Mittwoch, 5. März 2014

Blade Runner ist eine Dystopie!

Seit Professor Pröve im letzten, veröffentlichten Interview die Frage in den Raum geworfen hatte, was die klassische Dystopie ist, trage ich mich mit dem Gedanken herum, ob es die Negativ-Version unserer Zukunft überhaupt geben kann. Wie heißt es so schön: wo Licht wandert, fällt auch Schatten. Es gibt eine überdimensional große Anzahl an Science-Fiction-Filmen, die sich mit den Schatten beschäftigen. Besieht man sich allein die Veröffentlichungen  der Sechsziger und Siebziger Jahre Hollywoods, so fällt einem sogar eine sehr große Zahl solcher Filme auf. Sie zeigen uns Aliens, die nur dann zu Besuch kommen, wenn die Hauptspeise der Mensch selbst ist. Ganze Heerscharen an Monstern vom Mars sind es, die unsere planetaren Außenposten überfallen. Von solch plumper Filmemacherei hat man sich verabschiedet. In den Achtzigern geht man zum Cyberpunk über, der uns eine verstörende Zukunftsvision präsentiert und damit sehr eindeutig als Dystopie auftreten will.

Ich weiß nicht, warum mir das damals nicht eingefallen ist, aber das Element der Dystopie hat nicht nur Einfluss auf den Handelsstrang, sondern ist wesentliches Element der Gesellschaft, die als Beiwerk im Hintergrund des Protagonisten agiert. Sie ist durchweg vorhanden und als Element nicht wegzudenken, selbst wenn der Held in unseren Augen moralisch richtig handelt. Die Handlungsweise einer Figur kann sich nur begrenzt auf Megakonzerne in "Ghost in the Shell" auswirken. Sie werden trotzdem unbeeindruckt ihre Privatarmeen aufstellen und die politische Substanz unterwandern um ihre Interessen durchzusetzen. Das tut auch der Hauptgeschichte keinen Abbruch. Deswegen sprechen wir bei Star Wars neben anderen Gesichtspunkten auch nicht von klassischer Science-Fiction, sondern eher von einem Märchen (nein, nicht wegen der Lichtschwerter oder dem sich fast anbahnenden Inzest im Königshaus).

Eine Dystopie beherbergt viele verschiedene, meist aus heutiger Sicht negative Elemente. Einen funktionierenden Staat als solchen gibt es mitunter nicht unbedingt oder er ist klägliche Randnotiz ("Ghost in the Shell", "Johnny Mnemonic"). Hin und wieder tritt er aber auch als freiheitsraubende, allumfassende Macht auf ("Fahrenheit 451", "1984", "Schöne Neue Welt"). Die Diskriminierung bestimmter Minderheiten ("Blade Runner", "District 9") oder der Rückfall in eine sklavenähnliche Gesellschaft unter dem Joch eine fremden Macht ("Terminator", "Matrix") sind ebenfalls als Dystopien anzusehen. Naturkatastrophen, die den Planeten zu einem Wildlife-Park machen, können zu sehr guten und unterhaltsamen Dystopien ("Die Zeitmaschine", "Waterworld") werden.

Dystopie - Albtraum und Wirklichkeit in der Matrix

Wir sprachen im Interview über das Beispiel Blade Runner. Der Film wäre laut Aussage unseres Interviewpartners allein deswegen keine Dystopie, weil er ein positives Ende präsentiert. Gemeint ist hier eine der letzten Szenen, in der Rick Deckard mit der Replikantin Rachel in einem Hubschrauber über einer grünen Waldfläche seinem unbekannten Ziel entgegen fliegt. Auch die Wandlung Deckards hatte Herr Pröve angesprochen. Er wird vom Jäger zum Gejagten und sieht sich plötzlich in die Rolle eines Replikanten gedrängt, weil er Rachel schützen möchte.
Hier sind einige Dinge zu bemerken, die meine Behauptung (Blader Runner ist eine Dystopie) stützen werden. Erstens: Hollywood-Filme haben seit geraumer Zeit den Ruf, per se einen positiven Ausgang nehmen zu müssen - man spricht vom Hollywood-Ende. Von den oben in Klammern genannten Filmen nehmen fast alle Beispiele einen positiven Ausgang für den Protagonisten. Selbst wenn der Held stirbt, so hat er sich für eine positive Handlung geopfert, die das Kinoende in entsprechendem Licht erscheinen lässt.
Zweitens: Ridley Scott, Regisseur des Films "Blade Runner" bastelte über zwei Jahrzehnte an Ende des Streifens herum ohne jemals wirklich das Gefühl gehabt zu haben, dass er es bei einem Abschluss belassen könne. Ich kann nicht sagen, ob es vielleicht mit den zum Teil unseriösen Kritiken eines Roger Ebert zusammen hing, aber es würde vielleicht den einen oder anderen Cut erklären.

Für die Trekkies ist Gene Roddenberrys Vision eine Zukunft, auf die sich jeder freuen sollte (sieht man mal von den schwedischen Unwägbarkeiten aus dem Delta-Quadranten und anderen Dingen ab). Wir sind oder wir werden eine große Vereinigung innerhalb der Galaxie die auf Werte wie Gleichheit und Freiheit setzt an der jeder teilhaben kann, der gewillt es sich diesem offenen Dialog untereinander zu stellen. Ok, wir lassen Hologramme in Minen arbeiten, aber wir haben dafür Hunger und unpopuläre Krankheiten des 21. Jahrhunderts ausgelöscht. Außerdem geben wir uns auf der Erde nicht mehre gegenseitig auf die Nase und lösen diplomatischen Probleme nicht mit militärischen Einmärschen auf der Krim, sondern treten in den Dialog und nicht in den Krieg ein.

Und wie äußert sich die Zukunft bei Blade Runner aus? Es gibt eine hungernde Bevölkerung auf der Erde, versklavte, kurzlebige aber mit Gefühlen ausgestattete Replikanten, die unsere Raumstationen im All putzen müssen und tagsüber ist der Himmel über San Francisco in ein smogreiches Gelb eingehüllt. Außerdem regnet es nur (Ok, damit könnte ich leben) und echte Haustiere gibt es auch nicht mehr.
Diese Zukunft ist nicht wünschenswert und daher in ihrem Gesamteindruck als dystopisches Konstrukt zu verstehen, das als wesentliches Element dieser Geschichte einen entsprechenden Einfluss hat. Die Menschen beherrschen die Technik ihrer Replikanten nicht. Sie haben keinen Einfluss auf den Freiheitsdrang ihrer Geschöpfe. Und damit wären wir wieder bei einem weiteren dystopischen Element angelangt: der Mensch-Maschine als Schöpfer-Schöpfungskonflikt).  All diese Punkte machen Blade Runner zu einer klassischen Dystopie deren Schöpfer Philip Kindred Drick in seinem Roman "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" nie an ein Hollywood-Ende dachte, sondern dessen Hauptfigur am Ende des Buches angesichts einer künstlichen Kröte der Verzweiflung anheim fällt.


                                                                        Roy Battys berühmte letzte Worte

Dieser geniale Monolog auf dem Dach eines Hochhauses zeigt die Spaltung dieser Gesellschaft sehr deutlich. Roy Batty deutet mit seinen letzten Worten an, dass die Anerkennung der Replikanten eine gesellschaftliche Bereicherung darstellen würde. Sie können eben Dinge sehen und wahrnehmen, die den Menschen immer verborgen sein werden. Diese Wahrnehmung stirbt durch die strikte Verfolgung der Replikanten und durch ihre verbleibende Lebenszeit. In diesem Monolog drückt sich die Verzweiflung der Gejagten aus. Eine Verzweiflung, die Deckard teilen muss, da er nun selbst zum Gejagten wird, da er Rachel hilft, zu fliehen.

Dystopien haben die selbe Aufgabe wie ihre positiven Brüder. Sie sollen uns zeigen, in welche Richtung sich die Menschheit entwickeln kann. Sie verstehen sich dabei dennoch als Medien der Unterhaltung und enden mit einer positiven Position oder Entwicklung des Helden. Sie bleiben aber im Kern, was sie sind: eine nicht erstrebenswerte Zukunft. Daran ändert auch Hollywood nichts. Ich hoffe, dieser kleine Beitrag kann etwas zur Diskussion um die Definition der Dystopie beitragen. Falls jemand Gegenvorschläge oder andere Erwähnungen hat, soll er sie bitte in die Kommentare schreiben oder mich auf der nächsten Tafelrunde am 7. März 2014 ansprechen.


7 Kommentare:

  1. Ich persönlich finde ja, dass Du einen wesentlichen Punkt gerade bei den Betrachtungen zu "Blade Runner" unterschlägst, zumal er der Argumentation Pröves durchaus in die Hände spielen würde:

    Das Ende des Films, wie wir es heute kennen, war ursprünglich gar nicht so geplant. Tatsächlich sollte in der Urversion deutlich impliziert werden, dass auch Deckard ein Replikant ist. Doch Testvorführungen stellten heraus, dass dieses Ende den Zuschauer zu sehr verwirrt hätte, weswegen das Finale in die von Dir beschriebene Version umgewandelt wurde.

    Vgl. http://einestages.spiegel.de/static/entry/stuss_am_schluss/99904/_blade_runner.html?o=position-ASCENDING&s=12&r=1&a=24845&c=1

    Die traurige Wahrheit ist also wohl eher, dass dystopische Filme vom Rezipienten nicht verstanden oder nicht gewollt werden, weswegen die großen Science-Fiction-Produktionen in großer Regelmäßigkeit dem Drang des Kinobesuchers zum Happy End oder zumindest zum hoffnungsvollen Ende gehorsam Folge leisten. Direkt schade, denn mit dem beschriebenen Schlussakkord wäre mir "Blade Runner" nämlich noch 'runder' erschienen.

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  2. "Zweitens: Ridley Scott, Regisseur des Films "Blade Runner" bastelte über zwei Jahrzehnte an Ende des Streifens herum ohne jemals wirklich das Gefühl gehabt zu haben, dass er es bei einem Abschluss belassen könne. Ich kann nicht sagen, ob es vielleicht mit den zum Teil unseriösen Kritiken eines Roger Ebert zusammen hing, aber es würde vielleicht den einen oder anderen Cut erklären." Ich habe gar nichts unterschlagen :-)
    Auf Spiegel-Artikel, die sich mit Filmen auseinandersetzen gebe ich nichs. Das Ende von Blade Runner ist mit dem Directors Cut am besten gelungen, da hier nicht klar wird, was wirklich passiert, bzw. der Zuschauer sich seine eigenen Gedanken machen muss. Hollywood ist nun mal Hollywood! Das habe ich im Text auch mehrfach so erwähnt. Ein Happy End spielt Herrn Pröve auch nicht in die Hände, da es noch lange keine Utopie aus einem Film macht.

    So long,
    Strifes.

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    1. Mir ging es weniger um die Tatsache, dass es ein alternatives Ende gibt, sondern dass es mit dem ursprünglichen Ende einen 'dystopischen' Hollywoodstreifen mit einer Art Happy End (und einem schrecklichen Voiceover) wurde - also ein Dystopie im Pröve-Sinne, wie Du selbst im Interview schreibst. Ich bin schon der Meinung, dass es seine Argumentation unterstützt.

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  3. Das Grundproblem ist doch eher, dass es an einer vernünftigen, vor allem analytischen Definition mangelt. Wenn ich mir den Wikipedia-Eintrag zu Dystopie ansehe, schaudert es mich. Alles nur relationale positivistische Beschreibungen. Vor allem die Liste der vorgeblichen dystopischen Filme...? Man sollte vielmehr zwischen Erzählstruktur und Handlungslogik unterscheiden. Denn sehr häufig dient das Setting doch nur als Kulisse, zur Veranschaulichung innerer Konflikte der Hauptfigur bzw. zur Herausstreichung der besonderen Willens- und Charakterstärke dieser Figur, indem diese an den zu meisternden Problemen gemessen wird. Zumeist dienen diese vermeintlich dystopischen Filme doch nur der Konturierung der Figuren, dem Spannungsbogen; solange am Ende alles "gut" ausgeht, solange am Ende der Held siegt, solange es einen Ausweg zu geben scheint, liegt meiner Ansicht nach keine Dystopie vor (etwa Postman, Waterworld, Oblivion). Eines der wenigen Gegenbeispiele dürfte vielleicht 1984 von Eric Blair/George Orwell sein. Hier scheitert am Ende alles. Auch die Hoffnung, auch die Liebe. Es gibt keinen Ausweg. Kein HappyEnd. Keinen Helden. Was sind für Euch denn die Grenzen zur Dystopie? Wann ist eine Rahmengeschichte fundamental und ausweglos schlecht, negativ?

    Redshirt60

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  4. Bin gerade unterwegs, deswegen nur kurz: Bitte lest den Artikel!!! Ein Happy End verwandelt eine dystopische Gesellschaft nicht in eine lebenswerte Umgebung. Betrachten wir die Definition einer Utopie so sind dort stets gesellschaftliche Umstände gemeint, die ein positives Bild vermitteln. ich geb dir Recht, dass der Wikipedia-Artikel schwach ist, aber die Aufzählung der entsprechenden Merkmale hat schon ihren Sinn. Es geht nicht darum, was aus dem Helden wird, auch nicht bei Blade Runner, sondern wie diese Gesellschaft mit den Figuren umgeht. Der eihgentliche Held ist Roy Batty, der einen aussichtslosen Kampf verliert. Kommt doch mal bitte von den Happy Ends weg, das ist der falsche Weg sich einer Dystopie zu nähern! Mehr dazu gern heute abend. Notfalls schreibe ich dann meine Definition auf und nenne euch Gründe für meine Sichtweise. Die Aspekte einer Dystopie machen sich an der Gesellschaft fest, die im Hinterbgrund Einfluss auf die Handlungsstränge nimmt.

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    1. Vorsicht Strifes, Du kannst nicht zu einer Diskussion aufrufen und diese dann abwürgen, nur weil die Teilnehmer Themenfelder erörtern, die Du in Deinem (schönen!) Artikel leider nur leicht touchierst. Gelesen haben wir Deinen Artikel tatsächlich alle, sonst würden wir ja auch nicht dazu übergehen, die angesprochenen Inhalte aufzugreifen.
      Ich finde nämlich schon, dass Redshirt60 zu Recht da ganz allgemein einen wunden Punkt von Dystopiebetrachtungen aufführt, den Dein Artikel auch nicht endgültig klären kann.
      Und wenn es wirklich einen 'richtigen Weg' gäbe, sich einer Dystopie zu nähern (wie Dein letzter Kommentar nahelegt), hättest Du in Deinem Interview kein Streitgespräch darüber führen oder keinen Artikel dazu schreiben müssen.

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  5. Hi Strifes, ich stimme Deiner Meinung zu. Nach der Definition einer Distopie, die eine negative Darstellung einer zukünftigen Gesellschaft beschreibt, kann man Blade Runner sehr gut in diese Schublade einordnen. Im Film wird nur der Ausgang der Handlung positiv dargestellt, hat aber im Zusammenhang mit den Zuständen der Gesellschaft nichts gemein. Auch wenn ein positives Ende im Film gezeigt ist, bleibt der Status Quo der Gesellschaft erhalten. Meine Meinung.

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