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Donnerstag, 31. Oktober 2019

Star Trek, Deine Deutschen, Teil 09: Shimon Wincelberg


Einleitung.
In Deutschland werden 2019 dreißig Jahre Mauerfall gefeiert und auch die Star Trek Tafelrunde "Hermann Darnell" aus Potsdam Babelsberg möchte diesem Ereignis mit einer ganz besonderen Reihe Tribut zollen, in der - inspieriert vom Leben des kürzlich verstorbenen David Hurst - Deutsche bei Star Trek näher beleuchtet werden. Dabei geht es weniger um Personen wie Levar Burton oder Jeri Ryan, die im Zuge von Militärstationierungen im amerikanischen Sektor Deutschlands das Licht der Welt erblickten. Oder Schauspieler wie Mark Allen Shephard oder Nancy Kovack, die mittlerweile in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Selbst deutsche Charaktere wie Keyla Detmer oder Carl Jaeger finden hier keine Erwähnung.
Stattdessen erzählen wir zwischen dem 3. Oktober und dem 9. November 2019 zwölf Geschichten über zu Unrecht hierzulande weniger bekannte Darsteller, Regisseure und anderweitig mit Film und Fernsehen verbundene Personen und deren Beziehung zu Deutschland und Star Trek. Dabei wollen wir zeigen, dass Deutsche stets entscheidend dabei halfen, Star Trek zu dem Kultobjekt zu formen, das es heute ist.



Einleitung.
Die Geschichte von Deutschen, die an Star Trek mitwirkten, ist auch stets ein Spiegelbild der turbulenten deutschen Geschichte selbst. Häufig erzählt sie vom zweiten Weltkrieg und dessen Vorgeschichte, Umständen oder Nachwirkungen. Besonders schwierig wird es, wenn deutsche Juden wie David Hurst oder Gerd Oswald zum Gegenstand der Betrachtungen werden, denn ihre Biografien zeigen deutlich, dass der Grund für ihre Beteiligungen an der Science-Fiction-Serie zuweilen keineswegs etwas ist, worauf man hierzulande wirklich stolz sein kann. Einige Personen brachen gar aus nachvollziehbaren Gründen völlig mit ihrer deutschen Herkunft und wären sicherlich nicht sehr glücklich darüber, ihren Namen in einer Auflistung namens "Star Trek, Deine Deutschen" zu finden.
In diesem Teil stellen wir einen Drehbuchautoren vor, der allen Grund hätte, seinem Geburtsland gegenüber einen nur allzu verständlichen Groll zu hegen.


Shimon Wincelberg.
Shimon Wincelberg erblickte am 26. September 1924 in der Hansestadt Kiel das Licht der Welt. Seine Eltern, aus Polen eingewanderte Juden, konnten im ihrer Jugend keinen Beruf erlernen und hielten sich mit dem Betrieb eines kleinen Gemischtwarenladens (in dem die Regale aus Geldmangel oft zu zwei Dritteln leer blieben) mehr schlecht als recht über Wasser und konnten ihrem Sohn und ihren beiden Töchtern keinesfalls ein glamouröses Leben bieten. Und doch verband Wincelberg mit der Stadt, in der er seine Kindertage und ersten Schuljahre verbrachte, stets angenehme Erinnerungen, auch wenn er früh mit Antisemitismus in Berührung kam.
Doch sein Leben sollte eine dramatische Wendung erleben, als seine Familie im Frühjahr 1930 in die deutsche Hauptstadt Berlin umzog, weil sich der Vater dort eine bessere wirtschaftliche Grundlage für seine Familie erhoffte. Doch die Spreemetropole bot noch viel mehr: Im Vergleich zum eher provinziellen Kiel, wo sich die etwa fünfhundert gläubigen Juden gerade einmal eine Mikwe gab, gab es in Berlin eine Vielzahl unterschiedlicher Synagogen unterschiedlichster Ausprägungen. Das Berlin der ausgehenden Zwanziger Jahre war eine pulsierende Stätte des Lebens, ein Hort des Luxus' und ein Mekka für Glücksritter, die hier ihrem Leben eine neue Richtung geben wollten.
Der junge Shimon besuchte – in Kiel undenkbar – die jüdische Grundschule in der Kaiserstraße (heute Jacobystraße), feierte hier seine Bar Mitzwa und war Teil des Ringer-Teams des örtlichen Makkabi-Sportklubs. Doch auch wenn die Familie nun materiell besser gestellt war (der Vater betrieb zunächst einen florierenden Marktstand und später einen Laden in seiner Wohnung), wohnte sie dennoch in der Nähe des Alexanderplatzes zwischen Polizeihauptwache und Rotlichtviertel in einer der weniger feinen Wohngegenden der Hauptstadt. Vor allem aber begann spätestens mit der Machtergreifung Adolf Hitlers die Stimmung in Deutschland zu kippen. Juden im Allgemeinen und osteuropäische Juden wie Shimon und seine Familie im Speziellen wurden mehr und mehr zur Zielscheibe öffentlicher Anfeindungen.



Dabei versuchte man zunächst, dem Aufstieg des Diktators mit Humor zu begegnen, doch im Laufe der Jahre verschlechterte sich die Situation zunehmend, so dass das Lachen häufig im Halse stecken blieb. Als Kind musste Wincelberg mitansehen, wie ein jüdischer Mann von SA-Männern zu Tode geprügelt wurde, erlebte Angriffe auf Synagogen mit und ertrug Tag für Tag die vielen Erniedrigungen, Repressalien und Verbote mit, die das jüdische Leben in der Stadt mehr und mehr zu dominieren begannen. Seine eigene Familie blieb von dieser Entwicklung nicht verschont. So fanden sich nicht nur antisemitische Graffitis auf der Hauswand ihrer Wohnung wieder; Wincelbergs Vater wurde darüber hinaus von bewaffneten SA-Schergen auf offener Straße krankenhausreif geschlagen. In eine weiterführende oder gar religiös geprägte Schule konnte Shimon nur gehen weil ein paar ehemalige jüdische Lehrer heimlich eine Wohnung umfunktioniert hatten. Erst als 1936 die Olympischen Spiele in Berlin eine zeitlich begrenzte Verschnaufpause boten, um der Weltöffentlichkeit vorgaukeln zu können, was für ein tolerantes Land Deutschland unter den Nazis sei, erkannten Shimons Eltern, dass sie ihr Heil in der Flucht suchen mussten.

Doch der Weg aus Deutschland hinaus war schwierig. Fieberhaft suchte man nach Möglichkeiten den Verhältnissen im Dritten Reich zu entfliehen, doch sämtliche Optionen von Ungarn, über Dänemark bis hin nach Brasilien oder Kuba lagen außerhalb der Reichweite der Familiengemeinschaft. Schließlich beschlossen beide Eltern, ihr Glück in Amerika zu versuchen. Doch für eine Ausreise benötigte man nicht nur eine Genehmigung der Nazi-Behörden, sondern musste den Mitarbeitern des amerikanischen Hauptstadtkonsulats auch nachweisen, dass man über Geldmittel im Ausland verfügte. Das wiederum war jedoch unmöglich, weil das deutsche Recht Juden jegliche Konten im Ausland versagte und die Sicherheitsorgane mit Vorliebe entsprechende Sparbücher beschlagnahmte.
So legte die Familie nach eindringlichen Diskussionen ihr Schicksal in die Hände eines Schmugglers, der Juden in der Hauptstadt gegen eine Provision anbot, nach Antwerpen zu fahren, um dort ein Konto mit einem Guthaben von etwa 1500$ zu eröffnen. Nach langer Zeit des Wartens kam der Mittelsmann auch tatsächlich mit allen notwendigen Papieren wieder und auch wenn der amerikanische Botschaftsangestellte seinen Argwohn ausdrückte, dass so viele Juden den gleichen Geldbetrag bei der gleichen Bank nachweisen konnte, erhielt die Familie weniger Tage ein Visum und damit die Möglichkeit, dem sicheren Tod zu entfliehen. Denn während Shimon Wincelberg am 3. August 1938 unversehrt in New York ankam, verschlechterte sich die Situation in Europa. Nach der Reichskristallnacht und dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges war an eine geregelte Ausreise nicht mehr zu denken und ein Großteil der Verwandtschaft der Wincelbergs fand unter den Nationalsozialisten den Tod.

Obwohl der junge Shimon früh beschloss, entweder Schriftsteller oder Künstler zu werden, wurde er zunächst in die Armee eingezogen. Er brannte in seinem jugendlichen Leichtsinn darauf, den Deutschen auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen zu können, doch die US-amerikanischen Militärführer zögerten, in Deutschland geborene Soldaten in Europa einzusetzen. So fand sich der junge Wehrdienstleistende urplötzlich am anderen Ende der Welt wieder: Dem Pazifik.
Nach dem Ende des Krieges begann der ehemalige Soldat einer Aufklärungseinheit, in Japan Einheimischen in die Prinzipien amerikanischer Werte zu vermitteln und im Laufe dieser Seminare entwickelte er eine Faszination für die japanische Kultur, die ihn fortan in seinem Leben begleitete.

Wincelberg und seine Frau Anita bei ihrer Hochzeit
Zurück in den USA begann er, Kurzgeschichten zu schreiben, doch den größten Erfolg erlangte er schnell damit, Drehbücher für Fernsehserien zu entwickeln. So finden sich in seiner Vita unzählige Nennungen als Autor verschiedener Episoden zu Serien wie "Time Tunnel" (1969), "Rauchende Colts" (1964-1974), "Planet der Affen" (1974), "Logan's Run" (1977), "TrapperJohn M.D." (1979) oder "Der Denver-Clan" (1982), obwohl er selbst seine Arbeit für das Fernsehen eher als Mittel zum Zweck verstand: Durch das vergleichsweise leicht verdiente Geld konnte er sich darauf konzentrieren, Theaterstücke und Bücher zu schreiben, die ihm am Herzen lagen.



Als Shimon Wincelberg schließlich Mitte März 1966 sein erstes Star-Trek-Drehbuch ablieferte, war er beileibe kein unbekannter Neuling im Geschäft. Neben seinen Drehbüchern für die Serie "Have Gun, Will Travel", an der GeneRoddenberry ebenfalls als Autor tätig war, hatte er einen zentralen Einfluss auf die andere große Science-Fiction-Serie der Sechziger, "Lost in Space", für die er am Pilotfilm und mehreren anderen Folgen beteiligt war. Auf wenn die Legende umgeht, dass D.C. Fontana bei seinem Vorstellungsgespräch den Satz "Einige Agenten trauen sich tatsächlich, uns Autoren abzubieten, die für Lost in Space gearbeitet haben!" fallen gelassen haben soll, waren seine Referenzen so makellos wie sein Ruf und Gene Roddenberry benötigte verzweifelt gute Drehbuchautoren für sein Projekt.
Wincelberg sah sich zunächst den ersten Pilotfilm "Der Käfig", als auch den zweiten "Die Spitze des Eisbergs" an und begann schließlich, ein opulentes Drehbuch unter dem an Shakespeare angelehnte Titel "Dagger oft theMind" zu schreiben. Doch obwohl sich alle Beteiligten einig waren, dass es sich um eine gute Grundidee handelte, waren zu viele seiner Ideen mit zu hohen Kosten verbunden. Immerhin nahm er sich die konstruktive Kritik der Produzenten zu Herzen und überarbeitete seinen Entwurf insgesamt vier Mal und passte es mehrfach den Wünschen der Produzenten an, bevor er schließlich grünes Licht erhielt und für seine Arbeit entlohnt wurde. Doch sein Script wurde ohne sein Wissen weiterbearbeitet. Zum einen wurden Elemente wie die erste vulkanische Gedankenverschmelzung der Serie hineingeschrieben, während man Grace Lee Whitneys Janice Rand kurzerhand durch Marianne Hills Dr. Helen Noel ersetzte. Schließlich setzte Gene Roddenberry aber auch inhaltlich den Rotstift an, um einerseits einen inhaltlichen roten Star-Trek-Faden zu bewahren, aber andererseits auch, um etwas unsensibel ein übertrieben positives Bild der Menschheit in der Zukunft zu zeichnen. Dadurch ging unter anderem die Motivation des Widersachers Dr. Tristan Adams' verloren, der seinen "Zentralnervensystemmanipulator" in Wincelbergs Version vor allem aus Machthunger entwickelte. Als Wincelberg, der gerade für Roddenberry das Script zu "Notlandung auf Galileo 7" überarbeitete, von den eigenmächtigen Änderungen erfuhr, reagierte er erbost. Er strafte Roddenberry mit dem mächtigsten Werkzeug ab, dass einem gekränkten Autor zur Verfügung stand. Wie HarlanEllison oder Gene L. Coon auch bestand er darauf, dass sein Name nicht im Abspann genannt werden würde. Stattdessen wählte er das Pseudonym S. Bar-David ("S." für Shimon, "Bar-David" ist hebräisch für "Sohn Gottes"), um zu verhindern, dass sich die Autoren mit seinen Federn schmücken konnten. Roddenberry reagierte noch Jahre später verstimmt.
"Star Trek bot Autoren die Möglichkeit, etwas Größeres zu schaffen. Einige waren der Herausforderung gewachsen, andere nicht. Ein paar Leute fühlten sich dadurch gar bedroht und gingen zurück zu 'Lost in Space'."
Doch so groß kann der angerichtete Schaden nicht gewesen sein. Für Gene Roddenberrys geplante, aber nie umgesetzte Phase-II-Star-Trek-Serie verfasste Wincelberg abermals ein Drehbuch. Auch der Entwurf mit dem Titel "Lord Bobby", in dem die Crew der USS Enterprise einem Wesen begegnet das stark an Trelane aus "Tödliche Spiele auf Gothos" erinnerte, musste abermals überarbeitet werden, fand aber zunächst Gene Roddenberrys Zustimmung, so dass die Story in die Planungen für die Serie mitaufgenommen wurde, auch wenn "PhaseII" zugunsten eines Kinofilms nie verwirklicht wurde.

Privat blieb Wincelberg den orthodoxen Glaubensgrundsätzen, die ihm seine Eltern bereits in seiner Jugend vermittelt hatten treu. Er betreute nicht nur zahlreiche andere Juden in Hollywood spirituell, sondern war stolz darauf, dass eines seiner drei Kinder den Beruf eines Rabbis annahm. Er starb am 29. November 2004 im Alter von achtzig Jahren in einem Pflegeheim nach langer Krankheit.


Trotz der Erfahrungen seiner Jugend und den Morden an vielen seiner Familienmitglieder, hegte Wincelberg keinen allgemeinen Groll gegen Deutsche. Stattdessen wehrte er sich gegen derartige Generalisierungen. In seinen Augen waren nicht alle Deutschen und noch nicht einmal alle Nationalsozialisten schlechte Menschen.
Um das zu untermauern, erzählte er mehrfach die Geschichte von Herr Klausen, seinem Grundschullehrer in Kiel, der mehr als einmal die jüdischen Kinder vor den Mitschülern verteidigte und ihm als gerechter Mann in Erinnerung blieb. Als der Pädagoge nach den Sommerferien mit einem Hakenkreuz am Revers erschien, befürchtete der junge Shimon Wincelberg Schlimmstes, doch tatsächlich blieb Herr Klausen seiner Fairness treu und weigerte sich, die jüdischen Kinder seiner Klasse anders zu behandeln als die deutschen.
Dennoch war er auch Realist. Auf die Frage, ob der Holocaust das Denken der Menschheit verändert habe, schränkt er ein, dass es das Denken einiger Menschen verändert habe, leider aber nicht das Denken aller Menschen.
Eine traurige Wahrheit, die heute wieder aktueller scheint, als sie eigentlich sein sollte.

Vorschau.
Im nächsten Teil der Reihe geht es um ein weiteres Playmate, dass es schaffte, eine Rolle bei Star Trek zu landen. Allerdings blieb ihr Ruhm flüchtig, zumal sie für einen ihrer größten Erfolge wegen ihres starken deutschen Akzents synchronisiert werden musste…

Quellen.Altman, Mark A.; Gross, Edward: Lost Voyages of Trek and the Next Generation. London, 1995, S. 35ff.
Clark, Mike: Misplaced Among the Stars. Just Outside the Solar System Shimon Wincelberg Founds Himself 'Lost in Space'. In: Starlog #159, Oktober 1990, S. 68ff.
Cushman, Marc; Osborn, Susan: These Are the Voyages. TOS, Season One. San Diego, 2013.
Justman, Robert; Solow, Herbert F.: Star Trek. Die wahre Geschichte, New York, 1996, S. 267ff.
USC Shoah Foundation Institute (Hrsg.): Testimony of Shimon Wincelberg.

Weiterführende Leseliste.

Star Trek, Deine Deutschen, Teil 00: David Hurst.
Star Trek, Deine Deutschen, Teil 01: Franz Bachelin.
Star Trek, Deine Deutschen, Teil 02: Walter Gotell.
Star Trek, Deine Deutschen, Teil 03: Jesco von Putkamer.
Star Trek, Deine Deutschen, Teil 04: Barbara Bouchet.
Star Trek, Deine Deutschen, Teil 05: Winrich Kolbe.
Star Trek, Deine Deutschen, Teil 06: Reiner Schöne.
Star Trek, Deine Deutschen, Teil 07: Gerd Oswald.
Star Trek, Deine Deutschen, Teil 08: Harry Groener.
Star Trek, Deine Deutschen, Teil 09: Shimon Wincelberg.

2 Kommentare:

  1. Ich habe "Lost In Space" nie gesehen - ist denn die Serie wirklich so fürchterlich, dass Dorothy so sehr die Nase darüber rümpfen musste?

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    1. Schwierig zu sagen. Ich versuche es mal so zu formulieren: Wem TOS schon zu 'cheesy' ist, der wird arge Probleme mit der Originalserie von 'Lost in Space' haben (es gibt auch noch einen Film mit Gary Oldman als Bösewicht und einen erträglichen Netflix-Reboot). Weil jedoch inhaltlich ein krasser Bruch zu den eher nachdenklichen TOS-Folgen besteht, könnte ich DC Fontanas Zurückhaltung sogar verstehen. Wenn man es sich heute ansieht, muss man sich jedenfalls ständig vor Augen halten, dass für Science Fiction in den 60er Jahren andere Maßstäbe galten und das so etwas schon 'state of the arts' war...

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