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Dienstag, 7. November 2017

Turons Senf zur achten Folge Discovery



Spoilerwarnung
. In dieser Rezension gibt es massive Spoiler zur achten Discovery-Folge "Si Vis Pacem, Para Bellum". Es empfiehlt sich daher unbedingt, vor dem Lesen diese und am besten auch alle vorherigen Episoden der Star-Trek-Serie gesehen zu haben.


I. Einleitung.
Es gibt gute und schlechte Discovery-Nachrichten.
Die gute ist, dass aufgrund des sich bereits jetzt abzeichnenden Erfolges eine zweite Staffel der siebenten Star-Trek-Serie von CBS bestellt wurde und es die Franchise damit auch weiterhin im (Internet-) Fernsehen geben wird. Tatsächlich beginnen in zwei Wochen sogar die Arbeiten an der kommenden Staffel.
Die schlechte Nachricht lautet allerdings, dass wir auf die nächste Staffel bis mindestens Anfang 2019 warten müssen – und eingedenk des Umstandes, dass schon der anvisierte Ausstrahlungstermin der ersten Staffel mindestens zwei Mal nach hinten verschoben wurde, dürft das Warten wohl Ausmaße annehmen, die mit "Rick and Morty" vergleichbar sind.
Natürlich könnte man nun einwerfen, dass Nicholas Meyer durchschimmern ließ, dass er selbst an einer Khan-zentrierten Nebenserie arbeiten würde. Wann, wie und ob dieses momentan wohl kaum über den Status eines Gedankenspiels hinausgewachsene Projekt allerdings Realität werden wird, steht wohl noch mehr in den Sternen als der voraussichtliche Start der nächsten Staffel Discovery.
So bleibt dem gemeinen Zuschauer nur hilflos mit den Achseln zu zucken und mit dem Vorlieb zu nehmen, was er im Hier und Jetzt vorgesetzt bekommt:
Die achte Discovery-Episode mit dem wunderschönen Titel "Si Vis Pacem, Para Bellum".


II. Story.
Während die USS Discovery verzweifelt versucht, anderen Föderationsschiffen im Kampf gegen die tarnfähigen Klingonenschiffe beizustehen, finden sich Saru, Ash Tyler und Michael Burnham auf einer fremden Welt wieder, deren Beschaffenheit eine Möglichkeit bietet die feindlichen Kreuzer trotz Unsichtbarkeit aufzuspüren.
Doch schnell wird klar, dass der Planet keineswegs so unbewohnt ist, wie die drei Außenteam-Mitglieder gedacht hätten. Eine körperlose Spezies nimmt mit ihnen Kontakt auf und scheint einen Einfluss auf Saru auszuüben, der das Wesen des Kelpianers radikal verändert.
Derweil versucht die T'Kuvma-Anhängerin L'Rell ihr Glück in den Reihen Kols, der sich durch den Diebstahl der Tarntechnologie zum Anführer des Kriegervolkes aufschwingen konnte.
Doch insgeheim verfolgt sie ganz andere Pläne:
Als sie in ihrer Tätigkeit als Verhörexpertin zum gefangen genommenen Admiral Cornwell gelangt, offenbart sie ihr, dass sie mit ihr zusammen fliehen möchte. Die beiden ungewöhnlichen Alliierten entfliehen so zwar ihrer Zelle, doch als sie kurz darauf von Kol ertappt werden, entbrennt zwischen den beiden Frauen ein blutiger Kampf um Leben und Tod…  


III. Lobenswerte Aspekte.

Moralität. Natürlich ist Moralität stets ein sehr subjektives Thema. Für Kirsten Beyer, die Autorin dieser Episode etwa stand die Idee im Mittelpunkt, Frieden inmitten von Krieg zu beleuchten. Andere sehen die Botschaft eher darin, dass man sich nicht untätig zurücklehnen kann, wenn Frieden nicht ohne fremde Hilfe möglich ist.
Ich dagegen sehe eine andere Moral deutlich tiefer und übergreifender angelegt, denn sie ist allgegenwärtig und hier auf so ziemlich jeden Charakter der Serie gemünzt:
In "Si Vis Pacem, Para Bellum" (meine bescheidene Übersetzung "Wer Frieden will, muss sich für den Krieg rüsten") geht es nicht primär um den Krieg zwischen Föderation und Klingonen, sondern um jene Auseinandersetzungen, die wir tagtäglich im Inneren ausfechten. Wir alle haben nämlich kleine Dämonen in uns, denen wir uns auf die ein oder andere Weise stellen müssen. Den Figuren in "Discovery" geht es nicht anders:
Sarus Leben wird so sehr von Angst beherrscht, dass er bereit ist, extreme Maßnahmen zu ergreifen um einen Zustand zu erhalten, der ihn von dieser Last befreit.
Michael Burnham muss sich mit ihrer Zukunft im Gefängnis auseinandersetzen und darüber hinaus nicht nur mit der persönlichen Verantwortung für den Krieg gegen die Klingonen, sondern auch mit dem Kainsmal der Meuterei auf einem Sternenflottenschiff.
Paul Stamets hingegen kämpft nicht nur mit den immer deutlicher zu Tage tretenden Nebenwirkungen seines bewusstseinserweiternden Pilzkonsums, sondern auch mit dem Dilemma, seinen Partner Dr. Hugh Culber nicht in eine ausweglose Situation zu bringen.
Captain Gabriel Lorca kämpft gegen die Angst, die Oberhand im Krieg zu verlieren, Ash Tyler möchte die (vermeintlichen) Gräuel seiner Haft und die damit verbundene Gier nach Rache unter Kontrolle halten und selbst die Klingonin L'Rell hat mit ihrem Hass auf Kol ein Motiv zu bieten, dass von ihren Plänen für Voq abzulenken versteht.
Im Endeffekt zeigt die Folge dabei eines deutlich: Ohne die inneren Dämonen ist man nicht mehr man selbst, verliert den Antrieb, die Selbstregulation oder die Motivation. Die inneren Kämpfe sind so sehr Teil eines jeden Individuums, dass man ohne sie Gefahr läuft, auch sich selbst zu verlieren.


IV. Kritikwürdige Aspekte.
Auch dieses Mal fallen wieder einige der vormals positiven Aspekte in diese Kategorie, weil die überwiegende Tendenz eher negativ ausfiel.

Folgenaufbau. Ausgerechnet der verdiente Star-Trek-Buch-Autor David Mack – selbst eine Koryphäe darin, spannende und bewegende Star-Trek-Geschichten zu verfassen - gab laut Memory Alpha zu dieser Folge zu Protokoll (in meiner bescheidenen Übersetzung):

"Falls die Folge so gut wird wie das Drehbuch… Ich denke ihr Script war großartig. Ihr Drehbuch brachte mich zum Weinen; es war wunderschön. Das Ende des Scripts ist ergreifend. Ich hoffe, dass das Produktionsteam, das Editorenteam, das Nachbearbeitungsteam und überhaupt jeder das Drehbuch so gut auf die Leinwand bringt, wie sie es zu Papier brachte. Wenn jeder seinen Job so gut macht wie sie es tat, bleibt bei der achten Folge der dritten Staffel kein Auge trocken."

In Anbetracht der Tatsache, dass ihr Kollege Ted Sullivan ähnliche Lobeshymnen anstimmte, bleibt nur eine logische Schlussfolgerung:
Da muss ordentlich was schiefgelaufen sein.
Meine Befürchtung ist nur, dass dies nicht allein an den Produzenten, Editoren oder Nachbearbeitern lag, sondern tatsächlich an allen Beteiligten, inklusive Beyer.
Schon allein das Konzept von Pahvo, das irgendwo auf einer Skala zwischen der TOS-Episode "Kampf um Organia" und James Camerons "Avatar" lag, war nicht unbedingt das, was ich an dieser Stelle als eine großartige Kreativleistung bezeichnen würde. Hinzu kommt der hanebüchene Ansatz eines planetaren Echolots, das im gesamten All bei der Jagd auf klingonische U-Boote getarnte Schiffe helfen soll.
In seiner ganzen Anlage passt dieses Stück pseudo-wissenschaftlicher Zauber-Technologie eher ins märchenhaftere Star-Wars-Universum und in Kombination mit dem ellenlangen Marsch durch die kanadische Flora und Fauna erinnerte es nicht minder stark an Stargate, dessen Ableger aufgrund des ebenfalls kanadischen Drehortes erschreckend ähnliche Außen-Sets aufwies.
Letzten Endes ergibt sich ein Gesamtbild, das mit 'aus jedem Dorf ein Köter' noch sehr wohlwollend formuliert ist.
Natürlich kann man dem ganzen zugutehalten, dass es in bester Star-Trek-Manier ein neues Alien-Konzept beschreibt, das nicht nur eine neue Welt und eine neue Lebensform, sondern sogar eine neue Zivilisation miteinbringt. Da sich aber die Pahvaner visuell kaum von den Pilz-Sporen unterschieden, großzügig bei Vorbildern aus Star Trek und anderen Science-Fiction-Franchises bedienten und auch optisch weit hinter ihren Möglichkeiten zurückblieben, kann das jedoch nur bedeuten, dass es sich um ein Versagen auf allen Ebenen handelte.
Und das war ja nur der Planet.


Die Multiperspektive, sonst stets ein willkommener Erzählstil, war in drei verschiedene Handlungsorte geteilt: Die Planetenoberfläche von Pahvo, die USS Discovery und das Sarkophag-Schiff der Klingonen.
Im Endeffekt verfügte durch diese Aufteilung keiner der drei Handlungsstränge über ausreichend Platz zur Entfaltung. Die unterschiedlichen Inhalte hätten bequem in zwei verschiedene Folgen gepasst, was nicht nur den einzelnen Handlungsentwicklungen gut getan, sondern auch die Zuschauer nicht mit so vielen Fragezeichen zurückgelassen hätte.
So aber rast man auf Pahvo wie ein Kelpianern mit gefühlten achtzig km/h durch die Story, während die Klingonen mit jedem einzelnen Wechsel klaffende Lücken ins Erzähltempo rissen.
Die Handlungselemente auf der Discovery hingegen waren plump konstruiert (z.B. diente die Anfangsszene um die Zerstörung der USS Gagarin allein der Verdeutlichung, wie schlecht es um die Föderation im Krieg gegen die Klingonen steht und wie nötig sie ein Gegenmittel gegen die klingonische Tarntechnologie benötigen) und so bruchstückhaft, dass man gleichermaßen auch bequem auf sie hätte verzichten können.
Bei Lichte besehen ist "Si Vis Pacem, Para Bellum" daran aber noch nicht einmal wirklich Schuld. Vielmehr leidet die Episode unter der Erzählfaulheit ihres Vorgängers und muss nun in viel zu kurzer Zeit den immensen Rückstand aufholen, der sich in einer Folge angesammelt hat, die sich dem engen Griff des generellen Handlungsstrangs erfolgreich entzogen hat.
So wurde schließlich aus einer ursprünglich vielleicht sogar gut geschriebenen Folge das, was sie am Ende ist:
Keine elegante, herzerweichende oder gar feinfühlige Episode, sondern eine pragmatische Lückenbüßerin. Sie ist ein funktionales Arbeitstier, das die Handlung vorantreibt und dabei nur wenig Zeit lässt, die gut gemeinten Ansätze von Charakterentwicklung mit ausreichend Verweildauer zu bedenken.
Daher wirkt sie am Ende – nicht zuletzt wegen des ersten richtigen Cliffhangers in der Serie – irgendwie unfertig wie der erste Teil einer Doppelfolge. Vielleicht legt "Si Vis Pacem, Para Bellum" den Grundstein für die Brillanz der nächsten (und vorerst letzten) Folge Discovery, aber für sich allein kann sie kaum etwas bieten, das die himmelhochjauchzenden Jubelarien ihrer Autorenkollegen wirklich verdient hätte.


Charaktermomente. Eigentlich ist Saru der absolute Gewinner dieser Folge, die auch den Titel "Saru rennt" verdient hätte. Seine innere Zerrissenheit, die bei seinem Trip auf dem blauen Planeten stärker als sonst zu Tage tritt, macht ihn zur tragischen Figur dieser Folge, nicht zuletzt weil sein Schauspieler sich bemerkenswerterweise durch die schweren Silikon-Prothesen auf seinem Gesicht hindurchspielt.
Bedenkt man ferner, dass die Figur des Saru ein Kind der Ideen seines Darstellers Doug Jones und der Autoren von Discovery ist, kommt man nicht umhin anzuerkennen, wie schnell diese Kreation zu einem zentralen und unverzichtbaren Teil der Serie geworden ist.
Der Reiz der Folge liegt daher nicht zuletzt in den vielen Informationen, die man über das Volk der Kelpianer erhält und beginnt, die Existenz dieser Spezies mit einer gewissen Wehmut zu betrachten.
Doch am Ende fühlt man sich von der Entwicklung Sarus – so nachvollziehbar sie auch ist – schnell überrumpelt, denn die Drehbuchautoren  lassen sich schlichtweg viel zu wenig Zeit, um etwa Sarus plötzlichen Gewaltausbruch ausreichend zu begründen.
Von allen Klingonen bleibt L'Rell am ehesten in Erinnerung, denn trotz ihrer nicht weniger schweren Maske bot auch Mary Chieffo eine sehr gute Leistung und stach damit unter allen anderen Neo-Klingonen heraus. Dabei trug ihr dubioser Charakter, bei dem man die gesamte Folge nicht wusste, ob sie es ernst meinte oder nur eine weitere Intrige spann, eigentlich zum verwirrenden Gesamteindruck der Folge bei. Doch gerade diese beinahe mystische Aura der Unwägbarkeit macht sie zu einem der wenigen außergewöhnlichen Klingonencharaktere mit einem hohen Wiedererkennungswert.
Der Hauptprotagonist der Serie, Michael Burnham, leidet hingegen am meisten unter der Mulitperspektive, die ihr vor allem wertvolle Screentime kostet. Immerhin springt dieses Mal eine Romanze, ein erster richtiger Kuss und der erste Beziehungsstreit heraus. Während Burnham also die typischen ersten Zeltlager-Erfahrungen macht, muss sie aber zeitgleich auch die Wissenschaftsoffizierin, die Meuterin, den Antagonisten für Saru und die Repräsentantin der Sternenflotte mimen – zu viel für so schmale Schultern, vor allem in so kurzer Zeit.


Die Autorin der Folge gab sich zudem alle Mühe, Ash Tyler vom Status eines Spions reinzuwaschen. Eine Beziehung mit Burnham, Träume über einen Segeltörn am Lake Shasta und so eine Art Gedankenverschmelzung mit Saru können nun auf der ständig wachsenden Liste der Gegenargumente geführt werden. Zudem wird sein Leiden unter der klingonischen Gefangenschaft erstmals zum Gegenstand seiner Ausführungen, wobei er nähere Schilderungen seiner Erlebnisse allerdings noch immer schuldig bleibt.
So reißen die Belege für die Theorie des klingonischen Spions in Menschengestalt keineswegs ab.
Beispielsweise verrät L'Rell vage, dass Voq 'davongejagt' sei, will zielgerichtet auf die USS Discovery (warum bloß?) und ihr entstelltes Gesicht kann unter klingonischen Gesichtspunkten eigentlich nur dann als ehrenhafte Verletzung gelten, wenn ihrer Niederlage gegen flüchtende Sternenflotten-Gefangene etwas anderes zugrunde lag, als die Schande einer gelungenen Flucht.
Admiral Cornwall bleibt, nachdem sie sich in einer Folge mal richtig austoben konnte, wieder so blass wie zuvor. Die spannendste Frage im Zusammenhang mit ihr bleibt wohl, ob sie wirklich tot ist, denn es wirkt zweifelhaft, dass L'Rell wirklich so dumm ist, ihren besten Trumpf einfach so aus der Hand zu geben.
Viel zu wenig zu sehen blieb am Ende vom Chefingenieur Paul Stamets. Zwar wurde der Zuschauer zum ersten Mal Zeuge, wie er während eines Sprunges aussieht, aber seine stärkste Szene war eine andere:
Jedes Wort, das er mit Tilly am Tisch in der Mannschaftsmesse besprach, war tiefsinniger als alles, was man in der vorigen Episode von ihm hören konnte. Am Ende war dies aber nur ein loses Fragment, das sich wie ein Fremdkörper in dieser Episode anfühlte.
Der Rest des Main Casts blieb auf ähnliche Weise im Hintergrund. Lorca war bestenfalls grummelig, Tilly einmal mehr ein besserer Stichwortgeber, Kol neben L'Rell einer der wenigen erwähnenswerten klingonischen Charaktere und Culber beinahe so etwas wie ein Statist mit einem einzigen Satz.


Kanonbrüche und Logiklöcher. Tatsächlich gibt es in "Si Vis Pacem, Para Bellum" durchaus den ein oder anderen Querbezug zum offiziellen Kanon. Diese Anleihen sind nicht sonderlich aufdringlich, aber nichtsdestotrotz eindringlich. So erinnert Sarus Wandlung stark an die Spocks in "Falsche Paradiese". Die Opferungsbereitschaft der Discovery, ein für ein anderes Schiff gedachtes Paar Torpedos abzufangen lässt an eine ähnliche Aktion der USS Excelsior im Orbit von Khitomer denken. Und die Diskussion zwischen L'Rell und Admiral Cornwell um vermeintliche Kriegsverbrechen der Föderation gegen Klingonen ist eine deutliche Anleihe aus "Das Gleichgewicht der Kräfte".
Zudem war der Dialog zwischen Tyler und Burnham über das Wohl der vielen und einzelnen (vgl. 'Denkwürdige Zitate') ein weiteres vergleichsweise dezent eingebautes Sahnehäubchen für die Alt-Fans.
Aber wiederum verliert sich die Folge in einer Vielzahl von Ungereimtheiten, Widersprüchen und Unsinnigkeiten, wobei ich an dieser Stelle gar nicht erst auf die in vorangegangenen Rezensionen bereits hinlänglich thematisierten Themen 'Aussehen der Klingonen', 'ahistorisches Schiffsdesign' oder 'Holokommunikation' eingehen will – schließlich bietet diese Folge allein genug Gesprächsstoff.
Der unsinnigste Teil kreist fraglos um den Planeten Pahvo.


Ich habe noch immer nicht verstanden, warum ausgerechnet die Discovery als 'Rückgrat der Sternenflottenverteidigung' auch noch allen Ernstes das Geheimnis dieses entlegenen Himmelskörpers lösen muss.
Oder ist sie – in bester Star-Trek-Tradition -  wieder das einzige Schiff im Quadranten?
Ebenso interessant ist die Auslegung der Obersten Direktive, die Burnham hier anwendet um zu begründen, dass man ihr hier beim Erstkontakt mit den Pahvanern gerade nicht zuwider handelt. Bei ihrer kreativen Interpretationsfähigkeit mutet es beinahe erstaunlich an, dass sie dem Sternenflottengericht ihre Meuterei nicht als strikte Einhaltung von schiffsinternen Protokollen verkaufen konnte.
Andererseits erklärt ihr lockerer Umgang mit der Hauptrichtlinie der Föderation immerhin, warum bereits Kirk und Co. so häufig Kontakt mit eindeutigen Prä-Warp-Zivilisationen hatten.
Nicht minder fragwürdig scheint, woher die Pahvaner ein Stoffzelt zaubern konnten, wie sie Tyler zum Sender 'beamen' konnten und warum ihre erstaunlich filigrane Kristallantenne, die wie Jacks Bohnenranke in den Himmel des Planeten ragte, sich nicht der Schwerkraft beugte um umzukippen.
Ich kann nur hoffen, dass sich die Pahvaner nicht als eine Art Organier entpuppen, die einige Jahre von den anderen großen körperlosen Wesen der Star-Trek-Geschichte ebenfalls alle Kriegsparteien zu ihrem Friedensglück zwingen werden.
Doch dies scheint in Anbetracht von noch sechs unausgestrahlten Folgen vergleichsweise unwahrscheinlich, auch wenn der Krieg zwischen Föderation und Klingonen so blutig wie ausgeglichen ist. Er wurde nicht zuletzt dadurch wieder ausgewogener, weil die noch nicht ganz ausgereifte, aber dafür allen Häusern offenstehende klingonische Tarntechnologie den einzigen Sporenantrieb der Föderation egalisiert.
Selbst wenn ich etwas Bauchschmerzen mit beiden Technologien zu dieser Zeit habe, liegt es noch immer in der Hand der Autoren, diese vermeintlichen Widersprüche aufzulösen und zum Gegenstand der größeren Handlung zu machen.
Dass sich Admiral Cornwell übrigens so schnell gegen die Todesstrafe ausspricht, hat mich zwar persönlich gefreut, aber ihrer Äußerung stehen anderweitige Aussagen zum Beispiel in "Talos IV - Tabu" oder "Computer M5" entgegen.
Amüsiert hat mich ferner, dass es nach der USS Buran mit der USS Gagarin bereits das zweite Sternenflottenschiff in einer sowjetischen Benennungstradition gab. Ich für meinen Teil freue mich schon auf die USS Potemkin, die USS Aurora und die USS Red October (die mit der Föderationsvariante der Tarnvorrichtung)…


VI. Fazit.
"Si Vis Pacem, Para Bellum" dürfte wohl keine von jenen Episode sein, bei denen irgendwann mal jemand sagen wird "Das war aber die beste Discovery-Folge!".
Auch wenn in Ansätzen der gute Wille durchaus erkennbar war, bleibt die Qualität der Episode weit hinter den Erwartungen zurück. Zu groß sind die Diskrepanz zwischen der Handlung und der Folgendauer, die Lücke zwischen Kreativität und Wiederholung oder die Löcher, die durch zu viele offene Fragen gerissen wurden. Den Figuren gelingt es nicht, die geschickt platzierte Moral angemessen mit Inhalt zu füllen, weil ihnen die Dialogzeit wie Sand zwischen den Fingern davonläuft. Kirsten Beyers ursprüngliches Konzept ist jedenfalls von den angesprochenen Mitarbeitern gegen die Wand gefahren worden – falls es nicht schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.
So lässt die Folge den Zuschauer jedenfalls in zu vielen Belangen unbefriedigt zurück und präsentiert sich eher als erster Teil eines Zweiteilers, dessen Bewertung ohne Kenntnis seines Nachfolgers nur negativ ausfallen kann.

Bewertung. "Es war nicht schmerzhaft. Nur verwirrend."





VII. Schluss.
Nachdem die siebente Star-Trek-Serie "Discovery" nun definitiv in Form einer zweiten Staffel in die Verlängerung geht, gilt es nun, auch auf dem Fernsehschirm nachzulegen.
Bislang deutet die Formkurve kurz vor dem Ausstrahlungsende des ersten Teils der Serie nämlich eher nach unten, als in die entgegengesetzte Richtung und dies war die mit Abstand schlechteste Folge der noch jungen Ausstrahlungseschichte. Es liegt somit an den Produzenten, für die neunte Folge mehr "Wähle Deinen Schmerz" und weniger "Si Vis Pacem, Para Bellum" nachzulegen, um das Interesse an der Serie lebendig und die öffentliche Meinung positiv zu halten.
So wird man nächste Woche nicht umhinkommen, eine spannende Folge mit schlüssiger Handlung nachzuliefern und - wer weiß? – vielleicht sogar eines der vielen Geheimnisse etwa um Stamets Zustand, Cornwells Tod oder Tylers Identität lüften…
So oder so; der Druck auf die nächste Folge ist nach dieser hier ins unermessliche gestiegen…


VIII. Denkwürdige Zitate.

"Mr. Rhys, hätten Sie wohl die Güte und fangen mal an zu feuern?"
Captain Gabriel Lorca zu seinem taktischen Offizier

"Es wird Gelegenheit zum Trauern geben. Aber alles zu seiner Zeit."
Lorca zur Brückencrew

"Ich wusste ja gar nicht, dass Sie so ein Sprinter sind, Mr. Saru."
"Kelpianer können auf der Flucht Geschwindigkeiten von bis zu achtzig km/h erreichen. Sie können auch Jäger wittern aus einer Entfernung von zehn Kilometern."
"Und wir mögen es besonders, wenn von uns in der dritten Person gesprochen wird wenn wir anwesend sind."
Ash Tyler, Michael Burnham und Saru

"Ich grüße Sie! Wir sind Forscher vom Föderationsschiff Discovery. Wir kommen in Frieden."
Saru

"Das Wohl von vielen…"
"Es lohnt sich, dafür zu kämpfen; sogar dafür zu sterben. Aber auch für das Wohl von wenigen."
"Auch das von einzelnen…"
Burnham und Tyler

"Die Föderation kennt keine Todesstrafe."
Admiral Katrina Cornwell

"Es ist doch höchst erstaunlich, dass während wir einen Krieg austragen, hier ein Ort des Friedens und der Harmonie überlebt. Und nicht nur das. Gedeiht!"
Saru

"Ich habe große Angst. SolcheAngst."
Saru

"Ich kenne jedes Schott auf diesem Schiff. Es war einmal mein Zuhause."
L'Rell zu Cornwell

"So sterben Sie wenigstens nicht in einem Käfig, Admiral."
L'Rell zu Cornwell

"Na ja, jeder will die Klingonen besiegen. Ich will… ihnen wehtun."
Tyler

"Sehen so Harmonie und Balance aus? Wo ist der Frieden, den Sie hier gefunden haben wollen?"
"Sie haben ihn mir weggenommen! Immer nehmen Sie mir alles weg!"
"Ich würde alles dafür geben, wenn ich eine Sekunde – eine Milisekunde! – Frieden hätte! Aber so lange der Krieg nicht vorbei ist, wird ihn niemand von uns finden!"
Saru und Burnham

"Ich habe Sie belogen. Und Lieutenant Tyler. Ich habe Sie angegriffen und hätte Sie töten können."
"Das sind nicht Sie gewesen."
"Doch. Das war ich. Wir werden furchtsam geboren, wir Kelpianer. Nur so überleben wir. Infolgedessen habe ich mein Leben lang auch nicht einen einzigen Moment ohne Furcht verbracht oder mich frei gefühlt. Keinen einzigen Moment. Erst auf Pahvo."
Saru und Burnham


Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Dienstag, 31. Oktober 2017

Turons Senf zur siebenten Folge Discovery


Spoilerwarnung
.
Diese Rezension enthält detaillierte Informationen zur siebenten Discovery-Episode "T=Mudd²". Daher sollte man nur weiterlesen, wenn man diese und alle vorherigen Folgen von "Star Trek: Discovery" bereits gesehen hat.


I. Einleitung.
Der Komiker Horst Evers berichtete in einer seiner Geschichten einmal davon, wie er vor einer Operation den üblichen Fragenkatalog über sich ergehen ließ und irgendwann einmal einfach mit 'ja' antwortete, nur um seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren.
Wenn ich Rezensionen schreibe, geht es mir manchmal ganz genau so.
Ab einem bestimmten Zeitpunkt zweifle ich an mir, ob ich allen Ernstes noch ein Loblied auf Captain Lorca singen muss, wieder gegen die Klingonen und ihr Äußeres wettern will oder ein weiteres Mal auf die kleinen Kanon-Gimmicks verweisen soll, die außer mir sowieso niemanden interessieren.
In solchen Momenten will auch ein Teil von mir einfach mal schwarzmalen, nur um die eigene Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, zumal mir bereits mehr als einmal bescheinigt wurde, der neuen Serie gegenüber viel zu positiv eingestellt zu sein.
Wie immer nehme ich mir dann aber am Montag wieder routiniert Papier und Stift zur Hand, sehe mir die neue Folge Discovery an und fälle– schlechter Ruf hin oder her – ein eigenes Urteil.
Ich versuche zu begründen, warum ich so denke, bewerte und auch, wenn ich immer wieder von Zweifeln befallen werde, stehe ich natürlich zu meinem Wort.
So auch dieses Mal.


II. Handlung.
Michael Burnham hat sich inzwischen so weit im Besatzungsgefüge der USS Discovery etabliert, dass sie nicht nur ganz alltäglich Dienst auf der Brücke schiebt, sondern darüber hinaus sogar auf Partys der Besatzung eingeladen wird. Doch gerade, als sich zärtliche Bande zwischen ihr und Ash Tyler anbahnen, erschüttert eine Stromschwankung den gesamten Alltag an Bord:
Harry Mudd ist zurück, um den Sporenantrieb zu stehlen.
Harry Mudd ist zurück, um den Sporenantrieb zu stehlen.
Harry Mudd ist zurück, um den Sporenantrieb zu stehlen.
Und:
Harry Mudd ist zurück, um den Sporenantrieb zu stehlen.

III. Lobenswerte Aspekte.


Moralität.
Am Anfang hatte ich vor allem Angst.
Angst davor, dass es schon wieder eine Tierschutzfolge werden könnte (Gormagander Style!).
Angst, dass sich eine tragfähige Botschaft im Dunstkreis der Teenager-haften Gefühlsduselei verlieren könnte (bereits die Party hat mich viel zu stark an die Flurpartys im Studentenwohnheim erinnert).
Und Angst davor, dass die Folge von Mudds gewohntem Pech wie bei all seinen Unternehmungen geprägt würde.
Doch weit gefehlt.
Auch wenn ich die Tanzeinlage Stamets' mit Burnham arg konstruiert fand, waren die Worte des eifrigen Pilz-Forschers von ungleich größerer Wirkung.

"Sie dürfen sich nie verstellen, denn sonst kann eine Beziehung keinen Bestand haben."

Stamets predigt in seinem äußerst intimen Austausch mit Burnham für Ehrlichkeit als Grundfeste einer jeden Beziehung.
Dabei spielt es keine Rolle, ob dies eine partnerschaftliche Beziehung oder eine freundschaftliche ist, denn Ehrlichkeit und Offenheit sind Grundwerte jener Utopie, die Star Trek jenen Anstrich verleihen, dass die Menschheit der Zukunft sich wirklich weiterentwickelt hat.
In seiner Einfachheit war dies ein Moment von schlichter Eleganz, denn auf zwischenmenschlicher Ebene transportiere er einen Gedanken, der mehr als alles andere in der bisherigen Serie die Franchise repräsentierte.
Darüber hinaus bestärkte er einen wesentlichen Charakterzug, über den der Außenseiter Burnham zwar verfügt, aber durch die Begleitumstände ihrer 'Meuterei' längst zu kaschieren gelernt hatte. Nun wird er dank der Hilfe neu gewonnener Freunde wieder zu einem zentralen Bestandteil ihrer Figur – ein wunderbares Beispiel dafür, wie man Science Fiction benutzen kann, um in den unüberschaubaren Weiten des Alls an die eigenen Stärken zu appellieren.
Gerade in Zeiten, in denen Unaufrichtigkeit gesellschaftlich besonders hoffähig ist, erinnert es grandios an den unerschütterlichen Optimismus, der bereits die Originalserie getragen hat.
Daneben fand ich aber auch eine weitere Aussage ungemein ansprechend.
Niemand ist allein.
Selbst wenn sich Burnham hinter ihrer Rolle als Paria verkriecht, hat sie doch Leute um sich herum, die bereit sind, ihr zu helfen, Ratschläge zu geben oder da zu sein, wenn sie jemanden braucht. Manchmal muss man eben einfach nur bereit sein, diese Einmischung zuzulassen.
In dieser Rechnung möchte ich Tyler einmal ausnehmen (weil ich immer noch glaube, dass er ein Spion ist), selbst wenn ihn Burnham als Adressaten dieser Einsicht benennt. Sie hat nämlich ausgerechnet in Paul Stamets einen jener Freunde, von denen sie bis dato gar nichts weiß.
Manchmal wartet eben dass, was man sich immer gewünscht hat, tatsächlich gleich hinter der nächsten Ecke.


IV. Kritikwürdige Aspekte.
In diesem Bereich finden sich einige Elemente wieder, die nicht nur negative Seiten aufzeigen, sondern auch den ein oder anderen positiven Bereich benennen. Weil der Grundtenor dennoch zu negativ ausfiel, um die entsprechenden Punkte in den 'Lobenswerten Aspekten' unterzubringen, fallen sie heute einmal in diese Kategorie.


Charakter-Catwalk.

Lange habe ich überlegt, wer der Gewinner dieser Folge ist.
Die Antwort?
Es gibt keinen eindeutigen Gewinner.
Klar könnte man die Meuterin Michael Burnham anführen, die nicht nur die Hauptlast der Moralität, sondern auch einen guten Teil der Haupthandlung trägt.
Das einzige, was mich massiv gestört hat war, mit welcher der starken Frauenfigur unpassend anmutenden Schnelligkeit sie sich Ash Tyler an die Lippen warf.
Nicht, dass ich Burnham keine Beziehung gönne, aber ihr Liebes-Timing folgt so sehr Schema F, dass es wie ein Häkchen auf der To-Do-Liste eines Drehbuchautoren unter Zeitdruck wirkt. Dass die Meuterei-Sünderin darüber hinaus auch noch eine Jungfrau wie die Heilige Maria ist, trägt nicht unwesentlich zu meinem Bauchschmerz bei.
Mit einem Umstand komme ich allerdings besser zurande als die ein oder andere Internet-Besprechung:
Dass Burnham ausgerechnet ihre sexuelle Unerfahrenheit als Geheimnis an Stamets weitergibt.
Klar wirkt dies im ersten Moment weit hergeholt, aber Burnham hat sich gerade erst von der vulkanischen Philosophie abgewendet, um sich mit ihren verwirrenden Emotionen auseinanderzusetzen. Dass sie dieses Thema und ihre Unerfahrenheit im Moment mehr als alles andere beschäftigt und allein deshalb als glaubwürdiges Signal herhalten kann, finde ich unter den geschilderten Umständen (so sehr sie mir persönlich missfallen mögen) durchaus nachvollziehbar.
War vielleicht jemand anderes in der Lage, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?


Ash Tyler, der deutlich mehr Screentime als zuvor erhielt, konnte sie nicht nutzen, um seinem aalglatten Image des lieben, guten und idealistischen Sicherheitsoffiziers zu entfliehen. Das seiner so kanten- wie eckenlosen Erscheinung nun auch noch die Gigolo-Rolle und die Paarungsbereitschaft Burnhams angedichtet wird, trägt nicht unbedingt dazu bei, ihn neben ungleich tiefer angelegten Charakteren wie Captain Gabriel Lorca, Saru oder Harry Mudd bestehen zu lassen.
Dahingehend waren Sätze wie "Eines muss ich sagen: Sie sind wirklich erstaunlich gut geerdet für jemanden, der ganze sieben Monate gefoltert wurde." aus dem Munde Paul Stamets' geradezu erfrischend, denn sie erinnerten - nicht zu Unrecht – daran, dass Tyler noch immer stark unter Verdacht steht, ein bestimmter Klingone in Menschengestalt zu sein.


Bliebe noch ebenjener Stamets.
So sehr ich ihn mag, gelingt es mir dennoch nicht, seine tatsächliche Rolle und seinen wirklichen Charakter zu erfassen. Wie ein Fisch, den ein Angler frisch aus dem Wasser gezogen hat, glitscht er mir ständig aus dem sicher geglaubten Griff.
Dies liegt vor allem darin begründet, dass er immer noch nicht über den Status eines Nebencharakters hinausgewachsen ist – und dass, obwohl mit "T=Mudd²" endlich eine Folge ausgestrahlt wurde, in der es eigentlich primär um ihn gehen sollte. Was für eine bessere Möglichkeit gibt es, als sich in einer Geschichte zu profilieren, in der man der einzige ist, der sehen kann, dass an der Zeitlinie manipuliert wird?
Diese Chance erhält Stamets aber nicht. Er wird stattdessen als erzählerisches Ventil verheizt:
Er gibt Burnham Beziehungsratschläge, sucht allein in ihr den universellen Problemlösungsansatz und nimmt sich – trotz vorheriger Beteuerungen, keine Zeit zu haben – eine gefühlte Ewigkeit heraus, um mit ihr das Tanzbein zu schwingen.
Am Ende bleibt Stamets‘ Sichtweise unerzählt, obwohl er wie kein zweiter die brachiale Wucht der Ereignisse abfängt. Eine verpasste Gelegenheit, die zwar zur monoperspektivischen Erzählweise passt, aber auch brutal daran erinnert, dass ihm in "Discovery" keineswegs die gleiche Bedeutung wie anderen zweiten Geigen á la Lorca, Saru oder Ash Tyler zukommt.
Und dann ist da noch Harry Mudd.


Es ist natürlich großartig, dass der flache Charakter aus TOS hier deutlich mehr Tiefgang erhält. Er erscheint geldgierig, gerissen, rachsüchtig, hinterhältig, berechnend, skrupellos, wortgewandt, anarchistisch, frech, manipulativ, verlogen – kurzum vielschichtig. Daneben wird allein von ihm der latente Humor der gesamten Episode getragen.
Doch Mudd ist Gewinner und Verlierer zugleich.
Nicht nur, weil er die sicher geglaubte Beute im letzten Moment verzockt.
Nicht nur, weil aus dem unabhängigen Freigeist ein Sklave in den Ketten der Ehelichkeit wird.
Und nicht nur, weil sich der Betrüger betrügen lässt.
Nein, am Ende ist Mudd wieder genau das, was er nicht sein sollte. Die viele Zeit, die man investiert hat, um die Witzfigur so vielschichtig auszugestalten, hätte man sich auch sparen können, denn am Ende ist Mudd genau wieder da, wo man ihn bei TOS gestohlen hat:
Ein Mann, der in seinem Unglück als Objekt der allgemeinen Belustigung dient.
Auch wenn das sicherlich seinen erzählerischen Reiz hat, wirkt es in Anbetracht der vielen erkennbaren Mühen, ihn zu einem würdigen Antagonisten aufzupäppeln, auch wieder ein wenig traurig, wenn der Psychopath zum Schluss gesenkten Hauptes auf seinen angestammten Platz als bemitleidenswerter Tropf zurückkehrt.
Auf der Liste der unterrepräsentierten Figuren finden sich ferner auch Captain Gabriel Lorca, der erste Offizier Saru, Kadett Sylvia Tilly sowie Dr. Hugh Culber wieder, denen in der Folge viel zu wenig Raum bleibt, um  Akzente irgend einer Art zu setzen. Immerhin war Mudds Ehefrau Stella großartig und passend besetzt.


Neues von der Resterampe.
Ich bin wirklich der letzte, der sich beschwert, wenn man sich stilvoll an alte Star-Trek-Elemente, Kanon-Inhalte oder gar chronologische Hütchenspiele wagt, aber das außer Kontrolle geratene Höhenfeuerwerk der siebenten Discovery-Episode "T=Mudd²" war eindeutig zu viel für meinen Geschmack.
Na klar, waren die Erwähnungen von Alpha Centauri, Anicium-Yurium und Betazed nette Respektbekundungen an alle vorherigen Serien.
Selbstverständlich war es schön, dass Mudd Lorca in bester Q-Manier als 'mon capitain' anredet, mit einem Becher wie in "Der dressierte Herrscher" zuprostet und endlich etwas mehr Background erhält.



Aber davon abgesehen war diese Folge ein wirres Konglomerat aus unpassigen Ersatzteilen, die Plots unschuldiger Star-Trek-Folgen verschiedener Serien grausam entrissen wurden. Es fehlte ganz einfach die subtile Cleverness, mit der sich die Schreiber bislang den Vorbildern genähert hatten.
Ein Weltraumwal?
Hatten wir bereits im TNG-Piloten, "Der Empath", "Die Begegnung im Weltraum", "Elogium" oder "Euphorie".
Eine Person, die im Gegensatz zu allen anderen von den Auswirkungen zeitlicher Veränderungen verschont bleibt?
Könnte man (in deutlichen originelleren Abwandlungen) auch aus "Die alte Enterprise", "Der Visionär", "Temporale Sprüng" oder "Kalter Krieg" kennen.
Das perfekt durch-orchestrierte Verbrechen sah man bereits in "Badda-Bing, Badda-Bang"; die Idee, einen Zeitstrom so lange zu manipulieren, bis es passt, stammt aus dem Zweiteiler "Ein Jahr Hölle"; und die Romanze zwischen Hauptdarsteller und Spion langweilte Star-Trek-Anhänger spätestens seit der Beziehung zwischen Chakotay und Seska.
Aber während ich mit all dem munteren Ideenklau vergleichsweise noch gut leben könnte, stört mich am meisten, dass "T=Mudd²" eine dreiste Kopie der TNG-Folge "Déjà Vu" ist.
Dieser Diebstahl präsentiert sich als so unverhohlen offen, dass selbst der Einbezug von Harry Mudd den Karren nicht mehr aus dem Dreck zu ziehen versteht. Dazu noch ein bisschen "Pulp Fiction" dort, ein wenig "Und täglich grüßt das Murmeltier" hier und ein wenig "Ocean’s Eleven" da – und fertig ist eine Folge, die am Ende wirkt, als hätte man alle Elemente unmotiviert in einen Mixer geworfen und zwei Stunden lang zu einem grauen Einheitsbrei püriert.
Ich könnte jetzt ähnlich uninspiriert das berühmt-berüchtigte Janeway-Zitat

"Verdammte Zeitreisen! Schon am ersten Tag als Captain der Sternenflotte hab ich mir geschworen, dass ich mich nie in eine dieser Paradoxien hineinziehen lassen würde. Die Zukunft ist Vergangenheit oder umgekehrt - ich krieg‘ Kopfschmerzen davon."

in den Raum werfen und darauf warten, dass früher oder später ein eifriger Kommentator bemerkt, dass Zeitreisen eine gute alte Tradition der Franchise sei.
Das stimmt nämlich auch alles.
Aber wenn ich wirklich ein halbgares Potpourri aus alten Star-Trek –Erinnerungen mit stets fröhlich-humorigem Ausgang sehen möchte, kann  ich mir genauso gut eine Folge von "The Orville" anschauen und nicht die Star-Trek-Serie, die sich anschickte, alles anders zu machen und die angestaubte Franchise neu zu erfinden.


Mut zur Lücke.
Es spricht für die Experimentierfreudigkeit der Discovery-Produzenten, im Zweifelsfall zugunsten der Handlung auf einen Teaser zu verzichten. Es ist auch legitim, den Seiltanzakt zwischen Abgrund und Humor in dieser (wie ich finde sehr angenehmen) Art zu absolvieren. Ebenso kann man auch mal für eine Folge davon absehen, andere Handlungsstränge wie z.B. die Klingonen und ihr hochrangiges Entführungsopfer zu thematisieren, um die Spannung weiter zu steigern, neue Handlungsschauplätze zu eröffnen oder ältere Entwicklungen zu Ende zu erzählen.
Am Ende fühlte sich die Folge aber eher wie ein Pausenfüller an.
Es war eine Folge, in der der Zuschauer noch einmal Luft holen konnte, bevor das Tempo der beiden vorangegangenen Episoden wieder aufgenommen wird. Sie hängt thematisch in der Luft, ohne die generelle Handlung der Serie sonderlich voranzutreiben, wodurch es ihr verwehrt bleibt, dem größeren Geschehen einen aussagekräftigen eigenen Beitrag hinzuzufügen.
Ein Snack für zwischendurch ohne größeren Nährwert.


Kanonbrüche und Logiklöcher.
Weil die ein oder andere schwerwiegende Kanon-Unverträglichkeit bereits zur Genüge in vorangegangenen Besprechungen angeschnitten wurde, kommen wir einfach zügig auf den Punkt:
Den großen – zuvor nie gesehenen - Bruch findet man nicht.
Dafür gibt es eine ganze Reihe der üblichen kleineren Unstimmigkeiten, Unglaubwürdigkeiten und Widersprüche, die die Serie seit Ausstrahlungsbeginn wie ein Schatten verfolgen. 
Kann sich denn noch jemand daran erinnern, wie besorgt Burnham, Stamets und Culber waren, als das Bärtierchen plötzliche Verhaltensauffälligkeiten zeigte?
Als Stamets in dieser Episode ebenfalls deutliche und häufig angesprochene Wesensveränderungen zeigt, scheint niemand sonderlich besorgt um ihn zu sein. Und das, obwohl er in einer Beziehung mit einem der Bordärzte steckt, die Position des Chefingenieurs bekleidet und sein Wissen um den Sporenantrieb von kriegsentscheidender Bedeutung ist.
Bei Lichte besehen passt dies wiederum irgendwie ins Gesamtbild, denn die USS Discovery ist ein einziges Sicherheitsrisiko. Man kann vergleichsweise einfach an Bord gelangen, problemlos schiffsweite Explosionen auslösen und ein Sicherheitssystem wie den Computer so schnell übernehmen, dass einem selbst als Zuschauer schwindlig wird.


Als ob das nicht beunruhigend genug wäre, ist Mudd mittlerweile ein Geheimnisträger, der in seinem Wissen auf einer Ebene mit Lorca, Burnham oder Tilly steht und maximal von Stamets übertrumpft werden dürfte. Doch während alle anderen zur Geheimhaltung verpflichtet sind, muss sich der vorbestrafte Kriminelle zu keinerlei Stillschweigen bereiterklären, darf die Discovery trotz mehrerer Morde (oder zumindest Mordversuche) straffrei verlassen und zu allem Überfluss auch noch in der kriminellen Organisation eines zwielichtigen Unterweltbosses Unterschlupf finden. Wie erklärt Lorca sein Vorgehen dieses Mal seinen Vorgesetzten, nachdem er bereits wegen der Verpflichtung einer Meuterin, eugenischen Experimenten und dem Verlust eines hochrangigen Führungsoffiziers angezählt wurde?
Immerhin scheint der zwielichtige Captain dank des nicht minder zwielichtigen Gauners nun über einen Zeitkristall zu verfügen, der so ungefähr das ist, was 'Omega 13' bei "Galaxy Quest" war – sicherlich ein hilfreiches Werkzeug im Verlauf des weiteren Seriengeschehens.
Ansonsten gibt es insbesondere bei Mudd noch einige weitere Unstimmigkeiten.


Nachdem der Tunichtgut bereits in "Der Liebeskristall" mit Kristallen experimentierte, zaubert er nun (nie zuvor erwähnte) Zeitkristalle aus dem Hut. Was ist der Mann von Beruf gewesen, bevor er Verbrecher wurde? Ein Kristallograph?
Was ich allerdings noch unglaubwürdiger finde, ist der Umstand, dass er im Gefängnis mit einem Banküberfall prahlt, den er ausgerechnet auf Betazed durchgeführt haben will.
So sehr ich mich über die chronologisch erste Erwähnung der Heimatwelt Deanna Trois freue, so sehr finde ich sie auch zweifelhaft. Auf einer Welt von Supertelepathen mag man zwar mechanische Komponenten eines Tresors überwinden können, aber spätestens, wenn man sich davor oder danach unter das Volk mischt, wird der vermeintliche Clou schneller auffliegen als das Geheimnis des Sporenantriebs in dieser Episode.
Zudem wundert mich etwas, dass die Manipulation der Zeit keine temporalen Agenten wie Daniels auf den Plan ruft, die ansonsten ja ziemlich darauf bedacht sind, dass die Zeitlinie unangetastet bleibt.
Oder ist diese Art des Zeiteingriffs nur eine mindere Straftat, die man den lokalen Behörden überlässt?
Abschließend fand ich auch die Party an Bord der Discovery etwas arg anachronistisch. Zwar macht die Abkürzung 'D.I.S.C.O.' nun mehr Sinn als je zuvor, aber es wirkt doch merkwürdig old school, wenn man sich vor Augen hält, dass man in zweihundert Jahren immer noch Saufspiele wie Bier-Pong spielt, Disco-Kugeln und ähnliche Beleuchtung verwendet und vor allem Musik hört, die Bender in „Futurama“ als 'klassische Musik' bezeichnen würde. Immerhin war die Verwendung von "Stayin‘ Alive" eine nette Idee, die darüber hinaus auch noch der gesamten Folge einen süffisant-ironischen Unterton verlieh.



V. Übersetzung.
Hand auf’s Herz: In der deutschen Translation geht einfach vieles verloren.
Wenn beispielsweise der simple Dialog

You are mad!
No, I’m Mudd!

nur mit ein ungleich weniger wohlklingenden

Sie sind verrückt!
Nein, Mudd!

wiedergegeben werden kann, dann zeigt es sich deutlich, dass es Vorteile haben kann, auch die englische Sprache zumindest weit genug zu beherrschen, dass man mal eine Folge im Original sehen kann (und Netflix macht es uns dahingehend echt einfach).
Auch der damit in Verbindung stehende englische Titel "Magic to Make the Sanest Man Go Mad" (meine bescheidene Übersetzung dazu: "Ein Zauber, um den vernüftigsten Mann in den Wahnsinn zu treiben") ist natürlich um Längen schöner als der deutsche.
Wobei ich an dieser Stelle auch einmal eine Lanze brechen muss.
Der deutsche Titel ist – abgesehen von seiner mathematischen Fragwürdigkeit – durchaus akzeptabel und ich muss zugeben, dass die Übersetzung der Folge gerade in Bezug auf Mudd großartig ist. Insbesondere in seinen blumigen Umschreibungen ist sie eine eindeutige Kreativleistungen, die einmal auf angenehme Art an den Umgang mit Mudd noch zu Zeiten der Originalserie erinnert. Nicht zuletzt durch die Synchronisation fällt es im deutschen leichter, eine Brücke zwischen beiden Mudd-Versionen schlagen zu können.
Besonders freut mich stets jeder (auch noch so kleine) Auftritt Dr. Hugh Culbers; zumindest seitdem ich weiß, dass Benjamin Stöwe ihm seine deutsche Stimme leiht. Dass es mit dem Betreiber des 'kleinsten Star-Trek-Museums der Welt' 'einer von uns' geschafft hat, einen solchen Beitrag zu Star Trek zu leisten, rundet das 'Erlebnis Discovery' nur noch mehr ab.
Einziger Wehrmutstropfen sind wie immer die deutschen Untertitel, die ihre Aktivierung nach wie vor nicht rechtfertigen.


VI. Fazit.
"T=Mudd²" ist in meinen Augen die bislang schwächste Folge innerhalb der neuen Serie. Trotz einiger vielversprechender Ansätze verrennt sie sich in einer seelenlosen Wiederverwertung ausgiebig behandelter Themen, widerspricht einer inneren Logik in vielen kleinen Punkten und vermag es nicht, den einzelnen Figuren eine stringente Entwicklung zu verschaffen. Abgekoppelt vom größeren Erzählrahmen bedient sie eher die von ihr angeprangerten Wiederholungen, als die von ihr herbeigesehnten Veränderungen. Die anvisierte Neuerfindung Star Treks sucht man in der siebenten Episode jedenfalls vergebens.

Bewertung.
Das ist verrückt! Nein, Mudd!





VII. Schluss.

Da ist sie.
Meine erste negativere Rezension.
Es fühlt sich schlecht an, denn ein Teil von mir will natürlich, dass Discovery ein großer Erfolg für Star Trek wird. Aber ich habe haarklein dargelegt, was mir dieses Mal eben nicht gefallen hat.
Das interessante daran ist, dass mein negativer Eindruck von anderen nicht geteilt wird.
Rezensionen, die in den von mir positiv benoteten Folgen eher schlechte Seiten sahen, sprudeln nunmehr vor Lob für diese Episode über.
Das zeigt vor allem eines mit aller Deutlichkeit:
Keine Kritik hat einen Generalvertretungsanspruch. Menschen sind von Natur aus unterschiedlich und legen ihre Schwerpunkte auf verschiedene Aspekte. Es beruhigt mich sogar ein wenig, dass andere in dem, was ich mit Zweifel sehe, etwas erkennen können, das mir verborgen bleibt.
Am Ende muss sich nämlich jeder Zuschauer selbst ein Bild von "Discovery" machen und ein eigenes Urteil fällen. Rezensionen können fraglos dabei helfen, aber eine allgemein gültige Antwort liefert keine von ihnen.
Diese stellt darin keine Ausnahme dar.


Denkwürdige Zitate.


"Wir können uns alle glücklich schätzen, zusammen mit unseren Waffenkammeraden hier zu sein und lachen und tanzen zu können. Aber wir wollen dabei trotzdem all jene nicht vergessen, die im Kampf große Opfer erbracht haben oder ihr Leben für uns gegeben haben, damit wir weiterkämpfen können. Auf die zehntausend, die uns verlassen haben, die wir aber nie vergessen werden!"
Ash Tyler

"So ein Glück; Sie wurden vor dem Small Talk mit mir gerettet…"
Tyler

"Warum sollten Sie sich bitte für eine zufällige physische Interaktion entschuldigen? Genau dies sind doch die Momente, die das Leben so wunderbar unvorhersehbar machen!"
Paul Stamets zu Michael Burnham

"Und außerdem werde ich Sie so viele Male wie möglich umbringen…"
Harry Mudd

"Captain, geben Sie mir die Aufsicht darüber! Als Xenobiologin kann ich am besten die Bedürfnisse der Kreatur einschätzen."
"Mir egal, wer das macht. Regeln Sie’s einfach!"
"Dann überwache ich die Sicherheit bei der Operation, Captain."
"Gut! Ist mir genauso egal. Gehen Sie!"
Burnham, Lorca und Tyler

"Glauben Sie, dass der Wal bewaffnet ist?"
Medizinischer Offizier (vielleicht der Chefarzt der Discovery?)

"Käfer kennen keine Treue."
Mudd

"Egal wie oft ich das mache – es wird dadurch nicht besser."
Stamets

"Ist der Fisch sicher an Bord gelandet?"
"Genau genommen ist es kein Fisch. Es…"
Lorca und Saru

"Was zur Hölle machen Sie auf meinem Schiff?"
"Sie stellen mir diese Frage jedes Mal wieder. Das wissen Sie, oder? Nein, wissen Sie natürlich nicht."
Lorca und Mudd

"So leicht wie man das Schiff zerstören kann, wirkt das fast wie ein Konstruktionsfehler."
Mudd

"Wo ist Mudd jetzt?"
"Zu dieser Zeit bringt er meistens den Captain um…"
Burnham und Stamets

"Hey, ich hab da drüben einen echt heißen Typen gesehen und der scheint Musiker zu sein!"
Stamets zu Tilly

"Oh-oh! Eine Xenoanthropologin die in der Ecke steht. Studieren Sie etwa das Liebesverhalten gestresster Soldaten?"
Tyler zu Burnham

"Tanzen Sie mit mir! Zu Forschungszwecken… Ich muss ja sehen, mit wem ich es hier zu tun habe…"
Stamets zu Burnham

"Das ist ja ein verrückter Abend! Aber irgendwie auch interessant…"
Tyler zu Burnham

"Falls also irgendwer von Ihnen plant, sich zum Helden aufzuspielen – Sie eingeschlossen, beliebiger Sternenflotten-Kommunikations-Fuzzi – werden Sie sehen, dass es wenig gibt, was ich nicht weiß."
Harry Mudd

"Niemand besiegt Mudd."
Mudd

"Ach Lorca, es wird mir sehr fehlen, Sie zu töten. Adieu, mon capitain!"
Mudd zu Lorca

"Hör zu, Zuckerschnütchen: Ich bin vom Tag meiner Geburt an beschissen worden. Ich hab das hier verdient!"
Mudd zu Burnham

"Du weißt, wieviel Du mir bedeutet hast… bedeutest! Wieviel Du mir bedeutest, aber um ganz ehrlich zu sein: Mein Leben ist gesäumt von – ach, wie soll ich es nennen? – schlechten Entscheidungen, Schulden, Schandflecken die meinen Ruf beschmutzt haben und ich wollte nicht den Bund der Ehe mit dir eingehen, solange ich mich nicht davon befreien konnte. Und so zog ich los, um mich reinzuwaschen. Aber – und leider! – bin ich auf Abwege geraten."
Harry Mudd zu Stella

"So wie Wiederholung zu Wiederholungen führt, so bringt Veränderung Veränderung hervor. Die Wahrheit ist wohl, dass wir nie wissen können, was uns erwartet. Manchmal findet man nur dann heraus wo man hingehört, wenn man der täglichen Routine entflieht. Denn manchmal wartet das, was man sich immer gewünscht hat, gleich hinter der nächsten Ecke."
Burnham

Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Mittwoch, 25. Oktober 2017

Turons Senf zur sechsten Folge Discovery

Spoilerwarnung.
Dieser Artikel enthält massive Spoiler zum Inhalt der sechsten Discovery-Folge "Lethe" und sollte nur gelesen werden, wenn man die Episode und sämtliche vorangegangenen bereits gesehen hat.


Einleitung.
Um eine solche Rezension zu schreiben, sehe ich mir die aktuelle Folge mindestens zwei Mal mit einem alten Star-Trek-Hasen wie K'olbasa an. Im Anschluss tauschen wir unsere Ansichten über die dortigen Ereignisse, Entdeckungen und Entwicklungen in bester Nerd-Manier aus.
Danach schaue ich sie mir mindestens zwei Mal auf Englisch zusammen mit meiner Frau an, die mir weiteren Input gibt und mich nicht selten auf den ein oder anderen Aspekt aufmerksam macht, der mir sonst entgangen wäre.
Einen weiteren Tag lang lasse ich mir alles noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen, rede mit dem ein oder anderen Gelegenheitszuschauer und beginne langsam, mir meine Rezension im Hinterkopf zusammenzuschustern.
Am Dienstag Abend sitze ich dann bis spät in die Nacht, um meine Gedanken zu Papier zu bringen und sehe mir die Episode ein weiteres Mal an, um Screenshots zu machen und 'Denkwürdige Zitate' niederzuschreiben.
So kommt das heraus, was man im Folgenden lesen kann...

Story.
Michael Burnhams Welt gerät aus den Fugen, als sie über die seelische Ferngesprächs-Verbindung zu ihrem Adoptiv-Vater Sarek erfährt, dass dieser in akuter Lebensgefahr schwebt. Nach einem feigen Angriff eines fanatischen Terroristen treibt der verdiente Föderationsbotschafter bewusstlos auf seinem beschädigten Schiff durch einen radioaktiven Nebel.
Sofort sichert ihr Captain Gabriel Lorca seine Unterstützung zu. Doch während Burnham in den Weiten des Alls verzweifelt nach ihrem Ziehvater sucht, muss er sich seinen eigenen Dämonen stellen. Seine Vorgesetzte und Geliebte nutzt nämlich die Gelegenheit beim Schopfe, den psychischen Zustand des Raumschiffkommandanten auf Herz und Nieren zu überprüfen. Rasch wird ihr klar, dass Lorca zu einem unstabilen Element geworden ist, das nun über das Rückgrat der Sternenflottenverteidigung nach eigenem Ermessen verfügt und dabei mehr als einmal die Grenze des Erlaubten überschreitet. Lorca erkennt, dass er eine Möglichkeit finden muss, seine eigene drohende Absetzung abzuwenden…


Lobenswerte Aspekte.

Charaktermomente.
Eigentlich wollte ich ja damit aufhören, stets und ständig Loblieder auf den ebenso raubeinigen wie raubauchigen Kommandanten Gabriel Lorca anzustimmen.
Aber dieses hehre Ziel werde ich auch dieses Mal verfehlen, denn Lorca ist – schon wieder – der absolute Gewinner dieser Folge.
Warum?
Weil er spätestens ab jetzt als 'genial fies' gelistet werden muss.
Er tut nämlich Burnham keineswegs einen Gefallen, als er ihr ermöglicht, in einem abgelegenen radioaktiven Nebel nach ihrem vulkanischen Ziehvater zu suchen. Er nutzt diese Situation taktisch, indem er frei nach dem Motto 'eine Hand wäscht die andere' Burnham dazu manipuliert, nicht nur freiwillig in seinen Führungsstab zu wechseln, sondern diesen neuen Posten dankbar und hochmotiviert auszufüllen.
Daneben ist ihm vergleichsweise schnell aufgegangen, dass Stamets eugenische Experimente mit dem Sporenantrieb sehr wohl eine persönlichkeitsverändernde Wirkung auf seinen Chefingenieur haben (man achte vor allem auf seine Blicke zu Stamets, als er von den Plänen zum Bau eines 'synthetischen Gedankenverschmelzungsverstärkers' hört), aber er ist bereit, die deutlich erkennbare Wesensveränderung eines wertvollen Crewmitglieds in Kauf zu nehmen, solange sie seinem Schiff einen taktischen Vorteil bietet.
Als wäre das allein noch nicht berechnend genug, zögert er keine Sekunde lang, seine Hop-On/-Hop-Off-Beziehung und das Leben des Admirals Katrina Cornwell zu opfern, um die USS Discovery unter seinem Kommando zu behalten. Klar haben wir auch schon bei Kirk und Picard das ein oder andere Verzweiflungsmanöver gesehen, um die überfällige Beförderung zu umgehen, aber Lorca gibt dem beinahe schon sprichwörtlichen Klammern am Stuhl des Captains eine völlig neue Ausrichtung. Wissentlich stattet er seine Bettgefährtin mit einer minimalen Eskorte aus; wissentlich verzichtet er auf eine eigenmächtige Rettungsmission für die Frau, die ihn von seiner Position entfernen will und wissentlich begründet er sein Verhalten mit den gleichen leeren Worthülsen, die er zuvor nicht für sein eigenes Handeln hat gelten lassen. Die Tatsache, dass ausgerechnet der Harry-Potter-Fiesling Lucius Malfoy in Person von Jason Isaacs mit dieser Rolle betraut wurde, ist ein weiterer Glücksfall für diesen Extremcharakter, der nicht nur mit einem Phaser unter dem Kopfkissen schläft, sondern auch die Tür zu seinem Quartier nicht unbewaffnet öffnet.


Der andere große Gewinner der sechsten Folge heißt Sarek, beziehungsweise James Frain. Auf wunderbare Weise wird hier jener Konflikt aufgegriffen, den Spock im fünften Kinofilm in seinen Gefühlen hervorkramt: Als sein Vater nämlich bei seiner Geburt beinahe abgestoßen die Worte "So menschlich!" fallen lässt (diese Worte hört man zudem beinahe im Wortlaut auch in "Lethe").
Sareks gespaltene Persönlichkeit ("starrköpfig und unnahbar"), die sich auf der einen Seite bemüht, die menschliche Präsenz in der vulkanischen Gesellschaft zu fördern, aber seine eigenen Kinder und Ziehkinder zu zwingen, ihre menschliche Hälfte zu unterdrücken, trifft Michael Burnham nicht weniger hart als ihren Adoptivbruder. Plötzlich verstehen wir Sareks bittere Enttäuschung, als Spock sich der Sternenflotte zuwendet und damit Sareks Bevorzugung zurückweist, denn dies steigert den Zweifel an Sareks eigenem –erschreckend menschlichen - Handeln ins Unermessliche. Doch anstatt den Fehler bei sich selbst zu suchen, zeigt der in seiner Logik ebenfalls extremistisch veranlagte Sarek nicht nur Spock, sondern nun auch Burnham die kalte Schulter.
Es bedarf (schon wieder) einer Nahtod-Erfahrung, um wenigstens peripher unter die diversen Lagen von Schutzhüllen aus Logik zu blicken, die sein Innerstes offenbaren. Frain gelingt am Ende ein grandioses Porträt des legendären vulkanischen Botschafters, das sich nahtlos an die Darstellung Mark Lenards anschließt.
Durch die beinahe flächendeckende (es gibt auch einige Szenen für Lorca) Rückkehr zur Monoperspektive, gerät auch Burnham wieder mehr in den Fokus des allgemeinen Geschehens. Sie weiß die Aufmerksamkeit zu nutzen und es gelingt ihr – trotz der massiven Betonung ihrer Vergangenheit - endlich, selbst in Zeiten des Zweifelns eine eigene Identität zu finden, die sie von ihren übermächtigen vulkanischen Wurzeln abnabelt und zu ihrem eigenen Stil zurückfinden lässt. Am Schluss mutiert sie für meinen Geschmack etwas zu voreilig zum Lorca-Jünger, auch wenn ich ihre Motivation glaubhaft nachgezeichnet finde.


Bislang blass erschien hingegen stets Katrina Cornwell, der es aber glückte, sich neben den drei genannten Figuren einen eigenen Platz unter den herausragenden Charakteren zu sichern. Zum einen, weil ihr Auftritt erstmals eine Prise Sex ins prüde Weltallleben gespült hat, und zum anderen, weil ihr Charakter vor den Augen des Zuschauers vom unspektakulären Vorgesetzen zur emotional involvierten sowie als Bauernopfer missbrauchten Todeskandidaten mutiert ist. Man bekommt langsam das Gefühl, dass hier keiner der Nebencharaktere  – wie etwa in den vorangegangenen Star-Trek-Serien -  einfach nur zur Untermalung des Main Casts existiert, sondern eine eigene Rolle in einem undurchsichtigen Netz aus nebulösen Intrigen, bruchstückhaften Informationen und menschlichen Abgründen spielt.
Der Rest der Besetzungsriege hat vergleichsweise wenig zu tun. Saru kommt auf gerade einmal fünfzehn Sätze, Stamets läuft völlig high durch das Geschehen und die Charaktermomente für Ash Tyler dienen wohl nur dazu den Zuschauer in Sicherheit zu wiegen, dass er eben kein Spion ist.
Tilly hat durchaus ihre Momente, aber manifestiert sich mehr und mehr als bloßer Sidekick für Burnham. Spocks Mutter Amanda Grayson war gut gecastet (und Mia Kirshner sah ihrem TOS-Vorbild Jane Wyatt sogar irgendwie ähnlich), verschwand am Ende jedoch im langen Schatten ihres omnipräsenten Ehemannes.
Immerhin gefiel mir der kurze Auftritt des Klingonen Kol, dem es in Habitus, Sprechweise und Hinterhältigkeit gelingt, einen vergleichsweise glaubwürdigeren Klingonen abzuliefern als allen anderen Neo-Klingonen vor ihm.


Moralität.
Wiedermal musste ich eine gute Weile hin- und herüberlegen, bis mir eine tiefere Moral vor die Füße fiel.
Der Folgentitel "Lethe" (der wohl auf den griechischen Unterweltfluss des Vergessens anspielt) war dabei keine sonderlich große Hilfe, denn auch wenn die Art und Weise, wie mit der Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis umgegangen wird ein nettes Gimmick war, blieb es doch weit entfernt davon, ein allzu denkwürdiges Thema abzugeben.
Und auch der Kampf zwischen einer logisch-vulkanischen und einer menschlich-emotionalen Hälfte, wie man ihn bei Sarek als auch Burnham in unterschiedlichem (wenn nicht sogar antithetischem) Ausgang miterleben durfte, ist bei Lichte besehen ein alter Star-Trek-Hut, den es bereits seit Anbeginn der Franchise gibt.
Nein, der Reiz der Folge liegt in einem ganz anderen Aspekt, nämlich Michael Burnhams Zuwendung zu Captain Lorca.
Nachdem sich dieser nämlich für ihre Belange (in diesem Fall die Rettung ihres Adoptivvaters Sarek) einsetzt, lässt sie sich nicht nur bereitwillig einen Brückenposten überhelfen, sondern entwickelt sogar eine ungesunde Loyalität zu dieser – wie wir erfahren – psychisch labilen Führungsfigur.
Trotz aller Intelligenz vermag es die frühere Meuterin nicht, hinter die Fassade dieses Täuschers, Manipulators und Fanatikers zu blicken.
Das Ding ist nämlich, dass selbst Intelligenz nicht davor schützt, sich Fanatikern und deren kruden Ideen zu öffnen, denn selbst die so logischen Vulkanier haben so eine Art Nazi-Dschihadisten in ihren Reihen, die bereit sind, sich für die Reinhaltung ihrer arischen Spezies selbst in die Luft zu sprengen.
In Zeiten, in denen es nicht nur einer AfD, einem Trump oder einem Erdogan gelingt, die Gesellschaft zu spalten, sondern auch religiöse Hardliner im Islam, Christentum oder selbst Buddhismus immer wieder andere Menschen zu Schandtaten anstacheln, besinnt sich Star Trek endlich wieder darauf, was es einmal ausgemacht hat:
Tagespolitisches Geschehen in die Zukunft zu verlegen und dem Zuschauer vor Augen zu halten, was mit unserem eigenen Planeten im Hier und Jetzt himmelschreiend schiefläuft.
Schon allein dafür gebührt dieser Serie Hochachtung.


Auf Kuschelkurs mit dem Kanon.
Alles beginnt mit einer grandiosen Aussicht auf den Planeten Vulkan. Eine ganze Folge lang widmet sich der Fokus Discoverys einer der Gründerwelten der Föderation und zeichnet ein rührend schlüssiges Bild der Gesellschaft knapp einhundert Jahre nach "Enterprise".
Noch immer sind die Vulkanier argwöhnisch was Menschen angeht. Während die einen (z.B. Terral) in bester ENT-Manier hinter dem Rücken der Sternenflotte in eigenmächtiger Handlung Separatverhandlungen mit den Klingonen betreiben, sorgen sich andere (eine wirre Minderheit) um die Rassenreinheit ihrer Kultur (was wiederum an die Eingangsszenen des elften Kinofilms erinnert).
Es wird ein differenziertes Bild einer Gesellschaft gezeichnet, die sich erst nach einem Jahrhundert damit auseinandersetzt, was die Mitgliedschaft in einer Allianz mit Menschen und anderen Spezies für die eigene Kultur bedeutet.
Das ist sehr einfühlsam in Szene gesetzt und wird nicht minder liebevoll ausstaffiert: Eine vulkanische Harfe spielt im Hintergrund, das Schiff Sareks (man kann im Hintergrund schon hören, wie der Modellschiffhändler Eaglemoss freudig Daumen und Zeigefinger aneinanderreibt) erinnert in seinem Aufbau noch rudimentär an die Warpringe und die Wiederaufnahme von Gedankenverschmelzungen, Katras sowie grünem Blut zeigt deutlich, dass sich zumindest die Autoren im Vorfeld gründlich mit ihren Kanon-Hausaufgaben beschäftigt haben.
Daneben gibt es kleinere Anspielungen auf die USS Enterprise der Constitution-Klasse, Grazeriten und Yridianer, die den ein oder anderen Querbezug zum größeren Gesamtbild herstellen.
Schließlich bedient man sich auch noch auf andere Weise am reichhaltigen Fundus, den Star Trek zu bieten hat: Die Klingonen sind zwar nicht so plump wie bei TNG, aber dafür so hinterlistig wie bei TOS. Die Selbstmörderwaffe des vulkanischen Logikextremisten erinnert sehr an die Enterprise-Episode "Das auserwählte Reich". Und thematisch hat man sich an Inhalten aus "Reise nach Babel", "Der Anschlag" oder "Star Trek III: Auf der Suche nach Mr. Spock" angelehnt.
Alles in allem zeigen sich die Autoren absolut bemüht, den Fans das ein oder andere Aha-Erlebnis zu verschaffen, ohne sich dabei in Star-Trek-Internas zu verrennen, die Neueinsteigern den Zugang erschweren würden. Stattdessen fallen wohl vielen der Gelegenheitsseher und Neueinsteiger die meisten Referenzen kaum störend auf, was die Brillanz der Bezüge nur noch mehr unterstreicht.


Auf zu neuen Ufern.
Tatsächlich gelingt es der Folge recht gut, das hohe Tempo seines Vorgängers aufrecht zu erhalten und auch wenn der ein oder andere Handlungsstrang in einer gewissen Offensichtlichkeit mündete, warf auch "Lethe" am Ende mehr Fragen auf, als sie beantwortete.
Denn der häppchenweisen Freigabe von Informationen – in diesem Fall, dass die Bombardierung von Burnhams Lernzentrum das Werk einer faschistoiden Logik-Al-Kaida war – folgt die Eröffnung weiterer Nebenkriegsschauplätze:
Ein Admiral befindet sich in der Hand von Klingonen, auf Vulkan machen Terroristen Jagd auf Sarek und Stamets Pilz-Konsum wirkt sich allmählich auf seine Persönlichkeit aus.
Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen sollte und künftigen Episoden bleiben so viele Anknüpfungspunkte, dass man angesichts der Tatsache, dass mittlerweile fast schon wieder die Hälfte der Serie um ist, in ungläubiges Staunen verfällt.


Kritikwürdige Aspekte.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Es ist schon auffällig, dass sich die Schreiber auf der einen Seite unglaublich viel Mühe geben, die Serie passgenau in den Kanon einzufügen, nur um sich die eigene Kontinuität von den Maskenbildnern, den Visual-Effects-Verantwortlichen und Schiffsmodell-Designern ruinieren zu lassen. Dieser uneinfühlsame Bruch scheint allerdings genau die Trennlinie zu markieren, die absichtlich gezogen wurde, um einerseits den Ansprüchen der Alt-Fans und den vermeintlichen Seh-Gewohnheiten von Neueinsteigern zu genügen.
Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass man keine Raumschiff-Kontrollen wie in der Originalserie verwendet, weil das selbst für mich etwas bemüht wäre.
Aber dennoch bleibt festzuhalten, dass man hier summa summarum zu viele Kanon-Regeln verletzt:
Das Schiffsdesign, die Klingonen und – was in dieser Folge besonders zum Tragen kam – die Verwendung von Holografietechnologie.
Wenn Kol sich holografisch durch das All transportiert, um mit anderen zu kommunizieren, ist das schlichtweg falsch.
Wenn Lorca mit einer Holosimulation verschiedener Planeten interagiert, ist das schlichtweg falsch.
Und wenn einem Ego-Shooter ähnlich Gefechtsübung auf einem Holodeck durchgeführt werden, ist das schlichtweg falsch.
Natürlich hat man sich die Mühe gemacht zu zeigen, dass die Darstellung längst nicht so ausgereift ist wie in späteren Star-Trek-Inkarnationen. Klar gibt es auch schon in der Star-Trek-Trickfilm-Serie einen Holodeck-Auftritt. Und selbstverständlich ist mir bewusst, dass es bereits unter Archer etliche Begegnungsmomente gegeben hatte.
Aber diese fortgeschrittene Technologie wird bei TNG in dieser Form als eine große Neuerung und ein Quantensprung in der Entwicklung dargestellt und glänzt bei TOS nicht zu Unrecht mit völliger Abwesenheit. Sie ist ein sinnloser Fremdkörper innerhalb einer Serie, die zehn Jahre vor Kirk, Spock und Pille angesetzt ist.
Bauchschmerzen bereitet mit ferner die erstaunlich zügige Konstruktion eines "synthetischen Gedankenverschmelzungsverstärkers". Zwar hätte dieser Begriff einen besseren deutschen Folgentitel als "Lethe" abgegeben (vor allem weil er der bislang längsten deutschen Titulierung "Der Zentralnervensystemmanipulator" Paroli geboten hätte), doch die Produzenten anderer Serien haben – nicht ganz zu Unrecht – stets Abstand von Maschinen genommen, die als Medium zwischen schwammigen Spezies-Talenten wie Gedankenverschmelzungen, Telepathie oder gar Telekinese fungierten. Diese Zurückhaltung hätte eventuell auch dieser Episode gut zu Gesicht gestanden, denn es stellt sich ein weiteres Mal die Frage, warum dieses Stück Technik in späteren Jahren keinerlei Verwendung fand.
Daneben gibt es noch eine ganze Reihe zusätzlicher Ungereimtheiten und Fragen, die sich daraus ergeben.
Was ist eigentlich mit Sybok?
Für eine Serie, die darauf beruht, dass Spock bislang über Burnhams Existenz den Mantel des Schweigens ebenso gehüllt hat wie über das Leben seines Halbbruders Sybok ist es doch recht auffällig, wie wenig Erwähnung er bei Discovery findet, obwohl sich mehrfach geradezu aufdrängt, den einzigen (?) 'reinrassigen' Sohn Sareks anzuführen.
Warum fliegt Cornwell nicht mit ihrem eigenen Schiff zu den Klingonen?
Natürlich wird der Admiral von Lorca geopfert, aber wenn sie schon mit ihrem eigenen Schiff zur Discovery fliegt, wundert es doch sehr, dass der dortige Captain keinerlei Einwände gegen ihren Ausflug nach Cancri IV erhebt oder wenigstens das Shuttle stellt, das sie dorthin bringt.
Warum hat Vulkan einen Mond?
Laut "Das Letzte seiner Art" soll der Planet keinen Trabanten haben, aber gleich zu Beginn kann man einen solchen Himmelskörper ausmachen. Dieser Widerspruch ist allerdings nichts Neues, denn bereits in der Zeichentrickserie und dem ein oder anderen Kinofilm waren entsprechende Himmelskörper zu sehen. Meist wird die Erklärung herangezogen, dass es sich dabei um einen Schwesterplaneten handelt.
Warum funktionieren die Replikatoren plötzlich mit Spracheingabe?
Tatsächlich war in der Originalserie mehrfach zu sehen, dass Datenkarten zur Bestellung von Speisen notwendig waren und die Spracheingabe eher ein Produkt des "nächsten Jahrhunderts" war. Aber selbst bei TNG waren die Maschinen nicht so redselig, dass sie jeden Benutzer detailreich über die Biografie ihres Frühstücks aufklärten.
Warum muss Tyler Tilly darauf hinweisen, dass er einen höheren Rang hat als Burnham?
Echt mal! Jeder an Bord, inklusive der Kadettin Tilly, hat einen höheren Dienstgrad als die ehemalige Meuterin, die – wie wir seit der vierten Folge wissen – aktuell über keinen Rang verfügt.
Zudem wirkt es recht aufgesetzt, dass Captain Lorca Ash Tyler nach knapp einer Woche gleich zum Sicherheitschef ernennt…


Übersetzung.
Die würde bei weitem nicht so sehr nerven, wenn man dem Substantiv Katra sein weibliches Geschlecht wiedergeben würde. Ständig muss man "seines Katra", "das Katra" oder "dein Katra" hören, obgleich die Synchronisation des dritten Kinofilms ein völlig anderes Vorbild geliefert hat. Doch im Anblick der sturen Beibehaltung dieses Fehlers scheint es wohl abzusehen, dass man diesen Faux-Pas zum neuen Standard erheben wird.
Scheußlicher sind nur die deutschen Untertitel, in denen der Begriff 'Admiral' schon einmal mit "Erbsenzähler" übersetzt, von "des Cancri 4" geredet und ein "Schildetest" anberaumt wird.
Grausam!
Wer nicht auf den ein oder anderen lesbaren Kanonbezug verzichten möchte, sollte lieber auf die englische oder gar klingonische Untertitelspur ausweichen, um dieses Elend zu umgehen.
Einen guten Grund gibt es am Ende aber doch, die deutsche Version zu hören:
Bordarzt Dr. Hugh Culber wird hierzulande seine Stimme von niemand geringerem als Raumschiff-Eberswalde-Gründer Benjamin Stöwe verliehen!


Fazit.
Auch wenn die sechste Episode "Lethe" nicht ganz so rund erscheint wie ihr Vorgänger, gibt es am Ende – vom ein oder anderen inzwischen zur Gewohnheit verkommenen Kanonbruch und Logikloch – wenig zu schimpfen.
Der Erzähltempomat verrichtet seinen Job, es gibt endlich wieder eine großartige (star-trekige) Moral und der vor Input sprudelnden Handlungsentwicklung stehen die sprichwörtlichen 'unendlichen Weiten' offen. 
Dazu gibt es einige großartige Momente für Alt-Fans, atemberaubende Charaktermomente für die Figuren und begnadete Schauspieler, die ihren Rollen neues und altes Leben einhauchen.

Bewertung.

Denkwürdiger vulkanischer Moment.






Schluss.
Wie eingangs bereits geschrieben sehe ich mir jede Folge Discovery mindestens fünf Mal an. Ich weiß dass viele Freunde, Bekannte und Kollegen ähnlich verfahren.
Das heißt vor allem, dass die neue Serie schon allein wegen Leuten wie uns Rezensenten ein Erfolg werden muss, da wir statisitisch gesehen für den ein oder anderen Verweigerer mitsehen. Ohne Frage wird das häufige Sehen von Netflix registriert werden und (hoffentlich) zum Erfolg der neuen Serie beitragen.
Das bedeutet aber beileibe nicht, dass Discovery nur was für Rezensenten ist. Gerade in den letzten paar Tagen ist mir aufgefallen, dass nicht nur die altgedienten Fans (wenn auch mitunter mürrisch) mitschauen, sondern auch viele neue Zuschauerschichten erschlossen werden, denn ich kann kaum mehr aufzählen, wie oft ich durch das Tragen eines Star-Trek-Shirts von wildfremden Leuten auf Discovery angesprochen wurde, von Freunden plötzlich Nachrichten erhielt oder selbst von Kollegen in spontane Fachgespräche über den Inhalt der aktuellen Folge verwickelt werde.
Star Trek ist es mit Discovery wieder gelungen, die verloren geglaubte Aufmerksamkeit zu erreichen und auch, wenn die Reichweite der früheren 'goldenen Zeiten' noch längst nicht erreicht ist, gibt es doch das gute Gefühl, dass das erste Mal seit langer Zeit wieder ein frischer, für alle bemerkbarer Wind durch die Franchise weht.



Denkwürdige Zitate.

"In Krisenzeiten ist Ignoranz manchmal von Vorteil."
Sarek

"Sechs Komma fünf Sekunden ist kein willkürlicher Wert. Mit dieser Zeit erhältst Du eine Belobigung für Deine Ausdauer. Heute lautet Dein Ziel sechs Komma fünf Sekunden. Dann die Versetzung auf ein Schiff der Constitution-Klasse wie die Enterprise. Danach eine Stelle als erster Offizier. Entwirf einen Weg, verfolge ihn und gelang' an Dein Ziel. Vom Kadett zum Captain. So in etwa. Wie soll Dein Weg aussehen, Tilly?"
Michael Burnham zu Sylvia Tilly

"Ihre Faszination für die Menschen darf nicht länger toleriert werden. Ihre Obsession hat sie blind gemacht für die Wahrheit: Der Mensch an sich ist minderwertig. Mein Opfer wird all jenen ein leuchtendes Vorbild sein, denen der Wert der Logik über alles geht. Die Vulkanier werden zur Einsicht kommen und sich aus dem gescheiterten Experiment 'Föderation' zurückziehen."
V’Latak zu Sarek

"Man darf nicht alles glauben."
Ash Tyler

"Die Vulkanier haben die Sternenflotte hintergangen, weil sie mit unserem unlogischen Mist aufräumen wollten."
Gabriel Lorca zu Terral

"Bringen Sie sie in einem Stück zurück."
"Ohne Kratzer!"
"Ich meinte damit sie… Oder kommen Sie gar nicht zurück."
Lorca und Tyler

"Du bist der Captain des hochentwickelsten Schiffes der ganzen Flotte, dem Eckpfeiler unserer gesamten Verteidigung gegen die Klingonen. Du kannst nicht so tun, als ob die Discovery Dein Eigentum wäre!"
Admiral Katrina Cornwell zu Lorca

"Regeln sind für Admirals… Die im Innendienst arbeiten. Ich muss hier einen Krieg gewinnen."
Lorca zu Cornwell

"Ich war dem Tod auch schon nah. Ich stand mal kurz davor. Du denkst nicht darüber nach wer Dich enttäuscht hat. Das spielt keine Rolle. Du denkst an die, die Du liebst; daran, was Du gern anders gemacht hättest. Was hätte Ihr Vater gern anders gemacht?"
Tyler zu Burnham

"Ich habe immer an Dich geglaubt. An jenem Tag hat nur einer versagt und das war ich."
Sarek zu Burnham

"Ich lege auf keinen Fall die mächtigste Waffe im Besitz der Sternenflotte in die Hände eines gebrochenen Mannes."
Cornwell zu Lorca

"Ich bin dankbar unter einem Captain wie Ihnen zu dienen."
Burnham zu Lorca

"Es gibt tausende Wege Captain zu werden. Finde Deinen eigenen."
"Das habe ich."
Burnham und Tilly

Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"