Dem Ruf des Kahless folgend bin ich,
wie viele andere auch, am Abend des 22. Februar in das Haus der
Kulturen der Welt in Berlins grüner Mitte gepilgert um einen
ungewöhnlichen Abend zu erleben. Gegeben wurde die klingonische Oper
'u' des Niederländischen Theaters Zeebelt. In 'u' wird die Geschichte von Kahless erzählt, welche in
einigen Folgen der TNG-Ära zwar Erwähnung fand, jedoch nie
vollständig auf den Bildschirm gelangte. Inhaltlich geht es - wie es
sich für eine traditionelle klingonische Oper gehört – um Ehre,
Rache, Liebe, Tod und Nachwelt. So werden Verwandte getötet, Herzen
vereint und ehrenvolle Riten zelebriert.
Was zunächst nach schwerem Stoff à la
Wagner klingt - und der damit verknüpften Vermutung nach zeitlich
ausgedehnten Längen inkl. Zusammenbruch der strukturellen Integrität
des eigenen Körpers - entpuppt sich als anspruchsvolles, modernes
Musiktheater, welches die Geschichte in einer guten Stunde auf
beeindruckende Weise gekonnt zu vermitteln versteht. Runde, graue
Bühnenelemente, welche von Akt zu Akt auf verschiedene Weise
angeordnet wurden bestimmten weitestgehend die Szenerie. Dieses
minimalistische Bühnenbild reicht vollkommen aus, um einen
glaubwürdigen Raum für die Erzählung zu schaffen.
Die Musiker (3) und Schauspieler/Sänger
(4) verstanden ihr Handwerk sehr präzise. Für mich als studierter
Musikpädagoge, Hauptfach: Klassischer Gesang :-) , war es eine ganz
spezielle Freude an diesem ungewöhnlichen Ereignis teilhaben zu
dürfen. Die Gesangstechnik war höchst beeindruckend, allem voran
der kernige Gesang der Lady Lukara, welche es genau verstand ihre
Bruststimme in die Höhe zu treiben, ohne dabei bleibende Schäden an
ihren Stimmbändern zu riskieren. Bravissima! Und auch die sauber
ausgeführten Tonsprünge von Kahless, übrigens von einer Frau
verkörpert, sowie deren geschickter Einsatz der Klangfarben je nach
Situation, bezeugten die Professionalität der Sängerin mehr als
einmal. Dazu sorgten die Musiker (Percussion, Blas- und
Streichinstrumente) für eine atemberaubende klangliche Atmosphäre.
Auch hier war die Meisterschaft der Kollegen nicht zu übersehen,
erfordert doch gerade Neue Musik – zu welcher ich 'u' durchaus
zählen möchte – ein Höchstmaß an gegenseitiger Verständigung
und Klangkontrolle. Daneben verdient Juan Martinez (Blechtonnen,
Xylophon u.a.) allein schon aus dem Aspekt der körperlichen
Anstrengung hohen Respekt. Ich möchte nicht wissen, wer am Ende mehr
geschwitzt hat – er oder die kostümierten Fans im Publikum.
Musikalisch war die Oper schlüssig und
kohärent. Die Kompositionsweise war tonal, orientierte sich also
stets an einem musikalischen Zentrum und doch bildeten die
verwendeten Mittel einen im Wortsinn unerhörten Klang. An inhaltlich
aufbrausenden Stellen wurde der Gesang von rhythmischen Figuren
getragen, die fast schon orgiastische Züge aufwiesen, allem voran
der pulsierend-exzessive Gebrauch der Blechtonnen. In feinfühligen Szenen
unterstützten Xylophon, Blas- und Streichinstrument mit ihren fein
dosierten Klängen und durch ihre ungewöhnliche Spielweise den
leidenschaftlichen Gesang und sorgten so für ein glaubwürdiges
Klangerlebnis.
Doch als ob all dies noch nicht genug
sei, liefert der dritte Akt noch ein packendes Erlebnis für das
kollektive Bewusstsein: Nachdem Kahless' Vater und Bruder ehrenhaft
in der Schlacht gefallen sind, schreit dieser seine
Familienangehörigen inbrünstig in die Nachwelt Sto-vo-kor. Da es
als höchst unehrenhaft gilt sich als unmittelbar Beteiligter dem
Schrei zu entziehen – also in diesem Fall wir alle im Publikum –
wies das Programm mit dem Satz „Stimmen Sie ein in den Todesschrei“
uns ausdrücklich auf diese Pflicht hin.
Durch all diese Erlebnisse – dem
authentisch-klingonischen Klang, der packenden Geschichte und nicht
zuletzt durch die unübersehbare Anzahl von Klingonen und
Sternenflotten-Offizieren (wie mich) im Publikum, fühlte ich mich
stellenweise wie in einer Großversion des „Zehn-Vorne“ – nach
gut der Hälfte der Oper habe ich insgeheim gehofft, dass nicht der
Rote Alarm losgeht und wir alle auf unsere Stationen müssen...
Nachdem der tosende Applaus verebbte
ergriff noch einmal der Schöpfer dieser gar nicht genug zu lobenden
Produktion, Floris Schönfeld, das Wort und bedankte sich beim
Ensemble und beim Publikum. Soweit ich mich erinnere fiel auch der
kurze Satz „Thank you, Mark.“, wobei Schönfeld ins Publikum
zeigte. Ich dachte bei mir: „Marc...Marc? Ach du schei...doch nicht
etwa DER Marc“ Und eh ich meine Gedanken richtig ordnen konnte
hörte ich SEINEN Namen, ER war da, der Kahless der klingonischen
Sprache. MARC OKRAND! Im Publikum, mit uns. Er stand kurz auf und
verbeugte sich lächelnd und wirkte dabei sehr bescheiden.
Ich hatte nach der Aufführung noch das
Vergnügen ein paar Worte mit ihm zu wechseln und mir meinen
Programmzettel signieren zu lassen. Ein sehr netter Kerl!
Also: Was für ein Erlebnis! Das muss
man sich mal überlegen: Da erwächst aus einer Drei-Staffeln-Serie
aus den späten 60er Jahren ein ganzes Universum, welches es schafft,
glaubwürdiges Musiktheater zu kreieren, welches dann auch noch von
Menschen, äh Klingonen, aufgeführt wird, die ihr Handwerk auf so
eindrucksvolle Weise verstehen, dass es einem die Sprache verschlägt.
Qapla'