Jedes Jahr am 14. Juli begeht unser
Nachbarland Frankreich seine fête
nationale, also seinen Nationalfeiertag mit einer Menge militärischem
Brimborium. Vor allem in der Kapitale Paris, die ja in der
Star-Trek-Zukunft als Sitz des Föderationspräsidenten zu einer Art
Hauptstadt für einen Großteil des Alpha- und Beta-Quadranten der
Milchstraße werden soll, zentrieren sich die Feierlichkeiten. Aus
Sicht eines Trekkies liegt die herausragende Bedeutung des Staates
jedoch in erster Linie darin, als Geburtsort des legendären
Sternenflottencaptains Jean-Luc Picard gedient zu haben.
Und
als wäre das noch nicht genug feierte gestern auch der englische
Schauspieler Sir Patrick Stewart Geburtstag, der in über 177
Star-Trek-Episoden und in vier Kinofilmen die Rolle des Captain Picard mit Leben erfüllte.
Grund
genug für die Star-Trek-Tafelrunde "Hermann Darnell"
Potsdam-Babelsberg, beiden denkwürdigen Tagen ein Denkmal zu setzen.
Allerdings soll an dieser Stelle weder eine Top-Ten-Liste der besten
Picard Momente stehen, noch ein Gratulationsartikel, den weder
Stewart noch irgendein Franzose je lesen werden.
Stattdessen
wollen wir uns an dieser Stelle einmal einer Frage widmen, die die
Fanseele beschäftigt wie kaum eine andere: Woher kommt eigentlich
Captain Picard wirklich?
Denn
auch wenn der Kanon strikt auf Frankreich als Urheimat des legendären
Sternenflottenoffiziers verweist, gibt es eine Reihe von gewichtigen
Gegenargumenten, die den Charakter eher jenseits des Ärmelkanals auf
den Britischen Inseln verorten lassen. Um diesen spannenden Streit
einmal näher zu betrachten, wollen wir nun einmal in lockerer Form
ein paar Argumente für beide Seiten sammeln, um in einer
anschließenden Konklusion einen Schlussstrich unter diese Debatte
ziehen zu können.
Picard
ist ein Franzose, weil...
… sein
Geburtsort La Barre im heutigen Regierungsbezirk Haute Saône
innerhalb der Serie ("Familienbegegnung") und auf der
Kinoleinwand ("Treffen der Generationen") hinlänglich
etabliert ist. Die Autoren der Serie gingen sogar so weit, das
verschlafene Dörfchen zum Ursprungsort allen Lebens auf der Erde zu
deklarieren ("Gestern, Heute, Morgen") und somit den Stellenwert Frankreichs innerhalb Star
Treks erheblich zu fördern.
Allerdings
muss man einschränkend anmerken, dass die bekannten romantisierenden
Darstellungen des Fleckens keinerlei Deckungsgleichheit mit dem
tatsächlichen Ortsbild aufweisen.
… Picard
ein Experte für Weine und seine Herstellung ist. Als Spross einer
alteingesessenen Winzerfamilie frönt der Captain zu verschiedenen
Gelegenheiten ("Familienbegegnung", "Der Erste Kontakt", Star Trek: Nemesis") der urfranzösischen
Leidenschaft für Weine – vorzugsweise denen aus eigenem Anbau.
Jedoch
bleibt auch hier anzumerken, dass La Barre keineswegs in einer der
ausgewiesenen Weingegend des Landes liegt und die tatsächlich
existierende Weinmarke "Chateau Picard" aus dem knapp 800
Kilometer entfernten Saint Estèphe an der Atlantikküste stammt.
Zudem ist die Vorliebe für solcherlei edle Tropfen keineswegs allein
den Franzosen vorbehalten.
… er
zuweilen ins Französische zurückfällt. Zugegebenerweise kann man
diese Momente an einer Hand abzählen und sie beschränken sich
zumeist auf die Verwendung des unfeinen Ausdrucks "merde".
Während Data die Sprache bereits als "obskur" bezeichnet
("Der Ehrenkodex"), gelingt es seinem Captain jedoch auf
dem Holodeck bestens, sich in seiner vermeintlichen Landessprache zu
verständigen ("11001001").
Spannend
ist übrigens der Umstand, dass die Verwendung von "merde"
in der französischen Synchronisation weniger präsent ist als in der
englischen Originalausgabe oder deutschen Übersetzung:
..
er sich noch immer für französische Musik begeistert. Einmal
abgesehen von Aufnahmen bekannter Franzosen wie Satie, Berlioz oder
Bizet intonierte Picard zu diversen Gelegenheiten auch melodische
Perlen wie "Auprès de ma Blonde", "Frère Jaques"
oder "Sur le Pont d'Avignon". Ja sogar einige Takte der
französischen Nationalhymne "La Marseillaise" schafften es
als Hommage Qs an seinen selbsterklärten Freund in die Episode
"Rikers Versuchung".
… er
immer auch seine Landsleute bedenkt. Der Captain der Enterprise
nannte die Yacht seines Schiffes nach seinem Landsmann Cousteau (StarTrek: "Der Aufstand"), versuchte sich selbst am längst
gelösten Satz des Fermats ("Hotel Royale") und schreckte
auch nicht davor zurück, seinen ersten Offizier mit dem größten
Feldherren seiner angeblichen Heimat zu vergleichen ("Rikers
Versuchung")
… er
bereits in der ersten Episode der Serie kapituliert. Das gängige Klischee über Franzosen, die sich bei militärischen
Auseinandersetzungen ergeben, blühte in den USA eigentlich erst seit
der französischen Weigerung, der USA im zweiten Golfkrieg
Unterstützung zu leisten auf. Aus dem Empfinden heraus, dass die
Franzosen ihrerseits oft von amerikanischer Militärunterstützung
profitierten (im Ersten Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg, im
Vietnamkrieg u.s.w.) verfestigte sich vor allem im anglophonen
Sprachraum über Jahre ein Stereotyp, das Star Trek frühzeitig
vorwegnahm.
Bildquelle: drheckle.net |
Nach
diesen Auflistungen, wird es Zeit, auch die Argumente der
gegnerischen Seite unter die Lupe zu nehmen, die davon ausgeht, dass
Picard (ein Name, der in dieser und anderen Formen in Großbritannien
tatsächlich verbreitet ist) eher aus dem Vereinigten Königreich
stammen muss.
Picard
ist Brite, weil...
… er
wie einer spricht. Jeder, der TNG bereits im englischsprachigen
Original genossen hat, kommt nicht umhin zu bemerken, dass Patrick
Stewart seiner Rolle einen starken britischen Zungenschlag verleiht,
die so gar nicht zum Akzent eines Franzosen passen mag. Stewart
bedient sich eines eleganten britischen Englischs, dass die
Sprechweisen seiner amerikanischen Schauspielerkollegen bereits im
direkten Vergleich einen hierarchischen Unterschied nahelegen.
… er
eine ungewöhnliche Affinität zu Shakespeare zeigt. Picard kann den englischen Nationalbarden nicht nur zitieren ("Mission Farpoint"), sondern gibt sogar Tipps zur Darstellungsweise an
den Androiden Data ("Der Überläufer") und hat in seinem
Bereitschaftsraum stets eine Sammelausgabe in der Auslage.
Shakespeare stand bezüglich seines Einfluss auf die englische
Sprache dem Einfluss Luthers auf die deutsche in Nichts nach und auch
wenn man andernorts Zuneigung zu Shakespeare empfinden kann, kann
wohl niemand den berühmtesten Engländer aller Zeiten so viel
Verehrung entgegenbringen wie ein Muttersprachler selbst.
… er
eine besondere Leidenschaft für Earl Grey (heiß) hegt. Immer wieder
sieht man den Sternenflottencaptain diese "urbritische" Teespezialität
zu sich nehmen und als wäre diese Passion noch nicht Beweis genug,
kann er diese Mischung sogar von Darjeeling (einer anderen
traditionsreichen Domäne aus Zeiten des britischen Kolonialreiches)
unterscheiden.
… er
immer wieder britische Marinetraditionen bemüht. So tritt er
beispielsweise im Rahmen der Beförderung Worfs in einer britischen
Marineuniform auf ("Treffen der Generationen"), vereinnahmt
vor der Schlacht mit den Borg den britischen Admiral Horatio Nelson
("In den Händen der Borg", und dass obwohl laut anderer Quellen einer seiner französischen Vorfahren auf der gegnerischen
Seite gestanden haben soll) und ist sich nicht zu schade, mit Data
fröhlich ein Werk aus der Feder der beiden Engländer Gilbert und Sullivan zu intonieren ("Der Aufstand").
Höhepunkt
dieser Anleihen ist ohne Frage jener denkwürdige Moment, in dem
Stewart als Picard-Doppelgänger in Zehn Vorne die Seefahrer-Hymne
"Heart of Oak" zu singen beginnt, die nicht nur als
offizieller Marsch der britischen Navy gilt, sondern auch vom
ruhmreichen Sieg der Briten gegen die feigen Franzosen kündet.
… er
in einem von Qs Streichen ausgerechnet einen britischen Volkshelden
mimt. Im Zuge seiner schwierigen Beziehungsführung mit Vash entführt
das omnipotente Superwesen seinen vermeintlich französischen Freund
weder in eine Illusion "Cyrano de Bergeracs", noch "Les
Misérables", geschweige denn in "Die fabelhafte Welt der
Amelie".
Nein, Q packt in "Gefangen in der Vergangenheit"
Picards weiße Waden in grasgrüne Leggins und lässt ihn im Sherwood Forrest Robin Hood nachspielen; also genau jene englische Legende,
die schon die Fantasie so vieler Film- und Serienproduzenten
beflügelt hat. Tatsächlich liegt Nottingham nur knapp hundert
Kilometer vom Geburtsort des Schauspielers Patrick Stewarts entfernt
und wenn man schon den angeblichen Geburtsort Picards in diese
Rechnung mitaufnimmt, sollte man auch der britischen Herkunft des
Darstellers berücksichtigen.
Wie
man also sieht, kann man für beide Seiten gewichtige Argumente
finden, die alle ihre Daseinsbereichtigung haben. Einerseits scheint
Picard kein glaubwürdiger Franzose zu sein, während seine Vita aber
andersherum auch nicht gerade wie die eines Angelsachsen erscheint.
Um
der Wahrheit auf den Grund zu gehen, sollten wir daher an dieser
Stelle noch eine dritte Baustelle eröffnen, um zu einem Ergebnis zu
kommen.
Picard
ist in Wirklichkeit Amerikaner, weil...
… die
USA sich ohnehin auf die gleichen Literaturtraditionen berufen wie
die Briten. Shakespeare ist an amerikanischen Schulen zumindest
ebenso wichtig wie im Vereinigten Königreich, Robin Hood gehört
auch jenseits des Großen Teiches zum allgemeinen Kulturgut und wenn
die Marinetraditionen innerhalb der Sternenflotte auf ein bestimmtes
Vorbild ausgerichtet sind, dann doch immer noch auf das
US-amerikanische. Explizit amerikanischen Autoren steht Picard in
puncto Zitierfähigkeit gegenüber Shakespeare jedenfalls in nichts
nach, wie seine Kenntnisse über Moby Dick lebhaft unter Beweis
stellen (Star Trek: "Der erste Kontakt").
… er
ein begeisterter Anhänger von Privatdetektivgeschichten ist. Während
nämlich der Londoner Sherlock Holmes dem Supergenie Data kampflos
überlassen bleibt, widmet sich der Captain der Enterprise in seiner
Freizeit dem beinahe erschreckend trivialen Handlungsrahmen eines
Privatschnüfflers namens Dixon Hill, wie er in billigen
Groschenheften nicht schlechter porträtiert werden könnte. Ein
besonderes Kontrastprogramm im Hinblick auf intellektuell
anspruchsvollere Köpfe wie Shakespeare, Melville oder Berlioz.
… er
ebenfalls eine Mitschuld an der Unterdrückung der amerikanischen
Ureinwohner trägt. Wie man in "Am Ende der Reise" erfahren
konnte, war auch einer der Vorfahren Picards an der systematischen
Dezimierung der Indianer beteiligt. Damit schultert er auch eine der
Hauptaltlasten amerikanischer Geschichte, da die Besiedler der Neuen
Welt nicht gerade zimperlich mit den Heiden umgingen, die sie dort
vorfanden. Picard wird von einer Folge zur anderen plötzlich in eine
Traditionslinie mit amerikanischen Tätern wie James William Forsyth
oder Buffalo Bill gestellt, um die Kollektivschuld des gesamten
Landes auf mehrere Köpfe zu verteilen.
Wie
man also sieht, steckt auch eine gute Portion Amerikaner in der
Figur, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass die
verschiedenen an der Serie beteiligten Autoren ebenfalls Amerikaner
waren und ihre eigene Lebens- und Erfahrenswelt zur Grundlage eines
Picard-Bildes machten, das bis heute anhält.
Und
genau da liegt das Problem.
Bedenkt
man, dass der geringste Teil dieser Autoren wirklich über
Informationen über Frankreich und Großbritannien aus erster (also
eigener) Hand verfügte, kann man sich gut vorstellen, dass die
bestehenden Lücken mit Allgemeinplätzen und Stereotypen gefüllt
wurden.
Aus genau diesem Grund ist La Barre ein Märchenort in allerfeinster Disney-Manier, kommt Picards Französisch kaum über "merde" hinaus und stellt sein Tee-Konsum auch kaum einen Widerspruch dar. Die meisten Stereotypen sind dabei nicht zwangsweise französisch, sondern europäisch beziehungsweise dass, was die Autoren für typisch auf dem Alten Kontinent hielten.
Aus genau diesem Grund ist La Barre ein Märchenort in allerfeinster Disney-Manier, kommt Picards Französisch kaum über "merde" hinaus und stellt sein Tee-Konsum auch kaum einen Widerspruch dar. Die meisten Stereotypen sind dabei nicht zwangsweise französisch, sondern europäisch beziehungsweise dass, was die Autoren für typisch auf dem Alten Kontinent hielten.
Hinzu
kam, dass die Besetzung Picards mit Patrick Stewart das Ergebnis
eines langwierigen Prozesses war, in deren Verlauf man beschloss, den
talentierten Shakespeare-Veteranen eben nicht durch einen verordneten
(und höchstwahrscheinlich albernen) Dialekt zu limitieren. Während
zu Beginn der ersten Staffel noch viel Wert auf die Betonung der
französischen Herkunft Picards gelegt wurde, versandeten
entsprechende Bemühungen im Laufe der Serie und mit zunehmendem
Einflussverlust Gene Roddenberrys und nur punktuell wurde Picards
Herkunft noch thematisiert.
Im
gleichen Maß und im Zuge des allgemeinen Erfolges der Serie erhielt
Stewart mehr und mehr Freiheiten, die er – bewusst oder
unterbewusst – auch nutzte, um seiner Rolle einen britischeren
Anstrich zu verpassen.
Picard
ist daher bei genauerem Hinsehen ein schizophrener Kosmopolit, der im
Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen der amerikanischen
Drehbuch-Autoren, Gene Roddenberrys und Patrick Stewarts zu eben
jener Kultgestalt geworden ist, die Fans bis heute lieben.