlage durch ein wenig mehr Ambivalenz aufzuwerten.
Der Rest der Darstellerriege wie Rebecca Wisocky (Rhamda), Tomita Tomlyn (Commodore Oh) oder Ann Magnuson (Admiral Kirsten Clancy) liefern im Rahmen ihrer sehr übersichtlichen Auftritte durchaus stabile Leistungen ab, auch wenn sie aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Darbietungen nicht sonderlich viel Aussagekraft für eine detailliertere Erwähnung bieten.
Gleiches mag für den TNG-Veteranen Derek Webster als Centurion Tarent (der Name wird lediglich im Abspann genannt) gelten, muss ich zugeben, dass mir der markante Befehlsempfänger Rizzos und Nareks ein wenig fehlen wird, nachdem er von den XBs getötet wurde.



Moralität.

"Bin ich eine Person?"

Diese berechtigte Frage Sojis an Jurati trifft den Kern der Sache so ziemlich genau, denn seit "Wem gehört Data?" gab es nur wenige Folgen, die sich mit dem Thema der Eigenständigkeit synthetischen Lebens derart intensiv beschäftigt haben. Die (einmal frei nach Herbert Grönemeyer paraphrasierte) Frage "Wann ist ein Mensch ein Mensch?" oder auch "Wann ist er es nicht mehr?" zieht sich wie ein roter Faden durch die Folge.
Sie betrifft nicht nur Soji und die Kybernetikerin Jurati, sondern auch die sehr stark an Rios' Persönlichkeit angelehnten Hologramme, die mit sich hadernde Seven of Nine am Tropf des Artefakts und die vielen XBs, die derart unreflektiert von den Romulanern ermordet werden.
Und besonders die Worte Picards in seiner Unterredung mit Rios, wie man synthetischem Leben nicht mit Angst, sondern mit offenen Armen begegnen muss, sind ein großartiger Aufruf zu Toleranz und einer Willkommenskultur, die man schon bewusst überhören können muss, wenn man der Serie vorwerfen möchte, nicht auf das tagesaktuelle Geschehen anwendbar zu sein (vgl. Denkwürdige Zitate).
Daneben gibt bereits der gut ins Deutsche gerettete Titel "Bruchstücke" Einblicke in das andere große Thema der Folge.
Denn abgesehen von den Informationshäppchen, die nun endlich zusammen auf einen Teller gelangen und von allen Beteiligten am Tisch (in einer Fortsetzung der Besprechungsraumszene) zusammengefügt werden, geht es vor allem um gebrochene Charaktere und ihre tiefen Wunden (vgl. Denkwürdige Zitate).
Soji zum Beispiel, deren fehlender Bezug zu ihrer eigenen Vergangenheit an ihrer Eigenwahrnehmung als Individuum nagt. Oder Juratis massive Probleme mit den Bildern, die sie von Oh während der Gedankenverschmelzung erhielt und sie nicht minder an Selbstmord denken lassen, wie die Mehrheit der ähnlich verzweifelten romulanischen Zhat-Vash-Anhängerinnen zu Beginn der Episode. Oder Raffi, deren familiäre Situation nicht zuletzt in den wilden Verschwörungstheorien begründet liegt, die sich nun als gerechtfertigt entpuppen. Oder Seven of Nines persönliches Opfer, als sie sich einer Borg-Königin gleich mit dem Artefakt verbindet und damit die genau Entmenschlichungsmaschinerie wieder anwirft, von der sie sich dereinst unter großen Opfern getrennt hatte. Und schließlich fallen natürlich Rios' traumatische Sternenflottenerlebnisse in diese Kategorie, die den einstigen Vorzeige-Offizier überhaupt erst auf die schiefe Bahn geschleudert haben.
Maja Vrvilo gelingt es so gut wie eindringlich, diese "Bruchstücke" zu markieren und dem Zuschauer mal mehr und mal weniger symbolbeladen die inneren Kämpfe der einzelnen Protagonisten zu verdeutlichen. So kurz vor dem Staffelfinale trägt es maßgeblich dazu bei, eine verstärkte Bindung zu den einzelnen Figuren aufzubauen, die hoffentlich durch die kommenden Ereignisse nicht jäh gekappt wird…




Kritikwürdige Aspekte.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Inzwischen pflegt Picard einen exemplarischen Umgang mit dem Kanon, der von subtil bis offensichtlich reichen kann und sogar oft die Räume dazwischen ausleuchtet. Während man Picards Akademiefreundin Marta Batanides aus der TNG-Episode "Willkommen im Leben nach dem Tode" kennen könnte, mag sich der ein oder andere vielleicht auch noch daran erinnern, dass Viridium in Pflasterform bereits im sechsten Kinofilm maßgeblich dabei half, einen bestimmten Kriminellen zu verfolgen. Yridianischen Tee kann man hingegen in "Der Fall Utopia Planitia" bewundern, während die "Kentnisse der medusischen Navigation" gar auf die Originalserien-Folge "Die fremde Materie" zurückgehen. Dass ferner neben Camus und Kierkegaard ausgerechnet ein Werk mit dem Titel "Surak und Existenzialismus" das Bücherregal des Freizeitphilosophen Cristóbal Rios ziert, war ebenfalls eine nette Idee vor allem für langjährige Fans mit Auge für's Detail.
Die Erwähnung der USS Reliant als frühe Karrierestation des vielversprechenden Sternenflottenoffiziers Jean-Luc Picard geht in ihrem Kern auf eine herausgeschnittene Szene in "Wem gehört Data?" zurück und blieb damit außerhalb des offiziellen Kanons, bis sie nun schließlich zurückgeholt wurde.
Besonders gefreut hat mit ferner der schottische Dialekt des Ingenieurshologram Ian, der nicht nur gut eingesetzt wurde, sondern darüber hinaus natürlich an Montgomery "Scotty" Scott erinnerte.
Zudem gibt sich die Folge redlich Mühe, vermeintliche Widersprüche auszumerzen. So wird Oh zu einer vulkanischen Halb-Romulanerin erklärt, die als solche natürlich auch eine Sonnenbrille tragen darf und das Fenris-Notsignal scheint nicht von Picard, sondern eher von Hugh zu stammen.
Davon ab halten sich die Nostalgiemomente jedoch in dieser Folge in Grenzen, nachdem sie in der vorangegangenen Episode neue Höchstwerte erhalten haben. Zudem gibt es trotz des Recyclings von Szenenbildern aud "Discovery" vorerst wohl doch keine Querverbindung mit der anderen modernen Schwester aus dem Franchise.
Aber da fangen auch schon die Probleme an, denn das muntere Zweitverwursten von Schnipseln aus anderen Serien und Bereichen blieb nur selten sonderlich zielführend. Dass etwa ausgerechnet Data bei einer Vision aus der Vergangenheit einen zumindest fragwürdigen Einsatz fand, trug jedenfalls maßgeblich zur Verwirrung bei, anstatt eine aus der Vergangenheit ausgesprochene Warnung zu unterstreichen.
Und wo wir gerade bei den Visionen vergangener Tage sind – kann es sein, dass die Romulaner leise, still und heimlich in ein Matriarchat umgewandelt werden?
Die Zhat Vash scheinen jedenfalls ähnlich wie die Qowat Milat ein reiner Frauenclub zu sein und abgesehen von Narek (der unter der Knute seiner großen Schwester leidet) und einem kurzlebigen Ex-Senator wurden die höherrangigen Romulaner bislang eher von Frauen verkörpert (man erinnere sich zum Beispiel an die Bemerkung Hughs, die suggerierte dass es einen weiblichen Praetor gäbe). Die Idee an sich mag per se nicht schlecht sein, aber es bedarf da noch einiger Erklärungen, da in der unmittelbaren Star-Trek-Vergangenheit die Mehrheit der hochrangigen Posten im Sternenimperium zumeist von Männern besetzt wurden.
So oder so kann die Supernova ihrer Heimatsonne keineswegs sonderlich verheerende Auswirkungen gezeigt haben, wenn die Romulaner noch immer in der Lage sind, eine ganze Warbird-Flotte aus dem Boden zu stampfen.
Zudem wirken die plötzlichen biografischen Verknüpfungen der Figuren untereinander arg konstruiert. Dass ausgerechnet Rios bereits einem Vorgängermodell von Soji begegnet ist mag ja noch halbwegs in den Bereich des Möglichen fallen, aber dass Ramdha ganz nebenbei die Position der Zieh-Tante von Narrissa Rizzo und Narek bekleidete, wirkt derartig bemüht, dass inzwischen nicht einmal mehr abwegig erscheint, dass Elnor jener verlorene Bruder ist, von dem Narek zu Beginn der Serie sprach.
Zudem dürften die ins All geblasenen Drohnen nicht zwangsweise tot sein, denn wie wir aus "Star Trek: Der erste Kontakt" wissen, müssten die Mitgleider des Kollektivs in der Lage sein, auch in der Unwirtlichkeit des Alls zu existieren (um zum Beispiel an der Sensorphalanx herumzuwerkeln). Von daher sind weder Sevens Entrüstung noch die Idee des Centurions Tarent sonderlich angemessen. Immerhin war der Effekt nett.
Und langsam wirkt auch das verzweifelte Bemühen der Produzenten, bloß keine Sternenflottenschiffe zu zeigen, unfreiwillig komisch.
Denn fast sehen wir in dieser Folge ein ganzes Geschwader, das bei Deep Space 12 auf Picard und seine Mannen wartet, doch im letzten Moment dreht die La Sirena ab, um allein den Kampf gegen eine wahre Armada aus romulanischen Warbirds aufzunehmen.
Immerhin gibt es ersatzweise einen Aufdruck der USS ibn Majid auf dem Gedächtnis-Koffer von Rios, aber das allein ist auch nicht abendfüllend. Selbst in dieser Hinsicht bleibt es im Hinblick auf die letzten beiden Folgen unnötig spannend.



Synchronisation.
Es gibt immer wieder Sachen, die sind für eine Übertragung in eine andere Sprache schlichtweg ungünstig. Die beiden F-Bomben dieser Folge etwa müssen schon allein deshalb unter den Tisch fallen, weil die deutsche Sprache zu sanftmütig für einen derartigen Schimpfwortgebrauch ist.
Desweiteren ist es natürlich schwer, den irischen und vor allem schottischen Zungeschlag der Hologramme Rios' irgendwie ins Deutsche zu übertragen, geschweige denn die entsprechenden Wortspiele auch nur im Ansatz hinüberzuretten.
Und auch wenn der Name "Wunderschöne Blume" einer der gruseligsten der bisherigen Star-Trek-Geschichte ist, ist er der englischen Vorlage keinen Deut besser.
Aber andere Sachen kann man schlichtweg vermeiden.
Denn abermals gibt es ein wirres Durcheinander von Siezen und Duzen, das langsam nur noch zum Kopfschütteln veranlasst. Und dass Picard sich selbst als 'Ensign' betitelt, obwohl in der deutschen Synchronisation insbesondere bei TNG der Begriff 'Fähnrich' derart dominierte, dass er sogar Einzug in den Folgentitel "Fähnrich Ro" erhielt, hätte man sich sicherlich sparen können.
Aber wenn die Frage "Do they frighten you?" (zu deutsch etwa "Machen die Ihnen Angst?") völlig zusammenhangslos mit "Machen wir Ihnen Angst?" in der deutschen Tonspur erscheinen, dann kann man schon mal darauf hinweisen, dass die originale Spracheinstellung in diesem Fall die eindeutig bessere Wahl ist.



Verschwörungstheorien.
Im Folgenden sollte nur weitergelesen werden, wenn man bereit ist, sich die Überraschung verderben zu lassen, denn an dieser Stelle folgen einige Überlegungen zu möglichen Richtungen, in die sich die Serie bewegen wird.
Also: Absolute Spoilerwarnung!
Wie kann man Narissa Rizzo gleich zu Beginn der Folge so schön sagen hören?

"Ich wäre ein besserer Borg gewesen als Du. 'Widerstand ist zwecklos!'"

Hier wird deutlich mit einer Idee kokettiert, die zuletzt K'olbasa in den Kommentaren der Rezension zu "Nepenthe" formuliert hat und ganz besonders jene Szene, in der sie von einer Schar XBs überwältigt wird, legt den Gedanken, dass Rizzo die nächste Borg-Königin sein könnte durchaus nahe (auch wenn ich mir recht sicher bin, dass sie herausgebeamt wurde, bevor die früheren Borg-Drohnen ihr Werk vollenden konnten).
Darüber hinaus kann ich mir nicht vorstellen, dass dies das letzte war, was wir vom Artefakt gesehen haben werden. Der funktionslose Borgkubus birgt schlichtweg zu viel erzählerisches Potential um in irgendeiner dunklen Ecke der Serienhandlung Staub anzusetzen. Im Hinblick auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit der romulanischen Flotte lehne ich mich daher wohl nicht allzu sehr aus dem Fenster, wenn ich an dieser Stelle einmal behaupte, dass er - unter den straffen Zügeln von Seven of Nine - wie die Kavallerie dahergeritten kommt, um für Picard, Soji und den Rest der La-Sirena-Crew den Tag zu retten. Schließlich liegt der Heimatplanet der Familie Asha wohl nicht ganz ohne Grund in unmittelbarer Nähe eines Transwarp-Kanals des Kollektivs…
Das größte Rätsel bleibt aber mit Abstand das achtteilige Sonnensystem, auf dem die Warnung vor synthetischem Leben platziert wurde. Nur wenigen Mächten könnte man eine solche Leistung zutrauen. Den Ikonianern zu Beispiel, auch wenn sich ihre Expertise eher auf den Bau von Stargates beschränkt hatte. Oder dem Tkon-Imperium, dem immerhin nachgesagt wurde, dass das untergegangene Reich in der Lage gewesen sei, ganze Sonnen zu verschieben. Andererseits zerbrach das Reich aber auch an einer Supernova und es bleibt die berechtigte Frage, warum man nicht einfach diese Sonne woandershin verschoben hat.
Aber auch, wenn ich letztgenannte Parallele zum Romulanischen Sternenimperium (das ja auch von einer Supernova geschwächt wurde) reizvoll ist, vermute ich persönlich eine ganz andere Macht dahinter, denn was wäre eine Serie mit dem Namen "Picard" ohne den bekanntesten Widersacher, den die Serie neben den Borg hervorgebracht hat: Den von John de Lancie verkörperten Q!
Besonders, wenn man sich an das Kartenspiel aus "Gedenken" erinnert, in dem Data fünf Herz-Damen-Karten mit dem Buchstaben Q auslegte und das omnipotente Wesen ohnehin dafür bekannt ist, Hinweise durch die Zeit hinweg zu platzieren und auch auf Traumsequenzen zurückzugreifen um Informationen zu transportieren, scheint ein Auftritt dieser Figur in unmittelbarer Zukunft sehr wahrscheinlich…

Die spannendste und verstörendste aller Visionen: What did this Fox say?


Fazit.
Maja Vrvilo stellt mit "Bruchstücke" abermals ihr goldenes Händchen für diese sicherlich oft herausfordernde Serie unter Beweis. Mithilfe einer Hauptdarstellerriege in Höchstform spannt sie in einer verhältnismäßig ruhigen, aber stets spannenden Episode nicht nur einen Bogen zu TNG, sondern ebnet auch perfekt den Weg in ein nun mit umso mehr Spannung erwartetes Serienfinale. Die wenigen Kritikpunkte, die man ins Feld führen könnte, fallen im Hinblick auf die inhaltlich und handwerklich stringente Folge kaum ins Gewicht, so dass es beinahe abzuwarten bleibt, ob die kommenden Folgen diese hohe Qualität halten können werden.


Bewertung.
Eine runde Sache.






Schluss.
Picard mag als Serie Discovery-Schnipsel zweitverwerten, doch wenn man sich diese Folge angesehen hat, dann kann man sich einige Gründe ausmalen, die den vermeintlich 'billigeren Look' von "Picard" begründen.
Zuerst einmal ist Los Angeles als Produktionsstandort deutlich teurer als Toronto, wo "Discovery" gedreht wird. Die vielen gesetzlichen Bestimmungen im traditionsreichen Film- und Fernsehstandort Kalifornien führen deswegen immer wieder dazu, dass sich einige Produktionen nach Kanada oder gar Europa auslagern. Immerhin gibt der US-Bundesstaat mittlerweile deutliche Fördersummen dafür aus, dass zumindest die zweite neue Star-Trek-Serie vor Ort realisiert wird.
Desweiteren ist der große Unterschied zwischen beiden Serien an der Besetzung festzumachen. Während "Discovery" durch die Bank weg und von Beginn an auf frische Gesichter setzte, um Star Trek wiederzubeleben, setzt man bei "Picard" bewusst auf einen Mix aus Altbekanntem und neuen Elementen. Das macht sich dabei nicht nur in Person Patrick Stewarts bemerkbar, dessen Honorar die Beträge auf den Lohnschecks der Discovery-Darsteller deutlich übertreffen dürfte. Auch andere namhafte Schauspieler wie Michelle Hurd oder Santiago Cabreras haben mit ihren klangvollen Namen von Anfang an unterstrichen, dass der Fokus dieser Serie eher auf ihren Fähigkeiten liegen würde, als auf einen Vielzahl an Spezialeffekten.
Dass sich dieser Strategiewechsel lohnt, merkt man nicht nur an der unterschiedlichen Optik der Serien. Gerade in "Bruchstücke" zeigt sich deutlich, dass für ein stark von Dialogen getragenes Werk teurere Schauspieler - vor allem wenn sie an der Seite eines Shakespeare-Veteranen wie Patrick Stewart stehen - durchaus lohnen.
Dafür sollte man im Gegenzug aber auch in Kauf nehmen können, wenn  sich die Serie bei ihrem ungleich flinkeren Vorgänger und dessen Vorlagen bedient. Es ist ein kleiner Preis für ein tolles Endprodukt und einen Makel, der bei Lichte besehen gar keiner ist; vor allem bei Star Trek, wo man immer wieder Ausschnitte, Modelle und Rollen aus anderen Serien wiederverwendete (ich erinnere nur an die Explosion des Bird of Preys in den Kinofilmen VI und VII). So gesehen handelt es sich gar um eine Tradition, die keineswegs so ungewöhnlich in einer Franchise ist, die mittlerweile acht Serien und dreizehn Kinofilme umfasst.
Nichtsdestotrotz nimmt es die Produzenten der kommenden Staffel nicht aus der Verantwortung, an einigen Ecken, in denen man den roten Stift der Sparsamkeit angesetzt hat, deutlich nachzubessern. Denn es ist ebenso eine Tradition Star Treks, das Budget zu dehnen wie es geht, was etwa die Einführung von Shuttles in der Originalserie aber auch in der ersten Staffel TNG beweist.



Denkwürdige Zitate.

"Sagen Sie doch mal, JL, wie ist Soji in Wirklichkeit? Hm? Wissen Sie es? Weiß sie es? Ja, hab ich mir gedacht..."
Raffi Musiker

"Das sind aber schlechte Nachrichten!"
"Äh, ja?! Es sei denn man steht auf große, allumfassende paranoide Verschwörungstheorien; dann wär's natürlich super... auf... auf 'ne ganz kranke, kaputte Weise..."
"In schlimmen  Situationen ist es so wichtig, nicht die positiven Dinge aus dem Blick zu verlieren..."
Raffi und Ennoch

"Du bist mein Lieblingshologramm!"
Raffi

"Fenris Ranger... Und es ist nicht schwer zu erraten welcher..."
Narissa Rizzo

"Ich kann keine Vorträge halten und gleichzeitig einen Kubus übernehmen..."
Seven of Nine

"Erzählen Sie mir von Data! Wie war er?"
"Wie er war? Data war mutig, neugierig, sanftmütig. Er hatte die Weisheit eines Kindes. Ungetrübt von Gewohnheiten oder Vorurteilen. Er hat usn alle zum Lachen gebracht - außer wenn er uns alle zum Lachen bringen wollte."
Soji und Jean-Luc Picard

"Datas Fähigkeiten Gefühle zu verarbeiten und auszudrücken waren begrenzt. In dem Punkt waren wir uns ähnlich."
Picard

"Auf welche Weise sollte er sich an Sie erinnern?"
"Sie meinen wenn er mich überlebt hätte statt andersherum? Dann hoffe ich, dass er sich an Jean-Luc Picard als jemand erinnern würde, der immer an ihn geglaubt hat. Der immer an sein Potential geglaubt hat. Der sich an seinen Erfolgen erfreut hat. Der ihn beraten hat wenn er gescheitert ist. Für ih da war wenn er Hilfe gebraucht und wenn er sie nicht gebraucht hat. Ihm nicht im Wege stand. Sinngemäß ausgedrückt."
"Er hat Sie geliebt."
Soji und Picard

"Ich soll sie assimilieren? In ihre Gedanken eindringen? Ihre Identität unterdrücken? Sie versklaven? Erneut?"
"Sie können sie doch hinterher wieder freilassen..."
"Das Kollektiv wird sie nicht freilassen wollen und... ich will sie dann vielleicht auch nicht freilassen..."
Seven und Elnor

"Auf dem Ozean des Lebens ist die Leidenschaft der Wind."
Ian

"Glauben Sie an die Hölle? Ja, ich früher auch nicht. Dann habe ich sie gesehen. Seitdem denke ich jeden Tag über Selbstmord nach."
Agnes Jurati

"Ist das ein Walkman?"
Raffi

"Sie trinken, wenn sie durstig sind! Das ist wunderschön!"
Jurati

"Sechs Monate später wurde ich rausgeschmissen. Wie hieß es so schön? 'Posttraumatische Dysphorie'. Dabei war ich nur..."
"... gebrochen..."

"Wir sind die Borg."
Seven of Nine

"Es tut mir leid. So nah wie euch bin ich schon lange keinem mehr gewesen. Vielleicht noch nie. So eng verbunden war ich noch nie. Einer... Crew... Es tut mir leid dass ich's versaut habe."
Jurati




"Ich habe keinen Schimmer, wie man das bedient..."
Picard

"Und... wollen Sie mich jetzt auch assimilieren?"
Elnor

"Annika hat noch etwas zu erledigen..."
Seven

"Ich finde es schrecklich , dass er in dem Glauben gestorben ist, dass die Sterenflotte ihn betrogen hätte... oder sich selbst betrogen hätte."
"Die Sternenflotte hat ihn tatsächlich betrogen. Wir alle haben uns in Wahrheit selbst betrogen. Lange bevor Oh Vandermeer den Befehl gegeben hat. Das Verbot höchstselbst war der Betrug!"
Rios und Picard

"Die mögen richtig damit liegen, was vor zweihunderttausend Jahren geschehen ist. Die Vergangenheit ist geschrieben, aber die Zukunft ist noch nicht in Stein gemeißelt. Und wir haben mächtige Werkzeuge, Rios! Aufgeschlossenheit, Optimismus und eine unbändige Neugier. Die haben nur Verschwiegenheit und Furcht. Und Furcht ist der große Zerstörer, Rios, und nicht... "
Picard

Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Gedenken"
02. Rezension zu "Karten und Legenden"
03. Rezension zu "Das Ende ist der Anfang"
04. Rezension zu "Unbedingte Offenheit"
05. Rezension zu "Keine Gnade"
06. Rezension zu "Die geheimnisvolle Box"
07. Rezension zu "Nepenthe"
08. Rezension zu "Bruchstücke"
09. Rezension zu "Et in Arcadia Ego, Teil Eins"
10. Rezension zu "Et In Arcadia Ego, Teil Zwei"


Samstag, 7. März 2020

Turons Senf zu PIC S1Nr07: "Nepenthe"



Spoilerwarnung.
Dieser Artikel enthält massive Spoiler auf "Nepenthe", die siebente Folge der ersten Staffel von "Star Trek: Picard" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.




Einleitung.
Von all den Gastauftritten, die im Vorfeld durch Tweets, Trailereinblicke oder Online-Eilmeldungen zu "Star Trek: Picard" angekündigt wurden, war für mich persönlich der von Marina Sirtis und Jonathan Frakes derjenige, dem ich am meisten entgegengefiebert haben.
Denn anders als bei Seven of Nine, Hugh oder Icheb dienten Deanna Troi und Wil Riker unter Jean-Luc Picard auf der USS Enterprise und würden in einem anderen Rahmen zur Handlung beitragen können, als Hauptdarsteller aus anderen Serien oder Nebencharaktere aus Einzelepisoden.
Nicht, dass ich viel erwartet hätte.
Ein zwei nette Szenen und ein wenig TNG-Feeling vielleicht und den ein oder anderen Einblick, was das in "Nemesis" frisch getraute Paar denn in der Zwischenzeit so getrieben hätte. Schließlich waren die einzigen Einblicke in das Leben der beiden früheren Enterprise-Führungsoffziere auf eingie Bücher beschränkt, die versuchten, ihren gemeinsamen Dienst auf der USS Titan näher zu beleuchten...



Story.
Nachdem Soji und Jean-Luc Picard dem Artefakt und dem Tal Shiar entkommen sind, finden sie sich auf einem idyllischen Planeten wieder, der wie der absolute Kontrast zum Schrecken der zurückliegenden Tage wirkt. Beide werden mit offenen Armen von der Familie um Deanna Troi und William T. Riker begrüßt und in ihrem Zuhause aufgenommen. Vor allem Kestra, die Tochter der ehemaligen Offiziere Picards, baut schnell eine Beziehung zu Soji auf.
Doch die sich mittlerweile ihrer künstlichen Existenz bewusst gewordene Androidin hat Schwierigkeiten in diesem neuen Umfeld.
Schwierigkeiten mit ihrer neuen Existenzform.
Schwierigkeiten mit ihrer traumatischen Vergangenheit.
Und Schwierigkeiten, dem Mann zu vertrauen, der gerade erst ihr Leben gerettet hat...



Lobenswerte Aspekte.

Besetzung.
In "Nepenthe" wächst Jean-Luc Picards neue Crew zusammen, während er sich von alten Weggefährten verabschiedet. Patrick Stewart hält sich (trotz einer omnipräsenten Präsenz) dabei erstaunlich bedeckt und überlässt anderen Darstellern den Platz in der ersten Reihe.
Zum Beispiel Isa Briones, die zwar einige Data-Anleihen zum Besten gibt und in ihren Interaktionen mit dem jüngsten Sprößling der Familie Riker stark an Data in "Der Aufstand" erinnert, aber dennoch eine starke eigene Note in die ansonsten von Altstars dominierte Szenerie bringen kann. Ihre (nachvollziehbare) Weigerung bedingungsloses Vertrauen zu Picard aufzubauen mag vielleicht ihrer Notfall-Programmierung wiedersprechen, aber haucht der Figur eine eigene Note ein, die sie auch entscheidend von ihrer Zwillingsschwester Dahj abhebt.
Nicht minder beeindruckt bin ich von Allison Pill. Dr. Agnes Jurati mag zuweilen die Grenzen zwischen Glaubwürdigkeit, Sympathie und Tilly-Anleihen sprengen, doch die Gewissensbisse, Verzweiflung und innere Zerrissenheit in solch einer Form zu spielen, verlangt einem Darsteller einiges ab. Pill gelingt diese heikle Aufgabe mit Bravour und selbst wenn der ein oder andere sie nicht mögen mag, bleibt ihre schauspielerische Leistung über jeden Zweifel erhaben.
Weniger stark in Szene gesetzt blieben in dieser Folge eine Reihe von anderen Charakteren.
Santiago Cabrera etwa, der als Cristóbal Rios nur gelegentliche Ausrufezeichen setzen konnte und weit unter seinen Möglichkeiten blieb.
Oder Michelle Hurd, die als Raffi Musiker zwar deren verschüttet geglaubten mütterlichen Instinkte wiederfindet, aber darüber hinaus nicht allzu viel zu Handlung beizutragen vermag.
Harry Treadaways Auftritt als Narek geht gar nur mit äußerstem Wohlwollen überhaupt als Sprechrolle durch.
Der freigewordene Raum wird von altbekannten Gesichtern mit zielsicherer Einfühlsamkeit ausgefüllt. Jonathan Frakes etwa mag alt geworden sein, aber er strahlt noch viel vom früheren Commander Will Riker aus, ohne dabei Stillstand zu suggerieren. Im Gegenteil; seiner Beziehung zu Picard gelingt das Kunststück, gleichzeitig altbekannten Respekt als auch weiterentwickelte Freundschaft zu transportieren. Und er lässt bei seinen Vier-Augen-Gesprächen mit Picard ganz unauffällig auch ein Hintertürchen für eine mögliche Rückkehr offen (vergleiche Denkwürdige Zitate).



Marina Sirtis steht dem in Nichts nach ("Wir bleiben Troi!"). Es fällt schwer, in der Art und Weise, in der Deanna Troi noch immer semi-erfolgreich den Tod ihres Sohnes verarbeitet, auch ein Stück weit an den Tod von Marina Sirtis' Ehemann Michael Lamper denken zu müssen. Vor allem aber bildet ihr Auftritt einen der am besten eingesetzten Auftritte eines Counselors in Star Trek – einer Rolle, die selbst in TNG oft genug nicht einmal von den eigenen Autoren verstanden wurde. Hier aber nutzt sie der allgemeinen Handlung und der Vermittlung des Traumas, das Soji in den letzten Tagen erfahren haben muss.
Doch auch wenn Picard, Riker, Troi und auch Soji lange Schatten werfen mögen, so werden sie doch allesamt von der wunderbaren Lulu Wilson an die Wand gespielt. Kestra mag ein wenig auf den Spuren Wesley Crushers wandeln und ihre Augen ziemlich weit aufreißen können, aber sie bringt nicht nur fast so etwas wie den verloren geglaubten Familien-Show-Charakter Star Treks wieder, sondern schafft es getreu dem Motto "Kindermund tut Wahrheit kund" auf spielerische Weise Soji aus ihrer Lethargie zu befreien. Direkt schade, dass von ihr so schnell nichts mehr zu sehen sein dürfte, auch wenn sie das vor dem Wesley-Fluch bewahren könnte.
Evan Evagora hat  - obwohl Elnor mittlerweile allein sein Unwesen auf dem Artefakt treiben darf – noch immer keine wirklich großen Möglichkeiten, sich zu präsentieren und muss gar die erste Niederlage seiner noch jungen Ninja-Nonnen-Karriere einstecken.
Tatsächlich blieb eine seiner denkwürdigeren Szenen vor allem deshalb in Erinnerung, weil sie ausgerechnet der bislang recht eindimensionalen Narissa Rizzo etwas mehr Möglichkeiten zu Entfaltung bot. In der Tat hilft Peyton List die Darstellung expliziter Gewalt, ruchloser Hinrichtungen und tückischer Hinterlist, ihrer vormals eher belanglosen Rolle etwas mehr Glamour zu verleihen. Sie beendet gar das Leben des Publikumslieblings Hugh und schafft es auf diese Weise, weitere Antipathien beim Zuschauer hervorzurufen (was für einen guten Darsteller einem Ritterschlag gleichkommt). Andererseits bleibt festzuhalten, dass die Autoren es bislang ohnehin versäumt haben, für Jonathan Del Arcos Rolle große Entwicklungen herbeizurufen, seine Position an Bord des Kubus' mit viel Inhalt zu füllen oder Hugh abseits von einem Zugang Picards zum Artefakt mit sonderlich viel Nutzen für die Handlung zu versehen. Es mutete beinahe logisch an, ihn als Bauernopfer zum Wohle des Schockmoments zu opfern.
Dennoch bleibt mein persönlicher Lieblingscharakter ein anderer.
Der frühere Sternenflotten-Captain Rupert Crandall wirkt nicht nur wie so eine Art Obi-wan Kenobi von Nepenthe, sondern führt auch die Star-Trek-Tradition eines Charakters fort, die zwar Erwähnung findet, aber nie wirklich zu sehen ist (wie etwa der Chefkoch der Enterprise NX-01, der Gallamit Boday oder Vilix'pran an Bord von Deep Space 9).



Kritikwürdige Aspekte.

Uneinheitliches Strickmuster.
Kann sich noch jemand an die Zeit erinnern, als sich "Discovery" anschickte, Star Treks "Game of Thrones" zu werden?
Zumindest in einem zentralen Aspekt: Reihenweise starben größere und kleinere Charaktere wie Georgiou, Connor, Culber, Conolly, Lorca, Cornwell oder Airiam.
"Star Trek: Picard" steht dem mittlerweile in nichts mehr nach und hat sogar mehr Hochkaräter auf seiner Abschussliste zu bieten als sein Vorgänger. Auf der Mattscheibe konnte man in den bisherigen sieben Folgen bereits Dahj, Maddox, Icheb und nun auch Hugh bei ihren zum Teil recht drastisch inszenierten Toden zusehen. Von einigen Nebencharakteren (z.B. Dahjs xaheanischem Freund, Bjayzl, Mr. Vup oder dem romulanischen Senator Tenqem Adrev) und gesichtslosen Opfern wie den 90.000 Opfern des Angriffs auf den Mars, dem früheren Captain der ibn Majid oder mit der aktuellen Folge auch dem Sohn der Rikers sei an dieser nur am Rande und der Vollständigkeit halber die Rede.
Regisseur Doug Aarniokoski, der bereits bei "Discovery" hinlänglich Star-Trek-Erfahrungen sammeln konnte und einen der besten Short Treks beaufsichtigte, hatte aber auch keine allzu leichte Aufgabe.
Abermals galt es, eine ungewöhnlich lange Folge zusammenzuschustern, die – um die Sache weiter zu verkomplizieren - auf drei verschiedene Handlungsorte verteilt wurde: dem Borg-Kubus, der La Sirena und dem Planeten Nepenthe.
Herausgekommen ist am Ende eine eher unausgewogene Folge in drei sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten, drei unabhängigen Handlungen und drei in ihrer Erzähltiefe qualitativ sehr voneinander abweichenden Einzelteilen, die nicht unbedingt miteinander harmonieren.
Als wäre das nicht schon Makel genug, wird sich ihr Wert vor allem Neu-Fans, Seiteneinsteigern und mit der Materie nur oberflächlich vertrauten Zuschauern nicht unbedingt erschließen.
Während die Handlungsstränge auf dem Borgkubus und der La Sirena nicht völlig ohne Reiz sind, fehlt ihnen dennoch die inhaltliche Dimension jener Szenen, die auf Nepenthe spielen. Ganz generell bleibt vorab vielleicht festzuhalten, dass man sich ihrem Zauber als alter Star-Trek-Hase, der mit TNG aufgewachsen ist, ohnehin nicht entziehen kann, während einem unbescholtenen Neuling die gesamte Anlage dieser Einstellungen fraglos zumindest eine Reihe von Fragezeichen in die Gesichtszüge treiben dürfte. Aber abseits der bislang ausgedehntesten Wanderung auf dem Nostalgie-Pfad wartet wieder einmal ein dichter Urwald aus besonders symbolhaften Motiven auf den Zuschauer. Das geschickte Spiel mit Begriffen wie "Realitäten", "Heimat" und "Vertrauen" erinnert in bester Weise an TNG, auch wenn die Zeiten sich für altgediente Charaktere wie Picard, Riker und für moderne Fernsehserien drastisch geändert haben, was die beiden bei einem ausgedehnten Spaziergang im Unterholz der Metaebene für den Zuschauer leicht abstrahierbar feststellen:

Riker: "Und, wie ist sie so, ihre neue Crew?"
Picard: "Also, ich würde sagen sie sind wild zusammengewürfelt. Seit wir den Orbit der Erde verlassen haben, war ununterbrochen Drama und soweit ich weiß, hat sich das in den letzten Tagen nicht geändert. Die schleppen deutlich mehr Probleme mit sich herum als ich das von Ihnen früher gewohnt war. Aber na ja, ich hab gut reden..."

Doch neben derlei cleveren Seitenhieben bleibt schlichtweg festzuhalten, wie geschickt der Auftritt der Familie Troi-Riker in das allgemeine Geschehen eingebettet wurde. Nicht nur, dass sie die Handlung mit einem improvisierten Bereitschaftsraum-Meeting bei Hornhasenwurst-Pizza vorantreiben; sie bieten darüber hinaus auch eine erstaunlich detaillierte Hintergrundgeschichte, die nicht nur anrührend ist, sondern auch sie zu Opfern des Banns auf synthetische Lebensformen macht. Sie zeigen mit ihrer Familienbiografie einen weiteren Schatten im vermeintlichen Föderations-Paradies auf, der die Familie zwar in Mark und Bein trifft, aber wie Picard auch nicht ihre Werte verlieren lässt.
Abseits der eher bedächtigen Entwicklungen auf Nepenthe überschlagen sich die Ereignisse nahezu auf dem Artefakt und der La Sirena.
Hier bleibt die vielleicht wichtigste Entwicklung, dass die hastig zusammengewürfelte Crew endlich zusammenwächst.



Doch nach den so haarklein ausgefeilten Konflikten, Dramen und Antipathien wirkt dies – vor allem in Hinblick auf das Staffelfinale in unmittelbarer Sichtweite – etwas arg überhastet. Als hätte jemand einen Knopf gedrückt ringen sich alle Beteiligten so etwas wie Respekt voreinander ab, obwohl sie noch in den letzten beiden Episoden ihre Wehwehchen, Eitelkeiten und persönlichen Abgründe ausgiebig vor den neugierigen Augen der Zuschauer spazieren geführt haben. Nun aber essen sie plötzlich Red-Velvet-Cake miteinander, wollen nicht, dass sich jemand verletzt und sind sogar bereit, ihr Leben für Leute zu opfern, die sie erst vor knapp drei Wochen kennengelernt haben.
Da hilft es nicht unbedingt sonderlich, dass in einer Folge, die bereits mit einem Prolog beginnt, den sich der aufmerksame Zuschauer zumindest in ähnlicher Form längst selbst zusammengereimt hat, viele Entwicklungen recht vorhersehbar blieben – nicht zuletzt, weil sie in ähnlicher Form schon gefühlte tausend Mal in anderen Serien und Filmen zu sehen waren.
Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die böse Zhat-Vash-Agentin bei ihrem Angebot, das Ganze in einem 'fairen Zweikampf' auszutragen, Hintergedanken haben könnte?
Oder dass die Romulaner mit der Freilassung der La Sirena einen heimtückischen Plan zur Überwachung des Reiseziels des Schiffes verfolgen würden?
Und wer hätte jemals erlebt, dass ein vermeintlicher Agent Zweifel an der moralischen Auswirkungen seiner Mission haben könnte und vom Saulus zum Paulus wird?
Nun, gerade im letzten Fall hätten wir allein bei Star Trek Namen wie T'Pol, Ro Laren, Weyoun 6, Benteen, Lon Suder oder Ash Tyler zu bieten, die aus Gründen der Übersichtlichkeit nur eine beschränkte Auswahl darstellen.
Und auch wenn Aarniokoski eine zittrige Hand beim Festhalten der Kamera beweist, die Finger nicht von den Lense Flares lassen kann und sogar die Salto-Aufnahmen zurückbringt, schafft er doch ein Novum in der noch jungen Serie, dass an dieser Stelle einmal ausgiebig gewürdigt werden soll:
"Nepenthe" endet erstmals nicht mit einem direkten Cliffhanger, sondern allen dramatischen Entwicklungen der Folge zum Trotz mit einem unaufgeregten Abschluss der abermals eher an TNG erinnert - und das nicht nur in musikalischer Hinsicht.



Kanonbrüche und Logiklöcher.
Nein, diese Folge hat sich zuerst einmal ein weiteres Lob für den Umgang mit dem offiziellen Kanon verdient, denn es gibt Referenzen quer durch den Gemüsegarten Star Treks.
Die Kzinti verweisen auf die Trickfilmserie der Siebziger, der See erinnert stark an das Holodeck-Gewässer in dem Jake mit seinem Vater Benjamin Sisko zu Beginn des DS9-Pilotfilms angeln, der Name 'Thaddeus' ist laut der Voyager-Episode "Todessehnsucht" in ähnlicher Form der eines Vorfahren Rikers aus dem us-amerikanischen Bürgerkrieg, die Erwähnung eines Gormagandern schlägt eine Brücke zu "Discovery" und einen so fiesen wie tödlichen Silikon-Virus gab es schon in der Enterprise-Episode "Beobachtungseffekt".
Aber wenn die Handlung schon so sehr in Richtung TNG ausschlägt, liegt es natürlich in der Natur der Dinge, auch diese Serie besonders häufig mit Querverweisen zu bedenken. So verweist Picard mit Anspielungen auf sein künstliches Herz auf "Das Herz eines Captains" und Kestras Name geht auf "Ort der Finsternis" zurück. Will Rikers Vorliebe für's Kochen ("Die Zukunft schweigt") und Jazz ("11001001") werden genauso erwähnt wie der erstmals im TNG-Pilotfilm "Der Mächtige" benutzte Ausdruck 'Imzadi'.
Dazu wird viel auf Data hingewiesen: Sein Violinenspiel, seine Vorliebe für Sherlock Holmes ("Sherlock Data Holmes"), seine Fähigkeit Stahl zu biegen ("Wem gehört Data?") oder seine Tanzstunden auf dem Holodeck ("Datas Tag").
Von all diesen Referenzen abgesehen fand ich es sehr angenehm, dass sich die La Sirena zu keinem Versteckspiel in irgendwelchen Asteroiden hinreißen lässt wie in Star Wars, sondern die Tücken des Lichtgeschwindigkeitsfluges nutzt, um einem Verfolger zu entkommen.
Während die Episode wieder einmal unter Beweis stellt, dass dem Kanon in "Picard" ein höherer Stellenwert zukommt als etwa in "Discovery", gibt es noch immer eine Reihe von inhaltlichen Unstimmigkeiten.
So wirkt die Auslassung zur Gefangennahme Hughs in Hinblick auf die Folgenlänge zumindest verwunderlich (auch wenn sie letztendlich wahrscheinlich den Kürzungsforderungen zum Opfer gefallen sein dürfte).
Man kann außerdem von Glück reden, dass das Borg-Stargate Soji und Picard direkt vor die Haustür der Rikers bringt und nicht irgendwo anders auf dem Planeten Nepenthe. Aber vielleicht war das ein ähnlich großer Zufall wie der Umstand, dass Elnor beim Krabbeln durch die Eingeweide des Artefakts das Fenris-Notsignal just in dem Moment findet, wo er einen ehemaligen Borg zum Aktivieren des Portals benötigt.



Die Sensoren der Sirena scheinen auch nicht besonders leistungsfähig zu sein, wenn die Sensoren kaum in der Lage sind ein Schiff zu orten, das sich - wie in den Außenaufnahmen deutlich erkennbar - in unmittelbarer Sichtweite befindet.
Und was treibt eigentlich die Sternenflotte den lieben langen Tag?
Wieder einmal glänzen die Schiffe der Organisation mit Abwesenheit und die Einfälle der Kzinti auf einer Föderationskolonie lässt abermals Zweifel an ihrer Handlungsfähigkeit aufkommen.
Ein wenig mehr Aufmerksamkeit wäre ferner von Nöten gewesen, als Picard den ehemaligen Captain der USS Titan spontan zum Commander degradiert (vergleiche Denkwürdige Zitate), auch wenn man nicht zuletzt deshalb damit gut leben kann, weil dieser Fehler das fortschreitende Alter des Admirals im Ruhestand weiter unterstreicht.
Viel mehr stört der schiefe Rankpin Commodore Ohs, vor allem, weil er in den ersten Einstellungen noch tadellos gerade saß.
Und vielleicht (nur vielleicht!) war es erzähltechnisch nicht unbedingt der ausgefallenste Zug, Deanna mit dem gleichen Schicksal zu konfrontieren, wie dereinst ihre Mutter. Beide mussten den Tod ihres erstgeborenen Kindes hinnehmen und als wäre das nicht schon heikel genug, hätte man dem hartnäckige Silikonvirus auch noch ausgerechnet mit positronischer Technologie beikommen können.
Aber wäre das alles, so gäbe es kaum etwas zu meckern.
Doch gerade die Geschichte um den verstorbenen Sohn seiner früheren Offiziere und engen Freunde wirft abermals ein schlechtes Licht auf Jean-Luc Picard, denn seine langjährige Isolation in La Barre macht noch weniger Sinn wenn man sich vor Augen führt, dass er nicht nur das Leid der Romulaner, die Geschehnisse um den Borg-Kubus, das Schicksal des Waisen Elnors und die Leidenszeit Raffi Musikers bewusst ignoriert hat, sondern auch dem Tod Thads derart gleichgültig gegenüberstand. Diese erzählerische Lücke ist bislang der größte Makel an der Serie, denn er wurde bislang nicht im Ansatz mit einer Erklärung bedacht.



Synchronisation.
Während das amerikanische Original das Land ob seiner zum Teil sehr obszönen Sprache zweiteilt, bleibt die deutsche Fassung vergleichsweise dezent davon betroffen, nicht zuletzt, weil sich das Deutsche als Sprache einfach nicht so recht zum gepflegten Fluchen eignet. In unseren Breiten sind "Scheiße" und "Rotz" schon die schlimmsten Ausdrücke, die man hören kann.
Aber natürlich ist die deutsche Tonspur keineswegs frei von Fehlern, vor allem wenn es um das leidige Thema Siezen und Duzen geht.
Während sich die gesamte Crew der La Sirena munter mit der zweiten Person Singular anredet, geht es bei den Rikers ungleich gesitteter zu, obwohl sich die Beteiligten gar schon fünfunddreißig Jahre kennen und längst die Fesseln des Rangs abgeschüttelt haben, um ihre Beziehung in eine innige Freundschaft entwickelt haben. Das hier am Siezen festgehalten wurde ist schlichtweg unnachvollziehbar, vor allem, wenn sich die alten Kameraden dazu mit Vornamen anreden.
Zudem bleibt es dabei: Wo gehobelt wird, fallen Späne.
In der deutschen Folge erfährt der Zuschauer nicht, welchen Kuchen Jurati gegessen hat. Und das Wort 'bunnicorn' ist eigentlich zu schön um überhaupt übersetzt zu werden (und mit 'Hornhase' nur entsprechend mäßig gelungen).
Und eine der beiden liebevollen Bezüge auf die Bill-Murray-Komödie "Was ist mit Bob?" (eng. "What About Bob?") geht nicht zuletzt deshalb verloren, weil man sich in der Ton-Regie für die Redewendung "Schritt für Schritt" entschieden hat, statt das englische "baby steps" mit "Babyschritte" zu übersetzen.
Das ist zwar etwas schade, aber durchaus nachvollziehbar.



Verschwörungstherorien.
Im Folgenden sollte nur weitergelesen werden, wenn man bereit ist, sich die Überraschung verderben zu lassen, denn an dieser Stelle folgen einige Überlegungen zu möglichen Richtungen, in die sich die Serie bewegen wird.
Also: Absolute Spoilerwarnung!
Wenn die Eingangsszene der Folge irgendetwas Neues mit sich gebracht hat, dann, dass Oh tatsächlich eine Vulkanierin ist. Zweifellos bleibt die Sonnenbrille nicht minder unsinnig wie beim ersten Mal, doch die Einblickschnipsel, die wir dank der Gedankenverschmelzung erhielten, lassen die Sicherheitsbeauftragte der Sternenflotte in einem neuen Licht erscheinen.
Diese Art Einblick kann sie nämlich eigentlich nur vermitteln, wenn sie es selbst erlebt hat.
Um aber etwas erlebt zu haben, was in der Zukunft geschehen wird, muss man logischerweise selbst Teil dieser Zukunft sein, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Oh kein Android und kein Romulaner ist, sondern á la Terminator aus der Zukunft kommt, um eine Zerstörung der Menschheit durch künstliche Intelligenz zu verhindern.
Das Problem an den Flashbacks bleibt allerdings, dass sie nur kurze Bilder aus dieser Zukunft liefern, von denen einige eins zu eins in dieser Form aus der zweiten Staffel "Discovery" geklaut sind.
Die Frage die sich nun stellt ist jene, ob mit diesem Horror-Zukunftsszenario, das Jurati immerhin dazu treibt, ihren ehemaligen Geliebten zu ermorden, auf eine absichtliche Verbindung zu Control basiert, oder ob Kostengründe hier eine recht generische Zerstörungsszene entleihen ließen, um sie nicht noch einmal drehen zu müssen…



Fazit.
"Nepenthe" ist wie eine Packung Color-Rado von Haribo:
Auch wenn es eine Vielzahl schmackhafter Leckereinen enthält, beinhaltet jede Packung auch immer einige Naschereien, die man nicht mag. Die einen werden sich über die Nostalgie-Momente und über das gemächliche Tempo freuen, während anderen jene Erzählstränge zu kurz kommen, die die Handlung entscheidend vorantreiben, zu viele liebgewonnene Charaktere sterben oder die Logiklöcher zu groß sind.
Irgendetwas Ansprechendes wird aber jeder finden; egal ob die Leistungen von Schauspielern wie Lulu Wilson, das rasche Zusammenwachsen der Crew oder die geschickt platzierten Kanonbezüge.

Bewertung.
Irgendwo zwischen Zuckerhimbeere und Lakritzdragee.






Schluss.

Vielleicht mag der ein oder andere Neueinsteiger mit Verwirrung auf Deanna Troi und William T. Riker reagiert haben, aber ich ganz persönlich habe mehr erhalten, als ich erhofft habe. Nicht nur, dass der Moment an Nostalgie nicht zu übertreffen war; darüber hinaus fiel der gemeinsame Auftritt der TNG-Veteranen deutlich umfangreicher aus, als selbst die Trailer es suggeriert haben.
Und doch bleibt ein Wehrmutstropfen, wie wohl nur die ärgsten aller Fans ihn sehen können.
Als jemand, den stets die Sehnsucht nach weiteren Star-Trek-Geschichten erfüllte, habe auch ich mich den vielen Büchern - darunter auch der Titan-Reihe - zugewandt, zumal sie einige tolle Entwicklungen beschrieb.
Zum Beispiel, dass Deanna Troi und William Riker ein Kind haben würden, dass wie in der Folge beschrieben auf Schiffen großwerden würde, anstatt einen Heimatplaneten benennen zu können.
Doof nur, dass es sich in den Büchern um eine Tochter handelte.
So mischt sich in meine Freude über den Auftritt der beiden auch ein wenig Wehmut darüber, wie achtlos die Franchise immer wieder mit dem eigenen Bücheruniversum umgeht, obwohl mittlerweile mit Kirsten Beyer eine ehemalige Buchautorin in die Serie involviert ist.
Denn auch wenn es sich in den Titan-Romanen um eine Tochter handelte:
Ihr Name Natasha hätte bei den Fans nicht weniger für Begeisterungsstürme gesorgt...



Denkwürdige Zitate.

"Du bist dafür verantwortlich!"
"Bitte was? Was hab ich damit zu tun?"
"'Cris, er ist ein alter Mann - er kommt nicht weit...' und jetzt ist Picard zu einem Planeten unterwegs, der mehrere Tage bei Maximum-Warp entfernt ist! Er weiß warum und ich häng an einem Traktorstrahl eines Borg-Kubus' voller Romulaner!"
Christóbal Rios und Raffi Musiker

"Hermano, wir müssen los!"
"Gehen Sie ohne mich. Das wird nicht nochmal geschehen. meine Hilfe wird hier gebraucht."
"Wir meinen alle, dass Du irre bist...
"
"... und mutig..."
"... und mutig. Adios, Kleiner."
Rios, Elnor und Dr. Agnes Jurati

"Ich glaube niemandem."
Soji

"Ich würde nicht auf Dich schießen; ich bin Pazifistin. Aber ich könnte es."
Kestra Troi-Riker

"Und wer sind diese Leute?"
"Wir waren... wir sind alte Freunde."
Soji und Jean-Luc Picard

"Sie stecken in Schwierigkeiten. Wie schlimm ist es?"
"Schlimm genug."
Deanna Troi und Jean-Luc Picard

"Als Sie damals nach Romulus geflogen sind, für die große Supernova-Rettung, erinern Sie sich an meine Worte?"
"Wollen Sie die Romulaner wirklich für den Rest ihres gesamten Lebens am Hals haben?"
"Ganz genau! Und wie war das noch gleich mit Newtons viertem Satz der Thermodynamik."
"Jede gute Tat rächt sich automatisch."
"Genau!"
William Riker und Jean-Luc Picard

"Als ich die Erde verlassen habe. hatte ich einen Plan, ein Schiff und sogar eine Crew - sozusagen. Jetzt hab ich alles verloren. Mein Plan war am Ende nur, na ja, ein halber, wenn's hochkommt und das Mädchen schwebt immer noch in Lebensgefahr."
"Vielleicht brauchen Sie einen neuen Plan..."
Picard und Riker

"Bleiben Sie solange sie wollen. Wieso ist egal. Wir kriegen das hin."
Riker zu Picard

"Okay, aber Du hast Blut und Spucke?"
"Auch das."
"Und Rotz?"
"Ja, ich habe Rotz."
"Data hatte keinen Rotz..."
Kestra und Soji

"Warum würde Data einen Adroiden mut Rotz und Spucke erschaffen wollen?"
"Weißt Du er hat immer versucht menschlicher zu sein. Er konnte zwar all diese fantastischen Dinge, aber was er jemals wirklich wollte war Träume zu haben und Witze zu erzählen udn zu lernen wie man richtig tanzt."
Soji und Kestra

"Nein, bitte nicht weinen! Ich finde Dich wunderbar!"
"Weil ich Rotz habe?"
"Und weil Du drei Jahre alt bist und ich Dich jetzt herumkommandieren darf."
Kestra und Soji

"Ich bin nicht mehr sotapfer wie früher, Jean-Luc."
"Dann werden Sie langsam weise."
Picard und Troi

"Du machst jetzt erst mal einen Spaziergang mit Tante Raffi; sie wird Dir alles geben was Du brauchst. Okay?"
"Auch Kuchen?"
"Auf jeden Fall Kuchen!"
Raffi und Jurati

"Ich habe mit Commander Riker zusammen auf der USS Enterprise gedient."
"Und Sie waren der beste Captain aller Zeiten, wie ich gehört hab."
"Der beste Captain aller Zeiten? Wo hast Du das denn her?"
"Na von Dir!"
"Von mir? Da muss ich betrunken gewesen sein!"
Picard, Soji, Riker und Kestra

"Nicht übel... für einen Pizzabäcker."
Picard

"Sie merken also, Soji, nicht immer ist 'echt' auch automatisch 'besser'."
Troi

"So etwas sollte sich ein Schiffscounselor lieber verkneifen, aber: Sie haben es verdient."
Troi

"Was Sie sein mssen, ist Jean-Luc Picard: Mitfühlend. Geduldig. Neugierig."
Troi




"Wenigstens war ich für einen Moment wirklich wieder ein hoffnungsvoller Narr. Danke dafür."
Hughs letzte Worte

"Ich hatte noch eine Idee, wie wir diesen Kerl fidnen können, aber die wird Dir wahrscheinlich nicht gefallen."
"Wieso? Musst Du mich dafür aus 'ner Luftschleuse schießen?"
"Das wil ich nicht hoffen..."
Rios und Raffi

"Hat es Sie nie wieder zu den Sternen gezogen?"
"Na ja, ich gehöre noch zur aktiven Reserve, aber es müsste schon wirklich gute Gründe dafür geben."
Picard und Riker

"Jean-Luc, Sie haben mehr als einen angemessenen Anteil an der Rettung der Welt geleistet und niemand nimmt es Ihnen übel, wenn sie einfach zu hause bleiben und andere Menschen die Galaxis kümmern lassen würden, insbesondere vor dem Hintergrund Ihrer Verfassung. Ich meine, niemand außer mir natürlich; ich hab nie gedacht dass Sie überhaupt in Rente hätten gehen dürfen."
"Und Sie hatten Recht..."
Riker und Picard

"Danke, Wil."
"Wofür?"
"Oh, für so vieles. Aber heute dafür, dass Sie nicht versucht haben, mir das alles auszureden."
"Das hätte eh keinen Zweck... Das, mein Freund, war schon immer ein hoffnungsloses Unterfangen."
Picard und Riker

Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Gedenken"
02. Rezension zu "Karten und Legenden"
03. Rezension zu "Das Ende ist der Anfang"
04. Rezension zu "Unbedingte Offenheit"
05. Rezension zu "Keine Gnade"
06. Rezension zu "Die geheimnisvolle Box"
07. Rezension zu "Nepenthe"
08. Rezension zu "Bruchstücke"
09. Rezension zu "Et in Arcadia Ego, Teil Eins"
10. Rezension zu "Et In Arcadia Ego, Teil Zwei"