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Samstag, 26. Dezember 2020

Turons Senf zu "Su'Kal" [DIS, S3Nr11]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Su'Kal", die elfte Folge der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
Ich gehe mal ganz pauschal davon aus, dass so ziemlich alle, die diese Zeilen hier lesen, Star-Trek-Fans sind. Und wo wir schon einmal unter uns sind, lasst uns Tacheles reden!
Mir stellt sich nämlich immer wieder die Frage, ob Star Trek wirklich so gut ist, wie seine Fans es nämlich immer wieder behaupten.
Schaut Ihr Euch etwa jede Folge der Originalserie an, selbst wenn es sich dabei um "Spocks Gehirn", "Die Reise nach Eden" oder gar "Auf Messers Schneide" handelt?
Haltet ihr es durch, Euch die gesamte erste Staffel von TNG anzusehen, ohne wenigstens ab und zu entnervt zu pausieren und die Qualität durch einen Gang zur Toilette wieder zu heben?
Spielt Ihr nicht wenigstens mit dem Gedanken, DS9-Folgen wie "Chula – Das Spiel", "Meridian" oder "Die Reise nach Risa" beim Rewatch einfach auszulassen?
Hat nicht "Voyager" irgendwo in den Untiefen der zweiten und dritten Staffel ein paar Tiefpunkte wie "Die Schwelle", "Unschuld" oder "Die neue Identität" zu bieten?
Und was ist mit dem größten Teil der zweiten Season von "Enterprise", die wohl maßgeblich mit der Absetzung der Serie zusammenhängt?
Nein, im Grunde unseres Herzens sind wir uns eigentlich um die Unzulänglichkeiten unserer Lieblingsserie bewusst und sind dennoch bereit, sie trotz einiger Tiefpunkte aufgrund ihrer Leuchtturmepisoden, ihres geschlossenen Universums oder ihrer Moralität bis aufs Messer zu verteidigen.
Diese Nachsicht scheint jedoch bei vielen Fans ein jähes Ende zu finden, wenn es um "Star Trek: Discovery" geht.
Wir erwarten aus irgendeinem Grund immer, dass in "Discovery" eine qualitativ hochwertige Folge die nächste jagt, ohne die gleiche Toleranzschwelle für schwache Episoden zu zeigen, wie damals, als unsere Liebe zu Star Trek noch frisch war.
Ist nicht "Discovery" das Problem, sondern seine engstirnige Fanszene?


Story.
Die USS Discovery geht endlich einem der größten Geheimnisse des Universums auf den Grund:
Woher kam der rätselhafte Brand, der alles Dilithium der Galaxis innerhalb von Sekundenbruchteilen zur Selbstdetonation trieb?
Das kelpianische Schiff Khi'eth, dass in den Tiefen des Verubin-Nebel gefangen ist, scheint der Schlüssel zur Lösung dieses Problems zu sein. Doch auch, wenn von  der originalen Besatzung niemand mehr am Leben sein dürfte, weiß Captain Saru besser als jeder andere, woher das einsame Lebenszeichen stammt, dass die Mannschaft der Discovery in der lebensfeindlichen Umgebung aufspürt und folgerichtig gilt die Suche des Außenteams dem mysteriösen Nachfahren von Doktor Issa, die anno dazumal mit einem kleinen Kelpianer schwanger ging.
Während sich also Saru, Dr. Hugh Culber und natürlich Michael Burnham auf eine riskante Außenmission im strahlungsverseuchten Nebel aufmachen, muss der frisch gebackene erste Offizier Sylvia Tilly unter Beweis stellen, dass sie die richtige Wahl für den Posten war. Dass aber mit Osyraa ausgerechnet die Führerin der Smaragdkette auf dem Weg zum Sternenflottenschiff ist, macht ihren ersten Einsatz als Stellvertreter des Captains zu einer schicksalshaften Bewährungsprobe…


Lobenswerte Aspekte.

Besetzung.
Stell' Dir vor es ist Discovery und Michael Burnham steht nicht im Zentrum des allgemeinen Geschehens!
Zugegeben, die Formulierung ist an dieser Stelle einmal bewusst zugespitzt, aber es bleibt dieser Episode zugute zu halten, dass weder Burnham die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht, noch dass Sonequa Martin-Green die Emotions-Keule schwingt und abermals unter der Last des Universums tränenreich zusammenbricht.
Im Gegenteil! "So'Kal" ist eine von jenen erholsamen Folgen, in denen die Hauptfigur der Serie zwar ihr Scherflein zur Handlung beiträgt, aber im Gegenzug auch darauf verzichtet, sich an allen anderen Figuren vorbei in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu drängeln. In angenehmer Bescheidenheit tritt Michael Burnham stattdessen zur Seite, um einmal anderen Kameraden den Vortritt zu lassen. Ich muss an dieser Stelle sogar einwerfen, dass ich ihre Strategie, in die Rolle eines Hologramms zu schlüpfen, um den Kulturschock Su'Kals vor dem Zusammentreffen mit Personen außerhalb seiner 'Blase' zu vereinfachen, sowohl in seiner subtilen soziologischen Wissenschaftlichkeit, als auch in seiner situativen Einfühlsamkeit zu schätzen wusste. Zudem ergab es – in Umkehrung der normalerweise bei "Discovery" üblichen Verhältnisse – durchaus Sinn, ausnahmsweise einmal Saru (zu Recht) vorzuwerfen, die emotional kompromittierte Person zu sein (vgl. Denkwürdige Zitate)!
Tatsächlich gibt sich Saru nämlich sichtlich Mühe, um tatkräftig unter Beweis zu stellen, wie sehr Admiral Vance mit der Kritik an seiner Person eigentlich Recht gehabt hatte. Seine fehlende Objektivität macht sich unter anderem darin bemerkbar, dass er das hochgefährdete Außenteam anführen will, die von ihm befehligte USS Discovery fast ins Verderben führt und auf seinem Einsatz auch noch jegliche professionelle Distanz vermissen lässt.
Was man aber nicht behaupten kann wäre, dass Doug Jones' Darstellung damit seiner Figur widersprechen würde. Stattdessen passt es haargenau zu einem Charakter, wie wir ihn in "Der Charonspfennig", "Donnergrollen" oder dem Short Trek "The Brightest Star" erleben konnten und dass der ständig unter massiven Masken versteckte Darsteller endlich einmal die Gelegenheit findet, ohne diese Prothesen aufzutreten, macht diese Folge zu etwas ganz Besonderem. Zusätzlich dazu darf er kelpianisch sprechen, ein heimisches Schlaflied singen, seiner Spezies mehr Hintergrund verleihen und vor allem streckenweise die Aufmerksamkeit genießen, die sonst eher Michael Burnham zugutekommt. Und auch das Bild, dass Su'Kal nicht der einzige Kelpianer ist, der sich in der Holosimulation mit sich selbst auseinandersetzen muss, bleibt zusammen mit seiner äußerlichen Menschlichkeit ein starkes Bild. Aufgrund all dieser mannigfaltigen Faktoren zählt Jones' Performance zu den ganz großen Höhepunkten dieser Episode.


Der einzige Makel bleibt seine Entscheidung, ausgerechnet den unerfahrenen Fähnrich Sylvia Tilly zu seinem designierten Stellvertreter zu benennen. Auch wenn Mary Wiseman die Rolle des unsicheren Kommando-Novizen mit dem Mut der Verzweiflung gut verkörpert, schafft ihre Figur es in Rekordzeit, das wichtigste Schiff der Sternenflotte an einen Widersacher zu verlieren, dem unter normalen Umständen noch nicht einmal zuzutrauen wäre, einem schlafenden Kind den Schnuller zu entreißen.
Paul Stamets und sein Partner Hugh Culber hingegen gehören ebenfalls zu den großen Gewinnern. Zwar hat Wilson Cruz trotz seiner Sinnsuche und Teilnahme am Außenteameinsatz nur wenig mit der Handlung zu tun (wichtige medizinische, psychologische und diagnostische Dialogszenen sind zum Teil auf Michael Burnham übergegangen), aber Anthony Rapp hingegen wandelt sich vom Ersatz-Papa für Adira Tal zum tragischen Helden der Folge, der besonders in den Schlussszenen der Episode aus dem Schattenreich der Randfiguren gerissen wird. Besonders gut gelungen bleibt allerdings die intime Darstellung der Beziehung beider, die der Situation gekonnt zusätzliche Dramatik verleiht.
Selbst Adira Tal bekommt in dieser Folge im Vergleich zu vorherigen Episoden verhältnismäßig viel zu tun. Zum einen kann sie ein Wiedersehen mit dem kurzzeitig abwesenden Vorwirt Gray feiern und zum anderen obliegt es ihr, die Befehlskette zu durchbrechen und der Kavallerie gleich zur Rettung der gestrandeten Kameraden zu eilen. Schauspielerisch haben sowohl Blue del Barrio als auch Ian Alexander jedoch keine allzu herausfordernden Auftritte, was sich aber in der kommenden Woche durchaus ändern könnte.
Ähnliches kann man von David Ajala behaupten. Die Szenen, in denen Cleveland Book mit seinem Scout-Schiff durch den lebensfeindlichen Nebel fliegt, um den Tag oder seine Schiffskameraden zu retten, wirken ein wenig wie Beschäftigungstherapie für eine Figur, für die man am überschaubaren Handlungsbüffet ansonsten nur wenig Betätigungshappen übrighat. Aber die Handlung dieser Episode legt auch in diesem Fall nahe, dass sich dieser Umstand in naher Zukunft ändern dürfte.
Die restliche Mannschaft hat bei so viel Platz für die erste Garde weit weniger Raum als noch in den vorherigen Folgen. Dennoch bleibt positiv zu bemerken, dass die Crew rein prinzipiell im Mittelpunkt steht, auch wenn bei der Erzähldichte nicht jedem viel Gelegenheit bleibt, ausgiebig in die schauspielerische Trickkiste zu greifen. Löblich ist, dass so kurz vor Staffelende auch Raven Dauda als Dr. Pollard ihr Gesicht in die Kamera halten darf und dass sogar Tig Notaro entgegen dem Trend der letzten Episoden auftritt – selbst wenn der Umfang des Engagement Jett Renos weit hinter den Möglichkeiten ihrer Figur zurückbleibt.
Die wenigen Gaststars lassen sich nicht über den Kamm scheren.
Am unteren Ende der Skala bleibt Margot Kidder als fieser Antagonist Osyraa stecken, die ihrer Figur zwar mehr Ausdruck verleihen kann als beim Auftritt zuvor, aber noch immer einen unglaublichen flachen, schablonenhaften und klischeebehafteten Bösewicht mimt. Dass es ausgerechnet ihr gelingt, der USS Discovery und ihres Sporenantriebes habhaft zu werden, zählt eher zu den Abstrichen in dieser Episode.
Eher durchwachsen fällt Oded Fehrs Wirken als Admiral Charles Vance aus. In vielen Punkten ist sein Skeptizismus mehr als angebracht, doch im Gegensatz zu einer glaubhaften Führungsfigur vermeidet er es abermals, seinen warnenden Worten Taten folgen zu lassen. Wie wichtig die Discovery für die Sternenflotte sein soll, lässt sich in seinem riskanten Laissez-faire-Führungsstil nicht unbedingt ablesen.
Den bemerkenswertesten Gastauftritt legt Bill Irwin hin: Seine Interpretation des titel-gebenden Folgenhelden ist mehr als schlüssig umgesetzt und bildet den obersten Wert auf der Skala. Die Hilflosigkeit, Ängstlichkeit und innere Verzweiflung einer unglückseligen Figur, die seit mehr als hundert Jahren jeglichen Kontakt zu reellen Personen verlor, ist durch Irwins Einsatz der schweren Maske zum Trotz deutlich zu spüren. Dass seinem Charakter nebenbei auch noch die schwere Bürde auf die schmalen Schultern geschnürt wurde, unfreiwillig Schuld am Kollaps der gesamten galaktischen Ordnung zu tragen, trägt zusätzlich zur Tragik bei. Vor allem aber das kindliche Gemüt Su'Kals überträgt der Darsteller, der zuvor unter anderem als Clown sein Brot verdiente, auf grandiose Weise auf seine Rolle.



Folgenaufbau und neue Welten.
Neue Woche, neuer Discovery-Regisseur!
Das muntere Regie-Karussell der noch jungen Serie dreht sich munter weiter und erfasst in der letzten Episode dieses Jahres seinen mittlerweile zwanzigsten Spielleiter. Man muss bei der Gelegenheit der Star-Trek-Novizin Norma Bailey allerdings zugutehalten, bei der Umsetzung des Drehbuchs von Anne Cofell Saunders eine stabile Arbeit abzuliefern. Mehr noch; "Su'Kal" weist ein angenehmes Erzähltempo mit einer angenehmen Erzähldichte auf, in der trotz des Verzichts auf epochale Raumschlachten, durchgestylte Zweikampfchoreografien oder bunte Explosionen der Zuschauer bei der Stange gehalten wird. Nach einem Cliffhanger, der diesen Namen ernsthaft verdient fragt man schon ab und zu, ob die Serie gerade im Stechschritt versucht aufzuholen, was man in den letzten zwei Wochen zu erzählen versäumt hat. Im Hinblick auf den seriellen Erzählrahmen passt die Folge gut ins Konzept und wird vor allem beim Hintereinanderweg-Sehen eine willkommene Rückkehr in altbekanntes Fahrwasser bieten.
Den Fokus in "Su'Kal" teilen sich mehrere Personen gleichzeitig, wenn auch Saru etwas mehr Augenmerk erhält als mancher seiner Kollegen. Dem Flair dieser Folge aber tut dies gut, denn mit der zusätzlichen Ausleuchtung, die der kelpianischen Spezies zugutekommt, beruft sich "Discovery" auf eigene Erzähltraditionen, die geschickt ausgebaut werden und der Erweiterung von Klingonen in TNG, Bajoranern in DS9, den Borg in "Voyager" oder den Vulkaniern in "Enterprise" in nichts nachsteht. Dahingehend blieb auch bemerkenswert, dass mit Robert Verlaque der gleiche Schauspieler für die Rolle des kelpianischen Ältesten herangezogen wurde, der bereits im Short Trek "The Brightest Star" in der Rolle von Sarus Vater Aradar aufgetreten war. Nachdem Doktor Issa schon von Hannah Spear (die in der selben Mini-Episode Sarus Schwester Siranna verkörperte) schafft es eine familiäre Aura um das Volk Sarus, die seinem Handeln weitere Glaubwürdigkeit verleiht.
Wirklich großartig gelungen ist aber die Holodecksimulation auf dem Dilithium-Planeten, die eigens für die Waise Su'Kal eingerichtet wurde. Der tragische Kaspar Holo-Hauser dieser Episode erweitert das stilprägende Stück Star-Trek-Technologie (man bedenke nur, wie viele Folgen sich allein um dieses ganz besondere Stück Unterhaltungselektronik drehten!) um einen weiteren Aspekt, der eine Daseinsberechtigung entwickelt, die der von "Der schüchterne Reginald" in nichts nachsteht und die Grund-Idee von "Gedächtnisverlust" aus Opfersicht betrachtet:
Kann das Holodeck eine Familie ersetzen?
Die Antwort fällt so absehbar wie deutlich aus und im Gegensatz zu den verklärten Abenteuern des Wolfskindes Mowgli ergeben sich schwerwiegende psychologische Konsequenzen, mit denen sich die Crew der USS Discovery nun auseinandersetzen muss. Das Dilemma um Su'Kals abgeschottetes Leben in der holografischen Irrealität ist eine überaus erzählenswerte Geschichte in bester Star-Trek-Tradition, die es tatsächlich schafft, thematisches Neuland in einer Franchise zu beschreiten, in der man schnell glaubt, schon alles gesehen zu haben.
Erwähnenswert bleibt in diesem Zusammenhang auch der Ansatz, die Ängste des kindlichen Einsiedlers zu personifizieren. In einer schemenhaften Gestalt, die in ihrer Ausprägung entfernt an einen Obscurial aus dem Harry-Potter-Universum erinnert, wird Su'Kal von seinen eigenen Unzulänglichkeiten verfolgt, was jetzt vielleicht kein so unglaublich neuer Ansatz innerhalb der Franchise wäre (man denke nur an die Voyager-Folge "Das Ultimatum"), aber sicherlich zu den besten Umsetzungen bis dato gezählt werden kann. Vor allem aber im Kontext der zahlreichen weiteren psycho-analytischen Anspielungen in der Holosimulation (z.B. die Furchtfestung, MC Eschers Penrose-Treppe, die zusammenbrechenden Hologramme) muss man der Folge eine gewisse Durchdachtheit zubilligen, die man in dieser Form leider nur selten miterleben kann.


Kritikwürdiger Aspekt.

Kanonbrüche und Logiklöcher.
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen:
Ich bin kein besonders großer Freund der Enthüllung, dass der Gefühlsausbruch eines kleinen Kindes für den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung in der Galaxis verantwortlich ist. Zum einen, weil ich der Idee, Emotionen zu erzeugen, indem man Kinder instrumentalisiert, eine generelle Skepsis entgegenbringe und zum anderen, weil ich denke, dass bei so ziemlich allen anderen Möglichkeiten, die sich als Ursache für dieses katastrophale Großereignis angeboten hätten, mehr Potential bestanden hätte.
Soweit meine persönliche Meinung, die ich aber auch gleich etwas relativieren muss.
Denn auch wenn ich persönlich wenig Reiz in dieser unerwarteten Entwicklung sehe, so muss ich doch eingestehen, dass diese Enthüllung keineswegs vorhersehbar und auf jeden Fall überraschend war. Sie folgt sogar einem roten Faden gleich jenem Grundmotiv in "Discovery", in dessen Verlauf der erzählerische Höhepunkt massiv auf Emotionen setzt und das Schicksal von Einzelpersonen in den Fokus stellt, die in einer Beziehung zu einem oder mehreren Crewmitgliedern stehen. So gesehen ist es im Rahmen der Serie auf eine gewisse Art sogar irgendwie schlüssig, ein Kelpianerkind mit Sarus Familiendarstellern in der Ahnenreihe als Epizentrum des großen Dilithiumbrandes zu etablieren. Es ist sogar löblich, dass es dieses Mal nicht eine Person trifft, die mit Michael Burnham verschwippschwägert ist, sondern zur Abwechslung einmal den erweiterten Familienhaushalt eines befreundeten Mannschaftsmitgliedes umfasst. Man kann (und darf) damit natürlich mehr oder weniger anfangen können, aber es ist ohne Frage legitim für eine Serie, seine eigene erzählerischen Parameter zu entwickeln, auch wenn sie vom Duktus anderer Star-Trek-Serien abweichen.
Denn eine Kritik – die in Foren, Kommentarspalten und Sozialen Medien kursiert - kann ich nicht pauschal unterschreiben: Dass das nichts mehr mit "Star Trek" zu tun hätte.
Sicherlich kann der berechtigte Einwand erhoben werden, dass dieses Motiv (zusammen mit dem auf tönernen Füßen stehenden Dilithium-Brand) in seiner Ausführung verstärkt an eine andere traditionsreiche Science-Fiction-Serie denken lässt, die über ein ähnliches Alter wie Star Trek verfügt. In "Doctor Who" zählen vergleichbar auf Einzelpersonen beschränkte Handlungen (vgl. Clara Oswald), die in unerwarteten, mystischen und sogar gruseligen Auflösungen gipfeln, zum Qualitätsmerkmal der Show.
Doch selbst wenn sich eine derartige geistige Verwandtschaft zwischen einer britischen und einer amerikanischen Serie konstruieren ließe, bleibt das, was der ein oder andere Urheber vielleicht eher gemeint haben dürfte, dass es nichts mit TNG und seinen Nachfolgeserien gemein hätte, denn gerade im Hinblick auf klassische Episoden mit ähnlichen Grundanlagen wie "Der Fall Charlie", "Miri, ein Kleinling" oder "Tödliche Spiele auf Gothos" wird deutlich, dass hier eine Wiedergeburt von erstaunlich frühen Originalserienmotiven gefeiert wird. Insofern kann man sogar argumentieren, dass  "Discovery" das Kunststück gelingt, eine weit entfernte Zukunft mit Erzählmustern zu kombinieren, die längst schon als unvereinbar mit der Entwicklung der Franchise galten. Der Serie gelingt ein Brückenschlag zu den unmittelbaren Anfängen einer betagten Science-Fiction-Produktion, der nach der Flucht in eine weit entfernte Zukunft nicht unbedingt selbstverständlich erscheint.
Mein zweiter großer Kritikpunkt schlägt in eine ganz ähnliche Kerbe und ich war sicherlich nicht der einzige, dem die Übernahme der Discovery durch ein andorianisch-orionisches Verbrecherkartell ein wenig zu glatt über die Bühne ging. Tatsächlich kann man natürlich auch an dieser Stelle nicht ganz zu Unrecht darauf hinweisen, dass ähnliche Kidnappingversuche in Episoden wie "Der schlafende Tiger", "Erwachsene Kinder", "Der Symbiont" oder "Der Kampf ums Dasein" ebenfalls funktionierten, ohne qualitativ überzeugender zu wirken.
Das Problem liegt viel eher in der plumpen Weise begründet, mit der diese ganze Kaperfahrt inszeniert wurde, denn sie lässt die gesamte Discovery-Crew nach all der sorgfältigen Aufbauarbeit wie ein Haufen blutjunger Amateure wirken, die von ihrem Job nichts verstehen:
Stamets' Zögern etwa erlaubt dem Entertrupp erst, an Bord zu gelangen.
Tillys schiere Unfähigkeit (Warum sind die Schilde der Discovery nicht oben? Warum bringt sie nicht die Discovery außerhalb der Transporterreichweite? Warum ruft sie keine Verstärkung? Warum bleibt sie nach dem Abreißen des Kontakts zu Stamets so passiv?) katapultiert die Discovery in noch nicht einmal vier Stunden als amtierender Captain förmlich auf den Präsentierteller der Viridian.
Und Saru hinterlässt mit seiner Wahl Tillys einen ungeeigneten Stellvertreter auf dem viel zu großen Kommandosessel seines Schiffes.
Wenigstens die künstliche Intelligenz Zora hätte der für sie potentiell gefährlichen Übernahme ruhig etwas entgegensetzen können, denn die Sphärendaten sind in den Händen der Smaragdkette nicht gerade gut aufgehoben.
Natürlich kann man sich an einer Hand ausrechnen, dass die Ereignisse um den Cliffhanger dieser Folge bereits nächste Woche dazu dienen werden, die Crew durch eine heroische Rettungstat wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen, aber bewertet man Su'Kal als Einzelfolge, so kommt man nicht umhin zu bemerken, dass hier die Professionalität der gerade erst zusammengewachsenen Besatzung der Spannung zuliebe an einen unwürdigen Bösewicht geopfert wurde.


Neben diesen beiden großen Streitpunkten gibt es – in bester Discovery-Tradition – zusätzlich noch größere und kleinere Unstimmigkeiten, die das Gesamtbild der Episode schmälern.
Zum Beispiel die an sich schöne Story um die unscheinbare Delle am Stuhl des Captains. Hier waren sich die Autoren und die Bühnenbildner nicht ganz einig, wie das Endprodukt aussehen soll, weswegen das Endprodukt entweder so aussieht wie ein alter Kaugummi, den ein Werftarbeiter aus San Francisco dort absichtlich hingeklebt hat oder eine Schraube, die ein durchgebrannter Dot-7-Konstruktionsroboter an diese Stelle montierte, bevor seine Schaltkreise völlig durchgebrannt sind. Eigentlich würde ich darüber an dieser Stelle hinwegsehen, wenn es nicht ein Markenzeichen guten seriellen Erzählens wäre, derlei Details im Vorfeld wenigstens anzudeuten. Stattdessen aber habe ich auf die Schnelle keine Episoden ausfindig machen können, in denen man Saru an diesem 'Nervositätsgnubbel' herumspielen sieht.
Wofür Book seinen ersten Tripp in die tödliche Verubin-Weltraumwolke wagen muss, hat sich mir ebenfalls nicht erschlossen, denn wenn seinem Schiff der Rückflug selbst im Autopilot-Modus gelingt, hätte man nach dem Scheitern der ersten Annäherung einfach eine unbemannte Sonde abschicken können, um die notwendige Aufklärungsarbeit zu erledigen.
Auch das merkwürdige Verhalten Admiral Vances gibt dem Zuschauer Rätsel auf. Wäre der Ursprung des Brandes und ein Planet, der zum Großteil aus der strategischen Ressource Dilithium besteht nicht wert, mehr als nur ein Schiff, um zu verhindern, dass die Smaragdkette Zugriff auf diesen Rohstoff hat und damit das Kräfteverhältnis entscheidend verschieben kann?
Vielleicht wäre eine Flotte zu spät eingetroffen um irgendetwas verhindern zu können, aber ein solches Vorgehen würde dem Mindestmaß dessen entsprechen, was eine Führungsfigur in seiner Position leisten sollte. Mit dieser Einstellung aber bleibt er ein ebenso fragwürdiger Kommandooffizier wie Michael Burnham, Sylvia Tilly oder Saru.
Und schließlich gibt auch Osyraa ein Rätsel auf.
Woher weiß sie, dass sie zuerst die Sporenkammer und dessen Abteilungsleiter Stamets sichern muss, bevor sie sich des Rests des Schiffes annehmen kann?
Aber abgesehen von diesen berechtigten Fragen gibt es auch ein paar Aspekte, die in dieser Folge ausgesprochen gut gelungen sind.
So lehnt sich die Serie mit dem Sinnspruch "Eine Krise nach der anderen" (die leider in der deutschen Synchronisierung verloren geht) und der Wiederverwendung der Coppelius-Orchideen an seinen Serien-Cousin "Star Trek: Picard" an.
Zudem erleben wir – wenn auch in einer Aufzeichnung – die erste offizielle Föderations-Beitrittszeremonie der Star-Trek-Geschichte mit (auch wenn ich an dieser Stelle darauf hinweisen möchte, dass die Ba'ul aus irgendeinem Grund bei dieser Zeremonie außen vorgelassen werden)
Auch die Verwendung von Tarntechnologie finde ich nicht sonderlich problematisch, da der Vertrag von Algeron nach dem Zusammenbruch des Romulanischen Sternenimperiums und dem Beitritt der Romulaner zu Ni'var glaubhaft ausgesetzt ist.
Am stilvollsten fand ich allerdings, dass das modische Stirnband, das Stamets im Cliffhanger auf den Kopf gesetzt bekommt, an "Spocks Gehirn" erinnerte. Bleibt nur zu hoffen, dass darin kein verstecktes Statement für die Qualität des nun anstehenden Staffelfinale versteckt war…


Fazit.
"Su'Kal" ist eine erstaunlich solide Folge, die unmittelbar vor dem großen Staffel-Showdown noch einmal ein paar Schippen Spannung auflegt und sich geschickt in die moderne serielle Erzählweise einpasst. Sie glänzt mit einem grandios aufgelegten Doug Jones ohne Kelpianer-Maske, einem zeitgemäßen Ansatz zur Rezeption des Holodecks und einer detailreichen Holosimulation, deren Bestandteile von einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit psycho-analytischen Metaphern zeugen. Auch die einfühlsame Besetzung Su'Kals mit dem genialen Bill Irwin verdient an dieser Stelle eine Sondererwähnung.
Neben den üblichen Logiklöchern zählen zwei Aspekte zu den großen Kritikpunkten an dieser Episode: Zum einen leidet die Professionalität der Crew unter einer zu einfachen Übernahme des Schiffes und zum anderen bleibt die Enthüllung, dass ausgerechnet der Gefühlsausbruch eines Kindes den galaktischen Dilithiumbrand verursacht hat, weit hinter den Möglichkeiten zurück. Aber auch, wenn diese Auflösung vielleicht nicht das bietet, was man als Fan für geeignet hält, bleibt die Entwicklung in den Parametern von "Discovery" durchaus schlüssig.

Bewertung.
Im Rahmen von "Discovery" schlüssig.







Schluss.
Die neuen Star-Trek-Serien "Discovery", "Picard" oder auch "Lower Decks" mit ihren Vorgängern in einen Topf zu werfen, wird der Sache nicht gerecht. Zwar waren in der Tat in jedem vorherigen Vertreter der Franchise genügend schlechte Folge zu finden, aber dennoch fielen sie durch die dominante Konzentration auf episodenhaftes Erzählen weniger ins Gewicht.
Doch nicht die Fans haben sich verändert, sondern vor allem ihre Sehgewohnheiten.
Woran aber das moderne serielle Erzählen gemessen wird, ist weniger die Bewertung einer Einzelepisode, sondern vielmehr das Gesamtbild, das sich am Ende einer Staffel von den dort geschilderten Ereignissen zeichnen lässt.
Nicht umsonst fiel "Game of Thrones" in der Zuschauergunst vom Quoten-Olymp hinab in den Hades des Vergessens, als man sorgsam inszenierte Entwicklungen in einem unbefriedigendem Serienfinale ins Leere laufen ließ.
Das aber lässt sich anhand der elften Folge der dritten Staffel nur schwer auf "Discovery" ummünzen.
Es ist nämlich nicht so einfach, eine Entwicklung wie die Auflösung des Dilithium-Brandes ohne Einblick in das finale Gesamtbild zu bewerten. Sicherlich kann ich persönlich an dieser Stelle behaupten, dass die Ideen in der dritten Staffel von "Discovery" trotz ihrer inhaltlichen Nähe zur Originalserie bestenfalls erzählerisches Mittelmaß bieten, aber es bleibt abzuwarten, inwiefern die verschiedenen Charaktere, ihre Lebensgeschichten und der gemeinsame Weg in den nächsten zwei Folgen den Gesamteindruck prägen.
Wenn es der Serie gelingt, all diese Aspekte in schlüssiger Weise zusammenzuführen, kann ich gut mit einem Brand leben, der nicht von einem einzelnen Erzbösewicht, einer fiesen Schurkenspezies oder einer tyrannischen Geheimgesellschaft, sondern von einem traurigen Kind ausgelöst wurde. Aber dafür müssen die Autoren in den nächsten zwei Wochen unter Beweis stellen, dass sie der Kulmination ihrer staffel-übergreifenden Ideen mindestens so viel Energie gewidmet haben wie in dieser Episode der Ausgestaltung des kelpianischen Holodeckprogramms.


Denkwürdige Zitate.

"Wir haben wohl grade die Quelle des Brands gefunden."
Michael Burnham

"Und Saru macht Dir Sorgen…"
"Ich weiß nicht, ob er objektiv sein kann, ob er eine schwere Entscheidung treffen könnte oder eine schmerzvolle, die ihn Überwindung kostet. Aber zu so etwas muss ein Captain bereit sein…"
Cleveland Booker und Burnham

"Bei mir war das erste Mal auch hart. Die fünf Stunden und siebenunddreißig Minuten die Georgiou weg war konnt' ich kaum atmen."
"Tja, es ist eben so wie meine Oma Adele immer gesagt hat; 'Wenn Du kein Raumschiff in einen brennenden Nebel geflogen und alle gerettet hast, hast Du nicht gelebt."
Burnham und Sylvia Tilly

"Falls Sie uns hören können, wir haben etwas gefunden."
Stimme aus dem Off

"Wiederhole Anfrage: Sind Sie der erwartete Input? Wenn nicht dann Einleitung der Verteidigungsprotokolle."
"Ja, ja, wir sind der erwartete Input!"
vulkanisches Hologramm und Hugh Culber

"Früher war unter den Holos oft die Rede von 'Außerhalb'. Aber das 'Außerhalb' kam nicht nach 'Innerhalb'. Deshalb vermute ich, dass das 'Außerhalb' längst tot ist…"
Su'Kal

"Blut auf dem Stuhl macht sich nicht gut."
Osyraa


Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Su'Kal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"

Samstag, 19. Dezember 2020

Turons Senf zu "Terra Firma, Teil II" [DIS, S3Nr10]


Spoilerwarnung.
Diese Rezension enthält massive Spoiler auf "Terra Firma, Teil II", den zehnten Teil der dritten Staffel von "Star Trek: Discovery" und sollte erst gelesen werden, wenn man diese und weitere Episoden bereits gesehen hat.


Einleitung.
In einem der Kommentare zur vorherigen Rezension wies "Christian von wechselnden Planeten" darauf hin, dass einer der Verdienste der letzten Folge gewesen sei, dass es "Star Trek: Discovery" endlich gelungen sei, auf sich selbst Bezug zu nehmen und der eigenen Erzähltradition zu folgen, wie es z.B. TNG durch die Bank weg getan hat.
Ich habe mir meine Antwort für diese Einleitung aufgehoben, denn tatsächlich schafft "Discovery" dies in meinen Augen bereits seit der zweiten Staffel (vgl. dazu die Ausführungen zur vierten Folge "Charonspfennig"). Zählt man zudem die Short Treks hinzu, in denen die Serie die Etablierung verschiedener Handlungselemente geschickt in die Staffel-Adventszeit auslagerte, kann man der Serie durchaus zugestehen, bereits frühzeitig ein eigenes Gepräge aufgebaut und extensiv genutzt zu haben.
Aber ist das wirklich die ganze Wahrheit?
Seit Anfang an bediente sich die Serie auch großzügig bei jenem Vorbild, dem sie chronologisch vorangesetzt wurde; der stilprägenden Originalserie. So wurde Michael Burnham kurzerhand in die Familie von niemand geringerem als Sarek vom Vulkan hineingedichtet, die Reise des Schiffes führte in das durch TOS begründete Spiegeluniversum und das Staffelfinale endete mit einem Rendezvous mit der USS Enterprise. Die zweite Staffel verstärkte diesen Trend sogar noch. Originalseriencharaktere wie Christopher Pike, Spock oder Nummer Eins bestimmten den Kurs, wohlbekannte Rollstuhlvisionen schockierten den ersatzweisen Captain und den Höhepunkt bildete ein stilvoller Besuch des verbotenen Planeten Talos IV. Beinahe wirkte es, als würde sich die Serie allmählich mit ihrer ungünstigen Position im Fahrwasser der einflussreichsten Star-Trek-Serie überhaupt arrangieren können, auch wenn es weiterhin eine Vielzahl von Kanonbrüchen und Logiklöchern zu bewundern gab.
Doch dann zog Alex Kurtzman plötzlich die Reißleine, um "Discovery" auf neue kreative Höhen zu katapultieren.
Die Flucht nach vorn, die das Schiff mit seinem Sprung in eine neunhundertdreißig Jahre entfernte Zukunft auslöste, sollte unter anderem auch dazu dienen, sich von TOS abzunabeln und eigene Wege zu beschreiten. Mit einer Rückkehr ins Spiegeluniversum jedoch beschwor die Serie nun aber alter Geister wieder herauf, die längst verschwunden geglaubt schienen…


Story.
Zurück im Spiegeluniversum versucht die innerlich zerrissene Imperatorin Philippa Georgiou verzweifelt, ihre geliebte Ziehtochter Michael Burnham nach deren Verrat wieder auf Linie zu trimmen. So verschont sie – allen ehernen Traditionen zum Trotz – das Leben der Verräterin. Im Zuge einer intensiven Gehirnwäsche gelingt es ihr zunächst, ihr verloren geglaubtes Kind dazu zu bringen, einer Handvoll an Co-Konspiratoren effektvoll zur Strecke zu bringen. Doch in Sicherheit wiegen kann sich die Herrscherin – deren eigene Ansichten sich durch den unfreiwilligen Sabbatical in einem anderen Universum grundlegend gewandelt haben - deshalb noch lange nicht, denn die aggressive Natur der Spiegeluniversumsvariante von Michael Burnham lässt sich in ein paar Monaten keineswegs einfach so mir-nichts-dir-nichts außer Kraft setzen…


Lobenswerter Aspekt.

Besetzung.
Die Folge zeigt durch die Kombination zweier sehr gegensätzlicher Plots erneut, dass die wahre Stärke von "Star Trek: Discovery" (wie in jeder anderen Star-Trek-Serie eigentlich auch) in der vielfältigen Mannschaft der USS Discovery liegt. Eine Episode funktioniert schlichtweg besser, wenn alle Beteiligten etwas Sinnstiftendes zu tun haben und durch ihre Zusammenarbeit Fortschritte erzielen, die einem größeren Ganzen dienen. Außerdem beweist "Terra Firma, Teil II" eindrucksvoll, dass nicht nur der Fokus auf Michael Burnham doof ist, sondern die Fokussierung auf einzelne Person generell eine schwache Idee ist.
Doch der Reihe nach:
Michelle Yeoh schafft es als geläuterte Imperatorin Philippa Georgiou durchaus, dem Charakterwandel ihrer Figur den notwendigen Ausdruck zu verleihen. Die Tragik, in ihren Reformversuchen ebenso kläglich zu scheitern wie ihr Spiegeluniversumskollege Spock wird von ihr schlüssig transportiert und tatsächlich gelingt es ihr in einigen Momenten sogar, ihrer stets befremdlich anmutenden Fixierung auf Michael Burnham durch sehr emotionale Einblicke in ihr Seelenleben nachträglich Gewicht zu verleihen. Zudem darf Yeoh in einem munteren Showdown noch einmal ihre legendären Zweikampfkünste unter Beweis stellen.
Yeohs intensive Darstellung wird jedoch durch zwei Faktoren entscheidend gemindert:
Zum einen entpuppt sich ihr dreimonatiges Martyrium letzten Endes als Test, um die charakterliche Integrität einer Regentin zu prüfen, die während ihrer Bewährungsprobe munter auf Manipulation, Folter und Mord beharrt. Es riecht nach einer Mischung aus der neunten Staffel Dallas, die sich am Ende komplett als Traum einer einzigen Figur entpuppte und dem Attest einer Querdenkerin zur Befreiung vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, das den Stempel der Arztpraxis ihres Schwiegersohns trägt.
Zum anderen wirkt das alles völlig überstürzt, da sich die Autoren in den Folgen zuvor kaum die Mühe gemacht haben, diese identitätsverschiebende Wesensveränderungen auf angemessene Weise anzubahnen. Tatsächlich hätten längere Szenen, in denen Georgiou mit Saru, Tilly oder all den anderen Besatzungsmitgliedern interagiert hätte, dieser Entwicklung den Weg bereiten können, aber diese sind zulasten eines Fokus' auf die Hauptfigur der Serie ersatzlos entfallen. So aber wirkt all das ein wenig über das Knie gebrochen, nicht zuletzt, weil eine Philippa Georgiou in einer Zukunft, in der eine gewissenlose Verbrecherbande einen zentralen Machtfaktor darstellt, durchaus ihre Daseinsberechtigung gehabt hätte. Aber bereits in den vorangegangenen Folgen hatte sich angedeutet, dass die Autoren mit der Figur kaum noch etwas Besseres anfangen konnten, als ihr ein paar Zoten und markige Sprüche in den Mund zu legen.
Dennoch kann ich der Entwicklung auch Verständnis abringen. Dass Georgiou nun plötzlich nicht mehr plakativ böse, aber definitiv auch nicht wirklich gut zu sein scheint, ist vielleicht kein Schachzug, der die Zuschaueridentifikation sonderlich befördert, bietet dafür aber eine richtungsweisende Ambivalenz für die kommende Sektion-31-Serie: Eine Frau, deren Gewissen es erlaubt, die Drecksarbeit zu erledigen, um ein utopisches Paradies vor der grausamen Welt um sie herum zu bewahren, bietet der ruchlosen Geheimorganisation genau jenen willigen Mitarbeiter, den sie für ihre verdeckten Aktionen benötigt. So gesehen mag dieser Discovery-Folge die Glaubwürdigkeit vielleicht abgehen, aber auf lange Sicht bildet sie den nötigen Grundstock für eine Serie abseits der Sternenflotten-Ideale.


Sonequa Martin-Green kann unter dem Label Michael Burnhams abermals gleich zwei Rollen auf einmal verkörpern: Zum einen die plumpe Spiegeluniversumseingeborene, deren unerfolgreicher Loyalitätswandel im Spiegeluniversum ebenso vorhersehbar wie ihr Tod war. Ihrer flachen Darstellung einer flachen Figur haftet ein wenig der Makel des Overactings an, aber immerhin bleibt es ihr vergönnt, die Handlung maßgeblich mitzubestimmen. Zudem verpasst sie die sich hier bietende Chance, ihre brutale Folter und das Brechen ihrer Persönlichkeit thematisch eindringlich zu behandeln, nur um ihr einen schwach orchestrierten Verrat anzuhängen.
Ihr Gegenstück zeichnet sich (für Discovery-Verhältnisse) zum anderen durch eine erstaunliche Passivität aus, auch wenn - oder gerade weil - ihr vor allem recht emotionale Szenen vorbehalten bleiben, in denen sie abermals ihren Tränen freien Lauf lässt.
Diese Diskrepanz zwischen dem Spiegeluniversum und der primären Realität setzt sich bei Sylvia Tilly nahtlos fort. Ihre Mirror-Version hat zwar wenig zu tun, wirkt aber in ihrer Bosheit komplexer als die meisten ihrer Kollegen und markiert damit einen der besseren Auftritte dieses Universums. Er wird allerdings durch einen eher schwächeren Gegenpart in der anderen Realität geschmälert, in der Tilly durch merkwürdig deplatzierte Anmerkungen über Georgiou noch kriecherischer wirkt, als ihr Pendant es gegenüber der Imperatorin jemals war.
Der bemerkenswerteste Auftritt des Spiegeluniversums bleibt jedoch Doug Jones vorbehalten. Der Schauspieler findet den schmalen Grat zwischen Unterwürfigkeit und begrenztem Selbstbewusstsein, der für diesen Part notwendig ist, erstaunlich gut. Das trotz der schweren Maske deutlich spürbare Entsetzen, das seine Rolle Saru befällt, wenn ihm Georgiou die Wahrheit über das vaha'rai erzählt, gehört zu den absoluten Höhepunkten dieser Episode und unterstreicht die Qualitäten des Darstellers.
Im Gegensatz dazu macht Saru allerdings eine weniger gute Figur als Captain der USS Discovery. Tatsächlich kann ich Admiral Vances berechtigte Vorwürfe gut nachvollziehen, denn der Kelpianer lässt die Professionalität seines Berufsstandes durchaus vermissen. Daran trägt Jones allerdings keine Schuld, sondern wird zum Spielball der Autoren, die nun beweisen müssen, dass diese fragwürdige (dem pedantischen Charakter widersprechende) Entscheidung in späteren Episoden von Mehrwert sein wird.
Der Rest der Besatzung bleibt ein weiteres Mal weit hinter den genannten Personen zurück. Sicherlich hinterlassen einige von ihnen, wie etwa Anthony Rapp (als Paul Stamets), Emily Coutts (als Keyla Detmer) oder Oyin Oladejo (als Joann Owasekun) durchaus einen bleibenden Eindruck, aber auch wenn sie ein oder zwei Worte mehr zu sagen haben als etwa Wilson Cruz (als Hugh Culber, dem vor allem in Spiegeluniversum noch nicht einmal eine Sprechrolle zuteilwird!), Blu de Barrio (als Adira Tal) oder David Ajala (Cleveland Booker), bleiben sie weit hinter den Möglichkeiten zurück.
Müsste man jedoch eine Szene wählen, die im besonderen Maße gelungen ist, so wäre es in meinen Augen jene, in denen Book, Stamets und Adira erfolgreich zusammenarbeiten, um einen Link zum Kelpianer-Schiff herzustellen, denn in diesem Moment zeigt sich, wie sehr die Crew der Discovery zusammengewachsen ist und wie viel lohnenswerter die Arbeit in einem Team im Vergleich zur Einzelkämpfer-Mentalität des Spiegeluniversums ausfällt. Allein mit dieser überschaubaren Szene schafft es der zweite Plot der Folge, sich über den ersten zu erheben und damit auch indirekt die Frage aufzuwerfen, wie sinnvoll der Spinoff-Versuch kurz vor Staffelende wirklich war.
Maßgeblich an dieser Szene beteiligt ist übrigens auch ein altbekanntes Gesicht, das eine längere Pause eingelegt hat (vgl. Denkwürdige Zitate): Tig Notaro kehrt für ein paar Einstellungen als Jett Reno zurück und schlüpft ohne viel Federlesen in die Rolle des schroffen, antiautoritären und schonungslosen Sprücheklopfers zurück, die ihr zuvor von Georgiou streitig gemacht wurde. Damit wurde auch gleich die Chemie zwischen den einzelnen Charakteren verbessert, weswegen ihre Rückkehr zu den großen Pluspunkten dieser Folge gezählt werden muss.


Unter den Gaststars dieser Folge gebührt Paul Guilfoyle als Carl die Pole Position. Über die Enthüllung, dass sich hinter dem Zigarre-rauchenden, Zeitung-lesenden und in Rätseln sprechenden Eremiten der Hüter der Ewigkeit verbirgt, kann man geteilter Meinung sein, aber in einer Staffel, die bislang erstaunlich arm an erinnerungswürdigen Gastauftritten bleibt, war seine Interpretation der Verkörperung einer künstlich-intelligenten Raum-Zeitmaschine mit Abstand das außergewöhnlichste, was der Zuschauer bis dato geboten bekommen hat.
Das zeigt sich beispielsweise im direkten Vergleich mit der Person Duggans, dessen Besetzung mit Daniel Kash (bekannt aus Aliens, Ein Mountie in Chicago, Dresden Files, The Expanse oder Orphan Black) in einem krassen Gegensatz zu seinem geringen Einfluss auf die Episode steht. In diesem Fall liegt die Vermutung nahe, dass Kash in der kommenden Sektion-31-Serie eine größere Rolle spielen könnte und dieser Kurzauftritt im Spiegeluniversum so etwas wie eine Aufwärmübung für einen Darsteller dieses Kalibers bedeutete.
Auch wenn Oded Fehr als Admiral Charles Vance Saru gegenüber die richtigen Fragen stellt, bleibt er erstaunlich inkonsequent für jemanden in einer so verantwortungsvollen Führungsposition. Dieser Widerspruch zieht sich allerdings bereits seit seinem Erstauftritt durch den Charakter, dem es dadurch auch an Glaubwürdigkeit mangelt.
Zu den positiven Aspekten des Spiegeluniversums zählt auch dieses Mal wieder, dass sowohl Hannah Cheeseman als auch Rekha Sharma mit von der Partie sein dürfen.
Doch wer 'A' sagt, muss auch 'B' sagen!
Nach den zahlreichen Erwähnungen Gabriel Lorcas hätte ein Auftritt Jason Isaacs den Abschied Michelle Yeohs und diesen Ausflug in die antiken Discovery-Erzählgründe abrunden können, doch diese Chance ließ die Serie ungenutzt liegen. Sicherlich hätte die Verpflichtung des namhaften Schauspielers aber auch das sichtbar eingeschränkte Budget (die Handlung beschränkt sich auf die Sets der Discovery, CGI-Effekte wie der Vorspann, die Ermordung Burnhams oder der Hüter der Ewigkeit bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück) gesprengt und so kann man sich als Fan damit trösten, dass der terranische Thron nach dem Tod Burnhams als auch der Imperatorin Georgiou für den 'Vikar' freigemacht wurde. Und wer weiß, vielleicht überschneidet sich die Sektion-31-Serie ja noch einmal mit dieser Zeitlinie, die vom Wächter der Ewigkeit begründet wurde…


Kritikwürdige Aspekte.

Folgenaufbau und Moralität.
"Terra Firma, Teil II" gelingt es nicht wesentlich, seinem schwachen ersten Teil nachträglich die nötige Legitimation zu verleihen.
Die Folge bleibt ein Zwitterwesen aus Spinoff und Abschiedsfolge, das sich anders als ihr Vorgänger anfühlt; etwa im Erzähltempo, dem Inhalt oder der Intensität der Figurenausleuchtung.
Doch auch in der Wahl der künstlerischen Ausgestaltung lässt sich ein offener Bruch ausmachen, da die Regiedebütantin Chloe Domont in ihrer Folge mit nervösen Wackelkameras, extensiven Porträtaufnahmen oder waghalsigen Kamerasaltos zusätzlichen einen unnötigen Formkontrast zum ersten Teil aufbaut. Dies geschieht auf Kosten einer visuellen Kontinuität und lässt die berechtigte Frage aufkommen, ob nicht vielleicht ein gemeinsamer Regisseur für beide Episoden sinnvoll gewesen wäre.
Als wäre diese Abnabelung vom Vorgänger nicht bereits schwerwiegend genug, trennt sich auch die Handlung (wie bereits in der Woche zuvor) in zwei sehr unterschiedliche Plots in sehr unterschiedlicher Ausprägung. So nimmt der Spiegeluniversumsteil stolze zwei Drittel der Folge ein. Domont gibt sich jedoch sichtlich Mühe, stilistische Elemente wie omnipräsente Spiegelungen, historische Querbezüge wie Burnhams Gefangenenkleidung (die an "Lakaien und Könige" erinnert) oder ein Auge für Design-Details (z.B. die fliegenden Rangabzeichen in Zeitlupe) zu bewahren.
Die dunklen Spiegeluniversumsszenen (deren Charakter sich schon durch den veränderten Vorspann ankündigen) stehen in einem Gegensatz zu den strahlend hellen Einstellungen an Bord der USS Discovery, denen in ihrem Umfang allerdings deutlich weniger Platz zur Verfügung steht und die in ihrer Funktion größtenteils auf eine bloße Spiegelung der Verhältnisse in beiden Realitäten reduziert werden können.
Dabei bleibt der schrägste Moment die Abschiedsszene in der Mannschaftsmesse, in der beinahe jedes Crewmitglied noch einmal die Vorzüge Philippa Georgious preisen durfte.
Die etwas surreal anmutende Trauerstimmung wird wohl am ehesten als metaphorisches Gegenstück zum Spiegeluniversum verständlich, doch insbesondere die einseitige Sicht auf Philippa Georgiou wird weder der Figur, noch ihren Lebensumständen gerecht. Denn die rücksichtslose Despotin, die dereinst die USS Discovery übernommen hatte, um einen Genozid an den Klingonen durchzuführen, hat deutlich kritischere Worte verdient als das recht harmlose "Hassliebesgeständnis" Michael Burnhams. Im Angesicht ihres fehlenden Respekts vor Leben, ihrem Hang für Folter und ihrer Leidenschaft für Gewalt sendet die Betonung von vermeintlich harmlosen Aspekten wie ihrem verwegenen Kleidungsstil, ihrem fehlenden Taktgefühl oder ihrer bedingungslose Ehrlichkeit (die keineswegs so konstant war wie Saru sie in seiner verklärten Erinnerung hatte) ein bedenkliches Signal in punkto Moralität aus. Bedenkt man ferner, dass sie trotz dieser offen zur Schau gestellten Abgründe ihre galaktische Charakterprüfung bestanden hat, wird deutlich, dass sich "Discovery" mit ihr vielleicht vom erzählerischen Ballast der Vergangenheit befreit hat, aber dafür auch die Werte und Ideale, die man in den letzten paar Folgen nicht müde wurde zu betonen, augenscheinlich mit Füßen tritt. Ich will nicht in den Chor der Personen einstimmen, die Georgiou gern als "Weltraum-Hitler" bezeichnen (vor allem weil ich glaube, dass ihre Herkunft ihr zum Überleben keine andere Wahl gelassen hat, als zu Intrigen, Brutalität und Mord zu greifen), aber diese plötzliche Absolution spiegelt weder den Verlauf der Handlung, noch die Entwicklung der Figur innerhalb der Serie angemessen wieder und steht in einem krassen Widerspruch zur Erzähltradition dieser Franchise. Darüber, was das im Hinblick auf den tagesaktuellen Bezug von Science Fiction bedeuten mag, möchte ich an dieser Stelle lieber erst gar nicht eingehen…
Im schlechtesten Fall kann man darin eine wegweisende Entscheidung für die neue Sektion-31-Serie sehen. Wenn man nämlich eine Serie konzipiert, in der die Charaktere über Leichen gehen, um die fragile Unschuld ihres Föderationsparadieses zu wahren, scheinen dementsprechend ausgestaltete Charaktere als eine logische Wahl. Eine eigens dafür konstruierte Spinoff-Folge, die diesem brachialen Gedanken huldigt, ist im Rahmen einer solchen Prämisse sogar irgendwie schlüssig, selbst wenn sie dem bisherigen Kurs von "Discovery" im Speziellen und Star Trek im Allgemeinen widersprechen mag. Es gilt allerdings zu bedenken, dass der Reiz der Sektion 31 stets mit dem moralischen Dilemma verbunden war, das den Taten der Geheimorganisation entgegenstand und man darf wohl gespannt sein, ob sich dieser Aspekt erhalten wird oder in explosiven Gewaltorgien heimlich, still und leise ad acta gelegt wird.  
Aufgrund der moralisch vergleichsweise prekären Implikationen bin ich eher geneigt, in der Schlussszene einen Abschied des Produktionsteams von einer geschätzten Schauspielkollegin zu sehen. Das ist als Statement durchaus verständlich, aber auch hier bleibt anzumerken, dass all die freundlichen Bemerkungen glaubhafter gewirkt hätten, wenn man im Vorfeld zugelassen hätte, dass Georgiou eine emotionale Bindung zu ihren Crewmitgliedern aufgebaut hätte. Denn den Lobeshymnen von Detmer, Owosekun oder Reno hätte man mehr Gewicht verleihen können, wenn die Autoren sich in vorangegangenen Folgen dazu herabgelassen hätten, diesen Figuren ein wenig gemeinsamen Raum zu vergönnen.


Kanonbrüche und Logiklöcher.
An dieser Stelle kommen wir nicht umhin, den dicksten Fisch dieser Folge bei der Flosse zu packen und aus dem modrigen Brackwasser des Spiegeluniversums zu heben: Der Hüter der Ewigkeit ist mit einem Paukenschlag zurück!
Das mag nach den geschickt in die letzte Episode gestreuten Hinweisen vielleicht absehbar sein, ist aber auch mit einigen Problemen behaftet. So hatten sowohl die TOS-Episode "Griff in die Geschichte" als auch die TAS-Folge "Das Zeitportal" die Fähigkeiten dieses stationären Sternentors noch ganz anders dargestellt: Mit ihrem Sprung zurück beeinflussten Personen wie Leonard McCoy oder Spock die Zeitlinie spürbar. Was aber Carl in diesem Fall für Georgiou aus der Melone zaubert, wirkt spürbar anders. Durch das verfrühte Ableben von Personen wie Paul Stamets, Ellen Landry oder Keyla Detmer wissen wir zwar, dass es sich nicht um das richtige Spiegeluniversum handelt, aber der Hinweis auf das Fortleben Sarus legt nahe, dass durch den Test ein neuer Zweig des Spiegeluniversums entstanden ist (ähnlich wie das Abramsverse im Vergleich zur primären Zeitlinie). Das klingt im ersten Moment sicherlich nach einem Widerspruch in der Funktionsweise des Zeitportals.
Aber zwischen den Ereignissen der Originalserie und dieser Folge liegen nicht nur mehr als neunhundert Jahre, sondern auch die verheerenden Ereignisse der temporalen Kriege, in deren Verlauf verschiedene Fraktionen offensichtlich versucht haben, den Hüter der Ewigkeit für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Glaubt man den Worten Carls, so musste er einen Weg finden, diese Einflussnahme zu unterbinden. Neben der Entwicklung eines Avatars zählte dazu wohl auch die Flucht aus dem Sternensystem und die Verwendung von Sicherheitsprotokollen, um einem Missbrauch den Riegel vorzuschieben.
Damit hat es diese Folge in meinen Augen geschafft, einen festen Bestandteil der Originalserie (die Folge "Griff in die Geschichte" zählt zu Recht zu den besten der Franchise) entscheidend weiterzuentwickeln, einen Charakter zu erschaffen, der sich in zukünftigen Episoden als hilfreich erweisen könnte und hat dabei sogar etwas für die Glaubwürdigkeit des Hüters getan. Tatsächlich boten die Ausführungen den temporalen Kriegen derart viel Potential, dass ich nach den schlechten Vorzeichen für die Sektion-31-Serie lieber eine Spinoff für eine Serie zu Zeitsoldaten und ihren Einsätzen sehen wollen würde. Das allerdings würde ein nahezu enzyklopädisches Verständnis der verantwortlichen Autoren für das Star-Trek-Universum voraussetzen, doch derlei Personal scheint auf dem Arbeitsmarkt gerade nicht verfügbar zu sein, wie diese Folge ebenfalls unter Beweis stellt.
Ein gutes Beispiel dafür liefern die neuen "vollpolarisierten Warpleitungen", mit denen sich Jett Reno zu Recht die Zeit vertrieben hat, denn diese Technologie ist laut der Voyager-Episode "Subraumspalten" nicht nur sehr ertragreich, sondern auch so gefährlich, dass sie ganze Zivilisationen auszulöschen vermag. Abgesehen davon, dass es ein Vertragswerk gibt, das den Gebrauch dieser Technologie ausdrücklich untersagt, stellt sich zudem die Frage, warum man diese Energiequelle nicht für Warpantriebe verwendet, denn wie bereits in vorangegangenen Rezensionen ausgeführt dient Dilithium lediglich dafür, als Reaktionsmedium bei der Energiegewinnung durch Materie-Antimaterie-Interaktion zu fungieren.
Philippa Georgious Auflösungserscheinungen sind ebenfalls ganz schön aus der Luft gegriffen.
Denn eine Person, die nicht nur in einer anderen Parallelwelt, sondern auch in eine andere Zeit gespült wurde, gab es in der reichhaltigen Star-Trek-Geschichte schon einmal. Alex Kurtzman sollte davon wissen, denn er war einer der Autoren des Drehbuches für "Star Trek [2009]", Wieso der ehemaligen Spiegeluniversumsimperatorin ständig die Gesichtszüge entgleisen, während der von Leonard Nimoy gespielte Spock des Primäruniversums davon unbehelligt eines natürlichen Todes sterben konnte, vermag sich mir nicht so recht erschließen.
Zudem entspannt sich ein schwerer Widerspruch daraus, einerseits den Hüter der Ewigkeit aus der Asservatenkammer zu holen, um damit eine Traditionslinie aus der Originalserie zu huldigen, während man an anderer Stelle der Serie offen wiederspricht.
Der Tantalusstrahler nämlich, über den Georgiou in ihren Gemächern verfügt und mit dem sie ihre Ziehtocher "[..] per Knopfdruck töten […]" könnte, spielt natürlich auf die TOS-Episode "Das Paralleluniversum" an. Dumm nur, dass Kirks Spiegeluniversumsvariante das geheime Gerät von einem außerirdischen Wissenschaftler erbeutet hat und diesen außergewöhnlichen taktischen Vorteil nutzt, um Karriere zu machen und Widersacher auszuschalten. Das gleiche Gerät zwölf Jahre vorher aber schon in den Händen der Imperatorin zu sehen, gräbt dem mysteriösen Aufstieg des Offiziers das Wasser ab. Zudem wäre es interessant zu wissen, ob die Imperatorin das Gerät bei jeder ihrer Reisen neu installieren lässt…
Andere vermeintliche Widersprüche lassen sich mit viel Kompromissbereitschaft hingegen auflösen:  
Die ISS Discovery soll das einzige Schiff in einem Umkreis von hundert Lichtjahren um Risa herum sein?
Vielleicht ist das Imperium auch wegen des Schiffsmangels ständigen Aufständen ausgesetzt.
Der Planet Risa hat plötzlich Ringe?
Vielleicht hat die imperiale Flotte einen der Monde als Machtdemonstration zerstört.
War Sarus vaha'rai nicht etwas verfrüht, zumal es in "Der Charonspfennig" von der Sphäre künstlich beschleunigt wurde?
Es könnte auf die Einwirkungen des Zeitportals zurückzuführen sein, um genau diesen Teil zum Gegenstand der Prüfung werden zu lassen.
Der Vollständigkeit halber will ich einen Punkt aber nicht unerwähnt lassen.
Den ganzen zwei Folgen überspannenden Spinoff hätte man sich auch bequem sparen können, wenn man Philippa Georgiou bei der Zeitreise in eine fast tausend Jahre entfernte Zukunft einfach zurückgelassen hätte. Im Hinblick auf eine Staffellänge von nur dreizehn Episoden bei "Discovery" und des bereits mehrfach verschobenen Drehbeginns der bislang noch auf das Reißbrett beschränkten Sektion-31-Serie, fühlt es sich an, als habe man zwei Folgen unnötig geopfert, die alternativ dazu hätten genutzt werden können, die Figuren mehr miteinander interagieren zu lassen, ein paar weitere Planeten zurück in den Schoß der Föderation zu holen und die Haupthandlung voranzutreiben. Ob ein derartiger Spinoff in Zeiten des seriellen Erzählens wirklich noch angemessen ist, möchte ich an dieser Stelle einfach mal bezweifeln, denn ein eigener Pilotfilm, in dem die Hauptprotagonistin mit den anderen Figuren im Rahmen der Serie zusammengeführt worden wäre, erscheint mir noch immer sinnvoller, als den Erzählfluss von "Discovery" zu abrupt zu unterbrechen.


Ausblick.
Vorsicht, dieser Abschnitt enthält eventuell Spoiler auf kommende Episoden!
In Anbetracht der Möglichkeit, diesen Zweiteiler als Starthilfe für eine Sektion-31-Serie zu nutzen, lassen sich bereits einige Vermutungen anstellen, wohin die Reise gehen wird. Zwar würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, eine konkrete Zeit zu benennen, in der Georgiou letztendlich landen wird, aber einige Entwicklungen scheinen sich deutlich abzuzeichnen.
Wie bereits erwähnt scheint die Serie Graubereiche ausloten zu wollen und auf Michelle Yeoh als Zugpferd zu setzen. Neben Daniel Kash als Duggan dürfte wohl auch Georgious früherer Intimus (Hu)San mit von der Partie sein und die Rolle Michael Burnhams als emotionaler Rettungsanker für die frühere Imperatorin einnehmen.
Doch auch für "Discovery" wage ich eine weitere Prognose.
Books leichtsinniger Einsatz der Smaragdketten-Alexa wird die mafiöse Verbrecherorganisation ebenfalls zur Khi'eth führen, wo sie versuchen wird, der USS Disovery in eine Falle zu locken, um ihres wertvollen Sporenantriebes habhaft zu werden…


Synchronisation.
Abermals möchte ich an dieser Stelle den sinnvollen Gebrauch des Siezens und Duzens hervorheben. Vor allem der Wechsel von der Höflichkeitsform zurück in das ungleich persönlichere 'Du' nachdem Michael Burnham durch Folter scheinbar gebrochen zurück zu ihrer Mutter kommt, passt einfach wunderbar in diese Szene.
Ein wenig schade hingegen fand ich, dass das an Bob Dylan angelehnte "the winds are a-shifting." im Deutschen verlorengegangen ist. Allerdings wird daraus ein "Das Blatt scheint sich zu wenden.", was im Hinblick auf die zeitgleich präsentierte Zeitung noch nicht einmal unpassend wirkt.
Allerdings unterscheidet sich die deutsche Tonspur dadurch von der englischen, dass hier nicht auf den originalen Sprecher zurückgegriffen wurde. Während in der Originaltonspur tatsächlich kurz eine Aufnahme Bart LaRues zu hören ist, wird dem 1999 verstorbenen Alwin Joachim Meyer diese Ehre nicht zuteil.


Fazit.
Dem zweiten Teil von "Terra Firma" gelingt es zwar trotz stilistischer Unterschiede, seinen Vorgänger abzuschließen, aber er bietet dem Zuschauer weniger eine "Discovery"-Folge als viel mehr eine Starthilfe für eine Sektion-31-Serie mit Michelle Yeoh in der Hauptrolle. Er scheitert bei dem Versuch, Philippa Georgious Sinneswandel schlüssig zu transportieren einerseits an der im Vorfeld zu sehr vernachlässigten Etablierung von persönlichen Beziehungen zu den anderen Figuren und andererseits an einer sehr fragwürdigen Moral, die mit der streitbaren Figur transportiert wird. Zudem verzichtet die Folge auf einen Auftritt Jason Isaacs und fabriziert unnötige Kanonbrüche wie Logiklöcher.
Dennoch gibt es auch den ein oder anderen Silberstreif am Horizont. Der Folge gelingt es, seine Crew als Vorteil herauszustellen, Tig Notaros Rückkehr bringt wieder Schwung in die Bude und mit dem schlüssigen Ausbau des Hüters der Ewigkeit schafft man es, einem Stück Kanon-Geschichte neues Leben einzuhauchen.


Bewertung.
Ein lahmer Spinoff mit wenigen Lichtblicken.








Schluss
.
Auch wenn die Discovery die Flucht nach vorn angetreten ist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht mehr großzügig in den reichhaltigen Jagdgründen der Originalserie wildert. Diese Staffel hat es scheinbar den Hüter der Ewigkeit getroffen – mit Potential auf eine fulminante Wiederkehr.
Aber der Rückbezug auf die Originalserie ist ein fester Bestandteil der Star-Trek-Tradition – insbesondere bei TNG. Gleich in der ersten Staffel von TNG gab es mit "Gedankengift" eine Folge, die einen Bogen zu "Implosion in der Spirale" schlug. Mehrfach konnte man ein Wiedersehen mit verschiedenen Originalserien-Charakteren wie Leonard McCoy, Sarek, Spock oder Montgomery Scott feiern. Und in zahlreichen Folgen gab es zahllose Anspielungen und Referenzen auf die Serie.
In anderen Serien setzte sich der Trend fort. In DS9 fand es seinen Höhepunkt in der Crossover-Folge "Immer die Last mit den Tribbles", bei "Voyager" musste Icheb Prüfungsfragen zu Kirk beantworten und in "Enterprise" gab es so viele Anlehnungen, dass der Platz hier gar nicht ausreichen würde, sie alle aufzuzählen.
So gesehen ist es absolut legitim, ab und zu in den Fußstapfen der Originalserie zu wandeln. Es ist aber ebenso wichtig, die eigenen Erzähltraditionen zu bedienen, um sich ein Image jenseits des großen Vorbilds zu schaffen. TNG hat das geschafft und ich bin mir recht sicher, dass auch Discovery diesen Sprung längst gemeistert hat.
Die neue Sektion-31-Serie muss sich dahingehend aber noch beweisen, nicht zuletzt, weil ihr holpriger Start erstmals in der Star-Trek-Geschichte durch einen Spinoff eingeleitet wurde, der sich in Gänze auf Erzähltraditionen aus der Originalserie und "Discovery" stützte. Ob das eine gute Wahl war, wird die Serie zeigen müssen – wenn sie denn je das Produktionsstadium erreicht.


Denkwürdige Zitate.

"Sogar Dschingis Khan hat gelernt, dass seine Macht irgendwann schwindet, wenn er nicht zulässt, dass die Menschen die er unterworfen hat ihre eigenen Götter verehren."
"Du hast versprochen, neue Welten zu unterwerfen. Du hast uns Beute versprochen. Nie enden wollenden Wachstum! Doch es gibt keine Beute, wenn Frieden herrscht."
Philippa Georgiou und Michael Burnham

"Niemand hat etwas von Lorca gehört. Ich schätze nicht, dass er kommen wird."
Keyla Detmer

"Kelpianerfleisch ist viel zu cholesterinreich und sehnig."
Georgiou

"Demokratische Prozesse sind so leicht zu sabotieren."
Georgiou

"Mein Leichnam wäre schon bis auf die Knochen abgenagt, wenn ich zwischen Schmeichelei und Loyalität nicht trennscharf zu unterscheiden wüsste."
Georgiou

"Zwischen Tür und Angel lebt es sich nicht gut."
Carl

"Ich hab Sie hier schon seit 'ner Ewigkeit nicht mehr gesehen…"
Paul Stamets zu Jett Reno

"Das ist kein Essen, sondern 'ne Süßigkeit. Praktisch 'nen Zubehörteil."
Jett Reno

"Ja gut, wenn ich Technologie von der Smaragdkette hätte, dann…"
"Sie können auch einfach 'danke' sagen…"
"Das ist biologisch unmöglich. Wenn er das tun würde, würde seine DNA rebellieren wie ein hormogesteuerter Teenager."
Stamets, Cleveland Booker und Reno


Weiterführende Leseliste.

01. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil I"
02. Rezension zu "Fern der Heimat"
03. Rezension zu "Bewohner der Erde"
04. Rezension zu "Vergiss mich nicht"
05. Rezension zu "Bewährungsprobe"
06. Rezension zu "Aasgeier"
07. Rezension zu "Wiedervereinigung, Teil III"
08. Rezension zu "Das Schutzgebiet"
09. Rezension zu "Terra Firma, Teil I"
10. Rezension zu "Terra Firma, Teil II"
11. Rezension zu "Sukal"
12. Rezension zu "Es gibt Gezeiten..."
13. Rezension zu "Ein Zeichen der Hoffnung, Teil II"

Staffel 2.

01. Rezension zu "Brother"
02. Rezension zu "New Eden"
03. Rezension zu "Lichtpunkte"
04. Rezension zu "Der Charonspfennig"
05. Rezension zu "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
06. Rezension zu "Donnergrollen"
07. Rezension zu "Licht und Schatten"
08. Rezension zu "Gedächtniskraft"
09. Rezension zu "Projekt Daedalus"
10. Rezension zu "Der rote Engel"
11. Rezension zu "Der Zeitstrom"
12. Rezension zu "Tal der Schatten"
13. Rezension zu "Süße Trauer, Teil I"
14. Rezension zu "Süße Trauer, Teil II"

Staffel 1.

01. Rezension zu "Leuchtfeuer" und "Das Urteil"
03. Rezension zu "Lakaien und Könige"
04. Rezension zu "Sprung"
05. Rezension zu "Wähle Deinen Schmerz"
06. Rezension zu "Lethe"
07. Rezension zu "T=Mudd²"
08. Rezension zu "Si Vis Pacem, Para Bellum"
09. Rezension zu "Algorithmus"
10. Rezension zu "Nur wegen Dir"
11. Rezension zu "Der Wolf im Inneren"
12. Rezension zu "Blindes Verlangen"
13. Rezension zu "Auftakt zum Ende"
14. Rezension zu "Flucht nach vorn"
15. Rezension zu "Nimm meine Hand"