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Donnerstag, 26. November 2020

Turons Senf zu "Much Ado About Boimler" [LD. S1Nr07]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Much Ado About Boimler", die siebente Folge der ersten Staffel von "Star Trek: Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
Es ist erstaunlich, wie zielsicher sich die noch junge Serie "Lower Decks" der gängigsten Erzähltraditionen Star Treks annimmt, um ihnen einen völlig neuen Anstrich zu verleihen.
Die Geschwindigkeit, mit der Sternenflotteningenieure ihr Schiff vor einer Bedrohung retten?
Wurde ausgiebig in der dritten Episode behandelt!
Die zahlreichen Doppelgänger, derer sich schon Kirk, Picard oder Janeway erwehren mussten?
Darum drehte sich der größte Teil der fünften Folge!
Hologramme laufen auf dem Holodeck Amok?
Hatten wir erst in der letzten Woche!
Immer wieder überraschen die Autoren mit einer völlig neuen Herangehensweise an wohlbekannte Folgenmuster und fügen dem einen munteren Mix aus Humor und Kanonreferenzen hinzu. Man fragt sich daher jede Woche aufs Neue, mit welchem neuen, alten Erzählgegenstand die "Lower Decks" nun aufwarten werden und auf welche Weise sie dieses Mal den Staub aufwirbeln werden, der sich auf diesen ausgetretenen Themen angesammelt hat.


Story.
Während Captain Carol Freeman, ihr erster Offizier Jack Ransom und der Sicherheitschef Shaxs auf einer geheimen Mission weilen, befehligt ein neuer Captain aushilfsweise die USS Cerritos. Während sich Fähnrich Beckett Mariner anfangs nur mäßig begeistert zeigt, will ihr Schiffskamerad Bradward Boimler die Gelegenheit nutzen, um beim neuen Vorgesetzten Eindruck zu schinden. Doch sein Plan scheitert spektakulär, denn im Zuge eines Transporterunfalls gerät er außer Phase wird der mysteriösen Sternenflottenabteilung Division 14 übergeben, die an seiner Regenerierung arbeiten soll. Aber auch für Mariner wendet sich das Blatt, denn der neue Captain ist eine alte Bekannte, die sie ohne langes Federlesen zu ihrem ersten Offizier macht. Doch die Beziehung zwischen den beiden Akademiefreundinnen bekommt erste Risse, als Mariner scheinbar absichtlich beginnt, ihre Mission zu sabotieren…


Lobenswerte Aspekte.

Kanonfutter.
Nach sieben Folgen weiß man als Zuschauer längst, dass auch diese Woche ein Potpourri aus Referenzen kredenzt wird. So hören wir von der Zeitreisepolizei (gemeint ist natürlich die Föderationsbehörde für temporale Ermittlungen), die Bezeichnung Nummer Eins, die Borg, vulkanisches Jujitsu (gemeint ist wohl eher Suus Mahna), "Rascals", Delta-Strahlung und das traditionelle Thema der Meuterei.
Auf die Augen gibt es hingegen durch den ersten Rigelianer seit "Star Trek: Enterprise", eine Gorn-Puppe im Trophäen-Regal von Captain Freeman, eine Uniform aus dem achten Kinofilm, mehrere Strahlungsopfer im klassischen Pike-Rollstuhl und ein "Schwellen"-Lurch namens Anthony. Darüber hinaus erinnert 'die Farm' stark an ein TOS-Mattepainting und das Weltraumwesen im Bauch der Rubidoux lässt an ein recht ähnliches Geschöpf in "Mission Farpoint" denken.
Erstmals schlägt die Serie darüber hinaus auch einige offensichtliche Brücken in die Star-Trek-Neuinterpretation J.J. Abrams! Neben den Geräuschen des startenden Shuttles sieht man Samanthan Rutherford zum Transporterraum rennen, wie es einst die alternative Variante Pavel Chekovs im elften Kinofilm tat.
Daneben feiert auch der Zeichentrickvorgänger TAS durch den ersten Auftritt eines Edosianers seit den Siebzigern eine respektvolle Würdigung (die mit dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sogar einen interessanten Gegenwartsbezug zu bieten hat).
Einen Querbezug aber gilt es mehr als jeden anderen herauszukehren: Der Aushilfscaptain, der wegen einer geheimen Mission des eigentlichen Kommandeurs einspringt, verweist ganz offensichtlich auf den TNG-Zweiteiler "Geheime Mission auf Celtris III"; zumal Beckett Mariner sogar explizit auf Edward Jellico verweist.
Schließlich aber bleibt sich die Serie darin treu, altbekannte Inhalte neu zu verpacken. Nachdem Transporterunfälle bereits in zahlreichen Episoden wie "Kirk:2=?", "Ein Paralleluniversum", "Todesangst beim Beamen", "Erwachsene Kinder", "Riker:2=?", "Gefangen in der Vergangenheit", "Tuvix" oder "Daedalus" scheinbar schon alle Facetten dieses Topos' behandelt zu haben schien, schafft es "Lower Decks" abermals, mit einem frischen und innovativen Ansatz das direkte Gegenteil unter Beweis zu stellen.


Vorbild durch gutes Beispiel.
Wobei der abermals starke Umgang mit dem offiziellen Kanon nicht der einzig lobenswerte Aspekt dieser Serie bleibt. "Much Ado About Boimler" ist alles in allem eine sehr flüssige Folge mit zwei sehr guten Handlungen die mal wieder staunen lässt, was alles in zwanzig Minuten Episodenlänge untergebracht werden kann, wenn man sich denn wirklich Mühe gibt. Daneben unterstützt sie die Entwicklung dreier ihrer Hauptcharaktere: Sie spinnt das Mysterium um den niedrigen Dienstrang Mariner weiter fort, zementiert Boimlers Hang zum Pechvogeldasein und etabliert D'Vana Tendis sympathische Naivität ebenso wie ihre Fähigkeiten. Allein Rutherford bleibt auf die Bedienung von Transportern beschränkt.
Im Angesicht dieser Lobeshymnen sollte aber auch keineswegs unter den Teppich gekehrt werden, dass "Lower Decks" sich zwar großzügig beim Kanon bedient, aber ihn auch auf ganz besondere Weise bereichert.
Etwa um den unpopulären Status einer Sumpfwelt, die im Vergleich zu anderen Welten noch trostloser erscheint – selbst wenn deren Bewohner an riesige Axolotl erinnern. Wir lernen, dass auch Matschhosen zur Sternenflottenausrüstung gehören und dass es Captains wie Dayton gibt, die nicht unbedingt die Autorität eines Kirks, Picard oder einer Janeway ausstrahlen.
Vor allem aber gelingt der Episode mit der Einführung der Division 14 und deren als "die Farm" bekannten Basis auf Endicronimas V eine logische Behörde zu etablieren, die in Hinblick auf die vielen Gefahren, die im Weltall auf Sternenflottenoffiziere lauern, durchaus Sinn ergibt. Vor allem aber möchte ich mir gar nicht ausmalen, wie viel Geduld es die Autoren gekostet haben mag, den Star-Trek-Kult-Satz "Beam Me Up" endlich mit dem Nachnamen Bradward Boimlers in Verbindung zu bringen!
Und schließlich sind abermals grandiose Sprecher verpflichtet worden, die den ohnehin bereits verdienstvollen Stimmen der "Lower Decks" zusätzliche Verstärkung verschaffen. Unter den (englischsprachigen) Gaststars sind insbesondere Toks Olagundoye als Captain Amina Ramsay und Maurice LaMarche zu erwähnen. Während erstere vor allem als Schauspielerin (z.B. als Hayley Shipton in der achten Staffel von "Castle") auf sich aufmerksam machen konnte, ist LaMarche im anglophonen Sprachraum als Stimme von Ghostbuster Egon Spengler, Inspector Gadget, Kif Kroker, Calculon, Disenchantments Odval oder der Laborratte Brain bekannt.


Kritikwürdige Aspekte.

Logiklöcher und Kanonbrüche.
Da gibt es nicht viel zu meckern!
Klar könnte ich an dieser Stelle ausführen, dass die Registrierungsnummer der USS Rubidoux für ein Schiff der California-Klasse erstaunlich niedrig ausgefallen ist. Oder dass Boimlers folgenlanges Martyrium ein wenig verwunderlich erscheint, wenn man bedenkt, dass Mariner und Ramsey am Folgenende erstaunlich zügig von den Auswirkungen der Transporterfehlfunktion befreit sind.
Außerdem wirken die eigentlichen Führungsoffiziere der USS Cerritos deutlich blasser als das bei ihren Pendants in "Geheime Mission auf Celtris III" der Fall war, wodurch der Querbezug zu dieser Folge auch ein wenig geschmälert wird.
Aber das ist auch schon Meckern auf verdammt hohem Niveau…


Fazit.
"Much Ado About Boimler" brilliert in einer weiteren Neuinterpretation eines vermeintlich zu Tode erzählten Star-Trek-Themas und schafft es daneben in nur zwanzig Minuten Sendezeit zwei Handlungen durchzupeitschen, die nicht nur die Entwicklung des größten Teils der Charaktere vorantreibt, sondern darüber hinaus auch hohen Unterhaltungsfaktor mit Kanonnährwert bietet. Die wenigen, kleineren Unzulänglichkeiten (wenig Raum für Rutherford und die Führungsoffiziere der Cerritos sowie unbedeutende Kanonunstimmigkeiten) sind vernachlässigungswürdig.

Bewertung.
Eine Sternstunde der "Lower Decks".







Schluss.
Während diese Woche also das reichhaltige Sujet der Transporterunfälle ausgiebig abgegrast wurde, bleibt an dieser Stelle – abseits davon, verdienten Applaus zu spenden – weitere klassische Themen vorzuschlagen, mit denen sie die USS Cerritos in Zukunft herumschlagen können.
Wie wäre es zum Beispiel mit einer Zeitreise in die Erdgeschichte?
Folgen und Filme wie "Griff in die Geschichte", "Gestern ist Morgen", "Ein Planet genannt Erde", "Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart", "Star Trek: Der erste Kontakt", "Gefahr aus dem 19. Jahrhundert", "Gefangen in der Vergangenheit", "Kleine grüne Männchen", "Vom Ende der Zukunft", "Carpenter Street" oder "Sturmfront" haben die Grundlagen dafür bereits gelegt und mit ihrer bloßen Existenz bereits genügend Vorlagen hinterlassen, die seit Jahrzehnten ungenutzt im Raum schweben.
Oder wie wäre es, eine der vielen Erdenkolonien zu finden, die bereits vor dem Erstkontakt zwischen Menschen und Vulkaniern auf unterschiedlichste Weise ihre Heimat verlassen haben?
So etwas gab es ähnlich häufig in Episoden wie "Der Obelisk", "Die 37er", "Herkunft aus der Ferne", "Faustrecht" oder "New Eden" (vom ähnlichen Thema bei "Ich heiße Nomad", "Star Trek: Der Film", "Die Neutrale Zone", "Hotel Royale", "Ein kleiner Schritt" oder "Friendship One" ganz zu schweigen!)
Oder man lässt durch den extensiven Auftritt eines wohlbekannten Charakters aus einer anderen Star-Trek-Serie die gesamte Folge bestimmen, wie es etwa bereits mit illustren Charakteren wie Khan Noonien Singh, Sarek, Montgomery Scott, Spock, James T. Kirk, William Riker, Q, Lwaxana Troi, Worf, Deanna Troi oder Reginald Barclay geschah.
Der Star-Trek-Stoff, an dem sich "Lower Decks" auch zukünftig weiterhin großzügig bedienen kann, ist jedenfalls noch reichhaltig genug, um der Serie mehrere Staffeln zu bescheren…


Denkwürdige Zitate.

"When did you even find time for that?"
"Sometimes, when I say I'm going to the bathroom I'm really recoding her DNA."
Bradward Boimler und D'Vana Tendi

"The Farm cures all."
Edosianischer Offizier der Division 14

"Tonight, freaks fight back!"
Anführer der Patienten an Bord der USS Osler

"We're all Starfleet! We have to follow the Rules!"
"I am the rules!"
Boimler und der edosianische Offizier

"Please don't hurt me! Please don't hurt me! I'm just a freak like you, see!? Ha! It wore off! I'm not a freak anymore!"
Boimler

"Farewell, Tendi! May the suns shine upon you!"
Der Hund


Weiterführende Leseliste.

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu  "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"

Donnerstag, 19. November 2020

Turons Senf zu "Terminal Provocations" [LD, S1Nr06]

Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Terminal Provocations", die sechste Folge der ersten Staffel von "Star Trek: Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
Obwohl wir in der letzten Woche an dieser Stelle den Short Trek "Escape Artist" als eine Art Bewerbungsmappe für Mike McMahans Serie "Lower Decks" empfohlen haben, gibt es ein weiteres Werk, dass einen noch besseren Einblick in das Wesen, den Humor und den Star-Trek-Wissensstand McMahans gibt als den vergleichsweise aussagearmen "Short Trek".
Natürlich rede ich von seinem genialen (englischsprachigen) Buch "Star Trek The Next Generation Warped. An Engaging Guide to the Never-Aired 8th Season", die auf McMahans gleichnamige Tweet-Serie beruht und von den Illustratoren Joel Watson und Jason Ho liebevoll bebildert wurde. Auf 274 Seiten kann man sechsundzwanzig Abenteuer einer angeblich nie veröffentlichten, aber teilweise ins Internet geleakten achten Staffel "Next Generation" nachverfolgen – inklusive 'Fun Facts' sowie 'Logiklöchern und Kanonbrüchen'.
Wenn man nun McMahans aktuelle Star-Trek-Serie bereits gesehen hat, wird man viele Aspekte wiedererkennen können: Die augenzwinkernde Glorifizierung des ersten Offiziers, einen orionischen Charakter mit optisch großer Schnittmenge zu den frühen Entwürfen D'Vana Tendis und mit Liebe erzählte, aber teilweise sehr skurrile Geschichten in einem gut gefütterten Star-Trek-Mantel.
Vor allem jedoch gibt es mehrere Querverweise auf das namensgebende 'Unterdeck', in dem sich die weniger wichtigen Offiziersränge tummeln. Abermals sind viele Aspekte der Serie deutlich erkennbar; eine Folge mit dem Titel "Lowest Decks" [S8Nr13] etwa gewährt Einblick in zwei Figuren, die in ihrem Habitus stark an Mariner und Boimler erinnern, in "Icy Hot" [S8Nr17] muss Wesley Crusher Lower-Decks-Mutproben bestehen um mit einer wiederum an Mariner angelegten Figur auszugehen und in "Transporter Madness" [S8Nr06] gibt es nicht nur Transporter-Streiche der niederen Ränge, sondern sogar einen Fähnrich namens Beckett.
Und auch die sechste Folge "Lower Decks" weist in bester "Warped"-Manier eine interessante Parallele zu einem wohlbekannten TNG-Charakter und seinem Auftritt in McMahans Buch auf…


Story.
Die USS Cerritos trifft in den unendlichen Weiten des Alls auf ein Schiff der Drookmani, die Wrack und Ladung eines gestrandeten Sternenflottenfrachtschiffes aus dem dreiundzwanzigsten Jahrhundert ausschlachten wollen. Um die eigene Technologie vor den fremden Plünderern zu schützen, stellt sich Captain Freeman ihnen entgegen und versucht den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen, auch wenn ihre Gegner um eine militärische Eskalation geradezu zu betteln scheinen.
Derweil bereiten sich D'Vana Tendi und Samanthan Rutherford auf dem Holodeck darauf vor, die im All verstreute Fracht einzusammeln, indem sie für den anstehenden Raumspaziergang in einer simulierten Umgebung üben. Doch Rutherfords heimtückischer Holo-Helfer Badgey wird während des Beschusses durch die Drookmani seiner Sicherheitsschranken beraubt und versucht, die beiden in seinem Programm gefangenen Offiziere umzubringen…
Mit ganz anderen Problemen müssen sich hingegen Beckett Mariner und Bradward Boimler herumschlagen, denen eine Vernachlässigung ihrer Pflichten auf die Füße fällt. Jener Kamerad nämlich, der sich angeboten hatte, ihre Pflichten zu übernehmen, während sie einer Party in der Bar des Schiffes beiwohnen, hat es in seiner Unfähigkeit geschafft, ein Schildsicherungskern mit seiner eigenen Persönlichkeit zu kreuzen. Nun müssen die drei Fähnriche das Amok laufende Stück Technik aufhalten, bevor es zu spät ist und bevor irgendeiner der Brückenoffiziere etwas von ihrem Faux-Pas bemerkt…


Lobenswerter Aspekt.

Kanonfutter.
Auf die Gefahr hin, dass ich diesen Aspekt der Serie in der sechsten Rezension zum gefühlt hundertsten Mal herauskehre, betone ich nochmals, dass es keine Star-Trek-Serie gib, die es in ähnlicher Weise versteht, den Kanon nicht als Bürde, sondern als Chance begreift.
Das zeigt sich bereits in den ersten paar Sekunden der Serie, in denen die vier Hauptcharaktere der Serie die verschiedenen Triebwerksgeräusche bekannter Sternenflottenschiffe miteinander vergleichen.
Das ist aber nur der Anfang für einen wilden Ritt durch die Prärie der Star-Trek-Querbezüge. Während wir von Herz-hungrigen Nausicaanern, tiefgefrorenen Prinzessinnen, den alten TOS-Kommunikatoren, Sherlock Holmes, Robin Hood, Sigmund Freud, Cyrano de Bergerac, Albert Einstein, Leonardo da Vinci, Stephen Hawking, Socrates, Ausweichmanöver Sulu Alpha, Q als Sündenbock und der USS Titan hören, kann man einen Weltraumspaziergang mit Anleihen aus dem achten Kinofilm "First Contact" oder der Voyager-Folge "Tag der Ehre", einen bajoranischen Marktplatz und Fehlfunktionen, die in ihrer Darstellung stark an die TNG-Episode "Die oberste Direktive" erinnern.
Wie bereits in den vorangegangen Folgen von "Lower Decks"  gibt es auch eine weitere Anspielung auf den Trickfilmserienvorgänger TAS; dieses Mal in Form der Überreste eines Frachtschiffes des Antares-Typs, der erstmals in "Mehr Trouble mit Tribbles" zu sehen war.
Der unbestrittene Star der Folge bleibt allerdings das hinlänglich aus Star Trek bekannte Thema der künstlichen Intelligenz, das den Zuschauer in einer rudimentären (in Gestalt des eher mäßig intelligenten Kerns, der mit dem mäßig intelligenten Geist Fletchers verbunden wurde) und einer sehr ausgefeilten Version (in Gestalt Badgeys, der in seiner Ausführung Erinnerungen an das unbeliebte Office-97-Hilfswerkzeug namens 'Clippy' oder 'Karl Klammer' weckte) durch die Handlung begleitet.
Natürlich sind vor allem die Vorzüge und Nachteile des Holodecks bereits in unzähligen Star-Trek-Interpretationen ausführlich behandelt worden, aber mit der Idee Badgey gleichermaßen als Unterstützung und Gegner zu etablieren schafft es "Lower Decks" abermals, einem vermeintlich überstrapazierten Erzählgegenstand frisches Leben einzuhauchen, ohne sich thematisch allzu weit von seinen Vorbildern zu entfernen. In seinem klassischen Vater-Sohn-Konflikt erinnert das Opfer von Holodeckfehlfunktionen an Datas bösen Zwillingsbruder Lore (bzw. dessen Verhältnis zu seinem Erbauer Noonian Soong) und der Umstand, dass der Showdown ausgerechnet in einer arktischen Umgebung stattfindet, weckt ebenfalls Erinnerungen an eine ähnliche Fehlfunktion in "Der große Abschied".
Darüber hinaus stellt die noch recht junge Serie tatkräftig unter Beweis, dass sie in ihrer sechsten Episode bereits mehr als genug Basis für Referenzen auf sich selbst angesammelt hat. So lernen wir endlich die Vertreter der Delta-Schicht kennen, deren Qualität Tendi bereits in "Temporal Edict" unterstrichen hat (man achte darauf, dass die beiden gezeigten Vertreter Karavitus und Asif Spiegelungen von Mariner und Boimler sind!). Mariner opfert ausgerechnet jenen Trikorder mit dem lila Streifen, den sie einem körperlosen Energie-Wesen in "Envoy" abgerungen hat. Und endlich bekommt ein Charakter, der in vorangegangenen Folgen beständig im Hintergrund zu sehen war seinen eigenen Auftritt. Sein Charakter erinnert stark an den Großteil jener Besatzung, die Janeway in "Der gute Hirte" auf dem Delta Flyer versammelte und tatsächlich hat McMahan Fletcher als eine Art Anti-Barclay angelegt, der in Verkehrung der Ereignisse von "Die Reise ins Ungewisse" statt von einem Computer super-intelligent gemacht zu werden hier einen Computer verdummen lässt.
Und Barclay bleibt nicht die einzige personelle Referenz. Der einäugige Captain der Drookmani wird von niemand geringerem als J.G. Hertzler eingesprochen und das Äußere seiner Figur scheint sowohl vom aktuellen Erscheinungsbild des Darstellers als auch von seiner bekanntesten Star-Trek-Rolle inspiriert worden zu sein.
Ergänzend bleibt zur Folge noch zu bemerken, dass die CBS-Marketing-Maschinerie für T-Shirts offensichtlich weniger Zeit benötigt als für Geordi-Teddys, die Mitglieder des 'Unterdecks' eine Neigung für ungesundes Essen zu haben scheinen (man beachte die Nachos, Burger, Tacos und den Lieutenant, der mit einem riesiges Tablett voll Pommes mit Gravy und Mayo vor sich herträgt) und das Raumschiff der Drookmani erstaunliche Ähnlichkeit zu einem LKW aufweist.
Vor allem aber eine Referenz verdient eine Sondererwähnung. Als am Ende der Episode Mariner die Schlüssel der Yacht des Captains präsentiert, kann man daran einen Schlüsselanhänger in Form eines Tribbles erkennen. Das an sich wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn David Gerrold, seineszeichens Schreiber der TOS-Episode "Kennen Sie Tribbles?" damals die Inspiration für seine kultigen Weltraum-Fellknäuel nicht ausgerechnet von einem Schlüsselanhänger erhalten hätte. Zugegeben; ich selbst musste diese Parallele recherchieren, aber wenn diese Anspielung tatsächlich beabsichtigt war, so war es wohl die tiefsinnigste Referenz der bisherigen Star-Trek-Geschichte.


Kritikwürdiger Aspekt.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
So richtig rund wirkt "Terminal Provokations" nicht. Es drängeln sich – bei knapp zwanzig Minuten Sendezeit - drei Erzählstränge auf engstem Raum, von denen nur einer (die Holodeck-Abenteuer von Tendi und Rutherford) das Potential hat, dauerhaft in Erinnerung zu bleiben.
Der Handlungsbogen auf der Brücke der USS Cerritos etwa krankt an der Passivität aller beteiligten Brückenoffiziere und kleineren Fehlern wie beispielsweise dem Umstand, dass die Drookmani ihren Sternenflottengegnern den Rahmen des Sternenflottenschiffes mit der Registrierungsnummer NCC-502 gleich zweimal entgegenschleudern (und es beim zweiten Anlauf unversehrter ist als beim ersten).
Wirklich problematisch bleibt allerdings jener Teil in dem Mariner und Boimler sich mit Fletcher und dem von ihm angerichteten Chaos beschäftigen müssen.
Zunächst einmal krankt die Opposition der beiden ihrem Kameraden gegenüber am Umstand, dass sie an der Misere eine unabstreitbare Mitschuld tragen: Sie haben ihn mit einer arbeitsintensiven Aufgabe allein gelassen, um an einer Party teilnehmen zu können. Am Ende würden auch sie daher vor den Brückenoffizieren aufgrund ihrer Pflichtvergessenheit verantwortlich sein.
Und dann ist da noch Fletcher selbst.
Natürlich habe ich ein Verständnis dafür, was die Autorenriege mit dieser Figur ausdrücken wollte, aber hinsichtlich des ausgiebigen psychologischen, intellektuellen und physischen Auswahlprozesses, dem sich Kadetten laut "Prüfungen" stellen müssen, erscheint es doch sehr unwahrscheinlich, dass Personen, die auf die Idee kommen Müll im Materie-Antimaterie-Reaktor zu entsorgen jemals zugelassen worden wären. Dass es nur sechs Tage dauert, bis er degradiert und sogar entlassen (!) wird, unterstreicht diesen Aspekt ferner.
Wer nach Möglichkeiten sucht, diesen Widerspruch zu erklären, mag vielleicht im Umstand fündig werden, dass der elitäre Auswahlprozess im Angesicht der Verluste von Wolf 359 und den Dominion-Kriegen in seinen Anforderungen eventuell heruntergeschraubt worden sein könnte.
Daher gilt der größte Vorwurf abermals dem 'Cartoon Effekt', der die Serie ein weiteres Mal heimsucht, denn Fletchers Idee, seinen Geist mit dem isolinearen Kern zu verbinden bleibt am Ende des Tages in etwa so glaubwürdig wie zu versuchen, sich ein HDMI-Kabel ins linke Nasenloch zu stopfen um seine Gedanken auf dem Fernseher sehen zu können. Wenn die Verbindung von menschlichem Geist und Technik tatsächlich so einfach wäre, verwundert es zumindest, warum Dr. Ira Graves sein ganzes Leben für die Erforschung dieser Möglichkeit geopfert hat. Oder warum das MHN der Voyager nicht einfach seinen Geist auf einen humanoiden Wirt übertragen hat um seinen Traum von Menschlichkeit zu verwirklichen. Oder warum Jean-Luc Picard in seiner aktuellen Serie einen Androiden-Körper von Coppelius braucht, obwohl er diese Übertragung auch einfach auf seinem Weingut hätte durchführen können.
Denn entweder haben sich all diese Personen innerhalb einer Folge von einem (von McMahan selbst so betitelten) 'Vollidioten' vorführen lassen, oder dieser Teil der Handlung bleibt einfach in einer inhaltlichen Verwandtschaft mit eher zweifelhaften Höhepunkten der Star-Trek-Geschichte wie "Spocks Gehirn", "Gedankengift" oder "Die Schwelle".



Fazit.
Die sechste Folge reißt noch einmal aus dem positiven Gesamtbild von "Lower Decks" heraus, denn abgesehen davon, dass sie es nicht vermag, eine Balance zwischen ihren drei Handlungsebenen zu finden, krankt sie trotz massiver Kanonreferenzen abermals am 'Cartoon-Effekt', in dem sie mit der Übertragung menschlicher Intelligenz auf Maschinen recht beiläufig eine Grenze durchbricht, die andere Serien zu Recht tunlichst vermieden haben. Damit aber nimmt sie sich selbst einen guten Teil jener Glaubwürdigkeit, die "Lower Decks" bislang zu einer Serie in Augenhöhe mit anderen Vertretern der Franchise gemacht hatte.

Bewertung.
Gut gemeint.







Schluss.
In "Warped" findet sich auch eine ganze Episode namens "Barclay's Day" [S8Nr15] die allein jener Person gewidmet ist, die als Gegenentwurf zum Fletcher dieser "Lower Decks" Folge gedacht war. Dort mischt sich abermals Q in die Geschicke der USS Enterprise-D ein, um die Mannschaft und ihre Leistungsfähigkeit zu bewerten. Dabei stolpert er über Reginald Barclay, der es in seinen "Und täglich grüßt das Murmeltier"-ähnlichen Zeitmanipulationen schafft, etwa zwanzigtausendmal an seiner eigenen Inkompetenz zu sterben.
Doch hier zeigen sich zeitgleich auch die Gefahren, die lauern, wenn man Figuren und ihre Motivationen bis zur Unkenntlichkeit zum Wohle des Humors zuspitzt, denn auch wenn der kauzige Barclay im Verlauf von TNG und Voyager durchaus vom Pech verfolgt wurde, war er doch mitnichten der unfähige Offizier, zu dem ihn McMahan auf zwölf Seiten degradiert. Im Gegenteil; gleich mehrfach ist es ausgerechnet dem eigenbrötlerischen Ingenieur zu verdanken, dass der Tag gerettet werden konnte. Mehr noch; ohne Barclay hätte die Rückkehr der USS Voyager in den Alpha-Quadranten ungleich mehr Zeit in Anspruch genommen.
So bleibt der Fletcher dieser "Lower Decks"-Episode eher eine bis zur Unkenntlichkeit abstrahierte Version von McMahans eigener Interpretation Barclays was schade ist, denn in seiner Tollpatschigkeit und inneren Größe sollte die Figur eher ein Vorbild für die positiven Aspekte dieser Serie sein, als dessen Antithese.


Denkwürdige Zitate.

"Do you know how hard it is to get cheese out of fur in a sonic shower?"
T'Ana

"I got this! Lower Deckers stick together."
Fletcher

"Wow, look at him, look at him try!"
D'Vana Tendi

"These Guys are lucky I'm so ethical and considerate!"
Captain Carol Freeman

"Can I teach you a lesson?"
Badgey

"Phaser's locked on to their Warp core, Captain! Please, please let me shoot their warp core! I have been very good this month!"
Shaxs

"You'll help me or I say this was all your idea! I'm not going down for this!"
"Dude, what you're doing is so not Starfleet!"
"You break rules all the time!"
"Only dumb rules that shouldn't be there so I can do a better job! I would never put anyone in danger."
"Ahem…"
"Except sometimes maybe Boimler!"
Fletcher, Beckett Mariner und Bradward Boimler

"We did it! I don't know what we did, but we did it!"
Shaxs

"Do we have to get him promoted?"
"Eh, you know what they say: Keep your friends close and your enemies way the hell somewhere else!"
Boimler and Mariner


Weiterführende Leseliste.

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu  "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"

Donnerstag, 12. November 2020

Turons Senf zu "Cupid's Errant Arrow" [LD, S1Nr05]


Spoilerwarnung.

Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Cupid's Errant Arrow", die fünfte Folge der ersten Staffel von "Star Trek: Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.



Einleitung.
Wer einen Einblick in das Schaffen des "Lower Decks"-Erfinders Mike McMahan erhalten möchte, kann sich seinen bisher einzigen Star-Trek-Serienbeitrag ansehen, den er im Rahmen der "Short Treks" geleistet hat. Mit der auf Harcourt Fenton Mudd zentrierten Folge "The Escape Artist" hat er so etwas wie eine Art Bewerbungsmappe für sein späteres Engagement abgegeben.
Natürlich haben wir diese ganz spezielle Episode ausführlich besprochen und dabei positive, aber auch negative Trends festgestellt, die sich tatsächlich auch in "Lower Decks" wiederfinden lassen.
Während auf der einen Seite ein Hang zu einem außergewöhnlichen Blickwinkel, eine humorvolle Annäherung im Rahmen des altbekannten Kanon-Materials und die effiziente Nutzung eines zeitlich begrenzten Spielraums zu Buche stehen, muss man auf der anderen Seite vor allem einen recht fahrlässigen Beugungswillen bemängeln, der den offiziellen Kanon immer wieder dann ereilt, wenn es zum vermeintlich besseren Handlungsverlauf beitragen würde.
Nach mittlerweile fünf Folgen ist "Lower Decks" nun den Kinderschuhen eigentlich entwachsen, aber nachdem in der letzten Episode der Kanon über die Gebühr strapaziert wurde, bleibt nach der Hälfte der Staffel die Frage offen, ob die Serie diesen Wesenszug kultivieren wird oder ihre Gratwanderung zwischen Genie und Wahnsinn zu meistern beginnt.
Die Messlatte könnte jedenfalls kaum höher hängen…


Story.
Beckett Mariner kann es nicht fassen: Ihr übereifriger Sternenflottenkamerad, Freund und Kupferstecher Bradward Boimler hat eine echte Freundin!
Nicht nur, dass sie den Rang eines Lieutenants bekleidet, an Bord der supermodernen USS Vancouver dient und äußerst attraktiv ist – sie scheint auch noch die suß-säuselnden Gefühlsäußerungen zu erwidern, die Boimler ihr unentwegt entgegenbringt.
Das erregt natürlich den Verdacht Mariners und während sich ihr Kollege Sorgen wegen eines attraktiven Ex-Freundes seiner neuen Flamme macht, hängt sie viel radikaleren Gedanken an: Kann es sein, dass Boimler einem fremden Einfluss in Menschengestalt ausgesetzt ist?
Derweil fällt D'Vana Tendi und Samanthan Rutherford die ehrenvolle Aufgabe zu, auf der USS Vancouver auszuhelfen, wo sich einer von beiden durch seine engagierte Arbeit in den Besitz des neuesten Trikordermodells bringen kann. Doch als sich beide gleichzeitig dieses Privileg verdienen wird plötzlich klar, dass mit diesem Hauptgewinn auch eine Versetzung von der klapprigen, aber charaktervollen USS Cerritos auf die abenteuerreiche USS Vancouver verbunden ist…


Lobenswerte Aspekte.

Folgenanlage.
Die fünfte Episode von "Lower Decks" beginnt bereits großartig mit einer Großaufnahme auf einen aquatischen Planeten namens Mixtus III und dessen Monden. Wir erhalten ferner einen guten Einblick in die (für zwanzig Minuten Folgenlaufzeit) erstaunlich vielschichtige Gesellschaft der Welt, in der objektbezogene Religion, gezeitenbasierte Landwirtschaft und ein architektonischer Hang zu bauchigen Türmen eine besondere Rolle zu spielen scheinen. Vor allem aber ist die fremde Zivilisation in ihren Problemen der unsrigen ähnlicher, als man denken mag. Neben einem gut betuchten Planetenbesitzer, der nicht bereit ist, seinen Immobilienbesitz zu opfern nur weil zahlreiche andere Personen ansonsten leiden könnten, war es vor allem ein Satz, der meine besondere Aufmerksamkeit auf sich zog:

"Moons can't plummet! That's something the gouvernment made up to control us!"

Meine bescheidene Übersetzung dazu:

"Monde stürzen nicht einfach so ab! Das wurde von der Regierung erfunden um uns besser kontrollieren zu können!"

Damit ist "Lower Decks" die erste Star-Trek-Serie, die sich aktiv gegen die plötzliche Renaissance von Verschwörungstheorien positioniert und ein wunderbares Beispiel dafür, wie Science Fiction die Probleme der Gegenwart nimmt, um sie in einer fiktiven Zukunft zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen.
Die Folge selbst bedient sich einiger bekannter Themen aus dem Star-Trek-Universum. So ist die Grundidee der Episode, dass fremde Wesen in Gestalt von Sternenflottenoffizieren ihr Unwesen treiben ein gängiges Erzählmuster, das bereits in zahlreichen Folgen wie z.B. "Das Letzte seiner Art" (TOS), "Mission ohne Gedächtnis" (TNG), "Im Lichte des Infernos" (DS9), "Renaissance-Mensch" (Voyager) oder "Beobachtungseffekt" (Enterprise) angerissen wurde – von Charakteren wie Martia, Thomas Riker, Shinzon, Seska, Sim oder der Spiegeluniversums-Version von Philippa Georgiou ganz zu schweigen. "Cupid's Errant Arrow" greift diese Vielzahl an Vorlagen geschickt auf, ohne sich allerdings in bloßer Wiederholung zu verlieren. Stattdessen gelingt das Kunststück, dieser Ansammlung an Vorlagen eine ganz eigene Interpretation beizufügen, um sich selbst damit geschickt weitere Legitimation durch die gekonnte Adaption eines traditionsreichen Star-Trek-Themas zu verleihen.
Aber auch der zweite Handlungsstrang der Folge, in dem Tendi und Rutherford erkennen, dass ihr Herz allen Fehlern des Schiffes zum Trotz an der USS Cerritos hängt, spielt mit einem ähnlichen Sujet, denn obwohl Beförderungen und Versetzungen zum Alltag einer Organisation wie der Sternenflotte gehören dürfte, bleibt es doch erstaunlich, wie häufig man in Star-Trek-Serien die immer gleiche Besatzung vorfindet, obwohl Charakteren wie William Riker mehr als einmal der Aufstieg durch einen Positionswechsel z.B. ins Amt einen aktiven Captains angeboten wird. Dass dieses Thema nun bereits in den unteren Dienstgraden diskutiert wird beschert dem Erzählgegenstand des "Unterdecks" zusätzliche Tiefe.
Vor allem aber kultiviert man den Status des Underdogs der Mannschaftsränge an Bord der USS Cerritos durch die Zurschaustellung eines modernen, besser ausgestatteten und elitärer anmutenden Schiffes namens USS Vancouver, wobei der Umstand, dass man dies auch als Vergleich des traditionellen Star-Trek-Produktionsstandortes Kalifornien (Cerritos ist wie Hollywood ein Vorort Los Angeles') mit dem neuen, kanadischen Drehort Toronto (Vancouver zählt zusammen mit Toronto zu den großen Namen innerhalb der kanadischen Filmindustrie) interpretieren kann, wohl keineswegs zufällig sein dürfte. Dass die Hauptcharaktere aber ein rostiges Schiff mit all seinen Macken lieben können, ohne ständig neidvoll auf die fabrikneuen Modelle zu schielen, die aus den Sternenflottenwerften gespuckt werden, macht die Crew um Mariner, Boimler, Tendi und Rutherford nur noch nachvollziehbarer und ihre Abenteuer als kleinstes Rädchen im großen Getriebe noch gegensätzlicher zum Hochglanz von "TNG", "Voyager" oder gar "Discovery".
Bemerkenswert bleibt zudem, dass "Cupid's Errant Arrow" sowohl in der Darstellung von Gewalt, als auch in der Verwendung von Vulgärsprache heraussticht. Während insbesondere der Rückblick auf Mariners Dienstzeit an Bord der USS Quito in diesem Zusammenhang Erwähnung finden muss, bleibt im gleichen Atemzug darauf hinzuweisen, dass ausgerechnet Captain Carol Freeman in ihrer diplomatischen Mission gleich zweimal die F-Bombe platzen lässt. Beides scheint dazu zu dienen, abermals den Verdacht abzuschütteln, dass man auf ein minderjähriges Publikum abzielen würde. In welcher Richtung man sich selbst tatsächlich einordnet, kann man schon eher in der Wahl des Gaststars erkennen, der in dieser Episode den unbenannten Captain der Vancouver einspricht. Hier gelang etwa der Coup, mit Lauren Tom die englische Stimme des Futurama-Charakters Amy Wong zu verpflichten. Die Synchronschauspielerin der Freundin Boimlers hingegen zeugt von ähnlichem Sendungsbewusstsein: Niemand geringes als Gillian Jacobs, die man als Britta Perry aus "Community" kennen könnte, sprach hier die temporäre Gespielin des männlichen Serienstars ein.


Kanonfutter.
Wo sich derart viele thematische Anleihen in andere Star-Trek-Ableger ballen, erscheint es nur folgerichtig, dass auch zahlreiche direkte Querbezüge zu finden sind. So werden Q, der Captain-Picard-Tag, das Chicago der Zwanziger Jahre, James T. Kirk, Trip Tucker, der Salzvampir vom Planeten M-113, ein Welchselbalg, die Edo, Data, sein Zwillingsbruder Lore, "Die Thronfolgerin", physisch veränderte cardassianische Spione, Transporterklone, die Suliban, die Oberste Direktive, durchgedrehte Holodeckcharaktere, Breen, Riker und eine Dyson-Sphäre erwähnt. Zudem kann man die Olympic Class, die Uniformen aus "Der erste Kontakt", Lursa, B'Etor, Lal (in ihrer ursprünglichen Form) und George (oder Gracie) sehen.
Zudem finden sich abermals geschickt platzierte Referenzen auf die unbeliebte Zeichentrick-Stiefschwester TAS. Während man Mariner von einer Phylosianerin erzählen hört, kann man auf ihrem Verschwörungs-Korkbrett auch einen Vendorianer entdecken.
Zwei Darstellungen verdienen allerdings noch einmal gesonderte Erwähnung.
Die cardassianische Station, an die die USS Quito andockt, wird zwar nicht direkt beim Namen genannt, aber vom Serien-Schöpfer Mike McMahan höchstpersönlich als Deep Space 9 identifiziert und markiert trotz der vielen aktuellen Star-TrekPruduktionen die erste Sichtung der Station seit dem Ende der Serie im Jahre 1999. McMahan deutete bereits an, in der nächsten Staffel "Lower Decks" den Fokus seiner Serie durch Handlungen zu erweitern, die auch andere Serien wie "Enterprise", "Voyager" oder eben "Deep Space Nine" umfassen. Das kleine Aufblitzen der wohlbekannten Station kann also als Versprechen an die Zukunft gewertet werden.
Die andere erwähnenswerte Sichtung betrifft den Teddy-Bären, den Boimler seiner Freundin mitbringt, denn dieser trägt einen Visor und eine goldgelbe Uniform, was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem bestimmten Chefingenieur der Enterprise verleiht. Merkwürdig ist dabei ein Phänomen, dass anno dazumal bereits bei "Star Trek: Picard" festzustellen war, wo ein Kuscheltier namens Squoodgy die Fans zu letztendlich erfolglosen Internetsuchen animierte: Es fehlt an vernünftigem, aktuellen Star-Trek-Merchandise und die Reaktionszeiten bleiben trotz modernem Marketing deutlich zu lang. Denn während es im offiziellen Fanshop ebenso zahlreiche wie unoriginelle Trinkgefäße, Bekleidungsstücke oder Aufkleber gibt, fehlen ausgefallenere Stücke wie die Picard-Facepalm-Statuette, Squoodgy oder der Geordi-Bär in dieser reichlich uninspirierten Sammlung auch weiterhin. CBS scheint abermals den Trend der Zeit zu verschlafen und Bastelplattformen wie Etsy zu überlassen, nur um ungleich schneller agierende Hausfrauen anschließend mit gleichermaßen unnötigen, wie im Vorfeld vermeidbaren Urheberrechtsklagen überhäufen zu können.


Kritikwürdiger Aspekt.


Kanonbrüche und Logiklöcher.
Nachdem in der letzten Woche einige schwerwiegendere Widersprüche fabriziert worden waren, bleibt festzuhalten, dass nur einige, wenig gehaltvolle Mängel in diese Episode Einzug hielten.
Ein paar davon sollen an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden.
So wird Boimlers Tollpatschigkeit wegen eine holografische Planetendarstellung durcheinandergebracht, obwohl es möglich sein müsste, die Darstellung weniger interaktionsfähig zu gestalten. Der Komik der Situation aber war dieser Umstand dienlich.
Ebenso verhält es sich mit der Andorianerin, die den recht menschlichen Vornamen Jennifer trägt, aber auch hier bleibt festzuhalten, dass diese improvisierte Namensnennung humoristische Wurzeln offenbart und eigentlich auch nichts dagegen spricht, dem nicht-menschlichen Charakter einen irdischen Namen zu geben – schließlich sind ja auch in Deutschland fremdsprachige Namen wie Justin, Kevin oder Jaqueline keineswegs eine Seltenheit.
Aber es gibt auch drei Punkte, die eine besseren Erklärung verdient hätten.
So verwundert es beispielsweise, dass Boimler über einen Monat nicht bemerkt, dass er einen Parasiten im Haupthaar trägt. Spätestens beim Duschen, Schlafen oder Kämmen hätte ihm der blinde Passagier auffallen können.
Zudem mutet es fragwürdig an, dass Boimler den 'millionsten Eintrag' zu seiner Freundin aufnehmen konnte, ohne dass der Zuschauer einen von ihnen in vorangegangenen Folgen bemerkt hätte. Schließlich gibt es in "Cupid's Errant Arrow" einen Fähnrich zu sehen, der in der nächsten Episode eine größere Rolle spielen wird und bei so viel zu Schau getragener Sorgfalt in Detailfragen wäre eine Erwähnung seiner Freundin zumindest in einem Nebensatz sicherlich im Bereich des Möglichen gewesen.
Den einzigen wirklich kanonischen Widerspruch jedoch fabriziert ausgerechnet jene denkwürdige Szene, in der uns ein Rückblick auf die an Deep Space 9 angedockte USS Quito zurückführt. Das Schiff kann nämlich erst nach "Gestern, Heute, Morgen" (2370) in Dienst gestellt worden sein und die Uniformen legen sogar nahe, dass die Ereignisse frühestens um den achten Kinofilm (2373) angesetzt wurden.
Dennoch drehen sich die Erzählungen Mariners mit ihrer Freundin Angie um die Ereignisse des TNG-Zweiteilers "Angriff der Borg" (2369) und suggerieren, dass deren Ereignisse nicht mehr als eine Woche zurückliegen würden.


Fazit.
Die fünfte Folge der Serie markiert einen würdigen Staffelmittelpunkt, der kaum Wünsche offenlässt. Die Episode zementiert thematisch die Zugehörigkeit zur Franchise, kultiviert den Status eines Underdogs und unterstreicht seine Ambitionen auf ein erwachsenes Publikum. Dies alles garniert sie mit einem erneuten Feuerwerk an Kanon-Referenzen, das die kaum erwähnenswerten Ausrutscher lässig überspielt. Es ist "Lower Decks" in Höchstform und schon jetzt eine der Folgen, die zu ihren Vorzeigeepisoden gezählt werden dürfte.

Bewertung.
Star Trek in Höchstform.






Schluss.

Wenn man mitten in der Staffel noch einmal ein Ausrufezeichen setzen wollte, dann ist dies den Machern von "Lower Decks" mit dieser Episode zweifelslos gelungen.
Die Serie scheint einen Lernprozess zu beschreiben und es bleibt McMahan zugute zu halten, dass sich keineswegs ein Muster erkennen ließe, durch das sich die Serie gar mit dem eingangs erwähnten "Short Trek" in eine Traditionslinie stellen ließe.
Stattdessen zeigt sie ein erkennbares Einfühlungsvermögen in die Materie "Star Trek" die gar die Frage aufkommen lässt, warum sich ein derartiges Fingerspitzengefühl in anderen aktuellen Star-Trek-Produktionen nur in Einzelfällen finden lässt.
Mit McMahan hat sich jedenfalls ein ideenreicher Produzent gefunden, der nicht nur sein Handwerk, sondern auch die Franchise versteht.
Von daher gilt es für die Fans, über den Zeichentrickcharakter dieser Serie hinwegzusehen, denn "Lower Decks" nutzt die Möglichkeiten einer animierten Serie so geschickt aus, dass die qualitativen Grenzen zu Realserien längst eingerissen sind.
Letzten Endes bleibt damit "The Escape Artist" kein Gradmesser für eine Serie, deren Messlatte nur von ihr selbst von Mal zu Mal höher gehängt wird.


Denkwürdige Zitate.

"Ooh, you smell that, Tendi? Each Ship on the fleet has it's own scent! I think the Cerritos smells like toasting Marshmellows on a cool night…"
Samanthan Rutherford

"No I think she's a secret alien who's going to eat you! Or a Romulan spy or a salt succubus or an android or a changeling or one of those sexy people in rompers that murders you just for going on the grass!!"
Beckett Mariner zu Bradward Boimler

"The Vancouver is awesome. The fluidic processors, the tritanium hull bracketts, the door whoosh…"
"Whooosh!"
"Honestly, the Cerritos might be falling apart, but that's kind of awesome, too! It's our job to keep it together."
"Yeah, and the way she shakes and creaks and moans at Warp seven? I bet the Vancouver doesn't do that!"
"With those inertial dampers? You got to be kidding me!"
D'Vana Tendi und Rutherford

"Don't kick my PADD, that's an order!"
Ron Docent

"Bitch, you're the parasite!"
"Exactly what a parasite would say… Parasite!"
Mariner und Barb Brinson

"The impact on the environment would effect both of us! We'd have to move our whole civilization!!"
"I know, but how can… Wait! Both? What do you, what do you mean? Both?! How many people are in your civilization?!"
"Me and my wife!?"
"There are two f***ing people on your whole f***ing planet?!"
"Well, yeah, we're rich…"
"Implode the moon."
"Yes, Captain!"
"You maniacs! We just redid the floors!"
Captain Carol Freeman, ein Repräsentant von Mixtus II und ein Brückenoffizier der Vancouver

"You don't know what it's like here! It's so stressful! So epic! It's all "tow this space station' and ' calibrate the Dyson sphere' and 'Go back in time to kill the guy that was worse than Hitler'! Oh I just want to be back on a smaller ship, doing simpler work! I don't want to be epic anymore!"
Docent


Weiterführende Leseliste.

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu  "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"

Mittwoch, 4. November 2020

Turons Senf zu "Moist Vessel" [LD, S1Nr04]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Moist Vessel", die vierte Folge der ersten Staffel von "Star Trek: Lower Decks" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Folgen bereits gesehen hat.



Einleitung.
Kann sich noch jemand an diesen hoffnungsvollen Kommentar des "Lower Decks"-Masterminds Mike McMahan im Podcast "How to Kill an Hour" Anfang August 2020 erinnern, in dem er den Fans in aller Welt nahelegte, sich zu gedulden, da es eine Lösung für die internationale Ausstrahlung seiner Serie geben würde, die vor allem der Pandemie zum Opfer gefallen sei? Dass auch CBS möchte, dass alle Fans die Serie sehen können?
Nun, mit dieser überaus euphemistischen Aussage war keineswegs gemeint, dass dies sonderlich zeitnah geschehen würde.
Am ehesten glaubwürdig ist in diesem Zusammenhang wohl die Einschätzung, dass "Lower Decks" auf internationalem Parkett der Umstrukturierung von CBS zum Opfer gefallen ist, die durch die Rückkehr von Viacom unter ein gemeinsames Dach entstanden ist. Demzufolge werden beide Produkte zu einem gemeinsamen Streaming-Dienst mit neuem Gesicht zusammengelegt, dessen langfristiges Ziel es ist, auch den internationalen Markt zu bedienen. Ab 2021 wird mit diesem neuen Dienst zumindest in den USA gerechnet. Anschließend soll in Jahres-Phasen der internationale Ausbau folgen.
Tatsächlich gibt es laut Informationen von "Cinemaspot" bereits Hinweise, in welche Ländern dieser Dienst als erstes ausgeweitet werden könnte: Australien, Argentinien, Brasilien, Mexiko, Schweden, Norwegen und Finnland.
Dem aufmerksamen Leser wird sicherlich nicht entgangen sein, dass ein bestimmter europäischer Staat mit massivem Star-Trek-Fan-Potential fehlt. Wahrscheinlich wird aufgrund des härter umkämpften Marktes hierzulande auf einen alsbaldigen Streaming-Dienst-Start verzichtet, was vor allem bedeutet, dass sich die Fans hierzulande noch länger gedulden müssen, als McMahans Aussage zum Serienstart suggerierte.



Story.
Captain Carol Freeman hat genug! Ihre Tochter Beckett Mariner scheint jede Chance nutzen zu wollen, sie vor ihrer eigenen Mannschaft lächerlich zu machen. Nachdem der ursprüngliche Plan fehlschlägt, Beckett mit zahlreichen erniedrigenden Arbeiten derart zu überhäufen, dass sie von sich aus das Handtuch werfen würde, greift der Captain der USS Cerritos zu einer perfiden Alternative: Sie befördert die Unruhstifterin kurzerhand zum Lieutenant.
Aber die eigentliche Mission des Schiffes, ein gestrandetes Generationenschiff zur nächsten Raumbasis zu schleppen, gerät außer Kontrolle, als eine Terraforming-Mischstoff an Bord gerät, der die Hülle des Schiffes in ein tödliches Biotop verwandelt. Mutter und Tochter sind plötzlich darauf angewiesen, zum Wohle des Schiffes zusammenarbeiten…



Lobenswerte Aspekte.

Folgenanlage.
Obwohl in dieser Folge Beckett Mariner von den gemeinsamen Schlaffluren der "Lower Decks" hinauf an den Konferenzraumtisch der Führungsetage gespült wird, versteht sie es wie keine andere Folge vor ihr, den Gegensatz zwischen "wir hier unten" und "die da oben" zu zementieren. Die komplette Serien-Konzeption des Pöbels der niederen Ränge gegen die Brückencrew-Elite wird im A-Plot der Episode anhand zweier Figuren exemplarisch verdeutlicht: Fähnrich Beckett Mariner und Captain Carol Freeman.
Während die Mannschaftsränge auf dem Unterdeck sich schon über die Zuteilung von Reinigungsaufgaben freuen, das Holodeck von Benutzerspuren säubern müssen und sich über Extra-Pudding in der Kantine freuen, missachtet die andere Seite die Arbeit ihrer Untergebenen (z.B. Shaxs, als er einen Turbolift trotz Sperrung benutzt), verliert sich in Dienstberatungen über das Thema "Sitzmobiliar" und erhält bessere Replikator-Rationen.
Mit der Straf-Beförderung jedoch stellt "Moist Vessel" die bestehenden Verhältnisse kurzzeitig auf den Kopf, wobei der Folge im gleichen Atemzug das Kunststück gelingt, Mariner dabei nicht aus ihrer chaotisch-selbstbewussten Rolle zu drängen. Dass sie am Ende des Tages wieder in den Schoß ihrer Unterdeckkameraden zurückkehrt, erinnert in seinem Sicherheitsgefühl an die wohlbekannten Grenzen der Einzelepisoden-Gesetze der TNG-Ära, die man nach so viel seriellem Erzählen schon fast nicht mehr erwartet hätte.
Dennoch zeigen die beiden starken, aber keineswegs unnachvollziehbaren Frauencharaktere ihre Stärken genauso sehr wie ihre Schwächen. Ihr Mutter-Tochter-Konflikt bleibt ohne Sieger, aber lässt den Zuschauer mit einem Grundverständnis für beide Positionen zurück.
Im B-Plot der Folge kann mit D'Vana Tendi ein weiterer weiblicher Charakter auf sich aufmerksam machen. In einem weiteren Konfliktfall versucht sie, die "Himmelfahrt" eines Crewmitgliedes zu erzwingen. Sie stößt - zu ihrem eigenen Unbill - auf massive Abneigung und kann diese erst in einer lebensbedrohlichen Notsituation in eine zarte Romanze ummünzen, der allerdings ein jähes Ende beschert wird. Dieser Teil der Handlung hat durchaus einige Momente zu bieten, bleibt allerdings eher einer jener kuriosen aber in sich geschlossenen Nebenschauplätze, wie sie in TNG vor allem ab der vierten Staffel des Öfteren zu sehen waren. Dennoch bleibt der Folge anzurechnen, dass sie ihr Hauptaugenmerk auf die weiblichen Charaktere der Show konzentrierte (auch wenn Rutherford und Boimler bei Lichte besehen dieses Mal arg wenig beizutragen haben).
'


Kanonfutter.
Ein absolutes Markenzeichen dieser Serie ist der exemplarische Umgang mit dem Kanon. Während man im Hintergrund Spezies wie Benziten, Napeaner oder Vulkanier ausmachen kann, ist es ebenfalls möglich, an der ein oder anderen Stelle einen Visor, einen Baseball im Bereitschaftsraum des Captains oder zahlreiche detaillierte LCARS auszumachen.
Zusammen mit geschickt platzierten Erwähnungen von Q, dem Reisenden, klingonischen Gefängnissen, Tamarianern, James Moriarty oder Abraham Lincoln gibt es zahlreiche Anspielungen für Fans, die zwar schnell an einem vorbeiziehen können, aber auch keineswegs so wichtig sind, dass man sie nicht ruhigen Gewissens übersehen dürfte. Viel eher befeuert es den Reiz, sich diese Folgen gleich mehrfach anzusehen und so verstärkt auf derartige Details achten zu können.
Optisch schmiegt sich auch die Handlung an Altbekanntes an: Egal, ob der Zuschauer die Beförderung Mariners, das Pokerspiel der Führungsoffiziere, den Aufstieg in Form des "Großen Vogels der Galaxis" oder einen grummeligen Tellariten ohne das 'modernisierte' Masken-Update aus "Discovery" miterlebt, es schwingt auch stets etwas Vertrautes in diesen Darstellungen mit.
Und auch wenn die Metaebene nicht ganz so ausgeprägt zentriert wird wie noch in der letzten Episode, blitzt sie dennoch an mehreren Stellen auf: Der vulkanische Gruß etwa, der von den jüngeren Offizieren auf charmante Weise sarkastisch verwendet wird. Oder der Umstand, dass Kommunikatoren im Gegensatz zu so manchem TNG-Drehbuch sehr wohl weiter übertragen, was sein Träger vor sich herbrubbelt. Und natürlich der ebenfalls früheren Skripten geschuldete Umstand, dass ein Sternenflottenoffizier mit allen Mitteln versucht, sich Ecken und Kanten zu verleihen, um aus der Masse von Kollegen herauszustechen (indem man ein besonderes Instrument spielt, eine außergewöhnliche Sportart betreibt oder einem ausgefallenen Faible anhängt).
Der absolute Star unter den Kanon-Querbezügen bleibt allerdings die endlich beantwortete Frage, wozu das Holodeck gebraucht wird, denn die Antwort kennt trotz der vorangeschrittenen Entwicklung der Menschheit wohl jeder Zuschauer der Gegenwart. "Lower Decks" springt gekonnt auf diesen offensichtlichen Verwendungszweck auf, ohne das Kind beim Namen zu nennen und damit eine erhöhte Altersfreigabe zu riskieren.
Doch wo Licht fällt, ist zumeist auch Schatten zu finden.



Kritikwürdige Aspekte.

Kanonbrüche und Logiklöcher.

Obwohl der Umgang der Serie mit dem Kanon zu den absoluten Vorzügen "Lower Decks" gezählt werden muss, heißt das noch lange nicht, dass diese Folge völlig frei von Ungereimtheiten bleibt.
Dabei kann zwischen kleineren und größeren Unzulänglichkeiten unterschieden werden.
Zu den kleineren lässt sich zählen, dass die USS Cerritos ausgerechnet auf ein Schiff der gleichen Bauart treffen muss. Andererseits war dies auch ein (im ständigen Geldmangel begründetes) beliebtes Motiv bei TOS und TNG und es bleibt den Designern zugute zu halten, dass sich die unterschiedlichen Missionsprofile der Schiffe in farblich unterschiedlichen Außenhüllenstreifen ausdrücken.
Der Name Durango hingegen ist eine überaus deutliche Anlehnung an den Charakter Deanna Trois aus "Eine Handvoll Datas", aber in einem Universum, in dem der Begriff "Darmok" siebenundvierzig verschiedene Bedeutungen in den Sprachen nur eines Sektors haben kann, bleibt auch das im Bereich des Möglichen. Zudem scheint Mariner den Rang "Lieutenant Junior Grade" zu überspringen, obgleich dies auch als visuelle Entscheidung oder als Absage an diesen Zwischenrang nach "Star Trek Nemesis" gewertet werden kann (dagegen spricht allerdings, dass O'Connor diesen Rang trägt). Zudem hatte ich inständig gehofft, dass Laubbläser in einer entwickelten Zukunft längst der Vergangenheit angehören würden, doch ich muss gestehen, dass ich sowohl den verwendeten Sichtschutz als auch den Witz als solchen zu schätzen wusste.
Dem gegenüber steht eine ungewöhnlich hohe Zahl größerer Widersprüche.
Die Schiffsladung molekularer Flüssigkeit etwa, die wie aus Zauberhand  anorganisches Material in organisches Leben verwandeln kann, war nichts weiter als der "Genesis-Effekt" in einem neuen Mantel. Im dritten Star-Trek-Kinofilm wurde diesem erzählerischen Mittel immerhin gleich wieder ein Riegel vorgeschoben, aber hier wird er in Sternenbasen-Nähe gepackt und damit zum Teil des Kanons. Dabei ist es da nur mäßig sinnvoll aufgehoben und in der schlechten Gesellschaft von ähnlich unkreativen Handlungsabkürzungen wie Roter Materie, Augment-Wunderblut, Transwarpbeamen, dem Sporen-Antrieb und dem Anzug des Roten Engels.
Ähnliches gilt für das Holodeck und dessen "organische Abfälle". Schließlich ist das System dazu angedacht, sämtliches Material ungeachtet seiner Herkunft nach dem Ausschalten in seine Einzelteile zu zerlegen, um sie bei der nächsten Sitzung wiederzuverwenden. Hoffen wir einfach mal, dass es sich um ein anderes System handelte als noch auf der guten alten NCC-1701-D.
Daneben erläutert Captain Durango zu Beginn der Episode noch selbst die drohenden Gefahren, die mit der Verwendung eines Traktorstrahls einhergehen können, nur um kurz darauf den unsinnigsten Befehl der Sternenflottengeschichte zu geben und sein eigenes Schiff unbenutzbar zu machen. Am Ende der Folge stellt sich gar die Frage, wozu man überhaupt zwei Schiffe für diesen Einsatz benötigt hat, denn die USS Cerritos schafft es letztendlich völlig allein, das riesige Generationenschiff zum Zielort zu schleppen.
Den negativen Höhepunkt bildet allerdings die "Himmelfahrt" eines normalen Menschen namens O'Connor. Nicht, dass ich die Idee per se verurteile, aber im Hinblick auf die bisherigen Vermeidungsstrategie im Bezug auf menschliche Religion bei Star Trek hätte ich es angemessener gefunden, wenn man seiner statt einen Bajoraner, Halbklingonen oder meinetwegen sogar Vulkanier dafür verwendet hätte.
So wirkt das nunmehr kanonische Ereignis gleichermaßen albern wie esoterisch und bildet einen unnötigen Bruch mit dem in den letzten Jahren ohnehin schon schwach ausgeprägten wissenschaftlich-fundierten Rahmen der Franchise.
All diese Fälle bieten ein gutes Beispiel dafür, was in den letzten Rezensionen bereits als "Cartoon-Effekt" eingeführt wurde: Ein gezielter Bruch mit dem Kanon zum Wohle der humoristischen Unterhaltung. Obwohl das bis zu einem bestimmten Punkt in Ordnung geht, sammeln sich am Ende von "Moist Vessel" zu viele dieser Momente an. Für nur zwanzig Minuten Laufzeit wirken vier dieser "Cartoon-Effekte" (also einer alle fünf Minuten hat ja schon beinahe "Discovery"-Niveau!) ein wenig zu exzessiv und spielen grundlos jenen in die Hände, die gegen eine Kanontauglichkeit der Serie argumentieren.



Fazit.
"Moist Vessel" ist eine gut umgesetzte Folge, in der vor allem die weiblichen Charaktere der Serie das Sagen haben. Sie glänzt mit glaubwürdigen Konflikten, baut die Gegensätze zwischen dem Unterdeck und der Führungsebene aus und beeindruckt abermals durch zahlreiche Querverweise auf den offiziellen Kanon. Allerdings leistet sie sich außergewöhnlich viele Unstimmigkeiten, die das Gesamtbild am Ende dann doch stark eintrüben.

Bewertung.
Licht und Schatten.







Schluss.
Auch wenn es in Deutschland schwierig ist, die Serie "Lower Decks" legal sehen zu können, ist es beileibe nicht völlig unmöglich. Die ein oder andere Variante vermag es nämlich zu ermöglichen, Zugriff auf "CBS All Access" zu gewähren, wo die Serie (allerdings ohne deutsche Tonspur) zu sehen ist. Zwei Dinge sind dafür allerdings unabdingbar: Eine US-amerikanische Bezahlmöglichkeit (oder einen amerikanischen Freund im Besitz einer solchen) und einen VPN-Service (der z.B. in meinem Bezahl-Virenschutz Norton enthalten ist).
Wer diesen Luxus nicht genießt (und selbst wer es tut, kämpft mit einer wackeligen Verbindung und vielen Verbindungsfehlern), wird sich wohl auf längere Zeit damit abfinden müssen, diese wirklich richtig gute Serie auf absehbare Zeit nicht sehen zu können. Eine Einsicht auf Seiten von CBS um Weihnachten herum scheint im Bereich des Möglichen, aber kaum im Bereich des Wahrscheinlichen. Es ist wohl eher zu erwarten, dass "Lower Decks" (abermals ohne deutsche Tonspur) als DVD oder BluRay in den USA erscheint, bevor die Serie hierher gelangt.
Ob diese Strategie bei CBS sonderlich weitsichtig oder gar nachvollziehbar ist, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt, aber klar ist, dass das Bauernopfer eine lohnenswerte Star-Trek-Serie ist, die jeder Fan gesehen haben sollte.


Denkwürdige Zitate.

"Don't You give me that sarcastic Vulcan Salute! Beckett!!"
Carol Freeman

"If you wan to avoid conflict, why not reassign her to all the worst jobs? That way transferring would be her idea, not yours."
"Hm, Well we could reassign her to all the nastiest jobs on the ship. That way transferring her would be her idea, not mine!"
"Brilliant plan - that's why you're the captain…"
Jack Ransom und Freeman

"Anyway, let's see what I got assigned… Turbolift lubing, holodeck waste removal and scraping carbon off the carbon filter!?"
"Oohoo, those are the worst jobs on the ship! Scraping carbon off slightly harder carbon? That's Klingon prison stuff!"
Beckett Mariner und Bradward Boimler

"Ugh, people really use it for that?"
"Oh yeah, it's mostly that…"
Freeman und Ransom über Holodecks

"And that's why being a captain is a lot like vocal jazz: It's all about the notes you don't scat…"
Freeman

"You know, there's no peninsula more sensual than the Iberian…"
Jack Ransom

"Are you sure this ist he best rock for this?"
Freeman

"There you see? The rock was fine!"
"Yeah, but we could have gotten here faster…"
Mariner und Freeman

"Computer, hit it!"
"Hitting it."
Freeman und der Schiffscomputer der USS Cerritos

"The universe is balanced on the back of a giant koala! Why is he smiling? What does he know? The secret of life is… Aaaah!"
O'Connor



Weiterführende Leseliste.

Staffel 1.

01. Rezension zu "Second Contact"
02. Rezension zu  "Envoy"
03. Rezension zu "Temporal Edict"
04. Rezension zu "Moist Vessel"
05. Rezension zu "Cupid's Errant Arrow"
06. Rezension zu "Terminal Provocations"
07. Rezension zu "Much Ado About Boimler"
08. Rezension zu "Veritas"
09. Rezension zu "Crisis Point"
10. Rezension zu "No Small Parts"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Seltsame Energien"

Edit.
Nur um Gerüchten vorzubeugen: