Freitag, 18. Juli 2014

Star Trek und die Philosophie: Habeas Corpus

"Mit dem ersten Glied ist die Kette geschmiedet. Wenn die erste Rede zensiert, der erste Gedanke verboten, die erste Freiheit verweigert wird, dann sind wir alle unwiderruflich gefesselt. Wenn die Freiheit irgendeines Menschen zum ersten mal beschnitten wird, ist das ein Schaden für alle." Aaron Satie

Dieses Zitat lässt sich in keinem philosophischem oder einem juristischem Werk finden. Star Trek hat es hervorgebracht und bezieht sich damit auf das Recht des Einzelnen sich gegen willkürliche Herrschaft, Gefangennahme, Festsetzung aller Art zu wehren. Das meint in diesem Fall, dass man nicht ohne Grund verhaftet werden kann. Der Betroffene hat das Recht zu erfahren, weswegen man ihn in Haft nimmt. Wir müssen dafür einen Blick in die Geschichte werfen und schließlich in unsere Gegenwart um zu erkennen, was die TNG-Folge: Das Standgericht für die Rechtsphilosophie bedeutet. Damit ihr warm werdet, gibt es wie immer ein passendes Intro zu unserem Thema.


Wir haben uns wieder einmal auf dem Holodeck versammelt um einen kleinen Blick in die Geschichte zu werfen. Im 17. Jahrhundert herrscht in England die königliche Willkür. Dessen Einwohner werden zum Teil ohne Grund vor den Kadi gezerrt. Das Parlament kämpft verzweifelt dagegen an und verankert 1679 die Habeas Corpus-Akte in den Gesetzen des Königreiches. Was bedeutet Habeas Corpus? Frei übersetzt, bedeutet es, dass der Mensch das Recht auf seinen eigenen Körper hat. Das kennen wir schon: Im Naturrecht ist dieses Recht jedem Menschen gegeben. Das Gesetz hingegen geht jedoch weiter, als im Naturrecht vorgesehen. Kurz gesagt: Jeder Mensch hat ein Anrecht auf die Prüfung seiner Anklage und das Wissen darum. So gesehen war dieses Gesetz, das auch in die Bill of Rights Eingang fand, wesentlicher Bestandteil eines Widerstands gegen jedwede juristische Willkür. Dazu gehört auch die später stattfindende Trennung von Jurisprudenz und exekutiver Gewaltausübung. Simpel gesprochen: Der König oder Herrscher eines Landes darf nicht zugleich Richter sein oder juristische Macht ausüben. Diese juristische Macht wurde im Mittelalter bis in die späte Frühe Neuzeit in Form von Standgerichten ausgeübt. Ob sich die Generäle oder Kriegsherren dabei auf ihre Trommeln oder Vergleichbares setzten, wie es Picard in der heute thematisierten Folge anspricht, ist dabei völlig nebensächlich. Die Art und die Durchführung dieser Schnellgerichte ist dabei entscheidend.

Der Angeklagte hat kein Recht auf Widerspruch. Die Strafe wird sofort vollzogen und beinhaltete größtenteils die niedere Gerichtsbarkeit, führte aber zur Willkür. Ich will hier gar keine Beispiele nennen, sondern gleich auf unsere heutige Folge eingehen.

Simon Tarses' Großvater war Romulaner. Ein Fakt, den der junge Sternenflottenoffizier bei seiner Bewerbung an der Akademie verschwieg. Macht ihn das zu einem potenziellen Verräter? Wir kommen darauf zurück. Als auf der Enterprise ein Klingone, der als Austauschoffizier fungiert, bei einem Diebstahl erwischt wird, schlägt das große Wellen. Norah Satie wird im Auftrag der Sternenflotte zur Enterprise geschickt um den Vorfall einer Explosion und den begangenen Diebstahl des Klingonen zu untersuchen. Der Klingone verneint zwar einen Gehilfen gehabt zu haben und will mit dem Vorfall im Maschinenraum nichts zu tun haben, doch die steife Lady von der Gerichtsbarkeit der Sternenflotte sieht einen Zusammenhang zwischen beiden Vorfällen. Später stellt sich heraus, dass Vorfall im Maschinenraum ein technisches Wartungsproblem war und mit dem Diebstahl des Klingonen nichts zu tun hatte. Dennoch will die Richterin ihre Suche nicht aufgeben. Simon Tarses ist für sie der Komplize. Tarses gab dem Klingonen Injektionen und hin und wieder sollen sich die beiden mit anderen Crewmitgliedern in Zehn Vorne unterhalten haben. Ist Tarses schuldig. Hier beginnt mein philosophisches Problem.

Wenn ich zunächst annehme, dass es einen Komplizen gegeben haben muss, aber die (späteren) Fakten darauf hindeuten, dass der Klingone sich die Informationen allein beschafft hat, sehe ich keinen Sinn und keine Logik dahinter Indizien oder eher Vermutungen als Fakten zu präsentieren nur um eine Wahrheit zu erschaffen, in der Simon Tarses schuldig ist. Der Fehler liegt in der menschlichen Irrationalität und in dem was man Paranoia nennt. Die Verschwörung wird am Anfang der Folge zugrunde gelegt und Norah Satie bleibt bei ihrem Standpunkt und zwar aus folgendem Grund, den ich kurz mit einem Zitat belegen möchte:

Norah Satie: "Er war ein außergewöhnlicher Mann. Jedes Mal stellte er beim Abendessen eine Frage zur Diskussion. Meine Brüder und ich, wir stritten dann immer über diesen Punkt und über jenen. Vater spielte den Schiedsrichter und er hat immer die Zeit gestoppt, damit wir lernen uns kurz zu fassen. Aber wir durften nicht aufstehen bis wir das Thema nicht vollständig ausdiskutiert hatten."
Jean-Luc Picard: "Ich wette, sie behielten bei diesen Debatten die Oberhand über ihre Brüder."
Norah Satie: "Mehr als einmal."

Hier lassen sich mehrere Dinge feststellen. Die rüstige Dame verliert nicht gern und ist es gewohnt sich durchzusetzen. Ein gewisser Hang zur Manie ist dieser rüstigen Lady ebenfalls nicht abzusprechen und sie strahlt Selbstsicherheit aus. Sie betont weiterhin, dass sie gern allein arbeitet um leichter auf Fehler in einem Verfahren aufmerksam zu werden. In dieser Folge muss sie mit Picard arbeiten, der für sie in der Sternenflotte scheinbar ein Fehler auf zwei Beinen zu sein scheint. Wie wir später erfahren, will sie die Kontroverse um die Verschwörung nutzen um einen der größten Captains der Sternenflotte karrieretechnisch den Garaus zu machen. Ihre Machtbesessenheit scheint ihr jedoch im Weg zu stehen.

Was ist Macht? Für Michel Foucault ist es ein komplexes Beziehungsgeflecht aus vielerlei Richtungen. Macht ist eine Verhandlungsbasis auf deren Ebene sich meist mehr als zwei Seiten tummeln, so der französische Philosoph. Ist das wirklich so? Macht ist in ihrem Kern zumeist darauf ausgerichtet ein einseitiges Produkt zu sein. Ansonsten könnte man nicht von einem Machtverhältnis sprechen. Es muss einseitig sein. Genauso könnte man behaupten, dass Äpfel beim herunterfallen die Eigenschaft besitzen nach oben gezogen zu werden. Das kann sicher aufgrund äußerer Umstände passieren, aber das tut es eher selten. Ich hingegen finde, dass Foucault bei seinen Beschreibungen dieser Struktur und des Wortes gern über seine eigenen Füße stolpert und genau das macht, was Norah Satie aucht tut. Beide würfeln sich die Dinge so zurecht, bis sie passen. Foucault machte das mit den historischen Strukturen und Satie mit den Umständen der angeblichen Verschwörung.

Setzen wir einen Punkt: Habeas Corpus soll uns noch heute vor der Willkür einer Verhaftung und dem anschließenden Prozess schützen. Im Grundgesetz, Art. 104 ist dieses Recht verankert, wird aber gern bei Telefonüberwachungen übergangen. Hier können sich vor allem Richter strafbar machen, die eine solche Überwachung richterlich gestatten. Sollte ein solcher Vorfall an das Tageslicht kommen, so kann der Prozess bereits vor Beginn platzen. Dieser Fall trifft auf Simon Tarses nicht zu. Er hat keine Möglichkeit sich dem Prozess zu entziehen aber wir müssen uns die Frage stellen, warum dem so ist.
Es sind vorrangig Indizien, die gegen Simon Tarses sprechen. Seine Lüge bei der Bewerbung zum Beispiel. Der Fakt, dass sein Großvater Romulaner war, macht ihn zwar nicht zum sofortigen Saboteur, aber gibt der Anklage die Möglichkeit sich auf ein Traditionsargument zu berufen: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Dieses Argument ist meist wenig stichhaltig und zudem unlogisch, soll aber den Richter bzw. die Geschworenen beeinflussen. Da merkt man wieder einmal mit welchen windelweichen und kindlichen Argumentationsstrukturen die Juristen auch heute noch arbeiten. Es setzt voraus, dass wir nach der ersten Lüge immer lügen. Das funktioniert aber nicht, denn demnach wären alle Menschen verdächtig, weil jeder schon einmal gelogen hat, bei irgendeiner Tätigkeit. Dies reicht nicht um Simon Tarses einzusperren. Es sind sicher Indizien, die gegen Tarses sprechen, aber sie machen ihn keinesfalls verdächtig. Nun ist die Reaktion Worfs interessant, der jetzt Tarses' Leben durchleuchten möchte. Wie wir wissen, wird er nichts finden und Picard fragt zurecht, worauf sich diese Untersuchung stützen soll.

Es gibt einen ähnlichen Fall aus den Geschichtsbüchern. Dieser historische Justizskandal hat ein ganzes Land tief gespalten. 1894 wird Alfred Dreyfus in Frankreich von einem Gericht angeklagt dem deutschen Botschafter Schwartzkopf Militärgeheimnisse verraten zu haben. Das einzige Argument auf das sich die Anklage damals stützte und mit dem sie in der Öffentlichkeit für extreme Unruhe sorgte, war die Tatsache, dass Dreyfus als einziger Jude im Generalstab diente. Alle anderen Beweise wurden manipuliert und Dreyfus wurde vier Jahre lang auf einer Insel in Festungshaft gesetzt, aufgrund von Paranoia und Judenhass. Der Fall wurde danach aufgeklärt. Bei der Rehabilitierung von Dreyfus war übrigens auch ein gewisser Major Marie-Georges Picquart die Schlüsselfigur. Lassen wir seinem Nachfahren im 24. Jahrhundert die letzten Worte sprechen, um die es in diesem Artikel noch gehen soll:




Zatie versucht Picard zu provozieren, denn sie hat keinerlei Argumente, also dreht sie zurückliegende Geschehnisse verbal um und münzt sie zum Nachteil Picards in dessen Fehlleistungen, ohne dabei wirklich etwas Falsches zu sagen. Als Zuschauer weiß man jedoch, wie diese Aussagen zu behandeln sind. Hier spielt die Folge ihre ganze Stärke aus. In der Zuspitzung dieser Verhandlung. Picard macht etwas Ähnliches. Er zitiert Zaties Vater und weist sie somit in ihre Schranken, denn sie hat dessen Ideale verraten, als sich dazu verleiten liess, Tarses ohne Beweise vor Gericht zu stellen und schließlich Picard als ihren Gegner vor Gericht verbal anzugreifen.

Erschreckend an dieser Szene ist ihre Aktualität und ihre gleichzeitige Verträglichkeit mit vergangenen Ereignissen. Einerseits haben wir hier die moderne Paranoia einer Gesellschaft, die sich einer zunehmenden Bedrohung von außen stellen muss und dabei fast ihre eigenen Ideale gefährdet. Im Gegensatz zur moralisch nahezu intakten Sternenflotte haben die derzeitigen USA aber das Problem, dass sie bereits ihre Ideale verraten haben, indem sie Menschen ohne Anklage weggesperrt haben(Guantanmo) und hinter jedem Menschen eine potenzielle Bedrohung für ihr Land ansehen(Überwachung).
Andererseits ergeht der Hinweis in Richtung der McCarthy-Ära, an der wir sehen, dass Guantanamo kein trauriger Einzelfall zu sein scheint. Allein aufgrund dieser historischen Bezüge und der moralischen Aufgabe, der sich diese Folge mit Bravur gestellt hat, ist sie es wert nochmal gesehen zu werden.

Beim nächsten Mal wird es wieder um Menschenrechte gehen, wir werfen einen philosophischen Blick in die Folge "Author, Author".

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